Читать книгу Abenteuer auf den Inseln: Nonnis Erlebnisse auf Seeland und Fünen - Jón Svensson - Страница 9
6. Der zornige Bauer
ОглавлениеNun kamen wir bei dem Bauernhof an. Vor dem Eingang stand ein großer und kräftiger Mann. In der rechten Hand hielt er eine lange Birkenrute.
Der Hund sprang gleich zu ihm hin und begrüßte ihn mit lautem Bellen und allerlei sonstigen Freundlichkeiten.
Sein Herr wies ihn aber zornig von sich ab.
Der Bursche trat näher und sagte:
„Hier sind die beiden Diebe.“
Der furchtbare Mensch gab keine Antwort, sondern schaute uns fortwährend mit grimmigen Augen an. Der Bursche verschwand, ohne ein weiteres Wort zu sagen, in den Hof hinein.
Valdemar war blaß geworden wie eine Leiche. Er wagte kaum die Augen aufzumachen.
Ich selber, der bisher dem kleinen Valdemar mit so vielem Eifer Mut zugesprochen hatte, fühlte jetzt meine eigene Zuversicht schwinden.
Wir standen alle da, ganz still. Keiner sprach ein Wort. Selbst der Hund war hinter einen Steinblock gekrochen und hatte sich dort hingelegt.
Es waren schreckliche Augenblicke. . . .
Ich suchte mich innerlich aufzuraffen. Es gelang mir aber nicht recht.
Ich rief Gott und alle guten Geister um Hilfe an und wartete, was geschehen werde.
Endlich öffnete der Bauer seinen Mund — und indem er mit der Rute zu jedem Worte den Takt schlug, schrie er uns mit Donnerstimme zu:
„Was — habt — ihr — bei — meinen — Kühen — zu tun — gehabt?“
Ich wollte antworten, aber die Worte blieben mir im Halse stecken. Ich brachte einstweilen keinen Laut heraus.
Der furchtbare Blick des Bauern lastete auf uns mit Zentnerschwere und drückte uns beide zu Boden.
Plötzlich dachte ich an Valdemar, und ich fühlte dabei, wie das Blut in mein Gesicht stieg. Ich schämte mich unsäglich vor meinem jüngeren, schwächeren Gefährten, dessen Führer ich sein sollte, daß ich mich nun plötzlich selber so schwach und so feige hatte zeigen können.
Dieser Gedanke stärkte mich, richtete mich wieder auf und half mir, meine Angst vollständig zu überwinden.
Ich hatte immer noch nicht geantwortet, und nun wiederholte der Bauer seine Frage, diesmal aber in einem noch viel schärferen Tone:
„Was — habt — ihr — bei — meinen — Kühen — zu — tun — gehabt?“
Jetzt fühlte ich, daß sein Zorn auch mich angesteckt hatte. Ich schaute ihm fest in die Augen und antwortete mit der ganzen Kraft meiner Stimme:
„Wir wollten Milch trinken, weil wir durstig waren.“
Der schreckliche Mensch schien ein paar Augenblicke in Verwirrung geraten zu sein wegen meiner plötzlichen Umwandlung. Er gewann aber bald die Fassung wieder und rot vor Wut donnerte er mir die Worte entgegen:
„So! — Ihr wolltet meine Milch trinken. Da ihr also Diebe seid, werde ich euch mit der Rute züchtigen.“
Ich war jetzt in Erregung gekommen und ließ mich nicht mehr einschüchtern. Ich schrie ihm mit voller Stimme zurück:
„Wir sind keine Diebe. Wir wollten nur ein wenig Milch trinken und es Ihnen nachher anzeigen.“
„Bist du verrückt, Junge?“ brauste jetzt der zornige Bauer auf. „Meinst du, daß jemand dir so etwas glauben werde?“
„Man muß es doch glauben, da es wahr ist!“ schrie ich ihm kräftig zurück.
„Dann will ich dir aber etwas sagen, was noch mehr wahr ist. Und es ist dies: daß ich euch beide jetzt derart durchhaue, daß ihr heulen werdet wie die Ferkel, die man totsticht.“
Meine bisherige Festigkeit war bedeutend erschüttert. Die Übermacht, der gegenüber wir uns befanden, war zu groß, und wir standen eine Weile wie gelähmt da.
Schweigend und mit einem grausamen Vergnügen schaute uns der Bauer unterdessen an.
Nachdem er uns so einige Augenblicke gepeinigt hatte, sagte er mit rauher Stimme:
„Nun kann’s beginnen. — Legt eure Rucksäcke ab.“
Valdemar und ich warfen uns gegenseitig einen bangen Blick zu, machten aber keine Anstalten, zu gehorchen.
Dann aber erdröhnte die Stimme des Bauern mit doppelter Gewalt:
„Legt eure Rucksäcke ab!“
Mechanisch führten wir den Befehl aus, nahmen die Rucksäcke herunter und legten sie auf den Boden.
Valdemar fing schon halblaut zu weinen an.
Jetzt kommandierte der Mann:
„Marsch in die Vorstube hinein!“
Wieder warf mir Valdemar einen angstvollen Blick zu. Wir sprachen aber kein Wort.
Wir zauderten beide ein paar Augenblicke — dann kamen wir auch diesem Befehle nach.
Der Bauer führte uns in ein kleines Stübchen nahe beim Eingang und schloß die Tür hinter sich.
Kaum hatte der Prügelmeister die Tür zugeschlossen, da kam er auf mich zu und sagte:
„Der Größere kommt zuerst an die Reihe.“
Als er diese Worte gesprochen hatte, packte er mich ziemlich unsanft beim Arme und wollte mich nach einem Tische schleppen, der mitten in der Stube stand.
Bei dieser Berührung erwachten auf einmal alle meine Lebensgeister. Mein Blut kam in Wallung, und ich fühlte plötzlich eine Kraft und eine Energie, die mich selber in Staunen setzten und die mich nun nicht mehr verlassen sollten.
Ich riß mich von dem starken Manne durch einen heftigen Ruck los, sprang zu Valdemar hin und stellte mich an seine Seite.
Dann rief ich dem Bauern in der heftigsten Gemütsbewegung zu:
„Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir keine Diebe sind. Sie dürfen uns daher nicht schlagen.“
„Du wagst, mir zu widerstehen!“ schrie mir der Bauer zu, zitternd vor Zorn.
„Ja, und wagen Sie es nicht, uns anzurühren!“
„Ich will dir zeigen, wer hier der Herr ist“, schrie nun der Bauer, ganz außer sich vor Wut.
„Gewiß sind Sie der Herr, aber schlagen dürfen Sie uns nicht!“ wiederholte ich klar und entschieden.
„So, Diebe darf man nicht züchtigen!“
„Wir sind keine Diebe“, wehrte ich mich energisch. „Bei mir zu Hause ist es jedem Durstigen erlaubt, die Kühe und Schafe auf den Bergen zu melken und Milch zu trinken, soviel er will. Das habe ich oft getan. Und nie hat man mich deshalb einen Dieb genannt.“
„Woher bist du?“
„Aus Island.“
„Hier sind wir aber nicht in Island. Ihr seid beide Diebe, und deshalb werde ich euch züchtigen.“
Mit diesen Worten kam der Bauer wieder auf mich zu und packte mich zum zweitenmal beim Arm.
Ich suchte mich noch einmal von ihm loszureißen. Diesmal aber gelang es mir nicht. Mit eisernem Griffe hielt er mich fest und schleppte mich zum Tische hin.
Nun galt es, vorsichtig meinen letzten Trumpf auszuspielen. Ich schaute dem Bauern entschlossen in die Augen und bemerkte fest und bestimmt:
„Wenn Sie mich nicht sofort loslassen, werde ich Sie bei der Polizei in Kopenhagen verklagen.“
Der Mann stutzte, dachte einen Augenblick nach, dann frug er:
„Weswegen willst du mich verklagen?“
„Wegen einer Sache, die geschehen ist, und die streng bestraft wird.“
Der Bauer schaute mich eine Weile scharf an und frug darauf merklich betroffen:
„Was weißt du von mir, Junge?“
„Ich weiß etwas von Ihnen, wofür Sie strenge bestraft werden, wenn ich es der Polizei in Kopenhagen anzeige.“
Ich war erstaunt, wie zahm der Bauer auf einmal geworden war, und fühlte, wie die Faust an meinem Arme sich lockerte. Der Bauer ließ mich los, so daß ich wieder zu Valdemar hingehen konnte.
Dann sagte er:
„Was ist das, was du weißt?“
„Ich werde es Ihnen nur dann sagen, wenn Sie versprechen, uns nicht mehr anzurühren,“
„Ich will euch in Ruhe lassen, also was ist es?“
„Gut“, sagte ich, „dann will ich es Ihnen sagen: Sie haben Ihren Knecht mit Ihrem großen Hund auf uns gehetzt, und der Hund hat mich gebissen. — Dafür wird man in Kopenhagen bestraft.“
„So, hat er dich gebissen! Wo denn?“
„Am Arm.“
„Laß sehen! “
Ich zog meine Jacke aus. Der Hemdärmel war jetzt blutig. Ich streifte ihn in die Höhe und zeigte den Arm. Er war geschwollen, und an mehreren Stellen waren Bißwunden zu sehen.
„Hat mein Hund dir das getan?“ fragte der Bauer.
„Ja. Und es tut mir sehr weh.“
„Es muß gewaschen werden, und dann müssen wir einen Verband anlegen.“
Er öffnete die Tür und rief seine Frau.
Diese, eine gutmütig aussehende Bäuerin, kam bald in die Stube herein. Der Mann befahl ihr, meinen Arm zu verbinden.
Mit großer Sorgfalt übernahm sie die Pflege meiner Wunden. Nachdem sie alles Nötige geholt hatte, wusch sie mit lauem Wasser das Blut ab und tat etwas Salbe auf die wunden Stellen. Dann verband sie den Arm mit weißem Linnen.
Unterdessen war der Bauer hinausgegangen.
Die Frau war das gerade Gegenteil von ihrem Manne. Sie war die Güte selbst und bot uns sogar Milch zu trinken an, was wir mit Dank annahmen.
Hernach fragte sie uns ein wenig aus, und wir erzählten ihr, wie es uns mit ihrem Manne ergangen war.
Sie lächelte und sagte:
„Ja, er kann zuweilen etwas heftig werden. Das ist so seine Art.“
Als wir die Milch getrunken hatten, drängte es uns, sobald wie möglich den Hof zu verlassen. Wir fürchteten nämlich, daß der Mensch wieder kommen würde. Mit ihm wollten wir aber nichts mehr zu tun haben.
Wir nahmen rasch Abschied von der guten Bäuerin und traten wieder ins Freie hinaus. Der Bauer ließ sich nicht mehr sehen. Wir hatten nichts dagegen und verzichteten gerne auf unser Klagerecht, wenn wir nur mit ungegerbten Hosen davonkämen.