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Kapitel 2
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Trotz des grauen Himmels waren am Ostersonntag viele Menschen auf der Plaza versammelt. Der Duft von frittierten Kochbananen lag in der Luft. Die Einwohner tanzten, tranken Horchata und verspeisten Empanadas während die Kinder um Süßigkeiten, Ballons und Spielsachen von den Ständen bettelten.
Es sah aus, als ob Diego der einzige Mensch war, der bei all diesen Festivitäten fehlte.
Ein paar schwarze Land Rover mit getönten Scheiben parkten am Straßenrand vor der Kirche. Cristiano geleitete mich zu dem zweiten, übergab meine Sachen dem Fahrer und öffnete die Tür zu den Rücksitzen.
Einzusteigen war gleichbedeutend mit meiner Unterwerfung Cristiano gegenüber. Sowie ich drin wäre, wäre ich für die Welt so gut wie verloren. Mein Handy war in der Tasche, die ich zur Kirche mitgebracht und die man irgendwo hingeschafft hatte. Ich war nicht so naiv zu denken, dass ich so schnell wieder zurückkommen würde. Wenn überhaupt. Ich sah zu dem Platz herüber.
„Barto sollte mich jeden Augenblick abholen kommen. Er denkt, er bringt mich zum Flughafen zu meinem Vater.“
„Dann solltest du lieber einsteigen, damit ich mit ihm nicht aneinander gerate. Lass die Verzögerungstaktiken.“
Ich bückte mich, um den Riemen an meinem Schuh zu öffnen. „Mir tun die Füße weh“, erklärte ich und blickte dabei verstohlen auf die Stufen der Treppe zur Kirche und dann in die Menschenmenge, um nach Diego zu schauen. Ihn noch ein letztes Mal zu sehen würde mir nichts helfen, aber es fühlte sich nicht richtig an, einfach wegzufahren.
„Wenn er weiß, was gut für ihn ist, ist er weg“, sagte Cristiano und mein Blick schoss zu ihm hoch. Er sah auf mich hinab.
Von einem Augenblick auf den anderen hatte sich mein gesamtes Leben umgekrempelt. Diego war nirgends zu sehen, sein Bruder nahm mein gesamtes Sichtfeld ein und nannte mich jetzt seine Frau.
„Vergiss die Schuhe“, sagte Cristiano. „Steig ein und erwähne nicht mehr seinen Namen, sonst, so wahr mir Gott helfe, werde ich …“
„Was?“ Ich stellte mich aufrecht hin. „Wirst du mich von den mir liebsten Menschen trennen und mich zu einem Leben verdammen, das ich niemals führen wollte?“
Er verengte den Blick. Was sollte er auch sagen, es war die Wahrheit. Mein Schicksal war besiegelt.
Ich stieg ein, bevor Cristiano etwas erwidern konnte. Er zog das Jackett aus, während er zunächst zu dem ersten SUV ging und mit dem Fahrer sprach. Ich blickte aus dem Seitenfenster, betrachtete den Marktplatz. Bis ich Diego wiedersah, würde die Niedergeschlagenheit in seiner Haltung, als Cristiano jeden außer mir aus der Kirche befohlen hatte, meine letzte Erinnerung an ihn sein.
Das Herz wurde mir schwer. Diego hatte mich weggegeben. Er hatte keine Wahl gehabt. Cristiano hatte entschieden, dass er unsere Familien und sein Kartell mit dem meines Vaters miteinander verbinden wollte, also hatte er es möglich gemacht. Nichts hätte ihn aufhalten können.
Dennoch. Der Mensch, den ich liebte, der Mann, für den ich gewillt war mich meinem Vater zu widersetzen, und ihn zu heiraten hatte zugelassen, dass ich am Altar auf einen anderen Mann traf. Und nicht nur irgendwen anderen. Nein, seinen grausamen, notorisch gewaltsamen Bruder.
Ob es Diego leidtat? Wie lange hatte er davon gewusst?
Mein Kinn zitterte, aber ich unterdrückte es, in dem Versuch mich zusammenzureißen. Verflucht sollte Diego sein, dass er mich in diese Situation gebracht hatte. Und verflucht sollte ich selbst sein, dass ich versuchte noch einen letzten Blick auf ihn zu erhaschen.
Cristiano warf die Anzugjacke auf den Sitz neben mir und setzte sich hinter den Fahrer.
„Warum schert es dich, wo mein Bruder steckt?“, fragte er, wobei er die Trennscheibe zwischen dem Fahrer und uns hochfuhr.
Ich drehte mich zu ihm. „Er war mein Bräutigam.“
„Diego hat dich aufgegeben, um seinen eigenen Arsch zu retten. Er ist deine Aufmerksamkeit nicht wert.“ Cristiano betrachtete mich aufmerksam, während wir losfuhren. „Du solltest mir dafür danken, dass ich eingeschritten bin.“
Ihm danken? Mein Blut begann zu brodeln. Zwischen unserer Vereinigung und Cristianos Menschenhandelsgeschäften bezweifelte ich, dass es irgendetwas gab, was er nicht sich selbst gegenüber rechtfertigen konnte.
„Du hast ihm keine andere Wahl gelassen.“
„Man hat immer eine Wahl.“ Cristiano zog an ein seinem Hemdsärmel und hielt mir den Arm hin. „Würdest du bitte?“
Ich sah auf seine Hand. „Was?“
„Meine Manschettenknöpfe.“
Langsam fuhr unser Wagen über den mit Pappmaché Figuren, bunten Wimpeln und Blumensträußen dekorierten Marktplatz. Männer mit Sombreros und Frauen in den traditionellen uralten Trachten mit geflochtenen Körben auf ihren Köpfen gingen zur Seite, versuchten einen Blick durch die getönten Scheiben zu erhaschen. Manche von ihnen schimpften über die Störung. Man durfte hier eigentlich nicht durchfahren.
„Die kannst du dir selbst ausziehen“, sagte ich.
„Aber ich bitte dich darum.“
War eine Bitte von Cristiano wirklich eine Bitte? Ich hörte die Forderung in seinem Tonfall. Zögerlich zog ich sein Handgelenk zu mir und den silbernen Stift eines geriffelten Manschettenknopfes aus seinem Loch.
„Was hättest du an Diegos Stelle getan? Oder meiner?“, fragte ich. „Wobei ich annehme, dass du die wahre Liebe kennen müsstest, um tatsächlich zu verstehen, wie weit du dafür gehen würdest.“
„Ich sollte dich warnen, dass sich jedes Mal, wenn du den Namen meines Bruders in den Mund nimmst, ein Bild vor meinem geistigen Auge aufbaut. Eins, das ich nicht leiden kann. Also wirst du, außer du möchtest mich provozieren, seinen Namen nicht mehr aussprechen.“
Sein Ärmel hing offen herab. Mit einem Nicken gab er zu verstehen, dass ich ihn hochkrempeln sollte. Also tat ich es. Meine Finger glitten dabei über eine Ader auf seinem kräftigen, mit dunklem Haar bedeckten Unterarm.
„Was für ein Bild?“
Sowie ich den Ärmel an seinem Ellbogen ein letztes Mal umgeschlagen hatte, reichte er mir seinen anderen Arm.
„Wenn ich es ausspreche, könnte mich das wütend machen. Nicht sehr weise, wenn du mit mir hier hinten eingesperrt bist.“
Diegos Name könnte eine Erinnerung für Cristiano beschwören, die auch mich verfolgte. Vor elf Jahren hatte Diego seinen Bruder beschuldigt meine Mutter ermordet zu haben, obwohl er wusste, dass es Cristiano das Leben kosten könnte. Diego hatte Gerechtigkeit über die Familie gestellt und im Kartell wertete man es wie die ultimative Todsünde die Familie zu verraten. Ich konnte Diego noch immer glasklar vor mir sehen, wie er die Waffe auf Cristiano und mich gerichtet hielt, wobei ich nicht diejenige gewesen war, die er erschießen wollte.
Ich entfernte den anderen Manschettenknopf und hielt die Teile aus Silber in meiner Hand.
„Ich glaube ich habe noch nie einen Mann gesehen, der sich so sehr im Griff hat wie du in dieser Kirche“, sagte ich, um zu testen, ob ich ein kleines bisschen hinter seine Fassade schauen könnte. „Und jetzt bist du wütend. Was hat sich geändert?“
Jetzt war es an ihm sich umzudrehen und aus dem Fenster zu schauen. Cristiano musste nicht auf irgendeine meiner Fragen antworten und das machte seine Antworten zu etwas Wertvollem. Egal welches Thema, alles Mögliche könnte man als einen Hinweis auf den Mann hinter der Calavera Maske deuten. Wer war Cristiano? Wovor könnte sich ein Mann, der so kalt und abgestumpft war, fürchten? Sehnsucht? Liebe?
Und warum interessierte mich das überhaupt?
Information. Es gab eine Zeit da waren Informationen das einzige Laster gewesen, für ein Mädchen wie mich, dessen Familie sie unter dem Vorwand sie zu schützen im Dunkeln hielt. Später, als ich alles, was mit diesem Leben zusammenhing, vergessen wollte, waren sie eine Bürde. Jetzt könnten sie das Einzige sein, das mich vielleicht rettete. Es wäre leichter meinen Feind zu überleben, wenn ich wüsste, was er wollte. Was er erwartete. Was ihn antrieb.
Nicht nur um ihn zu überleben, sondern ihm vielleicht sogar zu entkommen.
Durch die Macht, die er über die Leben der Menschen, die ich liebte, verfügte, war ich bildlich gesprochen an Cristiano gekettet. Ich konnte nicht davonlaufen. Aber das bedeutete nicht, dass es keine Möglichkeiten gab, mich von ihm zu befreien.
Ich zog meine Fingerspitze über die weiche Haut an Cristianos Handgelenk, sachte genug, dass es aussah, als wäre es keine Absicht gewesen.
„Was hat dich wütend gemacht?“ Ich ließ nicht locker.
Für einen Moment sah er weiter aus dem Fenster, dann drehte er sich zu mir. „Eifersucht ist mir neu. Aber ich lasse nicht mehr zu, dass Emotionen mich beherrschen. Also war ich in der Lage es in der Kirche zu kaschieren.“
Eifersucht?
Ich behielt einen neutralen Gesichtsausdruck, um zu tarnen, dass ich überrascht war. Über beides, seine Antwort und dass er mir überhaupt geantwortet hatte. Vielleicht hätte es mich nicht so überraschen sollen. Cristiano hatte erwartet, dass ich noch jungfräulich war. War er darüber aufgebracht, dass er mich mehr oder weniger wie ein gebrauchtes Kleidungsstück von seinem Bruder geerbt hatte? Oder war es der primitive Drang eines Ehemanns, der der Erste für seine Frau sein wollte?
Er hatte gedroht Diegos Hände abzutrennen, wenn er mich berühren sollte. Doch was hatte Cristiano sich denn vorgestellt? Er war in meine feste Beziehung zu Diego hereingeplatzt. Er hatte unsere Hochzeit gesprengt.
Er hatte gewonnen.
Als er nach meinem Fuß griff, machte ich seinen Satz rückwärts.
„Tun dir die wegen den Schuhen die Füße weh?“, fragte er und zog meinen Fuß auf seinen Schoß. „Oder wegen den Schnittverletzungen?“
Mein Herz schlug heftig und ich bekam Gänsehaut auf den Armen. Ich durfte nie vergessen, dass Cristiano mich einfach berühren konnte. Und dies auch tat. Jeden Moment. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür, sodass ich ihn ansah. „Die Schnitte sind fast verheilt.“
„Du hattest einen guten Arzt.“ Sein Mundwinkel hob sich, während seine Finger mit der filigranen Schnalle am Stiletto kämpften. Vor ein paar Tagen wurde meine Angst vor Cristiano davon überlagert, wie er zartfühlend mit einer Pinzette Glassplitter aus meinen Fußsohlen entfernt hatte. Statt meine Situation auszunutzen, hatte er mir geholfen.
Wir fuhren aus der Stadt und auf die zweispurige Schnellstraße. Umgeben von der Wüste bewegten wir uns auf Gewitterwolken zu, die sich vor uns auftürmten. Ich verschränkte die Arme.
„Du bist Arzt, Entführer und Ehemann in einem. Ich Glückspilz.“
„Sag das nochmal.“ Er warf meinen Schuh beiseite und hielt meinen Blick. „Ich mag es, wie sich das Wort aus deinem Mund anhört.“
„Entführer“, wiederholte ich. „Ich bin deine Gefangene und ich bezweifle keine Sekunde, dass es dich freut, wenn ich es ausspreche.“
„Nicht das. Ehemann.“ Er schob meinen Fuß ein paar Zentimeter herüber, bis meine Fußsohle an der Beule unter seinem Reißverschluss ruhte. „Du bist meine Ehefrau. Und es bereitet mir eine perverse Freude es auszusprechen und zu hören.“
Mein Hals wurde trocken, als er unter meinem Fuß länger und größer wurde. Er war erregt und ich seiner Gnade ausgeliefert.
Regen prasselte auf das Autodach und der Himmel verdunkelte sich. „Wie lange noch bis wir in den Badlands angekommen sind?“
Cristiano benetzte sich die Lippen. „Noch etwa eine halbe Stunde.“
Ich wog meine Möglichkeiten ab. Ich hatte keine Ahnung was mich innerhalb der Mauern dort erwarten würde. Er hatte mir mindestens zwei Mal angedroht, dass er mich später nehmen würde. Mir wäre lieber es würde nur dreißig Minuten dauern und nicht die ganze Nacht. Wenn ich Glück hatte, wäre einmal genug für ihn, er meiner überdrüssig und würde mich vergessen.
„Genug Zeit, um unsere Ehe zu vollziehen“, sagte ich.
Er hielt inne und blinzelte. „Bitte?“
Ich bezwang meinen Instinkt den Mund zu halten. Eine halbe Stunde lang konnte ich ihn ertragen. Selbst wenn nicht, würde ich einen Weg finden.
„Du hast gesagt, dass die Ehe nicht gültig ist, bis wir sie vollzogen haben.“
„Richtig.“
„Dann sind die Menschen, die ich liebe nicht sicher bis die Tinte getrocknet ist.“
Er neigte den Kopf zur Seite, drückte meinen Fuß, wobei er mit dem Daumen fest über meine Fußsohle fuhr. Genau wie er es nach dem Entfernen der Glassplitter getan hatte. Ein scharfes, köstliches Ziehen ging mir durch den Bauch und ich erschauerte, um zu verbergen, dass seine Berührung mich kitzelte. „Bist du so begierig, dass du von mir hier für unser erstes Mal genommen werden möchtest?“ Seine Stimme klang aufrichtig neugierig.
„Ich will es hinter mich bringen.“
„In der Kirche bist du vor mir zurückgeschreckt.“
„Vor den Augen unserer Guten Frau von Guadalupe vergewaltigt zu werden ist abscheulich.“ Ich sollte vor meiner Forderung etwas mehr Furcht haben. Ich lud den Antichrist geradezu ein, mich zu schänden. Aber ich versuchte logisch zu erscheinen. Das mir bekanntere Übel war jetzt hier, und die Zeit spielte gegen mich. „Auf dem Rücksitz eines Autos genommen zu werden“, ich schluckte, „fühlt sich ehrlicher an, als alles andere bisher.“
„Keinesfalls“, sagte er sofort und umfasste den schwarzen Ledersitz. „Es ist unangemessen für meine Braut.“
„Ich bin nicht deine Braut. Ich bin deine Gefangene. Du willst mein Ehemann sein? Dafür ist es zu spät. Wenn du mich nimmst, dann als deine Gefangene, nicht als deine Frau.“
Seine Kinnpartie verkrampfte sich und er griff nach meinem anderen Bein. Instinktiv zog ich es weg, bei dem Gedanken, dass er mich an den Fußgelenken festhielt. Aber auf dem Rücksitz war nicht viel Raum für Bewegungen. Er schnappte sich den Fuß, und begann damit den anderen Schuh auszuziehen.
„Aus dir spricht die Verärgerung. Das verstehe ich. Du fühlst dich verraten, was du auch solltest. Er hat dich eingetauscht, aber es sollte dich trösten, dass ich so etwas nie tun werde.“
„Worin liegt da der Trost?“
„Du wirst lernen ihn zu empfinden.“
Obwohl ich ihm gegenüber saß mit den Füßen in seinem Schoß, drehte ich den Kopf weg.
„Ich hoffe es, für meine geistige Gesundheit.“
Mir kribbelte es im Kiefer.
Ich saß in der Falle.
Das wenigstens räumte er ein. Wie sehr würde ich allerdings in Gefangenschaft sein? Im Augenblick hatte ich vergessen nicht nur Cristiano zu fürchten, sondern auch den Ort, den er Zuhause nannte. Die Badlands wurden als ein gefährlicher, sektenartiger, rechtloser Ort beschrieben. Ein Brachland für Frauen und Kinder. Zu allem Übel lagen die Badlands am Pazifik der mexikanischen Küste, umgeben von einer Mauer, und ich wäre direkt in der Mitte von allem.
„Woran denkst du, dass sich deine Fußzehen so anspannen?“, fragte er.
Ich zwang die Muskeln in meinen Füßen sich zu entspannen. Ich durfte nicht vergessen, dass Cristiano mehr als aufmerksam war. Schon als Kind stand ich im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit, was unglücklicherweise bedeutete, dass er mich besser kannte, als mir lieb war.
Er hob meine Füße und inspizierte die Sohlen.
„Hast du in deinem Leben mehr Kugeln eingefangen, als Drogen genommen?“, fragte ich.
Er hob nur den Blick. Und eine Augenbraue. „Wie bitte?“
„Das ist das Gerücht, das über den Anführer der Calaveras herumgeht.“
„Ich habe noch nie Drogen genommen.“
„Und Kugeln eingefangen?“
„Was glaubst du?“
„Ich denke … ja. Das hast du.“
Er drückte meine Ferse. „Gut geraten.“
Er schien gleichzeitig amüsiert und ernst. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Schneidezähne.
„Hast du einen Fußfetisch?“, fragte ich, nur um zu sehen, was er darauf antwortete.
„So viele Fragen.“ Sein Griff schien kurz unbewusst fester zu werden, als ob er vergessen hatte, dass er mich festhielt. „Warum fragst du?“
„Zuerst machst du mir am Morgen nach dem Lagerhausangriff im Bad die Füße sauber, und jetzt massierst du sie.“
„Ich habe dich im Bad sauber gemacht“, sagte er. „Und jetzt berühre ich dich. Vielleicht habe ich einen Nataliafetisch.“ Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, beließ meine Füße aber wo sie waren. „Die Narcoprincesa will also etwas über meine Gewohnheiten und Fetische wissen. Sie muss sich fragen, was sie in den Badlands erwartet.“
Wie funktionierte eine zerrüttete Gesellschaft? Wenn sie alle Cristiano so anhimmelten, wie man sich erzählte, was würden sie von mir halten? Ich wusste auch nicht viel über seine Geschäfte, außer, dass er mit Waffen und Frauen handelte. Jeder in dieser Welt wusste, dass Jungfrauen wertvoll waren. Wenn er mich nicht geheiratet hätte, würde ich mir über die Wahrscheinlichkeit verkauft zu werden schmerzhaft Gedanken machen. Vielleicht musste ich mir immer noch Sorgen darüber machen.
Ich erschauerte und sah, wie er mich betrachtete. Innerhalb eines Nachmittags hatte Cristiano bereits bekommen, was er von mir wollte. Die Macht, die zwei Familien und Kartelle ihm einbrachte. Aber am Ende eines langen Tages der Zerstörung war ein Drogenbaron immer noch ein Mann. Und er sah mich mit den Augen eines Mannes an. Sein Blick ließ nicht ab von mir, seine Hände ebenfalls nicht.
Er würde mich heute Nacht haben.
Man konnte es an der Art ablesen, wie sein Blick mich verschlang. Ich musste der Wahrheit ins Auge sehen. Ich hatte mich selbst Diego gegeben, in dem Versprechen, dass er der einzige Mann sein würde, der mich jemals haben würde. Jetzt sah ich einem Leben im Dienst seines unbarmherzigen Bruders entgegen.
Ich konnte mich weder verkriechen noch davonlaufen. Cristiano würde kriegen, was er wollte. Und eines Tages würde ich ihm langweilig werden.
Ein Mann wie er war nicht für nur eine Frau gemacht.
Eine Ehefrau war mehr als nur eine Unannehmlichkeit für ihn. Ich hoffte, aus Respekt vor unserer gemeinsamen Vergangenheit, er würde mich irgendwo unterbringen, wo es erträglich war. Dass ich ein Dach über dem Kopf hätte und etwas Anständiges zu Essen, so wie es mein Vater für ihn getan hatte. Dass ich in sein Bett gerufen werden würde, wenn es sein müsste und ansonsten in Ruhe gelassen werden würde. Aber ich wagte es nicht irgendetwas zu erwarten.
Nicht nach den Dingen, die mir zu Ohren gekommen waren.
Was hatten Diego und Tepic mir nochmal erzählt? Gerüchte darüber, wie die Calaveras die Huren misshandelten, satanische Rituale ausführten, in denen sie Schlangen aßen, Jungfrauen opferten und in fremden Sprachen sangen. Niemand konnte bestätigen oder widerlegen, was in diesem Sündenpfuhl genau ablief. Denn offenbar hatte kein Eindringling jemals überlebt, um davon zu berichten.
Diego hatte mir versprochen mich retten zu kommen. Mein Vater würde es ebenfalls versuchen. Aber ich konnte mich gegen den allmächtigen Cristiano nicht auf sie verlassen. Wenn ich dort wieder herauswollte, musste ich einen Weg finden. Bis dahin musste ich durchhalten.
Buchstäblich, wie es aussah. Ich hielt mich an der Tür fest, als der SUV umherrumpelte und wir die Schnellstraße verließen. Üppige grüne Berge ragten aus der dürren Wüste hervor, zeichneten sich klar gegen die dunklen Wolken ab. Ich wusste, dass sich hinter der Bergkette der Pazifik befand. Es war eine Dreifaltigkeit aus natürlicher Schönheit und es überraschte mich nicht, dass er diesen besonderen Ort gewählt hatte, um seine menschengemachte Hölle aufzubauen.
Er mochte schöne Dinge, also nahm er sie sich.
„Wird dir beim Autofahren schlecht?“, fragte er.
„Normalerweise nicht.“
„Gut. Hier wird es holperig. Die Straßen hoch zum Eingangstor sind nicht asphaltiert.“
„Sind wir schon da?“
„Die Entfernung zum Haus deines Vaters ist nicht sehr groß. Es ist das Gelände, das die Leute aufhält.“
Ich hielt mich am Türgriff fest, während wir die steinige Straße entlangfuhren. „Warum lässt du die Straße nicht machen?“
„Dann wäre es zu leicht reinzukommen.“
Oder heraus.
Mein Magen verknotete sich. Über uns wuchs ein Steinwall aus der Wüste, wie eine Festung, fasste das Land ein, das an die Bergseite grenzte.
Die Badlands.
Die Bezeichnung ergab jetzt einen Sinn. Es war schwer hineinzukommen und jeder, dem es gelang, wäre nicht in der Lage schnell zu entfliehen.
Ein leichtes Grinsen zeichnete sich auf seinen Zügen ab.
„Anhand deines Gesichtsausdrucks sehe ich, dass dir die Gerüchte zu Ohren gekommen sind. Ich habe diesen Ort zugrunde gerichtet. Beschmutzt, entehrt und die Menschen verjagt. Dass ich hier mit eiserner Faust regiere.“ Er schob seine Hand unter den Saum des langen Kleides, hoch zu meiner Wade. „Vielleicht kannst du diese Faust öffnen, Natalia. Sie von Eisen in flüssiges Quecksilber verwandeln und sie zu etwas formen, das dir gefällt. Wie deine Mutter es einst mit deinem Vater getan hat.“
Ich biss die Zähne aufeinander. „Wenn ich Diego nicht erwähnen darf, dann sollte es dir verboten sein über meine Mutter zu sprechen.“
Ich versuchte ihm mein Bein zu entziehen, doch er hielt es fest. „Ich kannte Bianca gut“, sagte er. „Sie hatte Einfluss. Und ein Rückgrat aus Stahl um an Costas Seite zu stehen. Soweit bist du noch nicht, aber es steckt auch in dir.“
„Sie wäre entsetzt über das, was aus dir geworden ist. Wie du Frauen behandelst. Und über was auch immer du mit mir vorhast.“
Röte stieg an seinem Hals empor und er sah weg. Ich zog meine Beine von seinem Schoß und die Knie an meine Brust. Ich schlang die Arme darum und wir holperten auf die eisernen Tore zu, die um einiges größer als die Männer waren, die sie bewachten.
Stille legte sich zwischen uns, als die Reifen knirschend über den staubigen Boden fuhren und Steine gegen den Unterboden des Autos schleuderten. Es sah so aus, als ob das alles war, was er über meine Mutter einräumte. Oder die brutalen Zustände, die vor uns lagen. Ich würde noch schnell genug herausfinden was daran wahr war und was nicht. Aber wo gehobelt wurde, fielen auch Späne. Ich konnte die Mauern und Tore selbst sehen. Sie versteckten Geheimnisse und Menschen. Und in dieser Welt konnte das nichts Guten verheißen.
Wenn er dachte, ich würde jemals Toleranz entwickeln, Menschen wie Handelsware zu behandeln, wenn er dachte, dass meine Mutter so etwas für mich gewollt hätte, dann war er nicht ganz richtig im Kopf.
Wir hielten vor dem Tor an. Die Mauern waren so dick, dass man Checkpoints darin eingerichtet hatte. Als würde man eine Grenze passieren. Männer mit Maschinengewehren und Klemmbrettern traten heraus, als sich die Tore nach innen öffneten.
Mein Sichtfeld wurde von einem Laster mit laufendem Motor verdeckt. Ich reckte den Hals, als wir daran vorbeifuhren. Männer sprangen hinten von der Ladefläche und zogen die Klappe herunter, als ich Leute darin erspähte.
Wer waren sie? Kamen sie gerade an, oder wurden sie irgendwo hingebracht? Ich musste unbedingt fragen. Aber was fing ich dann mit der Antwort an? Ich war genauso gefangen wie sie. Ich drückte mir die Beine noch fester an die Brust und holte tief Luft, um mein rasendes Herz zu beruhigen, als wir hineinfuhren. Die Pforten der Hölle hatte Tepic es genannt.
Um mich geistig vorzubereiten, schloss ich die Augen und stellte mir das Schlimmste vor. Eine Geisterstadt mit verbrannter Erde. Patrouillen mit AR-15 Gewehren, die damit Bettler und Prostituierte vorantrieben, schwere Ketten die Ausgänge und Menschen verhängten. Bordelle und leer stehende Ladengeschäfte, Lagerhäuser voll mit Waffen und Drogenlaboren. Flüchtige, die es nicht geschafft hatten, die zur Abschreckung aufgeknüpft von Bäumen baumelten.
Mittelalterlich, aber effektiv.
Als meine Neugier zu groß wurde, öffnete ich die Augen und ich sah durch die Windschutzscheibe hinaus.
Mir das Allerschlimmste vorzustellen war zwecklos gewesen.
Nichts hätte mich auf das vorbereiten können.