Читать книгу Dragon 19 Wochen Ostsee - Joachim Brandes Henning - Страница 8

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III Wir brauchen ein Boot

Unser letztes Boot, einen leicht gebauten 22 Fuß Hubkieler, hatten wir Anfang 2017 verkauft und für einen längeren Törn wäre es auch zu klein und zu wenig seetüchtig gewesen. Wir brauchen also ein Boot. Unser Heimatrevier ist die Nordseeküste einschließlich des Wattenmeeres. Große Lust, mich auf unserer Reise tagtäglich mit Tiden und Strömungen und mit deren Auswirkungen auf die Zeitplanung auseinanderzusetzen, habe ich nicht. Da gibt es Häfen, die nur vier Stunden oder noch kürzer je Tide angelaufen oder verlassen werden können ebenso wie Ein- und Durchfahrten, die nur in bestimmten Zeitfenstern passiert werden können, … Das ganze muss dann noch zum Wind passen und idealerweise auch noch zum Tageslicht, passt häufig aber nicht und so müssen denn Nordseesegler häufig früh aufstehen oder bis spät in die Nacht segeln, um Wetterfenster nutzen zu können und auch vor Häfen oder Einfahrten ankern oder kreuzen, bis ihr Zeitfenster aufgeht. Kennen tun wir das, es ist fordernd, gerade bei schlechtem Wetter. Das Mittelmeer ist sowohl Anne als auch mir im Sommer zu heiß – das haben wir schon probiert. Auf der Ostsee haben wir vor Jahren mehrfach gechartert, sind aber immer nur bis Dänemark gekommen. Da geht noch viel mehr. Also Ostsee. Also ein Boot, das auf der Ostsee gut zurecht kommt, an der Nordseeküste auch brauchbar ist, groß genug, dass zwei Personen darauf ein paar Monate leben können und auch noch – sagen wir mal zwei - Gäste behausen können. Aber auch nicht zu groß. Unser Verein hat eine Größengrenze bei 10 Metern, darauf ist die Steganlage ausgelegt und zu groß bedeutet auch schwerer zu handhaben und teurer im Unterhalt. Zu alt will ich auch nicht. Unsere beiden letzten Boote waren aus den 1980‘ern gewesen. Nichts gegen Boote von damals, aber der Zahn der Zeit nagt halt. Der Wunsch ist nach einem Boot aus den 1990‘ern oder noch neuer. Eignung für unser Heimatrevier, das Wattenmeer, bedeutet für mich: „Nicht zu viel Tiefgang“. Idealerweise nur um einen Meter. Die Mindestgröße setze ich bei 26 Fuß an.

Etwas unpräzise? Ja, aber mit den Vorstellungen im Hinterkopf fange ich Ende September 2018 an, nach Booten zu schauen. Im Verein stehen auch einige zum Verkauf, aber die haben zu viel Tiefgang. Irgendwann kommt noch das Kriterium hinzu, dass wir nicht ewig weit für eine Besichtigung fahren können. Da gibt es interessante Boote in Großbritannien, Holland und Berlin, aber da ist dann jeweils sofort ein ganzes Wochenende weg, wenn man sich so ein Boot anschauen will und sooo viel Zeit haben wir nicht. Also Priorität auf Boote in der Nähe. Daraus wird eine Tabelle mit interessanten Booten und einer Bewertung. Ein paar Kriterien kommen noch dazu, zum Beispiel, ob die Motorisierung Ärger erwarten lässt – ein sehr attraktiver Bootstyp hat unter der vorderen Koje einen liegenden Einzylinder eng eingepasst, für den die Ersatzteillage inzwischen „interessant“ ist. Ein Boot, das unter Umständen wochenlang ausfällt, weil Teile nicht aufzutreiben sind, will ich nicht. Letztlich bleiben 4 Boote, die wir im ersten Durchgang anschauen wollen und weitere in Reserve. Eines der Boote können wir nicht besichtigen, es steht bei einem Händler über 100 km entfernt, eine Besichtigung am Sonnabend Nachmittag oder Sonntag kann nicht eingerichtet werden. Ich wundere mich etwas, für das Boot wird ein deutlich fünfstelliger Betrag gefordert. Wegen Reichtum geschlossen? Es bleiben drei Boote für die erste Runde.

Zeitdruck bei der Bootssuche ist nicht gut, normalerweise dauert das schnell ein Jahr oder noch länger, bis man das richtige Boot gefunden hat.

Ein Angebot zum Chartern von einem größeren Vercharterer hole ich auch ein. Die Kosten für das vier Monate lange Mieten eines nicht ganz neuen Bootes bewegen sich schon nahe des Kaufpreises für ein 25 Jahre altes Boot, dafür sind Charterboote neuer und professionell gewartet. Eine Überlegung ist das schon wert. Andererseits hat man auf einem Charterschiff nur eingeschränkte Möglichkeiten, das Fahrzeug so vorzubereiten, wie man es selber haben will – spätestens, wenn man zur Bohrmaschine greifen oder Ausrüstungsgegenstände abbauen, austauschen oder nachrüsten will.

Wir entscheiden zu kaufen. Und haben ja drei Boote zum Anschauen. Zwei englische Doppelkieler, geringer Tiefgang, also sehr gut für das Wattenmeer geeignet. Beide sehen in den Exposés noch gut aus. Eigentlich die Vernunft-Entscheidung in Hinblick auf einen Einsatz auch nach unserem Ostseetörn. Diese Boote sind gesucht, daher wertstabil. Haben aber auch ihre Problemchen, z.B. fällt die Innenverkleidung gerne ab, das ist bei beiden der Fall. Auch sonst wartet etwas Arbeit, wir besichtigen einen fast neuen Motor, der irgendwo Kühlwasser verliert, Feuchtigkeit am Hauptschott, Blasen im Gelcoat, abplatzende Spachtelmasse an der Rumpf-Kiel Verbindung, ausgeschlagene Ruderlager. Beiden Booten gemeinsam ist, dass die Tanks noch nie inspiziert und gereinigt wurden und beide noch das erste stehende Gut haben. Also beide doch nicht wirklich auf dem Stand, auf dem man ein Boot haben möchte, mit dem man auf eine längere Tour gehen will. Um daran zu arbeiten, sind sie wiederum etwas weit weg – jeweils mehr als eine Stunden Fahrzeit. Obendrein: Der Funke springt nicht wirklich über.

Das dritte Boot, dass wir uns anschauen, liegt noch im Wasser und soll da auch überwintern, hatte auch die letzten Jahre im Wasser überwintert. Der Eigner wohnt zu weit weg, um sich intensiv um das Fahrzeug zu kümmern und hat sich schon ein neues, größeres gekauft, das ebenfalls weit weg von seinem Wohnort liegt. Hier wartet sicherlich Arbeit, auf der anderen Seite ist die Preisvorstellung des Verkäufers deutlich auf einen schnellen Verkauf ausgerichtet. Der Motor sieht nach 25 Jahren noch fast wie neu aus. Das Äußere eines Motors kann täuschen, aber ein vernachlässigter Rosthaufen ist in der Regel genau das, wonach er aussieht – ein vernachlässigter Rosthaufen. Ein Motor, der nach 25 Jahren noch fast wie neu aussieht, ist immerhin vielversprechend. Bei der Elektrik hat sich jemand richtig Mühe gegeben. Das Boot ist für seine Länge deutlich kleiner, sprich niedriger und schmäler, als die englischen Doppelkieler, es erinnerte uns an eine verlängerte Version unseres vorherigen Bootes. Weil wir von so einem kleinen Boot kommen, ist es für uns trotzdem der reine Luxus an Platz und Komfort – auch ich kann aufrecht sitzen und Anne kann an einer Stelle sogar stehen! Auf dem Boot ist ein zweiflammiger Kocher! Und das Boot hat einen Frischwassertank mit elektrischen Pumpen und zwei Waschbecken! Was genau an dem Boot alles zu tun sein würde – würde sich zeigen, Überraschungen gibt es mit gebrauchten Booten immer, Kleinkram und gelegentlich auch Größeres. Wenn man ohne Probefahrt und mit liegendem Mast kauft nahezu sicher, deshalb ist das auch nicht zu empfehlen. Aber wir haben keine Zeit, bis zum Frühjahr zu warten, um dann an schönen Wochenenden schöne Probefahrten zu machen und erst im Anschluss zu kaufen. Ein paar Punkte finden wir bei der Besichtigung, die Rüsteisen für die Wanten sind nicht mehr richtig fest, mindestens ein Ruderlager hat Spiel, der Rumpf ist deutlich angegilbt, die Polster sind so alt wie das Boot, das Deck fühlt sich noch steif an aber im Bereich von zwei Relingstützen gibt es Risse im Deck – wahrscheinlich die Zeugen einer Rempelei beim Anlegen, … . Der Verkäufer verrät uns auch noch ein paar Mängel. Warum also ausgerechnet dieses Boot? Weil dieses Boot im Vergleich zu den anderen, die wir besichtigt haben, weniger dazu einlädt, im Hafen Kaffee zu trinken und mehr dazu, zu segeln. Und das wollen wir ja. Dass das Boot im Vergleich zu anderen gleich langen Booten niedrig baut und damit weniger Platz unter Deck hat, bedeutet ja auch, dass es weniger Windwiderstand hat. Wir finden bei der Besichtigung nichts, was der Eignung für die vorgesehene Fahrt entgegensteht und die Preisvorstellung des Verkäufers lässt noch einigen Raum für Verbesserungen.

Ohne eine Besichtigung des Unterwasserschiffes will ich das Boot nicht kaufen. Um daran arbeiten zu können, will ich es in der Nähe haben und auch nicht im Wasser überwintern, es sinken immer wieder Boote, weil Seehähne oder die Wellenabdichtung durch gefrierendes Wasser aufgedrückt werden. Eine Überführung nur unter Motor ohne Segelmöglichkeit im November oder Dezember auf der Nordsee und dann die Weser hoch ist nicht einladend bei einem Boot, das man nicht kennt und welches sicher Arbeit braucht.

Nach einigem hin und her einigen wir uns mit dem Verkäufer wie folgt: Tieflader und Kran an den Hafen, Boot aus dem Wasser heben, Unterwasserschiff anschauen, wenn akzeptabel Boot auf den Tieflader, bezahlen und Boot ab nach Bremen. Wir haben einen Platz in einer Werft gefunden, wo ich an dem Boot arbeiten kann und die Werft ist willens, auch Arbeiten an dem Boot durchzuführen. Die Aufgabenliste für die Vorbereitung des Bootes auf die Reise ist inzwischen schon mehrere Seiten lang. Wenn wir nicht schnell Nägel mit Köpfen machen, wenn uns möglicherweise sogar das Boot im Wasser einfriert, werden wir im Frühjahr nicht reisefertig sein.

Anfang Dezember 2018: Sollen wir das wirklich machen, uns aus unserem komfortablen Leben mit guten Berufen für fast ein Jahr verabschieden, ein Boot kaufen, vorbereiten und einige Monate segeln gehen? Ein paar Zweifel sind da doch. Es wird sicherlich nicht immer Spaß machen, auch mal ungemütlich werden. Und was wird die Reise mit uns machen? Werden wir danach in unser altes Leben zurückkehren können, wieder Fuß fassen können? Oder sind wir dann für unser bisheriges Leben nicht mehr zu gebrauchen? Ich weiß es nicht. Es wird ein Schritt ins Ungewisse. Aber wir machen das jetzt. Wir wollen aus dem Alltag raus, Neues, Anderes sehen und erleben. Auch unsere Freunde ermuntern uns – bis auf eine Geschichte von jemandem, der losgefahren ist aber nach 8 Wochen wieder zurück war. Auch so etwas kann natürlich passieren. Wir wollen trotzdem fahren.

8.12.2018: Der 10.12.2018 soll der große Tag werden.

10.12.2018. Wir haben ein Boot, Hanse 29, Flügelkiel, 1,2 Meter Tiefgang, Name Dragon. Der Vorbesitzer hat wegen Sturmwarnung noch Bedenken zum geplanten Kranen und Verladen angemeldet, eine Verschiebung vorgeschlagen. Ich will aber Spediteur und Kran nicht abbestellen: Wenn die wegen des Wetters nicht arbeiten können, werden die das schon sagen. Als wir um 9:45 im Hafen ankommen, wo das Boot im Wasser liegt, ist der Kran schon da. Eigentlich hatte ich geplant, dass das Boot um 11:30 gekrant wird, nun geht das alles schneller. Dragon liegt schon an der Mole, wird aus dem Wasser gehoben und wir besichtigen das Unterwasserschiff. Keine Katastrophen zu sehen, nur Arbeit, das Antifouling fängt an abzublättern, aber das wussten wir schon, wir kaufen das Boot. Dragon wird auf den Tieflader verladen, der dann mit dem Transport nach Bremen wartet, bis wir das Finanzielle geregelt hatten. Um 10:15 ist der Kranfahrer bereits am Einpacken. Von den vorhergesagten Böen bis 10 ist während der ganzen Aktion nichts zu spüren, nur ein frischer Wind. Kranfahrer und Spediteur sind sehr professionell, so etwas macht immer Spaß. Jetzt müssen wir nur noch bezahlen. Ich hatte mich nicht rechtzeitig um einen Bankscheck gekümmert und dann kurzfristig nur Bargeld in Höhe des Kaufpreises bei unserer Bank erhalten. Durch einen Fehler meinerseits hatte ich fast alles davon in 50,- und 100,- EUR Scheinen bekommen. Ein dickes Bündel Scheine in einem Briefumschlag in der Jackentasche, nur mit dem Reißverschluss verschlossen. Das einzig Gute ist, dass das keiner weiß. Durch die wochenlange Kommunikation kenne ich den Verkäufer inzwischen etwas, setze mich jetzt zu ihm in sein Auto und wir fahren zur nächsten Sparkassenfiliale. Dort will er den Kaufpreis direkt einzahlen. Leider kann er das Geld nicht auf sein Konto bei der Sparkasse in xyz einzahlen, komplett unmöglich, Sparkasse ist nicht gleich Sparkasse, auch wenn das Logo das gleiche ist. Im Foyer der Filiale vor den Augen von wer weiß wem möchte ich ihm den Betrag nicht übergeben, also setzen wir uns in sein Auto, das noch auf dem Parkplatz steht, unterschreiben beide den Vertrag. Wie in einem schlechten Gangsterfilm zähle ich ihm den Betrag in Bar in die Hand, Schein für Schein. Im Auto, auf einem Parkplatz. Nur Schlapphüte und Sonnenbrillen fehlen. Alles so nicht zu empfehlen. Schon gar nicht an weniger sicheren Orten auf der Welt. Das Abenteuer fängt an.

Zurück im Hafen geben wir den Transport frei und dann gehen wir alle zusammen essen, der Verkäufer, Anne und ich. Dem Verkäufer fällt es nicht leicht, das langjährige Familienboot wegfahren zu sehen, auf dem er schon als Kind die Ferien verbracht hatte.


Bild 2: Dragon auf dem Tieflader

Kurz nach Mittag sind wir in der Werft in Bremen, wo das Boot abgestellt werden soll, etwa zwei Stunden früher als verabredet. Die Abstützböcke sind noch nicht fertig, müssen noch geschweißt werden. Das Boot kommt kurz nach uns an – so können die Böcke dem Boot direkt auf den Rumpf geschneidert werden. Am frühen Nachmittag ist soweit alles erledigt, der Werftinhaber hat die Liste der Arbeiten, die ich gerne von der Werft gemacht haben möchte. Wir wollen Dragon in der ersten Aprilhälfte schon im Wasser haben, um Probeschläge machen zu können. Ich selber werde noch bis Ende Januar arbeiten, bevor meine Freizeit beginnt und ohne Unterstützung durch die Werft werden wir einfach nicht rechtzeitig fertig werden. Als letztes an diesem Tag bringen wir noch die Segel zum Segelmacher. Das Boot hat eine Genua, eine Selbstwendefock und das Groß. Nach Besichtigung durch den Segelmacher brauchen Genua und Fock nur ein paar Reparaturen und Verstärkungen, um fit für die Reise zu sein. Beim Groß ist das schwieriger, der Segelmacher würde das auch nochmal flicken, er kriegt durchaus schlechtere Segel, die er noch repariert, aber hmmm hmmm hmmm, wie schon vom Verkäufer angedeutet, das hat seine besten Zeiten hinter sich, ein neues würde auch besser stehen und das Boot damit besser segeln, … . Wir wollen ja einen längeren Törn machen und ich will unterwegs möglichst keinen Ärger mit irgendetwas Wichtigem am Boot, es gibt ein neues Groß.

Dragon 19 Wochen Ostsee

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