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Kapitel 8

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Wir hatten noch über drei Stunden Zeit und beschlossen, gemeinsam etwas essen zu gehen. Es standen Hamburger zur Auswahl oder karibische Delikatessen. Natürlich wählte meine neue Bekannte die karibischen Delikatessen. Sie bestellte gegrillten Flying Fish, ich nahm Schwarzbauchlamm mit gebratenem Maniok. Dazu nahmen wir beide einen Caipirinha. Inzwischen hatte ich auch ihren Namen erfahren: Rana. Aber ich hatte noch nicht gefragt, was genau sie in Copa Caba tun wollte. Sie hatte mich auch noch nicht gefragt, womit ich mein Geld verdiente. Das gefiel mir. Diese Frage war mir immer peinlich, dabei hätte ich doch einfach sagen können: Unternehmer. Oder Geschäftsinhaber. Aber das klang so angeberisch.

„So, Rana, was ist das für ein Name?“

„Hey, das war ein Rekord. Immerhin 40 Minuten, bis die Frage kam. Die meisten Leute warten nicht so lange.“

„Ach so, na ja, ist auch egal, musst du mir nicht erzählen.“

„Nein, ich habe kein Problem damit. Ist ein arabischer Name, bedeutet Die Liebliche, Schöne.“

„Aha, dann passt’s ja.“

„Und, weitere Fragen?“

„Ne, ne, keine weiteren Fragen.“

„Ich erzähl’s dir trotzdem, du willst es ja wissen. Vater Deutscher, Mutter aus Syrien. Okay?“

„Erzählst du mir alles, was ich wissen will? Dann hätte ich doch noch ein paar Fragen: Geburtsjahr, Ausbildung, Beruf, Notendurchschnitt, Geschwister, Familienstand, Anzahl der Beziehungen, Hobbys, Krankheiten. Und was sonst noch wichtig ist.“

„Schön, aber das erzähl ich dann erst im Flugzeug, dann vergeht die Zeit schneller.“

Dazu kam es dann aber nicht, denn das kleine Propellerflugzeug bewegte sich in der Luft wie eine betrunkene Möwe: hoch und runter, stotternd, schaukelnd und spuckend. Es dauerte nicht lange, da spuckte ich auch. Ich klammerte mich mit der einen Hand an meine Armlehne, mit der anderen musste ich die Kotztüte festhalten. Bei einer besonders heftigen Ruckelbewegung beschloss ich, dass ich, sollte ich wider Erwarten in Copa Caba landen, auf jeden Fall das Angebot der Klinik annehmen würde, nur damit ich nie wieder in ein Flugzeug steigen musste.

Der Gedanke, dass dies mein letzter Flug sein würde, tröstete mich ein wenig. Nach einiger Zeit hatte der Pilot sein Gefährt auch wieder besser im Griff und ich klebte die Tüte zu und stellte sie auf den Boden. Glücklicherweise hatte ich eine Flasche Wasser gekauft, die die barbadischen Sicherheitsbeamten nicht konfisziert hatten. Es schmeckte merkwürdig süß, aber das hatte wohl eher mit dem schlechten Geschmack in meinem Mund zu tun.

Rana sah mich mitleidig an und bot mir einen Zwieback an.

„Das ist ein Grund, mich sofort in dich zu verlieben!“ dachte ich, sagte es aber nicht. Stattdessen fragte ich nur: „Was ist denn sonst noch in deiner Tasche, Mary Poppins?“

Sie lächelte: „Notfallration, falls wir irgendwo bruchlanden müssen, ein aufblasbares Boot, Ein-Mann-Zelt, Regencape, Stricke, Harpune, Schokolade, ein paar Bücher, Walkie-Talkies, alles was man halt so braucht.“

„Gut, dann weiß ich ja, an wen ich mich halten muss. In welchem Hotel wohnst du eigentlich? Oder kennst du jemanden auf Copa Caba?“

„Nein, ich kenne niemanden da. Es gibt da so ein Hotel, das heißt das Verlorene Paradies. Und du, wo wohnst du?“

Ich war wie erstarrt. „Meinst du The Lost Paradise? Wieso das denn?”

“Willst du da auch hin? Wieso denn du? Du machst doch einen ganz fröhlichen Eindruck?“

„Ja, täusch dich da nicht! Aber du, jemanden wie dich hätte ich da jetzt nicht erwartet.“

Wir schienen uns beide gegenseitig geschockt zu haben und saßen still da. Ich dachte daran, dass ich irgendwo gelesen hatte, dass Menschen, die einen Suizid planen, durch den eigentlichen Plan zu neuer Gelassenheit und Ruhe finden, so dass die Umstehenden denken, jetzt ist die schlimme Phase vorbei, es geht wieder aufwärts. Und dann Wumm, und das war’s.

Aber warum sollte Rana sich umbringen wollen? Litt sie vielleicht an einer unheilbaren Krankheit? Oder war sie manisch-depressiv und ich erlebte sie gerade in der manischen Phase? Und was dachte sie jetzt über mich? Ich hatte mich bemüht, einen coolen Eindruck zu machen, der war ja jetzt wohl weg.

Bis zur Landung sagten wir nichts mehr, was aber auch damit zu tun hatte, dass ich jetzt auch noch ihre Kotztüte in Anspruch nehmen musste. Als das Flugzeug endlich gelandet und ausgerollt war, goss ich mir das restliche Wasser aus meiner Flasche über den Kopf. Das war erfrischend. Als die Flugzeugtür aufging, kam wundervolle, frische, kräftige Abendluft herein, die nach tropischen Verlockungen roch.

Rana neben mir strahlte, und ich tat es wahrscheinlich auch, so dass ich mich sehr wunderte, als jemand auf dem Rollfeld mit einem Schild, auf dem „The Lost Paradise“ stand, direkt auf uns zukam. Wir sahen doch unmöglich wie Selbstmörder aus? Zwei weitere Passagiere, US-Amerikaner, schlossen sich uns an und wir stiegen gemeinsam in den wartenden Jeep. Der Fahrer hieß uns in portugiesisch gefärbtem Englisch herzlich willkommen, verstaute noch unsere Koffer hinter der Ladeklappe, stieg ein, und brauste los.

Das Rollfeld ging in eine Straße über, die um das kleine Flughafengebäude herumführte, und bog dann schon sehr bald in einen Wald ab. Oder vielleicht war das einfach die übliche Vegetation auf der Insel: links und rechts standen exotische Bäume, aus denen uns der karibische Abend grüßte. Der Jeep war rundherum offen, und so war es auch egal, dass ich der einzige war, der keinen Fensterplatz erwischt hatte. Keiner im Wagen sprach, wir genossen alle den Fahrtwind, in dem sich schwüle, tropische Luft mit frischem Meeraroma vermischte. Zu hören war außer dem Motorengeräusch nichts, aber ich bildete mir ein, Affengekreische aus dem Wald zu hören, das hätte gut gepasst. Ich schaute verstohlen zu Rana rüber, die links neben mir saß. Sie hatte ihre Reisetasche zwischen die Knie geklemmt, hielt sich mit den Händen am Jeeprahmen fest und strahlte. Ihre kurzen, schwarzen Haare bogen sich im Wind, meine, die etwas länger waren, flatterten. Wenn uns ein Wagen entgegenkam, grüßte der Fahrer, wahrscheinlich kannte hier jeder jeden. Rechts neben mir und vorne im Beifahrersitz saßen die zwei US-Amerikaner, beide Ende 30, schätzungsweise, leger, aber teuer angezogen. Entgegen dem Klischee, was man so von Amerikanern hat, schienen sie nicht sehr gesprächig. Aber es waren ja auch lebensmüde Amerikaner, so gesehen machte es ja Sinn. Obwohl, jetzt schien der, der vorne saß, aufzutauen. Er fragte den Fahrer, ob wir noch an irgendeinem Geschäft vorbeikommen würden, ehe wir in der Klinik (er sagte wirklich „clinic“) ankommen würden. Nein, war die Antwort, nur eine kleine Strandbar. Oh, jetzt wachte auch der Ami rechts neben mir auf. Da könnte man doch noch schnell anhalten, oder? „Would you mind?“ wandte er sich jetzt an uns. Eine Strandbar, das hörte sich doch toll an, warum sollte ich was dagegen haben. Aber leider hatte der Fahrer was dagegen. Sorry, das dürfe er nicht. Sein Auftrag sei, direkt zum Hotel zu fahren. Aber das liege ja auch am Meer, und wir wären auch bald da. Die Amis verfielen wieder in ihre stumme Traurigkeit und zehn Minuten später kamen wir auch wirklich an. Von der Straße bog ein kleiner Weg ab, der laut Wegweiser zum Verlorenen Paradies führte.



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