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Seit Sonnenaufgang zog die Menge um den Schwarzen Dom. Schweigend zunächst. Von Runde zu Runde aber munterer und geschwätziger. Je häufiger sie in großen Gruppen an den Fässern Halt machten, die vor Nord- und Südportal aufgestellt waren, desto aufgekratzter wurde die Stimmung. Dort schenkten je zwei Byrölsch-Meister das begehrte Getränk aus. Nur während des monatlichen Faste’lear wurde Byrölsch nicht rationiert. Jeder konnte trinken, soviel er wollte.

Als dann schließlich die Trommler vor dem Südportal Aufstellung nahmen und ihre Schlegel wirbeln ließen, gab es kein Halten mehr: Die Menge brach in Jubelgeschrei aus, die ersten begannen zu tanzen. Vorwiegend Frauen und Jugendliche.

Die Seitentüren rechts und links des Hauptportals öffneten sich, die vierundzwanzig Räte der Bruderschaft verließen den großen Dom. Je zwölf durch jede Tür. In hellgraue Kapuzenmäntel gehüllte Gestalten. Die Menge applaudierte. Einige holten kleine Hörner und Flöten aus ihren bunten Gewändern und bliesen hinein.

Während die Räte links und rechts des Portals Aufstellung nahmen, zogen die letzten Kuttenträger die beiden Flügel des mittleren Portals auf – der Kaadinarrel trat auf die Vortreppe, die beiden Suprapas flankierten ihn. Die Menge brach in Hochrufe aus, Gestalten in farbigen Schuppenanzügen schlugen Purzelbäume, Frauen mit weißen Masken und in blauroten, wehenden Gewändern drehten sich im Kreis, die Trommler bearbeiteten ihre Trommeln wie in Trance, und die Hornbläser stimmten einen Tusch an.

Ein paar Leute begannen zu singen. „Jakobo, er lebe hoch! Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!“ Die Trommeln änderten den Rhythmus, die Hörner bliesen die einfache Melodie, mehr und mehr Menschen fielen ein, und der Gesang steigerte sich zu einer ekstatischen Hymne.

„Ewig lebe Jakobo!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Byrölsch, Byrölsch macht uns froh!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Für Euch, Ihr Drei, sind wir bereit!

Faste’lear in Ewigkeit!“

Kaadinarrel Jakobo der Dreiundzwanzigste hob wie segnend beide Arme. Seine schwere, schwarze Samtkutte fiel auseinander und gab den Blick auf sein violettes Kleid frei. Das Wappen der Bruderschaft zierte seine Brust – der Doppelturm des Schwarzen Dom, zwischen ihnen das Lebenslicht, und darüber drei gelbe Kronen.

„Bürger von Coellen!“, rief er. Die Menge verstummte. „Bürger von Coellen! Der Friede Wudans sei mit euch, und der Schutz der Heiligen Drei!“

„Gut, wie gut!“, brüllten die beiden Suprapas rechts und links von ihm. Wie die Räte waren sie in hellgraue Kapuzenkutten gehüllt. Doch anders als diese trugen sie rote Kleider darunter. Der Chor der Menge antwortete: „Gut, wie gut!“

„Willkommen zum Heiligen Faste’lear!“

„Gut, wie gut!“

„Tanzt, singt, macht Spaß, trinkt Byrölsch, bis ihr platzt!“

„Gut, wie gut!“

„Feiert, bis sie lachen, die Heiligen Drei!“

„Gut, wie gut!“

„Feiert, bis wir die drei Auserwählten erkennen!“

„Gut, wie gut!“

Ein Trommelwirbel setzte ein, die Hörner bliesen einen Tusch, und während die Menge aufs Neue die Hymne anstimmte, trugen Soldaten in schwarzen Schuppenpanzern vierundzwanzig Stühle, zwei Sessel und einen Thron auf die Vortreppe.

„Ewig lebe Jakobo!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Byrölsch, Byrölsch macht uns froh!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Für Euch, Ihr Drei, sind wir bereit!

Faste’lear in Ewigkeit!“

Aus über fünfhundert Kehlen tönte die Faste’lear-Hymne. Die Menge schunkelte im Rhythmus der Trommelschläge. Die Sitze wurden in einer Reihe vor dem Südportal aufgestellt. Kaadinarrel Jakobo der Dreiundzwanzigste bestieg den schwarzen Thron, die Suprapas ließen sich rechts und links von ihm auf den beiden roten Sesseln nieder, und die Räte nahmen auf den Stühlen Platz. Zwölf links des Kaadinarrels, zwölf rechts von ihm. Die Hymne brach ab, die Hörner intonierten einen Tusch, tanzend und grölend zog die Menge erneut um den Schwarzen Dom. Die Sitzung war eröffnet. An den Fässern halfen Soldaten den Byrölsch-Meistern, die großen Tonkrüge zu füllen und in der Menge zu verteilen.

Ausgelassen tobte die Menge um die Kathedrale herum. Mehr als fünfhundert Leute. Alle Bürger Coellens, die mehr als vierzehn, und alle, die weniger als fünfzig Winter gesehen hatten. Sie waren zur Teilnahme am Heiligen Faste’lear verpflichtet. Älteren Bürgern und Kindern war es freigestellt, am höchsten Feiertag des Monats zu Hause zu bleiben.

Die Menschen trugen bunte Kostüme, viele hatten Masken vor die Gesichter gebunden – meist lachende Masken, aber auch verzerrte, gruselige Grimassen. Es gab maskierte Frauen, die nur mit einem Lendenschurz bekleidet waren, es gab Männer, die ihre nackten Oberkörper mit Ruß geschwärzt hatten. Andere, ebenfalls nackt oder halbnackt, waren mit grellen Farben beschmiert, manche hatten sich hohle Tierköpfe übergestülpt – Frekkeuscherschädel, gehörnte Wakudaschädel, Taratzenköpfe, Lupaschädel, und so weiter.

Lautes Geschrei erhob sich, als der große Kristall zwischen den Türmen des Schwarzen Doms zu leuchten begann. „Gut, wie gut! „Gut, wie gut!“, brüllte die Menge.

Und dann dröhnte plötzlich Gelächter über die Köpfe. Gelächter aus dem Inneren des Schwarzen Doms. Der Zug stockte, die Menge riss die Arme hoch. „Gut, wie gut! Gut, wie gut!“

Auf dem weiten Platz vor den Sitzen der Bruderschaft war es am deutlichsten zu hören: Tiefes, raues Gelächter, kreischendes Gekicher, und trockenes, grunzendes Lachen. Es kam aus dem glaslosen Bogenfenster über dem Südportal.

Bewegung kam wieder in die Prozession. Doch nur zögernd nahmen die Menschen den Marsch um den Schwarzen Dom wieder auf. Viele blieben bei den Byrölsch-Meistern stehen und gossen das schäumende Getränk in ihre Kehlen. Auf dem Platz vor dem Südportal sonderten sich mehr und mehr Paare, Gruppen und Einzelne von der Prozession ab. Unter den Augen Kaadinarrel Jakobos des Dreiundzwanzigsten, seiner Suprapas und Räte, und begleitet von dem schaurigen Gelächter aus dem Schwarzen Dom begannen sie mit ihren Spielen.

Drei junge Burschen in gelben, roten und blauen Fetzen schlugen Räder vor Jakobos Thron. So rasend schnell, dass die Stofffetzen wie rotierende Flammen um ihre Körper wedelten. Zwei bullige, schwarzgefärbte Männer schlugen mit blutigen Wakudahaxen aufeinander ein. Frauen stimmten ein dreistimmiges Ulklied auf die Dysdoorer an. Eine Gruppe mit Taratzenschädeln auf den Köpfen scharte sich um einen Trommler und führten einen wilden Tanz auf. Und so weiter, und so weiter.

Das Gelächter aus dem Inneren des Schwarzen Dom riss nicht mehr ab. Alle drei Stimmen lachten jetzt auf einmal.

Zwei Männer hockten neben einem kleinen Byrölsch-Fass. Abwechselnd leerten sie die immer neu gefüllten Tonkrüge. Einen nach dem anderen, immer wieder, immer wieder.

Männer und Frauen scharten sich um sie und feuerten sie an. Irgendwann brach einer der beiden zusammen. Soldaten drängten sich durch die Menge und schleppten ihn weg. Der andere wurde auf den Schultern der Zuschauer vor dem Kaadinarrel-Thron hin und her getragen.

Das Gelächter aus dem Schwarzen Dom steigerte sich. Die Kicher-Stimme überschlug sich schier. Der tiefe Bass grölte heiser und rollend.

Kaadinarrel Jakobo der Dreiundzwanzigste betrachtete das bunte Treiben auf dem Domplatz mit unbewegter Miene. Seine Augen wanderten lauernd über die enthemmte Menge. Manchmal ruhte sein Blick für Momente auf einem der Faste’lear-Coelleni, die ihre Show direkt vor seinem Thron zum Besten gaben. Hin und wieder beugte er sich nach links oder rechts, und beriet sich mit seinen Suprapas.

Immer häufiger drängten sich die Soldaten durch die Menge, um Verletzte wegzuschleppen oder Leute, die in Ohnmacht gefallen waren, oder die vor lauter Byrölsch nicht mehr stehen konnten und Gefahr liefen, von der Menge zertrampelt zu werden. Das waren meistens Mädchen und Jünglinge, die zum ersten Mal am Fest teilnahmen.

Wie immer während des monatlichen Faste’lears gab es auch Tote. Ein Mann mit einer Wukadamaske rammte einem anderen Mann das spitze Gehörn des Tierschädels in den Bauch. Ein Mann fiel einfach um und hörte auf zu atmen. Eine Frau zog plötzlich ein Messer und schlitzte ihrem Gatten die Kehle auf. Zwei junge Mädchen soffen viel zu viel Byrölsch und erstickten an ihrem Erbrochenen, und ein Bursche wurde tatsächlich totgetrampelt.

Mit kalten Augen beobachtete Jakobo, wie seine Soldaten die Toten vom Platz schleppten. Sechs Tote – das lag ein wenig über dem monatlichen Durchschnitt. Dazu die drei Auserwählten. Machte neun Bürger im Monat und hundertacht im Jahr. Aber es war zu verkraften. Jeden Frühling und jeden Herbst schickte der Kaadinarrel Expeditionen in die Wälder westlich der Stadt und in die Siedlungen entlang des Großen Flusses. Sie kehrten selten mit weniger als fünfzig Gefangenen zurück.

Zufrieden betrachtete Jakobo das entfesselte Getümmel vor seinem Thron, und zufrieden registrierte er das dröhnende Gelächter aus dem Schwarzen Dom. Die Heiligen Drei hatten ihr Vergnügen. Und darauf kam es an. Bald würde die Entscheidung fallen.

Ein Soldat in schwarzem Schuppenpanzer drängte sich durch die Menge. Auf dem Brustharnisch ein violetter Kreis, und darin das Wappen der Bruderschaft. Jakobos erster Offizier. Der Mann eilte die Vortreppe hinauf, blieb vor dem Kaadinarrel stehen und schlug die Faust gegen die Brust.

„Was gibt es?“, knurrte der Kaadinarrel.

Der Offizier trat neben ihn und stellte sich auf die Zehenspitzen. „Die Dysdoorer.“ Jakobo der Dreiundzwanzigste beugte sich zu ihm hinunter. „Sie greifen den Flussgarten an.“

„Taratzenköpfe!“, schnarrte Jakobo. „Wie viele?“

„Fast hundert Männer.“

„Haynz?“ Der Offizier nickte. „Dieser Idiot!“ Grübelnd rieb der Kaadinarrel sein Kinn. Die Dysdoorer waren eine Plage. Auch wenn sie der stark befestigten Stadt im Grunde nicht viel anhaben konnten, waren sie doch lästig. Und fast hundert … in solchen Massen traten sie selten auf. „Wie schätzt du die Lage ein?“

„Sie werden die Mauer nicht überwinden“, sagte der Offizier. „Wir können sie zurückschlagen. Aber ich brauche die waffenfähigen Männer.“ Er machte eine Kopfbewegung zu der tobenden Menge auf dem Domplatz hin.

Der Kaadinarrel überlegte. Sein Blick schweifte über die entfesselte Menge. Das Fest siedete seinem Höhepunkt entgegen. „Haynz, dieser Fettsack!“, zischte Jakobo. „Was muss er sich ausgerechnet heute prügeln?“

Jakobo traute den Dysdoorern nicht viel zu. Manchmal schossen sie ein oder zwei Häuser in Brand, meistens töteten sie drei oder vier Soldaten. Hin und wieder gelang es ihnen auch, einige Bürger zu entführen, und zwei- oder dreimal während seiner langen Regierungszeit hatten sie ein Schiff im Hafen versenkt. Aber seit dieser idiotische Haynz die Horden der Dysdoorer führte, waren sie rauflustiger geworden. Und gefährlicher als früher.

„Nimm dir zwanzig Männer mit“, sagte er zu dem Offizier. „Aber möglichst unauffällig. Das wird fürs Erste reichen. Und veranlasse, dass die Hörner und die Trommeln in Aktion treten. Und ein paar Soldaten sollen die Hymne anstimmen. Ich will nicht, dass der Kampflärm die Stimmung der Leute verdirbt. Die Heiligen Drei könnten ungehalten werden.“

Der Offizier nahm Haltung an. Die Faust über dem Herzen grüßte er und wollte abtreten. Der Kaadinarrel hielt ihn fest. „Macht soviel Gefangene wie möglich. Und wer mir Haynz’ Kopf bringt, bekommt ein Fässchen Byrölsch!“

Der Offizier nickte und lief die Vortreppe hinunter in die Menge hinein. Jakobo beobachtete, wie er ein paar junge Männer ansprach. Die Kostümierten folgten ihm.

Trommelwirbel erhob sich, die Hörner schmetterten einen Tusch nach dem anderen, maskierte und verkleidete Bürger gaben ihre Späße und Kunststücke zum Besten.

Jakobo ließ sie noch ein Weilchen gewähren. Irgendwann erhob er sich. Und mit ihm die gesamte Bruderschaft. Schlagartig verstummte die Menge. Nur das Getrommel und der Lärm der Hörner waren noch zu hören. Und im Hintergrund das Gekrächze einiger Soldaten. Sie versuchten die Hymne zu singen. Es klang zum Davonlaufen.

Kaadinarrel Jakobo der Dreiundzwanzigste versuchte das Gegröle der Soldaten zu ignorieren. „Bürger Coellens!“, rief er. „Der Segen Wudans sei mit euch, und der Schutz der Heiligen Drei!“

„Gut, wie gut!“, kam es hundertstimmig zurück.

„Ich gehe jetzt, um die Namen der Auserwählten zu erfahren!“

„Gut, wie gut!“

Der Kaadinarrel stieg vom Thron und verschwand durch das Portal im Inneren des Schwarzen Doms. Nach und nach fielen die Bürger in das Gekrächze der Soldaten ein. Die Hymne erscholl auf dem Platz vor dem Südportal.

„Ewig lebe Jakobo!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Byrölsch, Byrölsch macht uns froh …“

Zehn, zwölf Mal sang die Menge die Hymne. Immer lauter, immer fanatischer. Bald drängten sich alle auf dem Platz. Endlich trat der Kaadinarrel wieder aus dem Portal. Er bestieg seinen Thron, setzte sich aber nicht. Es wurde plötzlich sehr still.

„Kommt zu mir, ihr Auserwählten der Heiligen Drei!“ Mit ausgestrecktem Arm deutete er auf eine nur mit einem Lendenschurz bekleidete Frau. Danach auf einen Mann mit einer Frekkeuschermaske und auf einen der jungen Burschen in den bunten Schuppenanzügen.

Die Leute wichen ein paar Schritte vor den Dreien zurück. Allein standen sie schließlich in der Menge. Hunderte von Augenpaaren hingen an ihnen.

„Her zu mir, ihr Auserwählten der Heiligen Drei!“

Die beiden Männer und die Frau setzten sich in Bewegung. Der Mann mit der Frekkeuschermaske wankte. Die halbnackte Frau strauchelte, als sie die wenigen Stufen hinaufstieg. Der Junge griff nach ihrem Arm und hielt sie fest.

Jakobo der Dreiundzwanzigste wartete, bis sie vor seinem Thron standen. „Ihr werdet eingehen in das ewige Licht!“ Er deutete nach oben, wo außerhalb seines Blickfeldes der grün leuchtende Kristall zwischen den Türmen des Schwarzen Doms hing. „Als unsichtbare Soldaten der Heiligen Drei werdet ihr die Stadt vor Schaden bewahren und ihre Feinde vernichten!“

„Gut, wie gut!“, brüllte die Menge.

„Ihr Glücklichen! Ihr werdet das Angesicht Wudans schauen!“

„Gut, wie gut!“

Die beiden Suprapas und vier der Räte verließen den Platz vor ihren Sitzen und führten die Auserwählten durch das Portal in den Schwarzen Dom hinein. Die Menge stimmte die Hymne an.

„Ewig lebe Jakobo!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Byrölsch, Byrölsch macht uns froh!

Gepriesen sei’n die Heil’gen Drei!

Für Euch, Ihr Drei, sind wir bereit!

Faste’lear in Ewigkeit!“

Der Kaadinarrel hob beide Arme. „Und nun tanzt und feiert!“ Die Trommeln und Hörner setzten ein. „Trinkt Byrölsch und singt!“ Er gab den Musikanten ein Zeichen, so laut wie möglich die Schlegel wirbeln zu lassen und in die Hörner zu blasen. „Tanzt und feiert bis morgen früh!“

Jakobo schätzte einen hohen Lärmpegel in dieser heiklen Phase des Festes. Es war vorgekommen, dass Geräusche aus dem Inneren des Domes drangen, nachdem man die Auserwählten abgeliefert hatte. Unschöne Geräusche. Ein hoher Lärmpegel konnte verhindern, dass allzu viele Coelleni solche Geräusche hörten. Falls sie denn auftreten sollten.

Die Hymne erklang. Aber nur zögernd und leise. Der Kaadinarrel beobachtete Männer und Frauen, die in den Himmel starrten. Ein Horn nach dem anderen verstummte. Der Trommelwirbel wurde schwächer und schwächer. Und schließlich verstummten auch die wenigen Sänger.

Die beiden Suprapas und die Räte kamen aus dem Schwarzen Dom. Keiner beachtete sie. Alle schienen zu lauschen. Viele spähten in den grauen Morgenhimmel.

„Was ist passiert?“ Hossany, sein erster Suprapa, tauchte neben Kaadinarrel Jakobo dem Dreiundzwanzigsten auf.

Garibaldy, sein zweiter Suprapa, trat auf die Treppe vor den Thron. „Ich will die Trommeln hören!“, brüllte er. „Ich will die Hörner hören! Warum singt und tanzt ihr nicht?“ Keiner schien ihn zu beachten. Alle starrten jetzt in den Himmel.

Der Kaadinarrel hörte ein heulendes Dröhnen. Es näherte sich rasch. Erschrocken stieg er die drei Stufen seines Thrones und die Vortreppe hinunter. Durch die erstarrte Menge hindurch lief er mitten auf den Platz. Die Menschen wichen nicht wie sonst vor ihm zurück, ließen jegliche Scheu und Ehrfurcht vermissen. Sie schienen vollkommen im Bann des rätselhaften Lärms zu stehen.

Das Dröhnen wurde lauter und lauter. Jakobos Augen suchten den Himmel ab. Und endlich sah er, was die meisten schon entdeckt hatten: Ein Vogel flog von Süden her auf die Stadt zu. Er zog einen kerzengeraden Schweif hinter sich her. Als würden seine Schwanzfedern brennen. Rasend schnell kam er näher. Es war ein großer Vogel, gewaltig und mit einem spitzen Schnabel. Nie zuvor hatte Jakobo einen solchen Vogel gesehen!

Er stutzte, als er bemerkte, dass der rätselhafte Vogel seine Flügel nicht bewegte. Sie waren vollkommen starr. Das heulende Gedröhne schwoll an. Der Kaadinarrel suchte fieberhaft nach einer Erklärung für diesen lauten, starren Vogel, dem der Schweif zu brennen schien. Er fand keine!

Und plötzlich ein spitzer Schrei aus dem Schwarzen Dom. Die Frau schrie wie ein junges Wakuda, dass zur Schlachtbank geführt wurde. Und wieder schrie sie. Diesmal anhaltend und lang. Die ersten Köpfe fuhren herum. Weit aufgerissene Augen fixierten die geschlossene Südpforte der Kathedrale.

„Ein Dämon!“, brüllte Jakobo. Er riss den Arm hoch und deutete auf den starren Vogel. Unter allen Umständen mussten die noch nüchternen Bürger von dem Gejammer im Schwarzen Dom abgelenkt werden. Die Berauschten kriegten sowieso nur noch die Hälfte mit. „Ein Dämon!“, wiederholte Jakobo der Dreiundzwanzigste.

Glücklicherweise schob sich der Vogel in diesem Augenblick über die Türme der Kathedrale. Er war von einem dunklen Blau und machte einen derart unerträglichen Lärm, dass jeder, aber auch jeder, der sich auf dem Domplatz aufhielt, die Hände gegen die Ohren presste.

Schlagartig begriff Jakobo, dass dieses Ding kein Vogel sein konnte. Das unheimliche Ding beschrieb eine Kurve, flog in Richtung Ho’zolbrücke und stieg über dem Großen Fluss noch einmal in die Höhe, bevor er zur Landung ansetzte.

„Ein finsterer Bote Orguudoos!“, schrie Hossany plötzlich. „Wir müssen ihn verbrennen!“ Sein flackernder Blick traf den Kaadinarrel.

Jakobo war in diesem Moment nichts als dankbar für die Initiative seines Suprapas. „Zur Brücke!“ Er stürmte los. Ein Ruck ging durch die Menge. Die Menschen rannten über den Domplatz und strömten zwischen Kathedrale und Bruderschaftshaus der Ho’zolbrücke entgegen.

Lennox und der Lichtkult: Das Zeitalter des Kometen #4

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