Читать книгу Robert im Bann des Lapislazuli - Jo Hartwig - Страница 4

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Überfall in der Schule

„Mann, Robert, da draußen ist tierisch was los!“, flüstert Tim seinem Banknachbarn Robert zu. „Die Wetterhexe verliert schon den Faden!“ Mrs. Weather, die Englischlehrerin mit dem Spitznamen „Wetterhexe“, wirkt tatsächlich so. Sie ist unkonzentriert und lässt, ganz gegen ihre Gewohnheit, Fehler in der Übersetzung durchgehen. Immer wieder fliegt ihr Blick nervös zur Tür, hinter der sich deutlich hörbar Unruhe breit macht. Endlich gibt sie sich einen Ruck, wirft ihre braune Haarmähne entschlossen nach hinten und geht auf den Flur hinaus. Die Tür schließt sie hinter sich. Alle in der Klasse spitzen die Ohren. Achim, normalerweise ein eher schwacher Typ, schleicht sich neugierig zur Tür und öffnet sie einen winzigen Spalt breit. Jetzt hören es alle: aufgeregt durcheinander redende Stimmen und Geräusche trampelnder Schritte. Stolz schaut Achim zu den anderen zurück, Anerkennung suchend für seinen Mut, doch plötzlich spürt er die Tür unsanft im Genick und taumelt. Die Wetterhexe kommt mit Elan in die Klasse zurück.

„Na, mein Lieber, was ist denn mit dir los, was machts du hier, hast du etwa gelauscht?“, wettert sie mit ihrer leicht rauchigen Stimme. „Bist du betrunken oder warum taumelst du so?”

Beschämt schleicht Achim wieder auf seinen Platz zurück. Er spürt das schadenfrohe Grinsen der anderen Schüler, als ob es wie Honig an ihm festkleben würde.

„Unser Schulleiter, Herr Direktor Gerlach, ist eben in seinem Büro überfallen und dabei verletzt worden. Gerade jetzt wird er mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht.“ Nervös hantiert die Lehrerin an ihrer Brille: „Well, wenn ich mehr Informationen habe, werde ich es euch sagen. Aber jetzt machen wir mit unserer Übersetzung weiter. Achim, bitte nimm du den nächsten Absatz !“ Allmählich kehrt wieder Ruhe in der Klasse ein. Doch kaum ertönt das Pausenzeichen, scharen sich die Schüler zusammen und diskutieren lautstark, was da eben passiert sein könnte. Robert kann es kaum erwarten, die Klasse zu verlassen. Durch die geöffnete Tür zum Lehrerzimmer sieht er den Hausmeister mit verbundenem Kopf am Konferenztisch sitzen. Ein Sanitäter macht sich gerade an seiner rechten Hand zu schaffen. Einige Referendare laufen aufgeregt durch die Gegend, als ob sie ihr Nest suchen würden. Was ist da bloß passiert?

„Zwei Männer sind einfach hier hereingekommen und ins Büro des Direktors gestürmt!“ Die Sekretärin, Frau Niemann, sitzt noch immer fassungslos an ihrem Schreibtisch. Normalerweise wirkt sie sehr gepflegt, doch jetzt hängen ihr einige Haarsträhnen unordentlich ins Gesicht und ihre Miene ist völlig aufgelöst. Es ist ihr nicht gelungen, die beiden Burschen aufzuhalten. Sie wurde einfach grob in die Ecke gestoßen und mit einem Messer bedroht. Danach sind die zwei Kerle, ohne sich weiter um sie zu kümmern, in Gerlachs Büro weitergelaufen. Robert sieht gerade noch, wie zwei ihm unbekannte Männer, sicher schon Leute von der Kripo, die Treppe hochkommen und im Lehrerzimmer verschwinden. Dann ist die Pause vorbei und er muss zurück in die Klasse. Der Unterricht geht weiter. Tim stupst ihn in die Seite. „Ein neuer Fall für uns?“, flüstert er.

Robert spürt einen zweiten Stoß im Rücken. Das ist Chris, der hinter ihnen sitzt. Robert nickt seinen beiden Freunden zu. So wie es momentan aussieht, bahnt sich hier größerer Ärger an. Das kann er unmöglich alleine schaffen.

„Gleich nach der Schule treffen wir uns bei mir zu Hause, okay?“, kritzelt er hastig auf einen Zettel und schiebt ihn zu Tim hinüber.

„Geht klar“, schreibt Tim darunter und lässt den Zettel unauffällig nach hinten zu Chris wandern. „Super, auf so eine Gelegenheit warte ich schon lange!“, flüstert Chris nach vorne. Roberts Freunde lauern tatendurstig darauf, dass der Unterricht endlich zu Ende geht. Kaum ist die Klingel zu hören, schnallen sie ihre Inliner an und skaten in Richtung Hochhaus. Oben im elften Stock gönnen sich die Freunde erst mal eine Cola und teilen kameradschaftlich den Hackbraten, den Roberts Mutter als Mittagessen für ihren Sohn vorbereitet hat, durch drei. Endlich sitzen sie in Roberts Zimmer. Tim und Robert hocken auf dem Bett, Chris hat sich hinter dem Schreibtisch breit gemacht. Robert überlegt sorgfältig, wie er beginnen soll. „Könnt ihr euch noch an das Theater erinnern, als ihr mich im Keller zum Rauchen verführen wolltet?“, fragt er.

„Logo!“ Tim richtet sich auf. „Du bist damals klugerweise abgehauen.“

Robert nickt. „Und ihr zwei habt euch alleine eine reingezogen, richtig?“

„Na und, was war denn daran so schlimm?“, fragt Chris abweisend.

Robert hebt abwehrend die Hände. „Reg dich ab Chris, darum geht’s gar nicht. Wichtig ist, was danach geschehen ist: Ungefähr eine halbe Stunde später bin ich nämlich noch mal in den Keller runter gefahren um zu schauen, ob ihr noch da seid. Aber es war zu spät, nur die Luft war voll kaltem Zigarettenrauch, dementsprechend widerlich hat es auch gestunken ...“

Verblüfft schauen ihn seine Freunde an.

„Hey Mann, willst du uns etwa hier ’ne Moralpredigt halten?“, mosert Tim und boxt ihm herausfordernd in die Rippen. Robert zögert unsicher und überlegt. Verflixt, die Sache ist doch schwerer als er dachte. Wie soll er seinen Freunden bloß erkären, was damals passiert ist, ohne dass sie ihn für einen Spinner halten? „Nein, nein, es geht um was ganz anderes. Aber zuerst müsst ihr mir hoch und heilig versprechen, niemandem ein Sterbenswörtchen von dem, was ihr jetzt hören werdet, zu sagen!“ Die beiden Freunde nicken nur neugierig und versprechen es mit sichtlicher Spannung.

„Als ich schon gehen wollte, habe ich plötzlich eine zarte Stimme gehört, die meinen Namen gerufen hat. Erst bin ich erschrocken, aber dann habe ich am Boden zwei Ratten gesehen, eine weiße und eine schwarze“, fährt Robert mit leiser Stimme fort, ohne seine Freunde dabei anzuschauen. Irgendwie kommt er sich total blöd vor. Warum eigentlich, es entspricht doch der Wahrheit.

„Sie – sie haben mit mir geredet und mir gesagt, dass ich um Mitternacht nochmals in den Keller kommen soll. Natürlich habe ich es erst nicht geglaubt, bin aber trotzdem wieder hinuntergefahren, weil ich neugierig war. Und sie waren wirklich wieder da. Richtig feierlich haben sie mir ein Amulett gegeben, ein Zauberamulett.“

„He, was soll der Müll?“ Tim springt ärgerlich auf. „Zwei sprechende Ratten und ein Zauberamulett!? Machst du hier Märchenstunde mit uns, oder was?“

Chris, wie immer der Ruhigere, macht eine beschwichtigende Handbewegung zu ihm hin und schaut Robert gespannt an. „Nun lass Robert doch erst mal weitererzählen!“

Robert zieht Tim wieder aufs Bett zurück. „Komm, Tim, hör erst mal zu!“ Jetzt macht es ihm richtig Spaß, seine Freunde so aufgeregt zu sehen. „Ich weiß, dass es absolut unwahrscheinlich klingt, aber ich schwöre euch, es ist echt so passiert. Die zwei Ratten haben gesagt, sie haben sich für mich entschieden, weil ich standhaft war und mich nicht von euch zum Rauchen verführen ließ.“

Jetzt blicken sich Tim und Chris verständnislos an.

„Wegen so einem Mist bekommst du ein Zauberamulett?“, meint Chris schließlich.

„Das sollen wir dir abkaufen?“ Tim springt erneut voller Ungeduld auf. „Hey, du glaubst wohl, wir haben einen Getriebeschaden, was?“

Robert seufzt genervt. Er hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, seine Freunde einzuweihen. Sie sind zwar Schnelldurchblicker, aber das alles klingt zu unwahrscheinlich.

„So bringt das nichts“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Mir ist klar, dass ihr das nicht glauben könnt, aber bleibt cool und lasst mich erst einmal zu Ende erzählen.“

Tim lehnt sich ans Fenster. „Da bin ich aber mal gespannt“, erwidert er abwartend.

In diesem Moment ist hinter ihm ein Flattern zu hören. Robert dreht sich schnell um und sieht Dulgur auf dem Fensterbrett landen. Die kleine Taube schaut ins Zimmer, sieht Tim, dann auch Chris, tippelt ein paar Mal hin und her und fliegt wieder weg. „Das offene Fenster verlockt diese dämlichen Viecher zum Reinfliegen.“ Tim macht eine Bewegung, als wolle er die ohnehin wegfliegende Taube verscheuchen. „Pass bloß auf, diese blöden Tauben kacken dir alles voll.“

Robert winkt ab. „Ach, lass sie in Ruhe Tim, die tut nichts. Komm, hau dich wieder hin und hör weiter zu.“ Er wartet etwas und erhöht dadurch die Spannung. „Das Amulett hat mir ein Zauberwort gegeben, mit dem ich jeden Menschen ins Stolpern bringen kann: „stone!“

Jetzt sagt Tim nichts mehr, kein Wort. Er lässt sich voll erschlagen wieder aufs Bett fallen und schaut, als hätte er ein Kaninchen verschluckt. Auch Chris hält vor Überraschung den Atem an und streift sich mit der rechten Hand mehrmals über seine blonden Augenbrauen.

„Was?“ ist dann leise zu hören.

„Ich brauche nur jemand anzusehen“, fährt Robert fort, „und leise, ganz leise, das Wort stone zu sagen, und schon fällt der andere ganz einfach hin. Er stolpert über ein Hindernis, das er nicht sehen kann, weil es gar nicht da ist!“

„He, das ist mir auch mal passiert!“ Chris Stimme klingt heiser vor Aufregung. „Ich hab mir doch gleich gedacht, dass du dahinter steckst!“

„Voll krass!“ Tim hat seine Sprache wiedergefunden. „Immer, wenn uns irgendwelche Typen angestänkert haben und uns angreifen wollten, ist plötzlich einer von denen hingefallen. Zum Beispiel die Skinheads, die uns verprügeln wollten, eh, wisst ihr noch, das war die Schau!“

Robert nickt erleichtert. „Glaubt ihr mir jetzt, dass ich euch keine Märchen erzähle?“

Tim springt wieder auf. „Geil, absolut geil!“, ruft er. „Dass es so was gibt, das gibt es gar nicht!“

Auch Chris hält es nicht mehr hinter dem Schreibtisch. Er und Tim stehen kribbelig vor Robert „Das ist ja der absolute Wahnsinn: eh, wenn dir einer dumm kommt, lässt du den Typen einfach stolpern und hinknallen!“

„Ja, genauso.“ Robert erhöht wieder die Spannung, indem er sie nur schweigend anschaut. „Und jetzt darf ich euch beide mit ins Boot nehmen“, sagt er beiläufig. Augenblicklich stehen Chris und Tim still stramm da wie Zinnsoldaten.

„Wenn wir in Zukunft gemeinsam ein Problem lösen, könnt ihr ebenfalls mit dem Zauberwort „stone“ alle aufs Kreuz legen.“ Robert schaut von einem zum anderen und legt warnend den Finger auf den Mund. „Aber kein Mensch darf das wissen. Sonst verliert das Zauberwort sofort seine Wirkung für euch, und zwar für immer!“

„Wir halten den Mund, ist doch klar!“ – „Wir sind doch nicht verrückt und erzählen das weiter. Das glaubt uns ja sowieso kein Mensch!“, erwidern die beiden wie aus einem Mund.

Für eine Weile wird es still im Raum. Plötzlich hat Chris eine Idee. „Können wir dieses stone nicht mal testen? Zum Beispiel jetzt gleich unten im Einkaufszentrum?“

„Wow, affengeil“, stimmt Tim begeistert zu.

„Warum nicht?“ Robert nickt. „Jeder hat zwei Versuche, okay?“ „Yeah! Das ist, als hätte jeder eine Waffe mit zwei Patronen!“ Chris und Tim stehen schon an der Tür.

„Halt, da ist noch was“, bremst Robert sie. „Wenn ihr in Zukunft unerklärliche Dinge seht, die mit mir zu tun haben da – äh, dann akzeptiert das einfach. Okay?“

„Okay!“ Sie besiegeln das Versprechen mit einem feierlichen Händedruck. „Kannst dich voll auf uns verlassen, Robert!“ Gemeinsam fahren die drei mit dem Fahrstuhl nach unten und gehen in die Fußgängerzone. Ohne lange zu überlegen, schaut Tim einem Mann hinterher, der an ihnen vorbeigeht, und sagt sein erstes „stone“. Wie zu erwarten, fällt der Mann hart aufs Pflaster. Der Hut landet ungefähr zwei Meter weiter im Staub, die grauen Haare stehen jetzt wirr vom Kopf ab. Tim kichert und reibt sich die Hände. Aber der Mann bleibt am Boden liegen. Anscheinend hat er sich verletzt, denn er hält sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seine linke Schulter. Jetzt erst nehmen die drei den Gehstock wahr, der neben ihm am Boden liegt. Robert und Chris laufen sofort hin und helfen dem alten Mann wieder auf die Beine. Er ist verwirrt. Wieso liegt er plötzlich hier auf der Straße? Tim hat inzwischen den Hut geholt und hält ihn verlegen dem alten Mann hin. Der murmelt einen leisen Dank und wischt sich ein paar Tränen aus den Augen. Verunsichert, mit steifen Bewegungen, geht er weiter.

Die drei Freunde bleiben stehen. Tim schaut verlegen zu Boden. „Du bist ein Idiot!“, zischt Chris ihm zu. „Was hättest du getan, wenn der Alte sich die Schulter gebrochen hätte?“

„Sorry“, murmelt Tim kleinlaut. „Hab nicht groß nachgedacht. Beim nächsten Mal wird’s besser, okay?“ Robert setzt sich wieder in Bewegung. „Los, suchen wir uns ein lohnendes Motiv!“

Aufmerksam streifen sie durch das Einkaufszentrum. Vor dem Zeitschriftenladen steht ein kleiner Lieferwagen. Ein Mann mit dunkler Hautfarbe lädt einige, offensichtlich schwere, Pakete aus und schleppt sie in den Laden. Plötzlich wird ihm der Weg ins Geschäft von der dürren blonden Inhaberin versperrt. „Holen Sie sofort diese Pakete wieder aus dem Geschäft und bringen Sie sie hier durch diese Tür auf den Dachboden. Sofort!“ Ihre Stimme dringt schrill bis zu den drei Freunden herüber. „Sie hätten mich vorher fragen müssen! Und wenn ich nicht da bin, haben Sie zu warten!“ „Einen Teufel werd ich tun!“, gibt der Fahrer verärgert zurück. „Mein Job ist es, diese Pakete hier abzuladen, und damit basta!“

„Das ist ja unerhört!“, kreischt die Blonde. „Sie haben zu tun, was ich Ihnen befehle!“

Wortlos lädt der Fahrer die restlichen Pakete ab, stellt sie provokativ neben die anderen und steigt wieder in sein Fahrzeug. Die Ladeninhaberin tobt. „Ausländisches Gesindel! Kommen hierher und nehmen unseren Landsleuten den Arbeitsplatz weg! Stinkfaul sind sie alle, wollen nur unser Geld kassieren.“

Während das Auto wegfährt, schaut sie sich beifallheischend um. Aber keinen der Passanten scheint ihr Geschrei zu interessieren. Giftig vor sich hinmurmelnd trottet sie wieder in den Laden zurück. „Was macht diese blöde Tussi für einen Mordsaufstand!“, meint Chris kopfschüttelnd. „Ätzend.“

„Hat mich echt gejuckt, das schreiende Ungetüm mit „stone“ zu beglücken“, gesteht Tim.

„Ich weiß nicht ...“ Auf Roberts Stirn erscheint die steile Falte, wie immer, wenn er mit etwas nicht zufrieden ist. „Hier sind beide gleichzeitig ausgeflippt, dann finde ich es unfair, Partei zu ergreifen. Wenn der Bursche ein bisschen höflicher gewesen wäre, hätte die Frau sich bestimmt nicht so reingesteigert ...“

Hinter ihnen ist plötzlich lautes Geschrei zu hören. Zwei Mädchen mit bodenlangen blaugrauen Mänteln und großen, leuchtend gelb gemusterten Kopftüchern werden von pöbelnden Jungs bedrängt. Einer der drei Typen ist gerade dabei, einem der Mädchen das Kopftuch herunterzureißen. Es verfängt sich in einer Haarspange. Mit verzweifeltem Griff in das lange, schwarze Haar und schmerzhaft verzogenem Gesicht versucht das Mädchen, ihr Kopftuch festzuhalten.

Chris gibt Tim einen leichten Stoß in die Seite. „Dein Auftritt!“, flüstert er.

„Stone“, schreit Tim voller Entrüstung.

Der Bursche greift prompt ins Leere und ist voll damit beschäftigt, seinen Sturz mit beiden Händen aufzufangen. Erstaunt schauen seine beiden Kumpel auf den am Boden Liegenden, während die Mädchen die Chance nutzen und schnell weglaufen. Robert zieht seine beiden Freunde erschrocken aus dem Blickfeld.

„Hey, Tim, kannst du dir nicht merken, was wir verabredet haben? Es darf doch niemand hören, was du sagst. Und was tust du Pappnase? Posaunst wie mit einem Lautsprecher das Zauberwort durch die Gegend!“

„Mist, vergessen!“ Zerknirscht senkt Tim den Kopf. „Es musste doch ganz schnell gehen, sonst hätte ihr der Typ noch die Haare ausgerissen!“

„Okay, okay. Aber pass nächstens auf!“, lenkt Robert ein. „Das Problem ist, niemand darf wissen, dass wir diese Zauberkraft haben. Absolut niemand, kapiert? Sonst ist stone futsch!“

„Wird nicht wieder vorkommen“, brummt Tim. „Garantiert!“

Chris schaut sich suchend um. „Jetzt werd ich mal mein Glück versuchen ...“

Robert nutzt die Gelegenheit, um sich zu verdrücken. Dulgur war vorhin nicht umsonst am Fenster, sicher will sie etwas von ihm. „Okay, viel Glück, ich muss jetzt weg. Wir sehen uns!“ In der Grünanlage hinter dem Hochhaus sieht er die Taube schon wartend im Kreis tippeln.

„Dulgur! Hey, komm her, Kleines, komm!“ Robert hält ihr beide Hände entgegen. „Was hast du denn? Schon vorhin am Fensterbrett hab ich gemerkt, dass irgendetwas mit dir los ist.“

„Robert!“, gurrt Dulgur und fliegt auf seinen Unterarm. „Ich habe einen Überfall gesehen, und danach sind die Täter hier ins Hochhaus geflüchtet.“ Die Worte kullern förmlich aus ihrem kleinen Schnabel, so aufgeregt ist sie. Robert streichelt beruhigend über ihre zarten Federn. Sicherheitshalber geht er weiter hinter die dichten Büsche, um nicht gesehen zu werden, während er mit dem Vogel redet.

„Ruhig, ganz ruhig, Kleines! Was genau hast du gesehen?“

Dulgur kuschelt sich in seine Hand, die er leicht auf ihrem Rücken liegen hat.

„Auf der Straße durch den Gonsenheimer Wald ist ein Geldtransporter plötzlich stehen geblieben. Der Fahrer ist ausgestiegen. Dann ist aus einem Waldweg ein kleiner weißer Renault gekommen, und auch da ist ein Mann ausgestiegen.“ Vor Aufregung kann sie nicht weiterreden. Sie gurrt nur noch unverständlich vor sich hin. Robert streichelt wieder beruhigend über ihren Rücken. „Ganz ruhig Dulgur, ich bin ja bei dir. Erzähl schön weiter!“

„Sie haben den Beifahrer aus dem Geldtransporter gezerrt und ihm die Hände hinter dem Rücken gebunden. Danach haben sie die beiden hinteren Türen geöffnet, vier graue Metallkästen herausgezogen und den gefesselten Mann hineingeschubst. Sie haben auch seine Füße festgebunden und die Türen wieder verschlossen. Der Geldtransporter steht bestimmt immer noch dort am Waldrand. Dem weißen Auto bin ich nachgeflogen. Ich habe es bis hierher zum Hochhaus verfolgt. Er steht auf dem Parkplatz drüben, die beiden Männer sind hier ausgestiegen und ins Haus gegangen. Da bin ich sofort zu dir raufgeflogen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du Besuch hast ...“

„Das hast du ganz super gemacht, Dulgur!“ Robert hält die kleine Taube direkt vor sein Gesicht und schaut sie liebevoll an. „Beobachte das kleine Auto weiter und sag mir rechtzeitig, wenn sich da was bewegt. Ich bin jetzt oben in meinem Zimmer. Allein. Du kannst jederzeit zum Fenster hoch fliegen und mich informieren.“ Mit sanftem Schwung wirft er Dulgur in die Luft, und schon fliegt sie los. Robert ist mit seinen Schulaufgaben fast fertig, als Dulgur auf dem Fensterbrett landet. Sofort klappt er seine Hefte zu und wartet, bis sie vom Fenster auf seinen Schreibtisch gehüpft ist.

„Robert, die beiden Männer von vorhin haben jetzt die vier Metallkästen aus dem Renault ausgeladen und ins Hochhaus gebracht“, gurrt sie und nickt dabei eifrig mit ihrem kleinen Kopf. „Wohin sie im Haus gegangen sind, konnte ich natürlich nicht sehen. Tut mir echt Leid!“

„Du hast mir auch so schon super geholfen, Kleines. Danke!“ Robert verabschiedet Dulgur mit einem zarten Streicheln, und sie schwingt sich in den Abendhimmel. Es schaut aus, als würde sie direkt in die untergehende Sonne fliegen. Mittlerweile sind auch Roberts Eltern nach Hause gekommen. Gut gelaunt erzählt sein Vater, als Versicherungsmann selbstständig, von einem großen Abschluss, der ihm heute, nach langer Vorbereitung, endlich gelungen ist. Jetzt ist ihm nach Feiern zumute. Roberts Mutter deckt den Tisch fürs Abendessen. Es ist einer der seltenen Abende, an denen die ganze Familie gemeinsam um den Tisch sitzt. Beim Essen erzählt Roberts Mutter schmunzelnd eine Episode aus dem OP-Alltag: Bei einem Patienten wurde erst nach dem Zunähen der Wunde bemerkt, dass eine Klammer in seinem Körper zurückgeblieben war. Ihr als OP-Schwester war aufgefallen, dass da etwas nicht stimmte, und sie hat dem Dienst habenden Chirurgen damit einen gehörigen Schrecken eingejagt. Der hat ziemlich blöd aus der Wäsche geschaut, aber es ging noch mal alles gut.

Mitten im Erzählen klingelt es an der Tür. Tim und Chris stehen da und wollen unbedingt noch zu Robert. Kaum sitzen sie in seinem Zimmer, legt Chris auch schon los:

„Hey, Robert, das war die Megaschau! Gleich nachdem du weg warst, haben wir zwei komische Typen in der Fußgängerzone gesehen. Die müssen neu hier auf dem Lerchenberg sein. Wir haben sie angeschaut, und da sind die plötzlich auf uns losgegangen. Die wollten uns wirklich angreifen, obwohl wir absolut nichts gemacht haben!“

„Warum habt ihr sie denn angestarrt?“, fragt Robert mit skeptischer Stirnfalte.

„Du hättest sie sehen müssen!“, mischt sich Tim ein. „Sie haben sich so steif bewegt wie Roboter. Sie haben ausgesehen wie Zombies!“

„Als sie auf uns losgegangen sind, habe ich sie nur angeschaut und ganz leise „stone“ gesagt“, erzählt Chris weiter und reibt sich dabei vergnügt die Hände. „Es war einfach sensationell! Schlagartig sind beide gleichzeitig gestolpert und hingefallen – als ob die das fürs Ballett geübt hätten, richtig schön synchron!“

„Ohne „stone“ wäre es uns nicht so leicht gelungen, denen zu entkommen. Sie hätten uns bestimmt erwischt, und da hätten wir keine Chance gehabt. Die beiden waren auch ganz schöne Schlägertypen!“ „Super, dann war der Test ja ein voller Erfolg!“, erwidert Robert zufrieden.

Er begleitet seine Freunde noch im Fahrstuhl nach unten zum Ausgang und läuft dann die Treppe hinunter in den Keller. Bevor er sein Amulett hervorzieht, überzeugt er sich, dass sonst kein Hausbewohner in der Nähe ist. Kaum hat er das Amulett gerieben, kommen schon die beiden Ratten zwischen den Holzleisten hervor, welche die Kellerabteile voneinander trennen. „Hallo Robert!“, piepst Arix erfreut und schaut aus seinen klugen schwarzen Augen zu ihm hoch. Alban reibt sein seidiges weißes Fell an Roberts Fuß. „Hast du wieder was für uns zu tun?“

„Hmm ... Irgendetwas tut sich hier im Hochhaus, ich weiß nur noch nicht, was!“ Robert geht in die Hocke und streichelt beiden Tieren nachdenklich übers Fell. „Ein Geldtransporter wurde überfallen und vier graue Metallkästen ins Hochhaus gebracht. Könnt ihr bitte mal alle Keller kontrollieren? Ich melde mich morgen früh vor der Schule wieder bei euch. Dann könnt ihr mir sagen, ob euch irgendetwas aufgefallen ist!“ „Geht klar, Robert! Jetzt hüpf in die Falle und schlaf gut.“ Damit drehen beide Ratten, wie auf ein unsichtbares Kommando hin, gleichzeitig um, und verschwinden wieder in der Tiefe des Kellers.

Kaum ist Robert eingeschlafen, sieht er im milden Licht das Amulett vor sich. Es schwebt vor seinem Gesicht und strahlt große Ruhe aus.

„Auf dich kommen schwierige Zeiten zu, Robert.“

Nach einer kleinen Pause, Robert hat das Gefühl, dass das Amulett ihn sinnend betrachtet, ertönt wieder die sanfte Stimme: „Ich habe dir ja die Erlaubnis gegeben, deine Freunde in das Zauberwort „stone“ einzuweihen. Und du hast genau den richtigen Zeitpunkt dazu gewählt. Tim und Chris werden dich in Zukunft stark entlasten und dir den nötigen Freiraum für andere Aufgaben geben. Du selbst kannst nach wie vor außer „stone“ auch über die Zauberkräfte „invisible“, „remember“ und „pierce“ verfügen. Aber ich befürchte, du wirst bald an Grenzen stoßen, wo deine Fähigkeiten dir nicht mehr helfen können. Nutze sie, solange es geht, und setze sie sinnvoll ein!“ Langsam verblasst die Erscheinung.

Robert erwacht viel zu früh und innerlich total aufgewühlt. Was hat das Amulett eben gesagt? Dass er an Grenzen stößt? Was für Grenzen? Wieso redet es so geheimnisvoll zu ihm und nur in Andeutungen? Bisher hatte er immer das beruhigende Gefühl, das Amulett ist als Hilfe im Hintergrund. Aber jetzt hört es sich fast so an, als ob es sich von ihm zurückziehen wollte. Robert kann einfach nicht mehr einschlafen und grübelt. So eine merkwürdige Situation hat es bisher nicht gegeben. Das Amulett wird ihn doch nicht im Stich lassen?

Robert im Bann des Lapislazuli

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