Читать книгу Robert im Bann des Lapislazuli - Jo Hartwig - Страница 5

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Eine erste Spur

Kaum das Robert die stählerne Tür zum Keller geöffnet hat, piepst Alban sofort „Wir haben die vier grauen Kästen gefunden, Robert!“ Arix drängt die weiße Ratte zur Seite, um näher bei Robert zu sein.

„Du weißt doch, dass hier zwei Kelleretagen sind“, berichtet er aufgeregt. „Hier in der oberen Etage war nichts zu sehen. Also haben wir weiter unten gesucht und ...“

„Da wurden wir fündig!“ Alban setzt sich triumphierend auf die Hinterfüße. „Es ist der Keller mit der Nummer 85, der zu einer Wohnung im achten Stock gehört. Der Eigentümer hat die Lattenwände mit Holzplatten zugenagelt, so dass niemand mehr durchblicken kann.“

„Für uns ist das natürlich kein Hindernis“, setzt Arix selbstbewusst nach.

„Ihr seid echt Spitze!“ Robert beugt sich zu den beiden hinunter. „Am besten, ich schau mir das gleich mal an. Kommt ihr mit?“ Begeistert wenden sich die beiden ab und wieseln davon. „Wir kommen hier innen schneller durch! Du musst über die Treppe nach unten gehen“, fiepen sie im Chor und sind schon verschwunden.

Robert schließt die Stahltür hinter sich und steigt eine Etage tiefer nach unten. Wieder ist da eine Stahltür zu öffnen. Als er das Licht andreht, sieht er Alban und Arix bereits wartend in der Ecke sitzen. Sie geben ihm ein Zeichen, ihnen zu folgen, und schon huschen sie vor ihm her, bis sie in einen engen, geraden Flur kommen. Vor einer Tür, die absolut blickdicht ist, stoppen die beiden Ratten. Auch von der Seite kann Robert nicht durchschauen. Die Tür wird von einem massiven Schloss versperrt.

„Also dahinter ist das Geld versteckt?“, murmelt Robert, und auf seiner Stirn vertieft sich wieder die steile Falte. „Schon komisch, dass sich hier im Hochhaus immer so merkwürdige Dinge abspielen ...“

„Kein Wunder, bei neunzehn Stockwerken! Da kommen halt eine Menge Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen zusammen.“ Alban reibt seinen Kopf aufmunternd an Roberts Hosenbein. „Mach dir mal keine Sorgen, du hast ja uns.“

„Mach dir keine Sorgen, be ratty!“, wiederholt auch Arix und seine schwarzen Äuglein funkeln unternehmungslustig. „Macht doch Spaß, Verbrechern auf die Schliche zu kommen!“ Als Robert wenig später zur Schule kommt, steht Hauptkommissar Werner in seinem üblichen Jeanslook vor dem Klassenraum und wartet auf ihn. „Hallo Robert, ich untersuche den Überfall auf Direktor Gerlach“, sagt er gleich zur Begrüßung. „Gibt’s schon irgendwelche Hinweise, wer dahinter stecken könnte?“, fragt Robert wie aus der Pistole geschossen. Werner will etwas sagen, doch der Krach und die lärmenden Stimmen der eintreffenden Schüler übertönen alles.

„Es ist sinnlos! Bei diesem Wirbel können wir nicht reden“, stöhnt der Hauptkommissar. „Wir treffen uns nach der Schule, ich bin dann im Wagen und warte auf dich!“

Enttäuscht geht Robert in die Klasse. Zu gern hätte er Näheres über den Überfall erfahren. Jetzt muss er sich noch ganze sechs Schulstunden lang gedulden! Aber dass Werner ihn so prompt einweihen will, freut ihn. Offensichtlich zählt die Polizei wieder mal auf ihn.

Kaum hat er die Klasse betreten, fangen ihn seine beiden Freunde ab.

„Hey, Robert, wir haben die komischen Zombie Typen von gestern wieder gesehen“, erzählt Tim. „Stell dir vor, die sind dicht an uns vorbeigegangen und haben so getan, als ob sie uns noch nie gesehen hätten!“

„Ein „stone“ hätte ich noch in Reserve gehabt“, fügt Chris vergnügt hinzu. „War aber diesmal nicht nötig.“

Auf Roberts Stirn erscheint wieder die steile Falte. „Schon eigenartig, diese Vögel“, murmelt er. „Ich ...“

Weiter kommt er nicht. Dr. Bachty betritt die Klasse. Irgendetwas liegt wieder in der Luft, das ist sofort zu spüren. Bachty beginnt nicht wie erwartet mit einer Lobeshymne auf Pythagoras und seinen Dreiecken, sondern wendet sich mit besorgter Miene den Schülern zu.

„Langsam wird es bei uns in der Schule kriminell“, sagt er und streicht sich über seinen schwarzen Bart. „Gestern wurde unser Direktor in seinem Büro niedergeschlagen, und heute hat es wieder eine heftige Schlägerei im Flur gegeben. Die Gewalt nimmt immer mehr zu! Wir können nur gemeinsam versuchen, diesen dramatischen Trend zu stoppen. Nur wenn wir alle zusammenhalten, können solche Prügelszenen verhindert werden. Diese Burschen müssen merken, dass die anderen Schüler dagegen sind, dann wird sie das schon nachdenklicher machen ...“

Bachty schaut abwartend in die Runde. Doch von der Klasse kommt keine Reaktion. Seufzend wendet er sich ab und beginnt mit dem Unterricht. In der großen Pause verziehen sich Robert und seine beiden Freunde in die Nische hinter der Turnhalle, abseits vom Gewühl, um ungestört reden zu können.

„Haben wir jetzt jeden Tag zwei Mal stone zur Verfügung?“, will Tim sofort wissen.

Robert nickt bestätigend. „Das wird nötig sein. Sonst kriegen wir den Laden hier nicht sauber!“ „Haben wir völlig freie Hand und können tun, was wir für richtig halten?“ vergewissert sich Chris. „Absolut!“, ist Roberts knappe Antwort. „Wow!“ Die beiden schlagen sich begeistert mit der Hand ab.

Auch Robert schlägt ein. Er ist froh, dass er nicht mehr alles alleine tun muss. Diese ewigen Schlägereien in der Schule sind ein Riesenproblem, dass immer gravierender wird. Ätzend, ohne Verstärkung kommt er nicht mehr dagegen an. „Hey, Chris, am besten bleiben wir zwei nach der Schule noch ein bisschen da und beobachten, was sich so tut“, schlägt Tim vor. „Vielleicht können wir noch eine Schlägerei verhindern.“ „Gebongt.“ Chris wiegt bedächtig den Kopf. „Da könnte noch ganz nett was auf uns zukommen ...“

Der Hauptkommissar hält Wort. Pünktlich nach Schulschluss steht er wartend neben seinem grünen 5-er BMW auf dem Schulparkplatz. „Komm, Robert, setzen wir uns kurz in den Wagen!“ Neugierig steigt Robert ein. Der Hauptkommissar kommt wie üblich ohne Umschweife zur Sache.

„Wie es momentan ausschaut, ist die Tochter eures Direktors Mitglied einer dubiosen Sekte in der Altstadt“, beginnt er.

„Was, die Svenja Gerlach?“, unterbricht Robert verblüfft. Ausgerechnet diese arrogante Type, für die alle Schüler hier immer Luft gewesen sind! Werner nickt und blättert in seinem Notizbuch. „Die junge Dame ist sogar schon mit Rauschgift aktenkundig geworden. Bei einer Razzia wurde sie mal verhaftet, sie war absolut high durch die Augustinerstraße getorkelt. Ist natürlich keine Topvisitenkarte für einen Schulleiter, wenn alle Welt erfährt, dass seine Tochter in solch üblen Kreisen verkehrt.“

„Aber ... wer hat Direktor Gerlach niedergeschlagen und warum?“, überlegt Robert laut. „Waren Sie schon im Krankenhaus und haben mit ihm gesprochen?“

„Ja, natürlich. Er konnte nur sagen, dass zwei Männer ins Büro gestürmt sind und ihn niedergeschlagen haben. Es ging alles zu schnell. Er vermutet aber, dass es Schläger dieser Sekte waren. Zwei Tage vorher hatte er einen Riesenkrach mit seiner Tochter und ihr ganz energisch verboten, sich weiter in diesen Kreisen herumzutreiben.“ Herr Werner streicht sich über das graue Haar. „Übrigens, euer Direktor ist schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Seine Verletzung war nicht so schlimm. Jetzt hat er aber Angst, dass die Sektentypen ihm wieder an den Kragen wollen. Anscheinend ist ihnen Rauschgift verloren gegangen und sie vermuten, dass diese Svenja es geklaut hat.“

„Was ist das denn für eine Sekte?“, erkundigt sich Robert.

Werner zuckt die Achseln. „In der Altstadt haben sie ein Haus gemietet, bei der Zitadelle. Sind aber bisher kaum aufgefallen.“ Er blättert wieder in seinem Notizbuch. „Sie dürften schon weit über hundert Mitglieder haben. Aber das ist ja nicht strafbar.“

Robert kommt ein Gedanke. „Wieso hatte der Hausmeister eigentlich einen verbundenen Kopf? War er auch bei dem Überfall auf den Direktor dabei?“

Ärgerlich lacht der Hauptkommissar auf. „Er hat versucht, die Burschen aufzuhalten! Aber sie haben ihn einfach niedergeschlagen und sind verschwunden. Im Büro des Direktors waren alle Schränke aufgebrochen, aber es hat nichts gefehlt. Alles spricht dafür, dass die beiden etwas gesucht haben. Drum ist auch klar, dass euer Direktor Angst hat, dass sie wieder zu ihm kommen werden.“

Robert nickt. „Herr Werner ... gestern wurde doch ein Geldtransporter überfallen und ausgeraubt, richtig?“, wechselt er das Thema.

Der Hauptkommissar zuckt leicht zusammen. „Woher weißt du denn davon? Das habe ich doch gerade erst auf den Tisch bekommen?“

Robert geht nicht auf die Frage ein. „Aus dem Wagen wurden vier Geldkassetten geraubt“, fährt er fort und hofft, dass der Hauptkommissar sich an sein Versprechen hält, nicht nachzubohren. „Diese Kassetten sind jetzt im Keller von unserem Hochhaus.“

Für eine Weile ist es still im Wagen. Dann startet Werner den Motor. Seine Hände umklammern das Lenkrad so fest, dass die Knöchel weiß durch die Haut scheinen.

„Okay, Robert, ich habe dir versprochen, nicht nachzufragen, woher du deine Infos hast. Also reden wir nicht mehr drüber“, presst er schließlich mühsam beherrscht hervor. „Kannst du mir den Keller zeigen?“

„Kein Problem, fahren wir gleich hin!“, gibt Robert erleichtert zurück.

Das Hochhaus hat eine zentrale Schließanlage, jedes Schloss zu den Gemeinschaftsräumen lässt sich mit demselben Schlüssel öffnen. Jetzt um die Mittagszeit sind die meisten Bewohner noch bei der Arbeit. So kann sich Robert ungesehen mit dem Hauptkommissar in den Kellergängen bewegen. Er führt Werner zu dem blickdicht verkleideten Keller im zweiten Tiefgeschoss.

„Da hinein haben die Burschen die vier Metallkisten aus dem Geldtransporter geschleppt.“

„Uff!“ Werner atmet hörbar aus und fährt sich über die Stirn. „Okay. Als Erstes muss ich wissen, wem dieser Keller gehört. Also werde ich mich sofort an die Hausverwaltung wenden.“ Er schaut Robert ernst an. „Sobald ich Näheres über den Besitzer dieses Kellers weiß, werde ich mit Kollegen herkommen und mir Zutritt verschaffen. Das kann ich tun, wenn ich davon überzeugt bin, dass du glaubwürdig bist – und das bin ich einfach aus meinen Erfahrungen mit dir! –, und wenn Gefahr im Verzug ist. So heißt das bei uns im Fachchinesisch“, setzt er schmunzelnd hinzu. „In so einem Fall brauche ich nicht unbedingt einen Durchsuchungsbefehl.“

„Gehen wir doch jetzt gleich in den siebten Stock zu Herrn Bertram, unserem Hausmeister!“, schlägt Robert vor. „Der kann Ihnen sicher auch sagen, wem der Keller gehört.“

„Zu Befehl!“, witzelt Werner und schlägt scherzhaft die Hacken zusammen. „Junge, Junge, was würde ich bloß ohne dich machen?“

Rasch fahren sie ins siebte Stockwerk hoch und klingeln an der Hausmeisterwohnung. Sie haben Glück, Herr Bertram ist zu Hause. Nachdem der Hauptkommissar sich ausgewiesen hat, lässt er die beiden herein und erzählt bereitwillig, was es mit der Kellernummerierung auf sich hat: Die Nummer 85 bedeutet, dass der Keller zur Wohnung Nummer fünf im achten Stock gehört. Dort wohnt seit etwa einem Jahr ein gewisser Cemal Gulay, zusammen mit seinem Bruder. Er ist bisher kaum aufgefallen, man sieht ihn selten im Haus. Wovon Gulay lebt, will der Hauptkommissar wissen.

„Keine Ahnung.“ Bertram zuckt die Achseln. „Wissen Sie, in so einem Hochhaus leben die meisten Mieter ziemlich anonym. Oft wohnen Leute jahrelang in einer Etage und kennen nicht einmal ihre nächsten Nachbarn.“ Wenig später sitzt Robert allein in seinem Zimmer im elften Stock und brütet angestrengt über den Hausaufgaben. Die Wetterhexe hat wieder mal voll zugeschlagen. Eine Bildbeschreibung sollen sie machen, auf Englisch natürlich, zum „Schneesturm auf dem Meer“, einem Ölgemälde ihres Lieblingsmalers William Turner. Nichts gegen Turner, der Mann war bestimmt gut, denkt Robert, aber dieses Bild zu beschreiben ist schwerer, als einen Mord aufzuklären! Auf den ersten Blick ist da gar nichts zu sehen, außer ein paar Farbklecksen. Kein Meer, kein Himmel, alles ist vermischt. Zu Turners Lebzeiten, im achtzehnten Jahrhundert, war es bestimmt mutig, so etwas ernsthaft zu malen ...

Je länger Robert das Bild anschaut, desto besser gefällt es ihm eigentlich und desto mehr sagt es ihm auch. Turner hatte den Ruf, die lichtdurchflutete Landschaft als Vision zu sehen, so hat die Wetterhexe geschwärmt. Er war ebenfalls ein Meister der Aquarelle. Da lässt es sich schon eher nachvollziehen, dass sich Farben vermischen und ineinander überlaufen. Langsam kommt Robert in Fahrt. Das Ganze auf Englisch zu schreiben fällt ihm nicht schwer, was er auf seine Spezialmethode zurückführt: jeden Tag zwei neue Englischvokabel dazuzulernen. Sehr einfach und sehr wirkungsvoll. So hat er sich mit der Zeit einen hübschen Wortschatz angeeignet, und das, ohne sich groß anstrengen zu müssen. Erledigt! Robert räumt erleichtert seinen Schreibtisch auf und plant sein weiteres Vorgehen. Erst will er noch mal runter in den Keller und sich davon überzeugen, dass die Geldkisten wirklich dort gelagert sind. Wäre ganz schön peinlich, wenn der Hauptkommissar mit großem Personaltrupp in voller Montur angerückt käme und dann einen leeren Keller vorfände! Dann muss er noch mit seinen beiden Freunden besprechen, wie sie mit diesen Rowdies in der Schule weiter vorgehen wollen. Es wäre auch bestimmt nicht verkehrt, sich einmal näher mit der Sekte zu befassen, in der diese Svenja Mitglied war oder ist. Aber dazu müsste er erst in die Innenstadt kommen ...

Noch ganz in seine Planung versunken, fährt Robert mit dem Fahrstuhl ins zweite Kellergeschoss hinunter. Unten überzeugt er sich vorsichtig davon, dass niemand sonst in der Nähe ist. Erst dann geht er zum Keller mit der Nummer fünfundachtzig weiter. Leise flüstert er: „pierce“ Was für ein Genuss, endlich mal wieder durch eine verschlossene Tür zu gleiten! Echt eine Superfähigkeit, die er da vor einigen Monaten vom Amulett bekommen hat. Seither gibt es für ihn keine verschlossenen Türen mehr! Ohne den geringsten Widerstand kann er durch jede noch so massive Tür gehen, wie durch ein Hologramm.

Schon steht er im Kellerabteil. Es ist nicht ganz finster. Obwohl alle Öffnungen zum Gang hin abgedichtet sind, dringt diffuses Licht durch die Ritzen herein, das den Raum schwach erhellt. Robert sieht an der Wand eine Lampe unter starkem Glas. Also muss hier auch irgendwo ein Lichtschalter sein. Er folgt mit den Augen der Leitung und findet den Schalter auch prompt.

Zwischen den Stellagen links und rechts führt ein schmaler, kurzer Gang nach hinten an die Rückwand. Und da stehen die vier Metallkästen schön säuberlich übereinander geschichtet! Sie sehen aus wie kleine, transportable Geldschränke. Fest in die Behälter eingefügt sind Schlösser, die einen massiven Eindruck machen. Robert kombiniert blitzschnell: Offensichtlich ist es den beiden Dieben noch nicht gelungen, die Behälter zu öffnen. Jetzt werden sie überlegen, wie sie das bewerkstelligen könnten, ohne dass die Geldscheine Schaden erleiden. Robert hat genug gesehen. Rasch löscht er wieder das Licht und gleitet mit „pierce“ aus dem abgedunkelten Kellerabteil in den hell beleuchteten Gang hinaus. Kaum hat er kurz sein Amulett gerieben, raschelt es auch schon hinter den Holzleisten und Alban und Arix kommen hervor.

„Na, Robert, alles paletti?“, fragt Alban, während Arix sich mit beiden Vorderpfoten heftig die Schnauze reibt.

„Ja. Dank eurer Hilfe kann die Polizei morgen die Beute kassieren.“ Robert geht in die Hocke, um den beiden näher zu sein. „Jetzt hab ich noch eine Bitte: Könnt ihr wieder eure Freunde mobilisieren? Wenn ganz viele von euch zusammen sind, könntet ihr dafür sorgen, dass die Geldkästen nicht in der Zwischenzeit von hier weggebracht werden. Ich schätze nämlich, dass die zwei Typen genau das in der Nacht versuchen werden.“

Erfreut bewegen die beiden Ratten ihre kleinen Ohren. „Klar, Robert, du kannst dich auf uns verlassen. Wofür hat man schließlich Freunde?“ Damit verschwinden so geräuschlos, wie sie gekommen sind. Beschwingt fährt Robert wieder in die Wohnung hoch. In seinem Zimmer blinkt ihm der Anrufbeantworter entgegen.

„Robert, kannst du mich zurückrufen? Danke.“ Das ist typisch Hauptkommissar Werner: kurz und bündig, kein Wort zu viel!

Der zweite Anrufer ist Chris. Auch er will zurückgerufen werden. Aber schön der Reihe nach.

„Hallo, Herr Werner, ich sollte Sie anrufen!“

„Hallo Robert, vielen Dank für deinen Rückruf. Morgen Vormittag wollen wir den Keller öffnen und dann diesen Cemal Gulay aus dem achten Stock festnehmen. Er hat auch den Geldtransporter gefahren. Wir haben mittlerweile ein Foto dieses Mannes. Meine Bitte an dich ist nur, dass du dich aus der Sache raushältst. Ich will nicht, dass dir etwas geschieht.“

Robert spürt ernste Sorge aus Werners Worten. Ob er dem Hauptkommissar von seiner Befürchtung erzählen soll, dass die Gangster ihre Beute heimlich über Nacht in Sicherheit bringen könnten?

„Wir wollen vermeiden, dass der Mann uns entkommt“, unterbricht Werner seine Gedanken. „Noch heute schicke ich einen neutralen Wagen zu euch. Die beiden Beamten werden nur das Haus über Nacht unauffällig beobachten. Ich informiere dich morgen nach der Schule über unsere Aktion!“ Robert ist erleichtert. Jetzt kann er sich gut raushalten, alle wichtigen Maßnahmen sind eingeleitet!

Der zweite Anruf ist dran. Kaum hat er Chriss Nummer gewählt, wird auch schon der Hörer abgehoben, Chris ist selbst am Apparat.

„Hallo Robert, können wir uns so schnell wie möglich treffen?, fragt er aufgedreht. „Tim ist auch da.“

„Na klar, kommt zu mir hoch. Mit den Hausaufgaben bin ich schon fertig.“

„Echt? Hast du schon die Bildbeschreibung für die Wetterhexe gemacht? Die Tante spinnt doch! In diesem ‚Schneesturm’ kann keine Sau was erkennen!“

„Jetzt kommt erst mal hoch“, sagt Robert. „Dann können wir ja noch drüber reden.“

„Was hast du denn da für einen Kanister?“, fragt Robert überrascht, als Chris und Tim bald darauf in die Wohnung stürmen. „Es stinkt ja alles nach Benzin! Komm, gib her, ich stell ihn auf den Balkon.“ Chris hebt abwehrend die Hände. „Sei bloß vorsichtig wegen der Fingerabdrücke!“ Als er Roberts fragenden Blick sieht, setzt er nach: „Wart’s ab, Robert, ist ’ne heiße Story!“

Kopfschüttelnd öffnet Robert die Balkontür, Tim stellt den Kanister draußen ab und geht ins Bad, um sich die Hände zu waschen.

„Los, haut euch hin und erzählt!“, drängt Robert ungeduldig, als sie endlich in seinem Zimmer sind. „Tja, also ...“ Chris räuspert sich bedächtig. „Wir haben uns viel zu lange in der Schule aufgehalten und ganz vergessen, dass wir noch diese blöde Bildbeschreibung machen müssen. Aber dafür waren wir mit „stone“ erfolgreich. Sehr erfolgreich sogar!“ Er macht eine Kunstpause.

„Na los, erzählt schon!“ Robert ärgert sich, dass sie ihn so zappeln lassen. Sonst ist er immer derjenige, der die Informationen hat! Klar, dass seine Freude es jetzt auch einmal genießen, in der Übermittlerrolle zu sein. Diesmal sitzt Tim am Schreibtisch. Er nimmt seine Brille ab und putzt sie umständlich. „Nachdem du weg warst, sind wir wieder zurückgegangen und haben uns im ersten Stock auf die Lauer gelegt“, erzählt er wie nebenbei. „Irgendwann ... also so nach einer halben Stunde ungefähr ging unten das Tor auf und wir konnten von oben sehen, wie zwei Fremde reingekommen sind. Sie haben sich hochgeschlichen, an unserer Klasse vorbei und weiter nach hinten zum Direktionsbüro ...“

„Geschlichen?“, unterbricht Robert alarmiert.

„Exakt“, bestätigt Chris. „Drum sind sie uns sofort aufgefallen. Ständig haben sie ihre Köpfe nach allen Seiten gedreht. Für uns war klar, dass das keine Schüler waren. Beide hatten Jeans und auffallend bunte Hemden an.“ Tim ist aufgestanden, zieht den Kopf ein und ahmt das vorsichtige Schleichen der beiden nach. Robert und Chris müssen lachen. Es sieht zum Piepen aus, wie der lange Lulatsch da durchs Zimmer schleicht!

„Der Größere hätte mit seinem Kinnbart jeder Ziege Konkurrenz machen können. Das war gar kein Bart, nur ein paar dünne Fäden“, grinst Chris. „Und unter den Arm hatte er eine schwarze Ledertasche geklemmt!“ Tim lässt sich wieder am Schreibtisch nieder. „Wir sind den beiden natürlich unbemerkt gefolgt“, erklärt er.

„Als wir an der Ecke waren, du weißt schon, kurz vor Gerlachs Büro, haben wir gesehen, wie der Lange seine Tasche geöffnet hat“, erzählt Chris weiter. „Stell dir vor, der Typ nimmt zwei schwarze Stoffmasken heraus, die ziehen sich die beiden über den Kopf. Dann reißen sie die Tür zum Büro auf und stürmen rein.“

„Wow!“ Robert ist beeindruckt. „Und ihr? Was habt ihr gemacht?“

„Natürlich hinterher!“, sagt Tim stolz. „Als wir ins Büro kamen, hat gerade einer der Gangster die Niemann mit einem Messer bedroht, der andere ging weiter in Gerlachs Büro. Dort hat er einen kleinen Kanister aus seiner Ledertasche geholt und angefangen, den Verschluss zu öffnen. Ich kann dir sagen, das stank sofort widerlich nach Benzin!“

„Die Niemann hat bleich wie eine Wachsfigur in ihrem Sessel gehangen!“, ergänzt Chris.

Prompt lässt sich Tim auf dem Schreibtischsessel zusammensinken, dass seine langen Arme fast bis zum Teppichboden baumeln, reißt die Augen weit auf und mimt das bedrohte Opfer.

„Sie war vor Schreck völlig fertig. Hat sich wohl schon aufgeschlitzt am Boden liegen sehen!“ Robert kann es kaum fassen. Da haben die beiden einen megaspannenden Krimi erlebt, und er war nicht dabei! „Und weiter?“

„Die zwei Typen haben sich blitzschnell zu uns umgedreht, als sie gehört haben, dass die Tür aufgeht“, fährt Chris fort. „Der eine Typ setzt der Niemann das Messer an den Hals, der andere faucht uns aus Gerlachs Büro heraus an: „Ihr zwei kommt sofort herein und stellt euch dort in die Ecke.“ Er wollte auf uns zukommen, da hab ich ganz leise und schnell „stone“ gesagt. Fast nur gedacht, nicht gesagt“, verbessert er sich rasch.

„Der Komiker ist voll hingedonnert“, kichert Tim und springt wieder auf. „Der hebt seinen Fuß zum ersten Schritt – so, und dann: Paff!“ Er lässt sich in voller Länge auf den weichen Teppichboden fallen. Alle lachen. Robert kann sich die Szene nur zu gut vorstellen. Der schlaksige Tim hat echt das Zeug zum Schauspieler!

„Dabei ist ihm das Benzin aus dem kleinen Kanister voll über die Jeans gelaufen“, gluckst Tim und sucht im Aufstehen seine Brille, die ihm von der Nase gefallen ist.

„Der Typ mit dem Messer hat die Niemann sausen lassen und wollte auch auf uns zustürmen“, grinst Chris. „Das war Tims Auftritt. Also, ich hab kein „stone“ gehört, nicht mal ein Flüstern! Aber plötzlich fällt der Typ in diesem engen Büro ganz komisch über seinen Kumpel und verletzt sich dabei mit seinem eigenen Messer!“ Tim hat seine Brille gefunden und setzt sie erleichtert wieder auf. „Die waren bedient, kann ich dir sagen! Haben sich nur noch aufgerappelt und verdrückt.“

„Die hatten es so eilig, dass sie ihren Benzinkanister liegen gelassen haben“, sagt Chris. „Den kannst du jetzt mit freundlichen Grüßen an die Polizei weitergeben.“

„Wahnsinn“, sagt Robert anerkennend und hält die rechte Hand hoch, um mit den beiden abzuschlagen. „Ihr seid echte Profis!“

Tim und Chris schlagen mit Siegermiene erst bei Robert ab, dann untereinander.

„Tja, nur die Niemann ...“, druckst Tim plötzlich und kratzt sich über das kurz geschorene Haar.

„Was ist mit ihr? Steht sie noch unter Schock?“, fragt Robert sofort.

„Nein, nein, das ist es nicht. Sie war natürlich voll happy, dass wir gekommen sind, und sie hat sich auch schnell wieder von dem Schock erholt. Aber sie kam nicht drüber weg, dass die beiden so plötzlich hinfallen konnten, wo doch gar kein Hindernis da war. Hoffentlich plaudert sie jetzt nicht gegenüber der Polizei, und wir sind unser schönes „stone“ los!“

Robert winkt ab. „Selbst wenn sie was sagt – bei der Polizei kommt doch niemand auf die Idee, dass ein Zauberwort hinter dem Stolpern der beiden Gangster stecken könnte! Ihr sagt ja, es hat ja keiner im Raum das Wort gehört.“ Chris und Tim nicken heftig.

„Dieses „stone“ ist echt stark“, sagt Chris. „Aber trotzdem ... Es war das erste Mal, dass einer so direkt auf uns losging. Immerhin hatte diese Pappnase ein Messer in der Hand. Da kann man auch mit „stone“ ganz schön weiche Knie kriegen.“

Robert grinst. „Das war bei mir am Anfang auch so“, sagt er und ist auf einmal richtig froh, dass er nicht mehr allein mit dem Geheimnis des Amuletts ist. Im Team mit Tim und Chris macht das Ganze viel mehr Spaß, und zu dritt kann man auch mehr bewegen als allein.

„Den Kanister gebe ich an den Hauptkommissar weiter, der wird alles Weitere veranlassen“, beschließt er und springt auf. „Und euch gebe ich jetzt ’ne Runde Cola aus.“

„Wie wär’s mit ’ner Runde William Turner dazu?“, lacht Tim und verdreht gleichzeitig die Augen. „Ich hab zwar absolut keinen Bock auf ‚Schneesturm am Meer’, aber wenn wir morgen ohne Hausaufgabe in Englisch hocken, veranstaltet die Wetterhexe Schneesturm nebst Donnerwetter in der Klasse!“ „Da kannst du aber Gift drauf nehmen“, bestätigt Chris überzeugt. Robert bringt die Cola, und dann gehen sie gemeinsam an die Bildbeschreibung. Sie hätten nie gedacht, dass sie so viel Spaß dabei haben würden! Und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es gefällt Robert noch um einiges besser als das, was er zuvor allein verzapft hat. Teamarbeit hat wirklich was! Robert begleitet seine Freunde noch mit dem Fahrstuhl bis ins Erdgeschoss. Kaum sind sie aus dem Blickfeld, läuft er die eine Etage in den Keller hinunter und berührt kurz das Amulett. Schon sitzen Alban und Arix vor ihm.

„Hi Robert, wir sind bereit! Willst du mal sehen, was wir gemacht haben?“

„Logo!“ Robert hebt die beiden hoch und geht mit ihnen eine Etage tiefer. Kaum hat er das Licht angedreht und Alban und Arix abgesetzt, drängen aus allen Öffnungen Ratten hervor. Es müssen Hunderte sein! Robert hätte nie gedacht, dass in einem Haus so viele Ratten leben können. „Wir haben die ganze Nachbarschaft mobilisiert“, piepsen Alban und Arix, als hätten sie seine Gedanken gelesen. „War kein Problem – alle haben sich gefreut, dass sie dir helfen können!“ Für Augenblicke ist Robert sprachlos. Um ihn herum ist plötzlich eine große Schar Ratten, und noch immer kommen neue dazu. Sie wieseln so dicht an ihn heran, dass Alban und Arix abgedrängt werden. Robert blickt in ein Meer von kleinen Köpfen mit lustig funkelnden schwarzen Augen. Alle piepsen wild durcheinander. Es ist absolut nichts zu verstehen. Robert hebt beide Arme. Da wird es schlagartig still.

„Ich freu mich wahnsinnig, dass ihr alle da seid und mir helfen wollt!“, beginnt er. „Und ich bin riesig stolz, dass ihr meine Freunde seid ...“

Ein durchdringend schriller Laut unterbricht ihn. Alle Ratten huschen blitzschnell weg. Nur Alban und Arix sind zurückgeblieben. Doch sie wirken plötzlich wie elektrisiert.

„Achtung Robert, gleich geht’s los! Wir haben eben das Signal bekommen, dass zwei Männer herunterkommen. Du kannst zuschauen, was wir machen, aber sei uns nicht im Weg!“

Robert hat verstanden. Sofort läuft er einige Schritte zurück und biegt in einen Seitengang ein, der vom Keller mit der Nummer 85 wegführt. Er löscht das Licht und wartet. Es dauert keine Minute, da geht das Licht schon wieder an und er hört Schritte, die rasch näher kommen.

Robert macht sich mit „invisible“ unsichtbar und schaut vorsichtig um die Ecke. Zwei Männer gehen direkt auf Keller 85 zu. Das muss dieser Cemal Gulay mit seinem Bruder sein! Aber im Haus hat Robert die beiden bisher noch nie gesehen. Er prägt sich die beiden Gestalten gut ein: mittelgroß, schwarzhaarig, schlank. Beide tragen blaue Jeanshemden und Jeans, beide haben den gleichen kleinen Höcker am Nasenrücken. Unverkennbar, dass sie Brüder sind. Aber die dunklen Augen in ihren schmalen Gesichtern findet Robert irgendwie merkwürdig. Sie wirken stumpf, fast leblos. Die beiden sind bei ihrem Keller angekommen. Sie wollen eben den Schlüssel ins Schloss stecken, als es losgeht: Aus allen Öffnungen drängen die Ratten herbei, sogar von oben nach unten kommen sie gehuscht. Dabei geben sie plötzlich ein schrilles Kreischen von sich, mit dem selbst Tote geweckt werden könnten. Die Brüder Gulay stehen eine Weile wie erstarrt da. Dann geht ein Ruck durch sie, als würden sie aus einem tiefen Schlaf erwachen. Sie schauen entsetzt um sich, machen blitzschnell kehrt und laufen den Weg zurück zum Kellerausgang. Sie nehmen sich nicht einmal mehr die Zeit, das Licht zu löschen. Die schwere Tür fällt mit lautem Knall hinter ihnen zu. Jetzt sieht Robert auch, wie perfekt seine Ratten alles berechnet haben: Nur der Weg zurück war für die beiden Gangster frei, keine einzige Ratte stand ihnen im Weg. Clever! Robert macht sich mit „invisible“ wieder sichtbar und wartet, bis die Ratten sich allmählich wieder beruhigen. Alle blicken erwartungsvoll zu ihm auf. „Ganz großes Kompliment, Freunde, das habt ihr echt riesig gemacht!“, sagt er stolz. „Eine Supertaktik: Ihr habt euch nur sehen lassen, das alleine schon hat seinen Zweck erfüllt!“ „Du kannst jetzt beruhigt nach oben gehen“, piepst Alban, der sich endlich nach vorn zu Robert durcharbeiten konnte. „Die beiden haben bestimmt die Hosen gestrichen voll und werden heute nicht mehr runterkommen.“

Robert folgt Albans Rat, aber beruhigt ist er nicht. Irgendetwas stimmt da nicht bei den beiden Brüdern! Warum haben sie so unnatürlich gewirkt, als ob sie gerade erst aufgewacht wären? Ob er mal mit dem Hauptkommissar über das seltsame Verhalten der beiden reden sollte?

Robert im Bann des Lapislazuli

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