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Ein kühl und sachlich eingerichteter Konferenzraum im Regierungssitz der Terranischen Föderation auf der Erde...

Der Raum war viel zu groß für die wenigen Teilnehmer an dieser Krisensitzung.

Die Worte hallten zwischen den Wänden wider. Moderne Kunst hing dort, und obwohl die Bilder recht großformatig waren, verloren sie sich fast.

Henner Malcolm, der seit den Neuwahlen an der spitze einer Koalitionsregierung stand, die ihm oft genug das Leben schwer machte, saß im Kreis seiner politischen Berater an einem überdimensionalen Tisch, der mit allen technischen Schikanen ausgestattet war.

Insbesondere stellte die Tischplatte gleichzeitig einen gigantischen Computerschirm mit Sensorabtastung dar.

Man musste schon aufpassen, wo man seine Kaffeetasse abstellte, um nicht plötzlich irgendetwas auszulösen und in ein Menü hineinzugeraten. Ein Menü aus Bits und Bytes wohlgemerkt.

„Mal wieder eine Krisensitzung wegen Gregory Allen“, kommentierte Piet Nijhart, der Chef der Presseabteilung mit galligem Unterton.

Der Chef der planetaren Regierung Terras machte der Bundesregierung des Terranischen Bundes in letzter Zeit immer mal wieder das Leben schwer. Die neue Bundesverfassung des Terranischen Bundes sorgte unter anderem für eine Teilung der Regierungsverantwortung zwischen Bundesregierung und den Regierungen der einzelnen Planeten.

In manchen Bereichen war aber nicht eindeutig festgelegt, wo genau die Trennlinie zwischen den Kompetenzen lag.

Unscharfe Formulierungen der in aller Eile gestrickten juristischen Texte taten hier ein übriges, um für Unklarheiten zu sorgen.

So gab es noch weitläufige Grauzonen im Kompetenzdschungel der verschiedenen Regierungsebenen. Es würde Zeit brauchen, bis sich das Wechselspiel eingependelt hatte.

Und genau diesen Umstand gedachte Gregory Allen sich zunutze zu machen.

Zum Nutzen Terras – vorgeblich – und natürlich auf Kosten des Bundes. So konnte man es wohl auf einen Nenner bringen.

Entstanden war die neue Verfassung ja unter anderem, um dem Wunsch der Kolonien nach größerer innerer Selbständigkeit nachzukommen. Gregory nahm nun denselben Anspruch für die Erde wahr. So jedenfalls stellte er es gegenüber der Bevölkerung dar.

„Ich denke, das Dokument, dessentwegen wir uns hier versammeln, haben Sie alle gelesen“, erklärte Henner Malcolm gedehnt. „Kurz gefasst geht es um sämtliche bodengestützten Anlagen, und dazu gehören nach Gregory Allens Verständnis auch Raumhäfen, Werften und andere Anlagen der Terranischen Flotte. Die planetare Regierung ist aber bereit, uns die Anlagen gegen entsprechende Zahlungen zu vermieten.“ Henner Malcolm schlug unbedachterweise mit der flachen Hand auf den Tisch und öffnete damit ein Datenmenü. Es folgte eine optische Abfrage nach der Auswahl des Mittagessens, das die Regierungskantine liefern sollte.

Henner Malcolm unterdrückte einen Fluch.

Er strich sich kurz mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn – eine Geste, die eigentlich ganz und gar nicht zu ihm passte - und nahm sich vor, mehr Beherrschung zu üben. Noch mehr Beherrschung, wohlgemerkt!

Er dachte nicht zufällig an die Vergangenheit. Es war noch nicht lange her, da waren die Konstellationen wahrlich andere. Nicht nur die Regierungskonstellationen, nachdem er die Macht mit Koalitionspartnern wie Tamara ten Haven, der Vorsitzenden der Vereinten Kolonialpartei, und Derek Panish, dem Delegierten der Demokratischen Freiheitspartei, teilen musste. Er wusste genau: Wenn sie hier und heute, bei dieser internen Krisensitzung, nicht zu einem befriedigenden Ergebnis kamen, war die Koalition gefährdet. Mehr noch als dies: Neuwahlen und am Ende sogar das absolute Aus für sie alle würden unaufhaltsam folgen.

Dann habe ich endgültig versagt!, hämmerte es hinter seiner Stirn.

Er schaute in die Runde, und niemand sah ihm an, welch schwermütige Gedanken ihn in diesem Moment beherrschten – ihn, den Cyborg und damit wahrlich eines der einsamsten Wesen des Universums.

Manchmal begann er sich schon zu fragen, wozu dies alles noch gut sein sollte. Warum tat er, was er tat? Warum investierte er alles, nämlich sich selbst, ohne jegliche Abstriche? Nur wegen Martin Takener?

Weil ich nicht anders kann, denn ich diene der guten – nein, der BESTEN Sache!, sagte er sich, und das war ein Gedanke, der ihm immer wieder neue Kraft verlieh – Kraft, die er in zweierlei Hinsicht bitter nötig hatte: Kraft, um nach der schrecklichen Krise mit seiner einsamen Rolle als überlebender Cyborg klar zu kommen. Kraft, um die Probleme zu bewältigen, die eigentlich alle ihre Wurzeln in derselben Krise hatten: Die Menschheit hatte dadurch das Vertrauen in Martin Takener und seine Partner und Verbündeten verloren. Auch in ihn, Henner Malcolm, dem überlebenden Cyborg?

Er beherrschte sich mühsam und konzentrierte sich wieder auf die Sitzung. Zuviel hing davon ab. Er durfte sich nicht von Fatalismus einlullen lassen. Das würde ihn, seine Rolle in diesem zunehmend immer noch schwieriger werdenden Spiel und letztlich alles schwächen, wofür er immer gelebt hatte – bis zum Untergang.

Es darf ihn nicht geben, diesen Untergang – und es wird ihn nicht geben.

Neue Zuversicht keimte in ihm auf. Ein sehr zartes Pflänzchen, das endlich nach Licht strebte.

„Das Dokument ist von allen planetaren Regierungen unterzeichnet worden, bei denen die Partei des Neuen Weges die Mehrheit hat“, stellte Joanna Partek fest. Sie war so etwas wie Henner Malcolms Allround-Beraterin. Außerdem war sie Chefin des 'politischen Geheimdienstes', der die Aktivitäten der Opposition beobachtete.

„Wie stehen wir da?“, fragte Malcolm.

„Eine rhetorische Frage“, erwiderte Joanna Partek. „Wie die Deppen natürlich. Und genau das ist ja wohl auch beabsichtigt und gehört zu Gregory Allens Strategie. Wir sollen wie die Deppen dargestellt werden, wie Hampelmänner ohne wirkliche Macht.“

„Angesichts dieses...“ Malcolm suchte nach dem richtigen Wort, „...dieses Mistes fühlt man sich ja auch tatsächlich so.“

Oh, ja, sie sahen es ihm nicht an. Sie ahnten noch nicht einmal, wieviel Mühe es ihn kostete, souverän zu erscheinen. Wenn sie es ihm ansehen könnten... Woher würden dann SIE ihrerseits die Kraft noch schöpfen können, die sie bitter brauchten, um der Zukunft weiterhin die Stirn bieten zu können – einer sehr ungewissen und täglich noch ungewisser werdenden Zukunft zumal?

Boris Nolan, der politische Berater, meldete sich zu Wort.

„Miete für Raumhäfen. Wahrscheinlich müssen wir froh sein, dass wir hier überhaupt an diesem Tisch sitzen dürfen!“ Er deutete auf den Pappbecher mit Kaffee, der vor ihm stand und tickte mit dem Zeigefinger dagegen. „Würde mich nicht wundern, wenn wir dafür am Ende auch noch die Rechnung präsentiert bekämen.“

Piet Nijhart, der Pressesprecher, saß mit ziemlich eingezogenen Schultern da. Er wagte gar nicht, daran zu denken, wie er in Kürze vor die Presse des Terranischen Bundes treten sollte. Die werden mich gnadenlos zerreißen, ging es ihm durch den Kopf. Das ist wirklich ein sehr bescheidener Job, den du da hast!, ging es Nijhart durch den Kopf. In Augenblicken wie diesem wurde ihm das immer besonders klar.

Boris Nolan sagte sachlich: „Ich denke, es geht jetzt darum, eine vernünftige Gegenstrategie zu entwickeln. Darauf sollten wir uns konzentrieren.

„Dazu sollten wir erst einmal erkennen, worin eigentlich der Zielpunkt von Allens Strategie liegt“, meldete sich Joanna Partek zu Wort.

Henner Malcolm sah sie an. Er wirkte ruhig, ja, fast gelassen. Als könnte er nicht eine Sekunde daran zweifeln, dass die Ideallösung längst schon darauf wartete, endlich formuliert zu werden.

„Und?“

„Ich denke, Allen will den Bund in einem ersten Schritt schwächen, um ihn später - zu seinen Bedingungen allerdings - zu stärken. Konkret gesagt: Wenn die Bundesregierung wie ein Popanz dasteht, der völlig handlungsunfähig ist angesichts der galaktischen Bedrohungslage, so ist die Folge der Ruf nach einem echten Imperium. Zentral gelenkt und verwaltet.“

„An dessen Spitze sich dann Allen selbst sieht", vermutete Malcolm und dachte dabei im stillen: Gott möge die Menschheit davor bewahren! Beinahe zuckte er zusammen, als ihm dieser Gedanke richtig bewusst wurde. Hieß es denn nicht irgendwo: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott? Er unterdrückte ein bitteres Lachen und bemühte sich, nichts von der Fassade des souveränen Führers bröckeln zu lassen.

Joanna Partek nickte.

„Genau so ist es.“

Henner Malcolm musterte sie einen Augenblick. Eine scharfsinnige Analytikerin mit blitzschnell arbeitendem Verstand. Er bewunderte sie für die stringente Logik ihrer Argumentationen. Und dennoch: Es sah keineswegs danach aus, als würde die Patentlösung diesmal von ihr zu erwarten sein.

Ganz klar, meldete sich wieder kurz der Fatalismus zu Wort, um das zarte Pflänzchen der Zuversicht wieder im Keim zu ersticken: Weil es eben keine Patentlösung geben kann!

Malcolm überwand diesen erneuten Anflug von Fatalismus mit Bravour und bemühte sich gleichzeitig, die Zuversicht stärker sprießen zu lassen. Er wandte sich jetzt an den einzigen im Raum, der sich bislang nicht zu Wort gemeldet hatte.

Es handelte sich um Roger Karkat, den Chef der juristischen Abteilung.

„Ihnen lag das Dokument auch vor, aber Sie haben sich noch gar nicht dazu geäußert.“

Karkats Gesicht blieb völlig regungslos. Er war ein Mittfünfziger mit grauen Schläfen und ebenso grauen Augen, die sehr aufmerksam wirkten.

Ein Mann, der sich nicht gern in die Karten schauen ließ. Das galt im übrigen auch für seine Mimik, die kaum Rückschlüsse auf seine emotionale Verfassung zuließ. Henner Malcolm hatte sich daran gewöhnt.

Auf seinem Fachgebiet war Roger Karkat schließlich ein As. Und darauf kam es ja schließlich an.

Roger Karkat hob die Augenbrauen.

Auf einmal waren alle Augen auf ihn gerichtet.

Kein Wunder, ihm kam ja bei der Behandlung des sogenannten Allen-Papiers eine Schlüsselrolle zu – eben nicht nur in den Augen von Henner Malcolm.

Karkat sagte: „Ich fürchte, die Entscheidung in diesem juristischen Ringen kann noch einige Zeit auf sich warten lassen. Tut mir leid, aber wir können da nichts erzwingen. Und unsere Gegner haben auch Juristen-Teams, die für sie die beste Strategie aushecken.“

Malcolm faltete die Hände, drehte die Daumen umeinander.

„Also kein juristischer Schlag durch den gordischen Knoten...“ Es wäre ja auch zu schön gewesen! Nur ein Gedanke, diesmal ohne direkte Auswirkung auf seine Gemütsverfassung. Dafür sorgte der zweite Gedanke: Dann wird es eine andere Lösung geben. Nein, keine Patentlösung, aber eine, die uns weiter hilft, zumindest über eine gewisse Durststrecke hinweg...

„Tut mir leid.“

„Wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein“, sagte Henner Malcolm, was er gerade gedacht hatte. Den zweiten Gedanken behielt er allerdings für sich.

„Sie sagen es.“ Diese Worte von Karkat drangen kaum bis zum Bewusstsein von Henner Malcolm durch. Er dachte an Joanna Partek. Ja, gewiss, keine Patentlösung, meine Liebe, aber dafür vielleicht etwas, was zumindest für eine gewisse Zeit Hilfe verspricht – und auch etwas, was wir gegen die Koalitionspartner durchsetzen können?

Boris Nolan meldete sich noch vorher zu Wort: „Dennoch bleibt die Tatsache, dass wir etwas gegen den finanziellen Sturzflug des Bundes tun müssen. Wenn wir da nicht jetzt gegensteuern, dann sind alle weiteren Überlegungen über kurz oder lang Makulatur.“

„Wir könnten die Goldvorräte von Exodus verwenden“, sagte Joanna Partek endlich. „Warum schlagen wir Allen nicht mit seinen eigenen Waffen?“

Henner Malcolm blickte auf. Die Lösung liegt manchmal so nahe. Ich hätte selbst darauf kommen müssen! Wahrscheinlich war Henner Malcolm im Augenblick allerdings der einzige im Raum, der auf Anhieb verstand, worauf Joanna Partek hinaus wollte. „Mit dem Exodus-Gold bezahlen wir das, was unser Freund Gregory Allen als Mietgebühr zu bezeichnen beliebt“, fuhr die Beraterin fort.

„Ich nehme an, dass Ihnen die Folgen bewusst sind“, sagte Malcolm und ließ sich nicht anmerken, dass er trotzdem längst einverstanden war damit: Ja, gewiss, das würde helfen – und es war die einzige brauchbare Lösung überhaupt. Hätte es noch eine weitere gegeben, wäre sie längst bekannt...

„Selbstverständlich. Auf lange Sicht gesehen kommt es durch unsere Maßnahme zu einem rapiden Preisverfall für Gold und damit zu einer Wirtschaftskrise.“

Boris Nolan nickte.

Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und formten dabei eine Schlangenlinie.

„Das ist zu erwarten!“, bestätigte er. „Und wir können davon ausgehen, das Allen uns als Schuldige an dieser Krise herausstellen wird! Das steht fest.“

„Dann ist es also seine Strategie“, stellte Henner fest. Er tickte mit den Fingern auf der Tischplatte herum, zuckte dann zurück, als er ein Menü öffnete. Verdammte Technik.

„Ich bin gegen diese Maßnahme“, sagte Nolan. „Sie stehen am Ende als Buhmann des Terranischen Bundes da - in genau der Ecke, in der Allen Sie haben will.“

Joanna Partek meldete sich zu Wort. „Die Frage ist, ob wir eine andere Wahl haben.“

Nolan sagte: „Aber dieser Plan würde bedeuten, Allen sehenden Auges auf den Leim zu gehen.“

„Haben Sie denn irgendeine realistische Alternative, Nolan?“, erkundigte sich Henner Malcolm. Natürlich nicht!, fügte er in Gedanken hinzu. Wie denn auch?

Sekundenlang herrschte Schweigen. Ein sehr beredtes Schweigen.

„Dürfte den Leuten schwer begreiflich zu machen sein, dass es zu ihrem Besten ist, wenn die Wirtschaft einen Kollaps erleidet“, sagte Piet Nijhart zynisch.

Henner bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick.

Du denkst wohl eher daran, dass es nicht so ganz leicht sein wird, der Öffentlichkeit gegenüber die Zusammenhänge darzustellen? Aber welche Wahl haben wir denn sonst? Nun?

Er schaute in die Runde, nach außen hin ruhig, um nicht zu sagen wieder zuversichtlich, in seinem Innern jedoch nach wie vor um seine Fassung ringend: Und wenn es tatsächlich schiefgeht?

Dann verkündete er: „Ich werde ein Schiff der Terranischen Flotte nach Exodus beordern. Ich denke, wir haben keine andere Wahl. Parallel dazu werde ich mit unseren Koalitionspartnern entsprechende Sondierungsgespräche führen.“

„Ich bin Ihrer Meinung“, sagte Joanna Partek.

Boris Nolan erwiderte: „Ich bin dafür, noch abzuwarten. Nach meinem Dafürhalten besteht kein unmittelbarer Handlungsbedarf.“

Piet Nijhart zuckte die Achseln.

„Es ist Ihre Entscheidung, Henner! Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun...“

„Das wird uns erst hinterher klar sein.“

Nijhart nickte.

„Das fürchte ich auch.“


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