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Kapitel 2

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Alma geht durch ihr Büro, zu einem Poster, das am riesigen Wandschrank klebt. Es zeigt einen dünnen, blonden Gitarrenspieler, der versonnen allein auf einem Hocker auf einer dunklen Bühne sitzt, nur von einem blauen Spotlight beleuchtet. “Was Timber selbst an Texten bringt, ist nicht zu gebrauchen. Zumindest nicht für den Contest. Timber kann lächeln wie niemand sonst. Ob Mann, ob Frau ... niemand kann den Blick von ihm wenden, wenn er lächelt. Er singt ein paar Takte, und die Welt ist wieder in Ordnung ... wenn wir nur endlich den richtigen Text finden würden! Ein Balladen-Contest! Was für eine Idee! Aber das Interesse ist enorm.”

Alma spricht zu Timbers Bild. “Seele sollst du bieten, nicht bloß Sex und Sound. Kapito?”

Sie schüttelt den Kopf und greift nach ihrer Jacke und ihrer Tasche.

“Wenn der gnädigste Boss uns verraten würde, was er sich genau vorstellt, wäre uns schon geholfen, gell.”


Wieder in der Bücherei, schlendert Alma im Gewühl der anderen Kunden zwischen den Regalen umher, Bücher tragend, sie an sich drückend, in Büchern blätternd, Titel auf den Buchrücken lesend ... und immer wieder schaut sie sich heimlich um.

Als sie plötzlich Adrian im Gespräch mit einem Kollegen, dem teenagerhaften Ben, entdeckt, beißt sie sich auf die Lippen, um ein Seufzen zu verhindern. “Da war es wieder, das Exzentrische, so aufreizend Ferne, das mich nicht kümmern musste und mich doch eigenartig aufwühlte, ja, störte.”

Adrian kommt plötzlich auf Alma zu geschlendert, und sie starrt ihm erschrocken entgegen ... sieht seine braunen Hände, die Honiglocken, die ausgeprägten, ernsten Lippen, die breiten Schultern im bunten Hemd, den katzenhaften Gang. Adrian wendet sich einem Regal zu und langt hoch hinauf nach einem Buch; Seine Rückenmuskeln spannen sich unter seinem Hemd, seine langen Locken schmiegen sich an Wangen, Hals und schlängeln sich über die Schultern, und ein Goldkettchen gleitet die braune Haut entlang, als sein Hemd leicht rückwärts hinab rutscht und ein Stück Wirbelsäule entblößt, samtig braun ...

Etwas begann sich wie eine Schlinge um mein Herz zu legen und es langsam einzuschnüren.”

Ein Buch fällt Alma aus der Hand, und sie bückt sich rasch danach, sich heimlich umblickend; Niemand beachtet sie, und Adrian ist außer Sicht.

Die Putzfrau Susi (26, klein, hektisch, semmelblond im bodenlangen dunkelblauen T-Shirt-Kleid, mit zerzausten Haaren) biegt plötzlich in Almas Regalgasse ein, nähert sich rasant und rammt den Besen mit Wischlappen ungebremst gegen Alma’s Fuß; Mit einem Schreckenslaut springt Alma erschrocken zur Seite.

Susi bleibt dicht neben Alma stehen, den Mop knapp neben Alma’s Fuß, und sie schaut Alma herausfordernd an (darauf wartend, dass Alma weggehe). Verwirrt tritt Alma beiseite, und Susi folgt ihr, den Boden wischend, sodass Alma immer weiter ausweichen muss, wenn sie nicht den Besen an ihrem Fuß fühlen will; Susi arbeitet stur vor sich hin. Alma flüchtet.


Irritiert nach Susi Ausschau haltend trägt Alma ihre Bücher zum Registrierungs-Tisch ... und steht unvermittelt vor Adrian, der ihr, ohne sie anzusehen, seine Hand hin hält. Almas Blicke gleiten nervös über ihn hinweg und hängen sich an Einzelheiten, ohne wirklich viel wahrzunehmen.

Etwas begann in mir zu brodeln, etwas wie Ungehorsam, wie beim Stehlen von Eierlikör, als kleines Mädchen.”

Adrian’s lange, braune Finger fliegen über die Bücher, die Alma ausgewählt hat, und ihr Blick gleitet zu seinem Gesicht, saugt sich an seinem Mund fest, der Nase, den Augenbrauen, dem lockigen Haaransatz - bis sie merkt, dass er wartet, immer noch, ohne sie anzuschauen, seine Blicke fest auf die Bücher geheftet.

Alma hält ihm eilig ihre Büchereikarte hin, mit spitzen Fingern, als sei die Karte heiß. Adrian nickt und schaut auf die Karte.

Und ... Scham empfand ich. Darüber, dass ich überhaupt Scham fühlte, weil er mir praktisch den Tag verderben konnte.”

Alma entdeckt feine Schweißperlen auf Adrians Stirn Nasenwurzel, zwischen den schwarzen Brauen; Eine kleine Narbe furcht seine Oberlippe; Seine Hände sind mit Adern überzogen; Er trägt einen goldenen Schmuckring; Seine Bewegungen scheinen “verzögert” zu sein, als befände er sich in einer anderen Dimension, und durch seine Berührung würden die Bücher auch in sie eingesaugt; Adrian schaut auf und geradewegs in Alma’s Gesicht, aber auch durch sie hindurch.

“Danke, dass Sie unsere Bücherei benutzen. Hier ist ein Informationsblatt.”

Alma starrt ihn an, und er scheint sie gar nicht zu sehen, dann nickt sie hastig, dankend und nimmt das Blatt, das seine braunen Finger ihr samt den registrierten Büchern entgegen schieben - und Adrian wendet sich der Kundin hinter ihr zu.

Diese brodelnde Suppe könnte überfließen ... und sich überallhin ausbreiten, alles Papier auflösen und die Welt und den Kosmos ...”

Alma ergreift ihre Bücher, hebt schnuppernd den Kopf (riecht einen Hauch von Rasierwasser), während Adrian bereits die Bücher der nächsten Kundin registriert.

Aber plötzlich kühlte sie ab, diese Suppe.”

Adrian dreht sich, und Alma sieht plötzlich sein Namensschild auf seiner Hemdbrust, auf dem “Adrian T.” steht und bemerkt, dass er seltsam gebückt dasitzt, eine Schulter hochgezogen und nun viel zu schnell und zu oft blinzelt.

Danke, dass Sie unsere Bücherei benutzen.”

Die Kundin hinter Alma schaut sie von der Seite her ungeduldig an, dass sie endlich ausweichen solle; Alma nimmt ihre Bücher und geht eilig weiter.


Auf der Straße hastet Alma dahin, als sei sie auf der Flucht, immer wieder tief Luft holend. Sie sieht den Bus hinter sich herankommen, aber sie hastet an der Haltestelle vorüber, als funktioniere ihr Körper wie aufgezogen.


Zu Hause, in ihrem Schlafzimmer, sitzt Alma dann vor dem Bücherstapel auf ihrem Bett und starrt die verschiedenen Titel an, Musikgeschichte, Literatur, Liebesromantik, Gedicht-Anthologien. Das Telefon läutet, und Alma hebt ab, erleichtert.

“Marie! Gut, dass du anrufst. Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wonach ich suchen soll.” Sie lauscht in den Hörer und lässt sich aufs Bett sinken.

“Ja, habe ich mir besorgt. Aber ich sage dir,” sie seufzt tief und starrt an die Decke, “die Atmosphäre in dieser Bücherei ist so trocken und ernst. Ja, bin ich. Genervt. Weißt du, es gibt irgendwie kein ehrliches Verhalten dort, so kommt´s mir vor. Manche Kunden behandeln die Bediensteten dort so eigenartig zuvorkommend, aber auch irgendwie fast nachsichtig, und ich finde das falsch. Auf der einen Seite soll man ja diese Leute, die anscheinend leicht behindert sich, nicht diskriminieren und ganz gleich behandeln. Das geht aber nicht, weil sie einen nicht normal behandeln. Und die Kunden in dieser Bücherei ...” Sie seufzt und ringt nach Worten, “... wirken manchmal so gekünstelt. Fast schon peinlich. Früher hat mich das nie wirklich gekümmert, aber auf einmal fühle ich mich ... fast schon unwohl, dort.”

Sie rollt sich auf die Seite und berührt die Bücher. “Alles ist so süßlich dort, dass einem schlecht werden könnte.”

Sie lauscht ins Telefon und schnaubt dann, erregt. “Doch, hat es. Aber wenn´s dich nicht interessiert ...” Sie lauscht weiter und schließt die Augen. “So hab´ ich´s nicht gemeint, Marie. Man hört dort so viele „Bitte“ und „Danke“ wie nirgends sonst. Wieso eigentlich? Die Leute, die dort arbeiten sind überhaupt nicht besonders freundlich oder irgendwie effizient. Von wegen Gleichbehandlung! Wenn unsereines sich so verhalten würde im Job ...”


Alma erinnert sich daran, als sie durch die Bücherei gegangen ist. Ein junger Mann im schwarzen Rollkragenpulli nimmt die zurückgebrachten Videos in Empfang und registriert sie mit Tastendrucken an einer Computeranlage, und es dauert ewig. Die Kunden verharren vor ihm, geduldig, als hätten sie alle Zeit der Welt, obwohl sie ihn heimlich irritier beobachten.

“Bei ihm ist es wohl der eigentümlich verzögerte Blick unter schweren Lidern hinter dicken Brillengläsern hervor, der ihn auffällig macht.”

Die Frau an der Kasse lallt beim Sprechen ein wenig und ist sehr dick, mit unförmigen Proportionen. Sie merkt es nicht, wenn ihre Kleidung verrutscht und die Träger ihres Büstenhalters sichtbar werden oder die Pickel in ihrem Dekolleté. Und der Mann am Wissenschafts-Regal singt ständig leise vor sich hin, in gräulich falschen Tönen, und er schnaubt manchmal, so laut wie ein Pferd ...


Alma spricht am Telefon mit Marie. “Und viele von denen sind so in sich gekehrt, dass es einen fast kränken kann, weil sie so gar kein Interesse an einem zeigen. Und es ist oft schwierig, etwas von ihnen zu verlangen, das aber doch zu ihrem Job gehört! Aber dann diese Gesichter! Als ob sie hoch konzentriert bei der Sache. Sind sie aber nicht.”

Sie lauscht wieder ins Telefon und richtet sich auf, gestikulierend. “Na und? Rege ich mich eben auf. Ich finde es eben nicht richtig, dass sich alle Kunden so locker geben, als ob nichts wäre. Das schaue ich mir an, in irgendeinem anderen Betrieb, dass sie dort so entspannt und gelassen wären, wenn rein gar nichts weitergehen ... Und dort komme ich mir so vor, als ob ich auf einem Minenfeld spazieren gehen würde.”

Sie lacht über Maries Bemerkung. “Ja, stimmt. Ist wie eine Filmgeschichte. So eine künstlerisch, die kein Mensch versteht. Weißt du, manche von denen ... sie verhalten sich irgendwie übertrieben unbefangen. Ist ihnen nach Rülpsen, dann rülpsen sie einfach. Wenn sie keine Lust haben, sich zu beeilen, dann arbeiten sie eben langsam. Das ist nicht normal, aber wir müssen so tun, als ob´s das wäre. Also sind wir diejenigen, die diese Leute “gleich behandeln”, indem wir sei aber doch anders behandeln als wir eigentlich möchten! Denn stell dir vor, ich würde mich beschweren! Dann würde es heißen, ich sei ... weiß die Hölle was, diskriminierend oder so.”


Regenlicht

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