Читать книгу Regenlicht - Jo Danieli - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеGegenüber dem Büchereigebäude steht Alma zögernd auf der anderen Straßenseite und schaut durch die zufällig offene Eingangstür ins Foyer der Bücherei: Adrian setzt sich an die Bücher-Registrierung, und Alma zuckt zusammen und tritt zur Seite. Sie geht in einem Bogen über die Straße, um dann von der Seite die Bücherei zu betreten, aber als sie direkt vor der offenen Eingangstüre ist, schaut sie weg und eilt vorüber.
„Ich diskriminiere ihn, hat es mir oft die Eingeweide zerwühlt, weil ich meinen Freundinnen nichts von ihm erzählte. Normalerweise wurden Begebenheiten wie jene, einen ansehnlichen Mann getroffen zu haben, unverzüglich diskutiert. Britta gierte förmlich nach Flirts, und waren es auch nur Geschichten darüber. Sie sagte oft, es ginge ihr nur darum, zu erleben, dass überhaupt noch lohnende männliche Objekte der Begierde existierten, wenn sie schon selbst nicht an sie herankam. Und ich hatte oft leichthin über Flirts geplaudert oder über Männer, die ich optische Bonbons nannte. Aber diesmal konnte ich gar nichts sagen. Ich wusste nicht wie. Wusste nicht, was wirklich wichtig war.”
Alma geht die Straße entlang, von der Bücherei weg und bleibt stehen. Sie merkt, dass sie keucht und hält den Atem an, schüttelt den Kopf über sich selber. Sie schaut zur Bücherei zurück und atmet tief durch. Dann schaut sie auf ihre Uhr und flucht. Und sie geht weiter, die Hand auf ihrem Bauch.
“Dieses Drücken im Magen! Als ob ich mich zugleich freuen und fürchten würde! Steuerte ich nicht bereits absichtlich auf einen Löwenkäfig los, obgleich ich nichts von Löwen verstand, ja, nicht einmal wusste, wie der Käfig zu öffnen war, geschweige denn später zu schließen? Unendlich mühsam, selbst Marie erklären zu sollen, was ich in dem Alien sah. Ich wusste es ja selber nicht. Die Vorstellung, sich ihm nähern zu wollen, hatte etwas pervers Verbotenes.”
An ihrem Schreibtisch sitzend arbeitet Alma eifrig, tippt und blättert durch Notizen, als Boss Moritz Vierland eintritt, und Alma taucht unwillkürlich hinter die Blumenvase auf ihrem Schreibtisch, in welcher echte Nelken duften, ein Geschenk von Timber.
Vierland eilt auf Alma zu, aber sie schaut nur kurz auf und macht eine Handbewegung, die um etwas Geduld bittet. Vierland spricht dennoch, die Hände in den Hosentaschen: “Wie geht es voran?”
“Unser Meeting hat vor vierzig Minuten geendet, Moritz. Seither ...” Sie deutet auf die Notizen auf ihrem Papierblock und den Computerbildschirm.
Vierland stöhnt missmutig, starrt einige Momente lang wortlos auf Almas Bildschirm, während sie weiter tippt und stampft dann ärgerlich aus dem Raum. Alma nimmt die Blumenvase und saugt gierig den Nelkenduft ein.
“Was denke ich da bloß, ist mir oft durch den Sinn gegangen, wenn mir so unsägliche Worte in Bezug auf ihn eingefallen sind ... Ist bloß ein Modewort, pervers, habe ich mich dann beruhigt. Aber warum verboten? Na, es war eigentlich undenkbar, sich mit einem solchen Mann einzulassen ... Ich habe oft nicht einmal gewusst, was ich überhaupt denken sollte.”
In der spärlich besuchten Verlagskantine sitzen Alma und Marie an einem Fenstertisch und knabbern lustlos an ihren Sandwiches, nippen am Saft, schauen aus dem Fenster.
“Warum redet er nicht mit der Agentur? Wie soll denn ich jemanden aus dem Ärmel schütteln? Ich bin ja neu im Geschäft!” Alma schnaubt erbost, und Marie zuckt die Schultern: “Du hast gute Instinkte. Und du kannst ...” Sie hält inne und schaut Alma unsicher an, winkt dann ab.
“Sag’ schon! Was kann ich?”
Marie fährt zögernd fort, “Naja, also ... wie du sagst, du bist neu. Und wenn etwas schief geht –“ Sie schaut Alma vielsagend an, und Alma begreift, schnaubt entrüstet. “Was? Ich glaub’s ja nicht! Ich kann dann leicht rausgeschmissen werden, und er hat die Ausrede, dass ich ja nicht wusste, was ich tat?”
“Würdest du doch auch so machen, als Boss.”
Alma schüttelt erbost den Kopf, “Nein! Ich würde keiner unerfahrenen Mitarbeiterin übermäßig viel Verantwortung aufhalsen, weil sie jederzeit gefeuert werden kann?!”
Marie nimmt einen Schluck von ihrem Getränk und zuckt die Schultern.
Alma lehnt sich schockiert zurück. “Und ich hab’ gedacht, ich wär’ wertvoll für ihn, weil ich so tüchtig bin!”
“Das bist du auch. Alle lieben dich. Aber weil du neu bist, kannst du dir Fehler erlauben.”
“Und mich als Sündenbock schlachten lassen?” Sie schnaubt bitter, “Und wenn ich doch so neu und unerfahren bin, weshalb bin ich jetzt quasi verantwortlich dafür, den nächsten Weltklasse-Songwriter zu finden?”
“Es wird klappen.” Marie tätschelt Almas Arm, die sie verblüfft abwehrt: “Du hast meine Frage nicht beantwortet!”
Marie zuckt die Schultern. “Kann ich nicht. Sicher ist nur, wir wären der Witz der Branche, wenn wir jetzt aussteigen würden.”
“Und wieso muss ich mich so reinknien?” Alma hebt mit bitterem Sarkasmus die Augenbrauen, “Was, wenn ich gar nicht hier wäre?”
Marie hebt seufzend die Hände: “Auch dann könnten wir keinen Hit im Ofen backen, oder so!”
Alma kichert, nervös: “Das haben wir ja noch gar nicht versucht!”
“Die Presse gießt jeden Tag Öl ins Feuer,” seufzt Marie, “Das Musik-Event des Jahrzehnts heißt es jetzt schon, Richter für die Zukunft von drei Labels,” (schnaubt) “... für unseres sicher.”
“Die wissen doch längst, dass wir das Blaue vom Himmel lügen!” Alma beißt grimmig in ihr Sandwich. Marie tut es ihr gleich und zuckt die Schultern: “Seit Jerry weg ist, weiß jeder, dass Feuer am Dach ist. Aber sie können nichts beweisen. Sie lechzen danach, zu sehen, wie Vierland sein letztes Zugpferd verliert.”
Wie gerufen eilt Vierland durch die Kantine heran, erspäht Alma und Marie und steuert auf sie zu. Beide rollen die Augen, begrüßen ihn dann aber freundlich lächelnd. Er wendet sich erbost an Marie, die erstarrt: “Der ... der Typ mit der Fistelstimme ...?!”
Marie legt geduldig ihr Sandwich weg: “Herr Obermann, von Zweigert Druck?”
Vierland fuchtelt: “Der macht mich wahnsinnig! Er hat schon wieder nach den Cover-Texten gefragt!”
“Ist sein Job. Aber leider, kein Song, daher kein Fotoshoot, keine Fotos, kein Druck! Armer Herr Obermann.” Sie schaut Vierland starr an: “Wüsste nicht, wie ich sein Leiden ändern könnte ohne Hit-Song-Texter.”
Vierland erwidert ihren Blick einen Moment lang und geht dann schnaubend davon.
Alma schaut ihm kopfschüttelnd nach: “Unglaublich! Er ist der Boss und benimmt sich wie ein störrisches Kind, Aber ich will, ich will, Mutti, ich will!”
Sie stehen auf und räumen den Tisch ab. “Ich kann mich nicht erinnern, dass er so ein Psycho war, als er bei uns zu Besuch war.” Alma zuckt bitter die Schultern, “Aber da wusste ich auch nicht, was für ein Betrüger mein Ehemann war.”
“Er träumt wahrscheinlich immer noch, dass Jerry zurück kommt!” Marie seufzt, “Wie unreif, eigentlich.”
“Jerry, die eine Hälfte des Duos Timberbande, das dazu bestimmt gewesen war, Aufsteiger des Jahres zu werden, mit einem brandneuen, romantischen Superhit, dieser Jerry hatte Vierland im Stich gelassen. Er war daran Schuld, dass ich täglich Stress hatte. Irgendwie.”
Alma geht durch einen Verlagskorridor und eine Treppenflucht hinab und betrachtet die Gold- und Platin-Schallplatten sowie Portraits von verschiedenen Musikern, die an den Wänden aufgehängt sind. Sie bleibt vor dem Bild eines attraktiven, langhaarigen, ganz in Schwarz gekleideten Mannes mit einer Gitarre stehen Jerry (38).
“Jerry hatte beschlossen, seine Ehe dem Weltruhm vorzuziehen. Alle schienen ihn zu hassen, besonders Timber, aber ich fand seine Entscheidung sympathisch ... was ich natürlich niemandem sagen durfte.”
Alma geht weiter und schaut andere Fotografien an, die Timber und Jerry als das Duo “Timberbande” zeigen.
“Seine Frau versuchte ihren Selbstmord mit denkbar miesem Timing. Zum Glück überlebte sie, aber Pech für Loop Loop Records, dass Jerry mit ihr dann aufs Land übersiedelte. Dort konnte er keinen Groupies mehr zum Opfer fallen und seine Ehe retten. Dafür ließ er Timber im Stich ... die, jüngere Hälfte des Duos. Die hilflose. Abhängige.”
Vierland kommt den Korridor entlang Alma nachgelaufen; Er wirft einen bitteren Seitenblick auf Jerrys Bild und jammert: “Wir könnten den Fotoshoot doch trotzdem durchziehen!? Es ist alles gebucht! Tom reißt mir den Kopf ab, wenn ich wieder verschiebe! Sheila hat schon mit Pönale gedroht!”
Alma wendet sich ihm geduldig zu: “Moritz, die Fotos müssen doch das Liedthema reflektieren! Wie willst du ein Platten-Cover schießen ohne –“
Vierland reibt sich nervös das Kinn. “Es gibt doch Themen, die gelten ... für alles. Was weiß ich, die Meereswellen, Bergeshöhen, Blumen und kleine Hunde, sowas ...” Er schaut Alma hoffnungsvoll an, “Vielleicht etwas Generisches?”
“Generisch für ... was?”
Vierland sucht verzweifelt nach einer Lösung in Almas Gesicht, und sein Blick wird glasig und starr; Alma seufzt mitleidig: “Tja, sollten wir bis zum Termin noch immer kein Lied haben, werden wir wohl etwas Neutrales finden. Müssen. Du hast Recht. Alles ist ja gebucht.” Sie bemerkt Vierlands panischen Blick und geht eilig weiter, über ihre Schulter murmelnd, “Bin spät dran, Vorstellungstermin. So eine englisch Schreiberin.”
Vierland schüttelt seine Faust gegen Jerrys Bild hin und stürmt den Korridor entlang davon, ruft Alma über die Schulter hinweg zu. “Ich verlasse mich auf dich!”
Alma rollt genervt die Augen, und ihr Blick sagt “Wieso eigentlich”?
“Und da war er wieder ... mitten drinnen, im Korridor, am Fenster, in der Tür, mit seinen fremden honigbraunen Locken, so abweisend, so fern, und dabei eigentlich - hilflos. Grimmig hielt ich mir vor Augen, dass wenn ich mit ihm sprechen wollte, konnte er mich nicht abweisen. Er war mir ausgeliefert, mir, der Kundin. Wenn ich wollte, durfte ich ihn mir holen und anglotzen, soviel ich wollte. Die Fragen, die sich aus meinem tiefen Inneren irgendwie selber hervorwürgten, waren verdammenswert, aber dann war ich eben voll Verdammenswertem, es war eben meine Natur ... Ob der Mann denn ein normales Sexualleben hätte, fragte ich mich, ob eine nähere Bekanntschaft mit ihm bedeuten könnte, ihn ewig am Hals zu haben, ob sein labiler Geist eine Gefahr für ihn selbst sein könnte und auch für mich, sollte ich ihm irgendwie angehören ...”
Alma merkt, dass sie sinnierend vor ihrer Bürotür steht. Von innen macht Mick auf, einen Stapel Magazine am Arm und prallt beinahe gegen Alma. Sie hält ihn und die Magazine fest und schlüpft an ihm vorbei in ihr Büro.
Irgendwo erklingt Klavierklimpern und dann Timbers Stimme ...
Timber sitzt auf einem Barhocker in einem großen Proberaum und streicht über die Saiten seiner Gitarre; Neben ihm sitzt Komponistin Lian am Piano und klimpert mit. Sie macht eine Eile gebietende Kopfbewegung: “Dann such dir etwas aus! Deine Stimme leiert. Wir müssen mehr proben.”
Alma betritt den Raum, und Timber und Lian schauen sie fragend an. Alma setzt sich in eine Ecke, schüttelt den Kopf: “Ich verstecke mich nur.”
Lian nickt verständnisvoll und schaut streng zu Timber hinüber, der noch immer versonnen klimpert, und etwas genervt beginnt Lian einen Song zu spielen: “Mitternachts-Blume, der Herr! Und zwei, drei ... “
Timber beginnt folgsam seinen Song zu singen, und Alma lauscht versonnen.
“Das Fest der Erde, das Fest der Wolken, das Fest der Liebe und du ganz allein ...”
Lian spielt schneller, und Timber passt sich nur unwillig an.
“Ob er andere Menschen überhaupt wahrnahm, fragte ich mich, wie es notwendig war, um konfliktfrei miteinander umzugehen, ob man ihn in jeder Beziehung mit Samthandschuhen anfassen würde müssen, ob er Tabletten nahm und welche und ob er ohne Medikamente oder psychiatrische Betreuung überhaupt leben konnte, ob er überhaupt einen normalen Lebenswandel führen konnte, oder ob er dazu zu benebelt war, ob man von ihm irgendeine Art von Selbständigkeit erwarten könnte oder nicht ...”