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Kapitel 3

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Eine Woche später

Eric lag daheim auf seiner Couch und surfte eher desinteressiert durch die Fernsehprogramme. Vor zwei Tagen war er aus dem Krankenhaus entlassen worden. Einige Blessuren waren noch zu sehen und sein Unterarm zierte nun eine rotleuchtende Narbe.

Er war froh, nicht mehr täglich Besuch von der Polizei zu bekommen. Stundenlang hatten sie ihn im Krankenhaus ausgefragt, über seinen Fahrgast, den anderen Wagen und die Umstände des Unfalls. Eric erfuhr nur, dass es wohl ein gezielter Anschlag war, wobei man nicht wusste, warum. Sein Fahrgast war ein mäßig bekannter Wissenschaftler, der bislang polizeilich unauffällig war. Er hatte die Fantasien von Walter Knoth verschwiegen, da er sich dachte, ihn nicht noch eigenartiger darstellen zu wollen. Morgen fand die Beerdigung statt, aber Eric hatte nicht vor, dort zu erscheinen. Warum auch, er kannte diesen alten Mann gerade einmal ein paar Stunden.

Sein ehemaliger Chef war alles andere als begeistert gewesen, als er erfuhr, dass die Limousine in die Luft gesprengt wurde. Er machte Eric zwar keine Vorwürfe, es war ihm aber anzusehen, dass er froh war, ihn nicht länger bei sich in der Arbeit zu haben.

Somit hatte Eric nun über ein Monat bezahlten Urlaub. Er döste vor sich hin und bekam nur wenig von dem Film im Fernseher mit. Mit den Gedanken war er sowieso woanders. Er überlegte, was er mit der vielen freien Zeit anstellen sollte. Am interessantesten klang die Idee, eine Woche wegzufliegen und danach in aller Ruhe auf Jobsuche zu gehen.

Das Läuten seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Es war eine ihm unbekannte Nummer.

»Ja, bitte?«

»Hallo, spreche ich mit Herrn Solado?«, fragte eine angenehme, etwas tiefere Frauenstimme.

»Ja und wer sind sie?«

»Mein Name ist Monja Knoth.«

Sofort klingelte es bei ihm. Die Tochter des Wissenschaftlers schoss es ihm in den Kopf.

»Hallo. Was kann ich für Sie tun, Frau Knoth?«

»Ich … also ich würde mich gerne mit Ihnen treffen. Sie waren der Letzte, der meinen Vater lebend gesehen hat und … naja, ich möchte wissen, warum er ermordet wurde.« Sie klang sehr gefasst, aber die Traurigkeit in ihrer Stimme war unüberhörbar.

»Ich werde Ihnen da nicht viel Neues erzählen können. Er hat mir nur einen kleinen Einblick in seine Theorien über …«

»Bitte«, unterbrach sie ihn. »Ich weiß, dass es Sie eigentlich nichts angeht, aber vielleicht können Sie mir diesen Gefallen tun.«

Eric dachte kurz nach. Es konnte ja nicht schaden, diese Frau zu treffen. Sie war sicherlich ziemlich niedergeschlagen, und wenn er sie etwas aufmuntern konnte, war das allemal besser, als nur daheim herumzuliegen.

Der Schlüssel!, fiel ihm ein, ich habe noch immer den Wohnungsschlüssel.

Er machte sich mit ihr ein Treffen aus. Da sie ihn so schnell wie möglich sehen wollte, verabredeten sie sich in einem Caféhaus in der Innenstadt, in einer Stunde.

»Wie erkenne ich Sie denn, Frau Knoth?«, wollte Eric wissen.

»Sagen Sie ruhig Monja. Ich werde Sie erkennen, Eric.«

Er stutze. Sie schien einiges über ihn zu wissen. Schnell zog er sich an und machte sich auf den Weg in die Stadt.

Nur zwei Tische im Caféhaus waren besetzt. Als Eric eintrat und sich umsah, stand eine junge Frau von ihrem Sitz auf und winkte ihm zu. Er musterte sie, während er auf sie zuging. Die schlanke Frau musste etwas jünger als er sein, er schätzte sie auf dreißig Jahre. Ihre dunklen Augen waren verweint, aber dennoch strahlte sie eine natürliche Schönheit aus. Ihre langen, braunen Locken reichten ihr über die Schultern. Trotz der Kälte vor der Tür hatte sie ein bauchfreies dünnes Oberteil an, das ihre schmale Figur noch mehr unterstrich.

Sie schien zu bemerken, wie er sie begutachtete, und lächelte etwas.

»Ich hoffe, Dir gefällt, was Du siehst«, meinte sie keck.

»Für meinen Geschmack etwas zu wenig Oberweite und fast zu dünn, aber ansonsten sehr hübsch, muss ich sagen«, gab er ihr mit einem Lächeln zur Antwort. Monja sah ihn mit großen Augen an, sie war scheinbar nicht gefasst darauf gewesen, so eine direkte Antwort zu bekommen. Mit so einer Begrüßung hatte sie nicht gerechnet.

»Setz Dich bitte, ich bin Monja«, begrüßte sie ihn und reichte ihm die Hand.

»Ich bin Eric, aber das weißt Du ja schon. Woher kennst Du meinem Namen und …?«

»Ich habe den Polizeibericht gesehen. Die sind der Meinung, mein Vater war in irgendwelche Drogengeschichten oder Ähnlichem verwickelt. Aber das ist kompletter Schwachsinn. Deshalb wollte ich auch mit Dir sprechen.«

Bei zwei Cappuccino berichtete Eric ihr genau, was an dem verhängnisvollen Abend passiert war. Er begann mit seiner Kündigung, erzählte von den Themen, die sie im Auto und bei ihrem Vater daheim besprochen hatten. Er gab die Theorie von Walter Knoth wieder und schilderte ihr genau, wie der Unfall ablief. Monja lauschte stumm, als er bei dem Teil mit der Rakete angekommen war, stiegen ihr Tränen in die Augen.

»Ich verstehe es einfach nicht. Mein Vater lebte die letzten Jahre nur für seine Forschungen. Seit er damals …«, sie schluckte. Nach einem Schluck von ihrem Cappuccino sprach sie weiter.

»Seit er vor einigen Jahren seinen Job bei der Raumfahrtbehörde verlor, war er nicht mehr derselbe. Er verfolgte diese wahnwitzige Idee von Leben auf anderen Planeten und war besessen auf der Suche nach Beweisen. Er war monatelang verschwunden und kam immer wieder mit neuen Geschichten und Theorien.«

»Er hat mir einen Einblick in seine Arbeit gegeben, das sind wirklich sehr abwegige Vorstellungen. Er hat etwas von einem Beweis gesprochen, dem er auf der Spur war«, fiel Eric ein. Er holte den Schlüssel aus seiner Jackentasche und überreichte ihn Monja.

»Den Wohnungsschlüssel hat er mir noch in die Hand gedrückt, bevor … bevor der Wagen in die Luft flog.«

Monja sah den Schlüssel skeptisch an und drehte ihn in ihrer Hand.

»Wohnungsschlüssel? Er sieht total anders aus, als der, den ich habe«, stellte sie verwundert fest.

»Ich kann Dir nur sagen, dass er ihn mir unbedingt geben wollte und etwas zusammengestottert hat. Er sprach von Dir, einer Nummer für einen Safe und einer Steinplatte.«

»Steinplatte?«, Monja riss die Augen auf und starrte Eric überrascht an.

Sie kramte in ihrer Handtasche und holte eine kleine schwarze Steinplatte hervor. Es war eine dünne auf beiden Seiten glänzend polierte Scheibe, die maximal zwei Zentimeter dick war. Die Platte war nicht besonders groß und passte bequem in ihre Hand.

»Vor einigen Tagen habe ich ein Paket bekommen, ohne Absender. Diese Platte war darin, ohne Brief oder einen Hinweis, von wem es stammt. Warum hat er mir diesen Stein geschickt und es nicht erwähnt?«, fragte Monja sich selbst. Eric hob die Schultern.

Er nahm ihr den Stein aus der Hand und sah ihn sich genauer an.

»Was ist das?«, fragte er nach.

»Obsidian«, war ihre knappe Antwort.

»Aha, also ein Stein.«

»Ja, ein Obsidianstein.«

»Ein Stein ist ein Stein und bleibt ein Stein«, meinte Eric lapidar dazu.

Monja sah ihn eindringlich an.

»Ja, aber das ist ein Obsidian.«

»Und das heißt?«

»Obsidian entsteht bei der raschen Abkühlung von Lava, wenn sehr wenig Wasser im Spiel ist. Da es aufgrund der raschen Abkühlung nicht zu regelmäßigen Kristallstrukturen kommt, spricht man beim Obsidian von einem chaotischen, amorphen Gefüge. Man findet diese Steine weltweit, von der Türkei, Italien, Griechenland bis nach Amerika und Mexiko. Meistens kennt man diese Steine in schwarzer Farbe, es sind aber auch andere Farbschemen möglich. Besonders bekannt sind sogenannte Schneeflockenobsidiane.«

Als Monja ihre Ausführung beendet hatte, musste Eric schmunzeln.

»Danke für den heutigen Beitrag zu meiner Bildung. Es bleibt trotzdem ein ganz normaler Stein.«

Er sah sich den Stein noch einmal an und drehte ihn im Licht.

»Er ist ja nicht unansehnlich, so etwas kann man sich … Moment, schau einmal.«

Er reichte ihr die Platte. Gegen das Licht gehalten, konnte man auf einer Seite einige Zeichen erkennen.

»Ich wollte eigentlich von Dir wissen, ob mein Vater noch irgendetwas gesagt hat, was darauf schließen lässt, wer es auf ihn abgesehen haben könnte«, meinte Monja und sah sich die Steinscheibe genauer an. Als sie die Scheibe gegen die Sonne hielt, erkannte auch sie die Zeichen:

»Was bedeuten diese Zeichen?«, fragte Eric. »Keine Ahnung. Es dürften Schriftzeichen der Maya sein«, meinte Monja. Eric nahm den letzten Schluck seines Kaffees. Er hatte seine Pflicht erledigt und war mit seinen Gedanken schon beim abendlichen Treffen mit seinem besten Freund. »Vielleicht ist es einfach nur ein Souvenir. Jedenfalls habe ich Dir alles erzählt, was ich weiß. Diese Fahrt werde ich wohl nie vergessen. Nicht nur, weil es meine letzte Fahrt für diese Firma war.« Als der Kellner kam, zahlte Monja für beide. Sie stand auf, um Eric zur Verabschiedung die Hand zu reichen. »Das geht auf mich. Danke, dass Du mir noch einmal alles erzählt hast. Ich werde jetzt noch zu Vaters Wohnung spazieren und ...« »Spazieren? Das wäre aber ein weiter Weg bis in den 13. Bezirk, meinst Du nicht?«, stellte Eric fest. Monja sah ihn verwundert an. »Wieso in den 13.? Die Wohnung meines Vaters ist hier um die Ecke, keine fünf Minuten zu Fuß.« »Also die Wohnung, in der Herr Knoth mir seine Theorien erzählt hat, war im 13. Bezirk. Eine kleine Wohnung, spärlich eingerichtet, dafür mit zwei großen, vollen Bücherregalen.« Monja sah ihn eindringlich an. »Weißt Du noch die genaue Adresse?« »Ja, wenn Du willst, kann ich Dich hinbringen«, schlug Eric vor. »Vielleicht hatte mein Vater doch einige Geheimnisse. Ich muss dorthin und diese Wohnung sehen. Es wäre super, wenn Du mir zeigen könntest, wo sie ist.« Zusammen verließen sie das Caféhaus und machten sich auf den Weg zur Straßenbahn, um zu der Wohnung von Monjas Vater zu fahren. Während der Fahrt fragte Monja Eric über sein bisheriges Leben aus. Er erzählte ihr von seinen bisherigen Jobs, als Türsteher einer Diskothek, Taxifahrer, Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft und zuletzt als Chauffeur. Er war der Meinung, den richtigen Beruf für sich noch nicht gefunden zu haben. Dafür hatte er jetzt etwas Zeit und Geld angespart, um in Ruhe zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Monja war bei einem Fernreiseveranstalter tätig. Aus diesem Grund kannte sie sich auch recht gut in Mexiko und dessen Geschichte aus. Es dauerte eine drei viertel Stunde, bis sie vor dem Haus standen, zu dem Eric den Wissenschaftler gebracht hatte. »Ich war noch nie in dieser Gegend«, stellte Monja fest. Sie ging die Sprechanlage durch, fand aber kein Schild mit dem Namen Knoth. »Seine Wohnung im neunten Bezirk ist ein kleines Loch. Diese hier ist in einer Art Villa untergebracht. Warum hat er nicht erwähnt, dass er zwei Wohnungen hat?«, überlegte sie laut. »Lass mich raten, in der anderen Wohnung liegen seine ganzen Klamotten, dafür aber keine Arbeitsunterlagen, oder?« »Ganz genau. Es hat mich schon gewundert, dass ich dort nichts gefunden habe. Nur jede Menge Wissenschaftsmagazine und Werbung.« Mit dem Schlüssel von Eric gelangten sie in die Wohnung. Monja sah sich neugierig um, bis sie mit Tränen in den Augen zu Eric stieß, der mitten im Wohnzimmer stand. »Er hätte sich ruhig viel öfter bei mir melden können. Seit meine Mutter gestorben ist, war er die einzige Verwandtschaft, die ich habe. Diese ganze Geheimniskrämerei wäre doch nicht nötig gewesen …« Eric legte den Arm um sie und drückte sie leicht an sich. »Gibt es denn jemanden, bei dem Du dich heute noch anlehnen kannst, jemand, der Dich am Abend auch tröstet?«, fragte er vorsichtig nach. »Nein, ich bin alleine, was mich bisher auch nicht wirklich gestört hat.« »Wenn Du heute Abend nicht alleine sein willst, kann ich Dir einen gemütlichen DVD-Abend auf einer großen Couch vorschlagen. Du kannst ...« Monja löste sich von ihm und blickte ihm ernst an. Sie war genauso groß wie er und sah ihn etwas vorwurfsvoll an. »Sorry, aber da hast Du wohl etwas falsch verstanden.« Eric grinste sie an, was sie etwas irritierte. »Interessant, da soll noch einer behaupten, wir Männer denken immer nur an das Eine. Mein Angebot war rein freundschaftlich gemeint, ohne Hintergedanken, nichts Anstößiges. Wenn Du nicht willst, kein Problem.« Nun musste Monja auch lächeln. »Sorry, dann habe ich es falsch verstanden. Danke für Dein Angebot, ich werde es mir überlegen.« Sie sahen sich in der Wohnung um, aber außer den unzähligen Büchern gab es nichts Interessantes in der kargen Wohnung. Eric studierte die beiden Wandgemälde. Jedes der Bilder war ein dreiteiliges Gemälde mit zwei schmalen Seitenteilen. Als er nahe an das Bild herantrat, erkannte er, dass es sich um ein selbst gemaltes Bild handelte. »Dein Vater hatte wohl ein Hobby, nämlich `Malen nach Zahlen`.« Erics Handy läutete. Es war sein bester Freund Sammy, der ihm mitteilen wollte, dass sie zu dritt mit Sammys Freundin Ines einen feuchtfröhlichen Abend verbringen wollten. Eric fragte Monja, ob sie auch Lust auf diese Abwechslung hatte, doch diese verneinte. »Ich muss noch einiges erledigen und werde am Abend einfach früh ins Bett gehen. Morgen wird ein … anstrengender Tag, wegen der Beerdigung. Wir sollten jetzt sowieso gehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier etwas finden, was mir weiterhelfen könnte.« Eric bestand darauf, Monja noch bis zu ihrer Haustür zu bringen. Bis dahin hatte sie sich etwas gefasst und ihm auch mehrmals versprochen, sich zu melden, wenn es ihr wieder schlecht gehen sollte. »Zu dumm, dass gerade jetzt meine engsten Freundinnen auf Urlaub sind und erst in zwei Wochen wiederkommen. Aber ich bin sowieso mehr der Einzelgängertyp. Du brauchst Dir also keine Sorgen um mich machen«, versprach sie. »Bist Du morgen alleine bei der Beerdigung?«, wollte Eric wissen. Monja nickte stumm. Eric überlegte kurz. Er kannte weder Walter Knoth gut, noch Monja, aber das arme Ding vor ihm schien ziemlich fertig zu sein. »Wenn es Dir helfen würde, ich habe morgen nichts vor und kann Dich gerne begleiten. Falls Du jemanden dabei haben willst, bei dem Du Dich ausheulen kannst oder einfach nur anlehnen …« Monja versuchte, ein Lächeln aufzusetzen. »Das ist sehr nett von Dir, Eric. Aber ich werde das schon schaffen. Wenn es mir wirklich zu viel wird, dann rufe ich Dich an und wir können uns am Nachmittag auf einen Kaffee treffen. Ich glaube, das würde mir wirklich helfen, um auf andere Gedanken zu kommen.« »Kein Problem, ruf mich einfach an.« Sie reichten sich die Hand und Eric machte sich auf den Heimweg. Von Monjas Zuhause waren es nur wenige Stationen mit der nahe gelegenen U-Bahn. Daheim ruhte Eric sich noch etwas aus, da er wusste, was ihn erwartete, wenn er mit Sammy und Ines unterwegs war. Und er lag mit seiner Vermutung richtig.

Erst gegen Mittag wachte Eric auf. Sein Kopf pochte und die Sonne tat seinen Augen nicht gut. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit viel Kaffee konnte er langsam wieder klar denken. Eric erinnerte sich, dass er am Vortag mit Monja unterwegs war. Vom Abend wusste er nur noch wenig. Nach den ersten beiden Lokalen fehlten ihm immer wieder Bruchstücke. Auf seinem Handy war eine Nachricht von Ines: »Guten Morgen, Eric. Das war wieder eine richtig heftige Nacht. Wenn Du ausgeschlafen bist und Dir daheim langweilig wird, gib Bescheid, wir beide haben heute auch frei. Bussi, Ines«

Eric kannte Sammy schon seit Schulzeiten, gemeinsam hatten sie schon viel erlebt. Seit Sammy vor fünf Jahren seine, wie er sie nannte »Lebenspartnerin«, Ines kennenlernte, waren sie viel zu dritt unterwegs. Eric war für beide zu einem engen Vertrauten und besten Freund geworden. Während Eric das Leben als Single genoss, freute er sich für die beiden, die scheinbar perfekt zusammenpassten. Beiden waren etwas verrückt und für jeden Spaß zu haben. Auf der anderen Seite waren sie die seriösen Bankangestellten, die in derselben Bank arbeiteten und dort einen biederen Eindruck machten.

Eric kam gerade aus der Dusche, als sein Telefon läutete. Es war inzwischen kurz nach 14 Uhr und Monja rief an.

Sie klang sehr verheult und berichtete ihm mit gebrochener Stimme, dass sie alleine bei der Beerdigung anwesend war. Sie fragte Eric, ob er mit ihr nochmals die Wohnung im 13. Bezirk besuchen wollte. Sie wollte sich noch einmal genauer umsehen, um ein besseres Bild von der Arbeit ihres Vaters zu bekommen.

Eric stimmte zu und verabredeten sich mit ihr vor Walter Knoths Wohnung.

Als Eric ankam, wartete Monja schon auf ihn. Sie war komplett in Schwarz gekleidet und ihr Blick herzerweichend traurig. Er begrüßte sie, nahm sie kurz in den Arm und drückte sie an sich.

»Mein herzliches Beileid. Ich kannte Deinen Vater nicht wirklich, aber er muss ein sehr interessanter Mensch gewesen sein.«

»Ganz ehrlich, ihm war seine Arbeit immer das Wichtigste. Er hatte nie wirklich viel Zeit für mich. Selbst als er seinen Beruf bei der ESA verlor, war er nur kurz bei mir, um dann wieder quer durch die Welt zu reisen. Er war immer auf der Suche nach Beweisen für seine Theorien. Aber er hat sich immer wieder bei mir gemeldet. Ich kann nicht behaupten, dass ich alles geglaubt habe, was er erzählte. Aber er war doch mein Vater.«

Eric drückte sie mehrere Minuten lang an sich. Als sie sich etwas beruhigt hatte, sah sie ihn mit ihren dunklen Augen an.

»Wie sieht nun Dein Plan aus?«, fragte Eric.

»Lass uns reingehen. Ich möchte mir seine Bücher durchsehen und vielleicht finden wir einige Aufzeichnungen von ihm.«

Im großen Wohnzimmer studierte Eric die Bücher des ersten Regals.

»Die Geschichte Mexikos, Der Untergang der Azteken, Der Kalender der Maya, Die Astrologie zu Zeiten der Maya, Verschwörungstheorien rund um die Welt, Besuch von einem anderen Stern, … Diese Bücher passen zu seinen Erzählungen«, stellte Eric fest, während er sich umsah.

Monja stand vor dem Parisgemälde und runzelte die Stirn. Er gesellte sich zu ihr.

»Was überlegst Du?«

»Dieses Bild … irgendetwas passt nicht und ich weiß nicht was.«

»Dein Vater hatte eine ruhige Hand, es ist sehr sorgfältig gemalt worden. Aber ansonsten sehe ich nichts Auffälliges.«

»Ich weiß auch nicht, was mich daran stört. Aber es ist, als hätte ich das Bild schon einmal gesehen«, meinte Monja.

»Klar, das ist eines dieser großen Bilder, die man kaufen und selber ausmalen kann. Wahrscheinlich ist es Dir in einem Geschäft untergekommen …«

»Und da ich ein recht gutes Gedächtnis habe, kommt es mir jetzt so bekannt vor. Du wirst recht haben.«

Auf dem Wohnzimmertisch lag ein aufgeschlagener Bildband. Auf einer Doppelseite war eine Tempelruine zu sehen, die mitten im Dschungel lag. Daneben lag ein Blatt Papier, auf dem Walter einige Notizen gemacht hatte.

»Das ist die Schrift von meinem Vater. Palenque, Rücksprache mit Miguel, steht hier. Wer ist Miguel?«, fragte sich Monja.

Eric fand eine detaillierte Karte von Mexiko an der Wand. Daneben klebte ein Blatt Papier mit der Notiz »Drei Steine, eine Kugel«.

Auf einem kleineren Tisch lagen in einer Schale mehrere dunkle Steine in unterschiedlichsten Formen.

»Sind das alles Obsidiansteine?«, fragte Eric.

»Sieht ganz danach aus«, antwortete Monja und nahm einen der rund polierten Steine in die Hand. Neben der Schale lag ein Handy, ein sehr altes Model. Monja nahm es in die Hand und öffnete die Klappe.

»Mist, kein Saft. Ich werde es daheim anstecken. Vielleicht finden wir einige nützliche Nummern oder andere Hinweise.«

Eric ging durch einen Durchgang in die Küche, die sauber und unbenutzt aussah. Als er sich umdrehte, um zurück ins Wohnzimmer zu gehen, blieb er stutzig stehen.

»Monja, kannst Du Dir vorstellen, dass man in einer so kleinen Wohnung Wände platziert, die fast dreißig Zentimeter dick sind?«, überlegte er laut.

Sie kam zu ihm und er zeigte ihr, was er meinte. Die Wand zwischen Wohnzimmer und Küche schien tatsächlich sehr dick zu sein. Eric betrachtete die Wohnzimmerwand genauer.

Monja lehnte sich gegen die Wand und blickte hinter das Regal.

»Bingo!«, rief sie und ließ Eric überrascht zusammenzucken. Sie ging zur Mitte des Regals und nahm mehrere Bücher heraus. Eric sah ihr verdutzt zu.

»Hast Du vor, etwas davon zu lesen? Du kannst Dir sicherlich ein paar ausborgen …«

»Nachher vielleicht. Schau mal, was wir hier haben.« Sie legte ein paar Bücher zur Seite. Diese waren aber nur Attrappen, nur echt aussehende Buchrücken, die einen großen Safe dahinter versteckten.

»Ich würde behaupten, dahinter findest Du weitere Notizen von Deinem Vater«, meinte Eric lächelnd.

Monja kam näher und studierte den Safe. Er war einen Meter breit und halb so hoch. In der Mitte der Safetür war ein Nummernfeld in den Stahl eingelassen.

»Du hast nicht zufällig den Code für den Safe bei der Hand, oder?«, fragte Eric. Monja gab ihm einen leichten Schubs mit ihrem Ellbogen.

»Das kann ein langer Tag werden«, meinte sie und versuchte ihr Glück am Tastenfeld.

»Beginnen wir ganz einfach, die Geburtsdaten von ihm und Dir«, meinte er.

»Mein Vater ist am 17. Oktober 1952 geboren, mein Geburtstag ist der 12. Juni 1983.«

Monja gab die Zahlen 17101952 ein, aber nichts geschah. Sie versuchte eine neue Kombination, aber schon bei der ersten Zahl, piepste es.

»Okay, es sind neun Zahlen. Das hilft uns ja ungemein weiter«, spottete Eric.

»Wenn wir davon ausgehen, dass Dein Vater sich verfolgt gefühlt hat, dann ...« Eric sah sich in dem Raum um. Als er aus dem Fenster blickte, sah er auf der anderen Straßenseite einen Wagen, aus dem ein Mann ausstieg und zu ihm hinüberblickte.

Ich habe ein ganz ungutes Gefühl, dachte sich Eric und sah, wie der Mann sich zum Wagen drehte und zu telefonieren begann.

Sicher ist sicher, überlegte er sich und zückte sein Handy. Während er eine SMS schrieb und abschickte, drehte er sich wieder zu Monja um, die die Schubladen im Zimmer inspizierte.

»Er wird wohl kaum hier einen Hinweis versteckt haben. Da glaube ich eher, dass er jemand die Kombination verraten hat.« Er blickte Monja an.

»Jemanden, dem er vertrauen kann.«

Sie hob die Schultern.

»Meinst Du mich damit? Sorry, aber ich habe keine Ahnung. Das Letzte, was ich ...«

Plötzlich kam ihr eine Idee.

»Ich habe vielleicht doch einen Hinweis von ihm erhalten! Schnell, schau in den Regalen nach. Ich brauche ein Buch über die Schrift und Zahlen der Maya«, forderte sie Eric aufgeregt auf. Ohne nachzufragen, ging er die Bücher rund um den Wandsafe durch.

»Viel über die Eroberung von Mexiko, die Götter der Azteken ... Hier eine Erklärung des Aztekenkalenders ...«

»Nicht Azteken, die kamen erst später. Wir suchen die Maya.«

»Vielleicht dieses hier: Eine Erklärung zu der Schrift der Maya.«

»Bingo! Her damit!«, rief sie freudig und bestimmend.

Eric überreichte ihr das Buch, hatte selbst aber noch keine Ahnung, wie es ihnen weiterhelfen konnte.

»Ich weiß vielleicht nicht viel über die Maya, aber die haben doch sicherlich die Zahlen damals anders geschrieben«, war er der Meinung. Monja grinste ihn wissend an.

»Richtig. Die Maya hatten keine Schrift, so wie wir sie kennen. Es war mehr eine Bildersprache, soweit man es von den Codices kennt.«

»Von den was?«, unterbrach Eric sie.

»Codices. Diese erhaltenen Schriftstücke aus der Zeit der Maya beinhalten Ereignisse der Maya-Priester, Kalenderdeutungen und waren die Grundlage zur Entschlüsselung der Schrift des Volkes. Nur wenige Bücher sind bis heute erhalten, der bekannteste Codex liegt im Buchmuseum der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden und ist der einziger, der öffentlich ausgestellt ist. Bis heute ist es noch nicht gelungen, die Schrift vollständig zu übersetzen. Aber das Zahlensystem der Maya hat man zum Beispiel schon verstanden. Wie viele Kulturen im mesoamerikanischen Raum verwendeten die Maya ein Vigesimalsystem. Noch dazu verwendeten sie unterschiedliche Zeichen. Zum einen eine Kombination aus Strichen und Punkten und dann ihre Bildsprache. «

»Vigemalwas? Könntest Du Dich mit Deinen Fachausdrücken vielleicht ein wenig einschränken?«, unterbrach Eric sie.

»Vigesimalsystem, ein Zahlensystem auf Basis von zwanzig. Wir haben ein Dezimalsystem, basierend auf zehn. Wenn Du zum Beispiel von sechzig sprichst, meinst Du sechs mal zehn. Die Maya würden es als drei mal zwanzig bezeichnen.«

»Auch sehr interessant danke für die Aufklärung. Und wie hilft uns das Ganze weiter?«, wollte Eric wissen.

Während ihres Vortrages blätterte sie in dem Buch, bis sie eine Tabelle mit unterschiedlichen Zeichen fand.

»Bingo, genau das habe ich gesucht.«

Sie drückte Eric das aufgeschlagene Buch in die Hand und kramte in ihrer Handtasche nach der Steinscheibe von ihrem Vater.

Eric sah sich die verschiedenen Zeichen an. Nun verstand er auch, was sie meinte, denn er erkannte einige der Zeichen wieder. Monja hielt den Stein gegen das Fenster und sie verglichen die Zeichen in dem Stein mit denen aus dem Buch.

»Wir haben also eine neunstellige Zahl, 158318002. Also schauen wir nach, ob wir richtig liegen, mit unserer Vermutung.«

Eric wandte sich wieder dem Safe zu und drückte langsam die Kombination ein. Er hatte die vierte Zahl eingetippt, als er plötzlich regungslos stehen blieb. Monja wollte ihn fragen, was los war, doch er fuhr rasch die Hand aus und hielt ihr den Mund zu. Mit der anderen Hand zeigte er auf die Eingangstür. Langsam, fast lautlos bewegte sich die Türschnalle. Monja riss die Augen auf und sah Eric verzweifelt an. Er deutete ihr, in die Küche zu verschwinden. Eric selbst ging neben der Eingangstür in Stellung.

Die Klinke wurde ganz hinuntergedrückt und einen Spalt geöffnet. Eine Hand mit einer Pistole in der Hand erschien.

Ich hasse es, wenn mein schlechtes Gefühl recht behält, fluchte Eric in Gedanken.

Eric packte zu und riss die Waffe an sich. Gleichzeitig warf er sich gegen die Tür und quetschte den Unterarm in der Tür ein. Ein Mann schrie schmerzhaft auf. Eric zog den Mann an der verletzten Hand nach innen und schleuderte ihn zu Boden. Monja stieß einen hohen spitzen Schrei aus und drückte sich gegen die Wand der Küche.

Eric erkannte ihn sofort, als den Mann, den er vorher durchs Fenster gesehen hatte. Der hagere Mann war von Erics Angriff derart überrascht worden, dass er ihn nur perplex ansah. Eric blickte auf den über 50 Jahre alten Mann mit grauen, kurzen Haaren und einem grauen Schnauzbart. Er war elegant gekleidet im dunklen Anzug samt Krawatte. Auf der Brust fiel Eric eine kleine goldene Anstecknadel mit einem unbekannten Zeichen auf.

Der Planet mit dem Schriftzeichen war gewölbt und stach von der goldenen Untergrundplatte hervor. Ebenso das Zeichen auf der linken Seite, in dessen Kreis ein runder roter Stein eingebettet war.

Eric schloss die Tür mit einem Fuß und richtete die Waffe auf den am Boden liegenden Mann.

»Willst Du uns verraten, wer Du bist?«, fragte er ihn wütend. Monja kam aus der Küche und stellte sich neben Eric.

»Ihr habt ja keine Ahnung, mit wem ihr Euch eingelassen habt!«, fauchte der Mann.

»Eingelassen? Wir sind nur wegen meinem Vater hier«, meinte Monja mit zittriger Stimme.

»Dein Vater? Der war schon auf dem richtigen Weg und ist uns viel zu nahe gekommen.«

»Das heißt … Ihr habt meinen Vater umgebracht?«, fragte Monja entsetzt nach.

Der Mann grinste sie böse an.

»Ja, wir haben ihn beseitigt. Er wurde mit seinen Forschungen zu einem Problem. Unsere Bruderschaft braucht keine Einmischung. Wir können nicht zulassen, dass ein Ungläubiger das Paradies findet.«

Monja schoss vor und packte den Mann am Anzugkragen hoch. Mit Tränen in den Augen und mit aller Kraft schlug sie die Hand in sein Gesicht und warf ihn fest zu Boden.

»Du verdammter ... Ich würde Dich am liebsten ...«, stotterte sie vor Wut.

Eric hörte hinter sich ein Geräusch. Schnell wirbelte er herum, doch er reagierte zu langsam. Der Griff einer Pistole traf ihn fest im Gesicht. Eric wurde zur Seite geschleudert und ging mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden, die Waffe flog im hohen Bogen durch das Zimmer. Sein Schrei ließ Monja aufblicken. In der Tür stand ein weiterer Mann im dunklen Anzug, dieselbe Anstecknadel in Brusthöhe. Dieser Mann war viel jünger, ungefähr in Erics Alter. Er war viel kräftiger und fast einen Kopf größer, als sein Freund am Boden. Schnell schloss er die Tür.

»Bleib liegen, wenn Du nicht sofort sterben willst«, sagte er eiskalt zu Eric.

Dieser lehnte an der Wand und strich sich über den Mund. Er schmeckte sein Blut, seine linke Gesichtsseite schmerzte gewaltig.

»Carajo! Was geht denn hier ab?«, fragte er.

Der junge Mann grinste ihn spöttisch an.

»Ihr habt wirklich keine Ahnung, oder?«

»Sorry, nein!«, stieß Monja wütend hervor, »Was soll der ganze Mist mit Bruderschaft, Ungläubigen ...«

»Mist? Du nennst unsere Bruderschaft ein Mist?«, meinte der Mann verärgert.

»Unsere Bruderschaft wird die neue Weltordnung sein. Wir werden die neue Herrscherrasse sein. Und ungläubige Kreaturen, wie ihr beide, werden nur ein Kieselstein unter unserem Stiefel sein.«

»Wie bitte? Das klingt für mich nach einer Nazigruppe, die glaubt, noch im Jahre ...«

Ein lautes Auflachen des jungen Anzugträgers unterbrach Eric.

»Ihr seid ja so unwissend. Dein Vater war so knapp davor, alles zu verstehen und das größte Geheimnis der Welt zu enthüllen. Aber eben nur fast. Mithilfe seiner Unterlagen werden wir das Tor finden und ... Ach, was gebe ich mich eigentlich mit Euch ab?«

Er hob seine Waffe und zielte auf Eric.

»Moment, nicht so schnell. Wenn Du jetzt abdrückst, wirst Du nie an die Unterlagen kommen«, sagte Eric ruhig. Der Blick des Mannes verriet ihm, dass er sich gerade ein paar Sekunden gerettet hatte.

»Glaub einem Mann, der sich mit Sicherheitssystemen auskennt. Dieser Safe dort in der Wand ist ein gemeines Ding. Wenn Du mehrmals den falschen Code eingibst, kannst Du den Inhalt vergessen. Außerdem möchte ich festhalten, dass ich nur zufällig hier reingerutscht bin. Vielleicht kommen wir ja ins Geschäft: Ich öffne Euch den Safe und ihr nehmt nur das Mädchen.«

Monja schreckte auf und sah ungläubig zu Eric.

»Was?«, stieß sie erschrocken aus.

»Sorry, aber ich muss auf mich schauen«, sagte er ihr kaltschnäuzig ins Gesicht.

»Interessant. Du hast fünf Minuten. Mach den Safe auf und Du kannst gehen. Ansonsten ...«, ordnete der jüngere Mann an und winkte mit der Pistole.

Langsam erhob sich Eric und ging auf Monja zu. Ohne sie anzusehen, nahm er die kleine Steinplatte vom Tisch.

»Ich brauche das Buch, auf dem Du liegst, alter Mann«, meinte er und versuchte dabei, möglichst gelassen zu wirken. Monja konnte ihn nur entsetzt ansehen.

Der ältere Mann erhob sich und reichte ihm das gewünschte Buch.

»Einen kleinen Moment, ich muss nur die richtige Stelle finden. Könntet ihr mir vielleicht unterdessen erklären, was für eine Bruderschaft ihr seid?«, fragte Eric nach und blätterte es suchend durch.

»Unsere rote Bruderschaft entstand schon vor einigen Jahrhunderten. Heutzutage sind wir einige Hundert Brüder, die über die ganze Welt verteilt sind«, erklärte ihm der ältere Mann voller Stolz.

»Die Zeit läuft«, meinte der andere Mann ruhig.

»Ich habe es schon gefunden. Gleich bekommt ihr eure Unterlagen. Aber ist das Ganze wirklich zwei Morde und den ganzen Stress wert?«, versuchte Eric weiterhin, etwas mehr zu erfahren.

»Ja, das ist es. Noch nie in der Geschichte waren wir so nahe daran, das Tor zum Mars zu finden.«

»Das Tor zum Mars? Wie verrückt seid ihr eigentlich?«, schrie Monja wütend.

»Schweig, unnützes Weib. Eigentlich sollte ich nicht länger warten ...« Der junge Anzugträger zielte auf Monja. Sie riss die Augen auf und blickte in Todesangst von ihm zu Eric. Der blickte angestrengt zur Eingangstür.

Plötzlich läutete es.

»Wer ist das?«, fragte der junge Mann Monja.

Eric antwortete für sie: »Wir haben uns eine Pizza bestellt. Lass sie einfach rein, ich teile gern mit Euch.«

Zu dem Älteren gerichtet, meinte der Mann: »Mach auf und schau, dass er schnell verschwindet.«

Sofort sprang der Mann auf und ging zu Tür.

»Kein Wort, sonst gibt es ein Blutbad, verstanden?«, erklärte er Monja und Eric.

Eric schnappte sich Monja und hielt ihr den Mund zu. Sie wollte sich losreißen, aber er drehte sie zu sich, wobei er mit dem Rücken zu den Männern stand. Er grinste sie kurz an und zwinkerte ihr zu.

Sie hörten, wie die Tür geöffnet wurde, und drehten sich um.

»Was gibt es?«, fragte der ältere Mann nach.

In der Tür stand ein Pärchen, beide sahen auf den ersten Blick aus, wie frisch von einem Punkkonzert. Die junge Frau war sehr schlank, eine hautenge Lederhose betonte ihre athletischen Beine noch mehr. Ihre hellbraunen Haare hingen wild herunter, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Ein silberner Ring glänzte an ihrer Lippe.

Neben ihr stand ein Mann in Erics Alter, in einer ausgewaschenen Jeans und Lederjacke.

Trotz der Jacke war deutlich zu erkennen, dass er sehr durchtrainierte Oberarme hatte, überhaupt machte er einen sehr muskulösen Eindruck. Er hatte sich sicherlich seit einigen Tagen nicht rasiert, dafür waren seine kurzen schwarzen Haare mit viel Gel nicht hinten geglättet.

Beiden lächelten freundlich und traten einfach ein.

»Hallo zusammen. Wir haben gehört, hier steigt eine Party. Da können wir unmöglich fehlen«, sprach die junge Frau und ging einfach an dem perplexen Mann vorbei in Richtung Wohnzimmer. Ihr Partner schob den Mann zur Seite und wollte ihr gerade folgen, als sich der junge Anzugträger umdrehte und das Pärchen seine Waffe sah.

Eric war auf das Kommende vorbereitet, er kannte seine Freunde Sammy und Ines schon lange genug. Deshalb hatte er Sammy vorhin per SMS um einen Besuch gebeten. Er war sich nicht sicher gewesen, aber sein ungutes Gefühl täuschte ihn für gewöhnlich nicht.

Monja hingegen erlebte dafür eine Vorführung von unglaublichen Reflexen und Kampfsport.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, packte Ines die Pistole, riss sie hoch und vollführte gleichzeitig eine Drehung auf einem Bein. Das andere hatte sie ausgestreckt und traf den Mann damit mitten im Gesicht. Noch bevor er reagieren konnte, verdrehte sie ihm die Hand mit der Waffe, bis ein Knacken in seinem Handgelenk zu hören war. Die Pistole fiel ihm aus der Hand, schon im nächsten Moment packte sie ihn am Hals. Sie hob ihn mit Schwung hoch, um ihn mit Wucht rücklings auf den Boden zu werfen. Erst jetzt kam der Mann dazu, aufzuschreien. Es war nur ein kurzer Schrei, denn Ines ließ sich auf die Knie fallen und schlug mit ihrer Handkante fest gegen die Halsseite des vollkommen überraschten Mannes. Der Schlag schickte ihn ins Land der Träume.

Sammys Auftritt war weniger eindrucksvoll aber ebenso wirksam. Er schlug seine Faust in den Magen seines Gegenübers und ließ ihn gegen die Wand donnern. Zwei weitere schnelle Schläge gegen die Schläfe genügten, um den Mann bewusstlos zu Boden gehen zu lassen.

Monja konnte das Ganze nur mit offenem Mund bestaunen. Sie war mit der Situation überfordert und konnte sich nicht erklären, was gerade vor sich ging.

»Wir stecken vielleicht in Problemen, könnt ihr kurz vorbeikommen, nur sicherheitshalber? Also Eric, seit wann schreibst Du so kryptische Nachrichten?«, meinte Sammy gut gelaunt.

»Ihr kennt Euch?«, fragte Monja vorsichtig nach.

»Ja, wenn ich vorstellen darf, Sammy, mein ältester und bester Freund.«

Sammy reichte ihr seine große Hand und deute mit der anderen auf seine Freundin.

»Hallo, Süße. Und das ist meine geliebte Lebenspartnerin, Ines. Wie Du vielleicht gesehen hast, eine heiße Frau mit viel Temperament.«

Monja drehte sich wieder Eric zu. Er hob entschuldigend die Hände.

»Schau mich nicht so an, ich musste Zeit gewinnen. Ich hatte nicht vor, Dich in Gefahr zu bringen, aber … Außerdem, was geht hier eigentlich vor?«

Monja schüttelte den Kopf.

»Keine Ahnung. Ich verstehe das Ganze auch nicht.«

»Na, wenn ihr es nicht kapiert, wer soll es dann verstehen?«, fragte Ines nach. Sie holte aus ihrer Tasche vor der Tür zwei Handschellen und legte sie den beiden Männern an.

»Die will ich wiederhaben, das sind meine Spielzeuge«, stellte sie klar.

»Wenn ihr nicht wisst, was hier vorgeht, dann werden wir wohl die beiden fragen müssen«, meinte Sammy und hob die beiden Männer nacheinander auf einen Sessel.

Danach rauchte er sich gemütlich eine Zigarette an und bot der Runde auch welche an. Ines griff zu, Eric und Monja winkten ab.

»Du hast eine Gelassenheit. Die wollten uns umbringen!«, entfuhr es Monja. Doch Sammy grinste sie nur an.

»Süße, deshalb sind wir ja hier. Wie Du richtig gesagt hast, sie wollten Euch umbringen. Jetzt werden sie keine Chance mehr dazu haben. Dafür werden sie uns etwas zu erzählen haben.«

Ines und Eric durchsuchten die Männer, legten ihre Pistolen außer Reichweite auf einen Tisch und nahmen sich die Ansteckbrosche der Männer.

»Interessantes Motiv. Die gefällt mir«, stellte Ines fest und steckte die Anstecknadel ein.

Monja unterbrach die Unterhaltung.

»Leute! Was wollt ihr nun machen? Sollen wir zuerst den Safe öffnen, oder warten, bis diese Gangster munter werden?«

Sammy entledigte sich seiner Lederjacke. Dabei kamen mehrere Tätowierungen auf seinen Armen zum Vorschein. Monja erkannte einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen, Pfeile und einen Totenkopf.

»Eric, Süße, ihr beide kümmert Euch um den Safe«, beschloss Sammy.

»Ich heiße Monja«, stellte Monja klar.

»Ich weiß, Süße«, war seine knappe Antwort.

Eric wandte sich wieder dem Safe zu. Monja gesellte sich zu ihm.

»Das war gerade sehr knapp, ist Dir das klar?«, flüsterte sie.

Er blickte sie an und hielt sie sanft bei den Schultern.

»Es tut mir leid, aber ich hatte keine andere Möglichkeit um diese Verrückten zu beschäftigen. Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich mit einer Waffe bedroht. Eigentlich wollte ich nur nett sein und Dir etwas helfen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass dein Vater mit solchen Leuten zu tun hat«, erklärte er ihr, »So, und jetzt schau noch einmal nach den Zahlen, bitte.«

»158318002. Wie gesagt, ich habe ein gutes Gedächtnis«, gab sie ihm gehässig zurück.

Ohne weiter auf ihre Stimmung einzugehen, tippte Eric den Code komplett ein. Ein leises Klicken war zu hören, dann sprang die Tür des Safes einige Millimeter auf.

»Bingo!«, jubelte Monja und schob Eric zur Seite.

»Bitte, gerne gemacht!«, sagte er und ging einige Schritte zurück. Sammy kam zu ihm.

»Deine Freundin ist ja …«

»Das ist nicht meine Freundin, Sammy«, stellte Eric klar. In wenigen Worten erklärte er ihm, was vor einigen Minuten passiert war. Als Eric fertig berichtet hatte, klopfte sein Freund ihm fest auf die Schulter.

»Wenn schon verrückt, dann aber richtig, oder?«, meinte er schmunzelnd.

»Schatz, schau mal. Wer auch immer hier wohnt, er hat dasselbe Bild hängen wie mein Bruder«, rief Ines, die vor dem Bild von Paris stand.

»Dasselbe? Ich dachte, dein Bruder malt selber?«, fragte Sammy nach.

Monja drehte sich zu ihnen um, in der Hand eine Mappe mit unzähligen Zetteln und Bildern.

»Das nennt sich Malen nach Zahlen. Die Motive sind vorgegeben, aber man malt es selber aus, wobei eine Zahl in dem Feld die Farbe angibt«, begann Monja einen Vortrag zu halten. Ines hob ihre Hand.

»Danke, Süße, ich kenne mich schon aus. Aber irgendetwas ist an diesem Bild anders, bilde ich mir jedenfalls ein« Sie studierte weiter das Bild.

»Das habe ich mir auch schon gedacht …«, meinte Monja leise. Sie war immer noch aufgewühlt, durcheinander und wusste nicht, was sie von Erics Freunden halten sollte.

Eric blickte zu Monja, die in der Mappe blätterte.

»Und? Hast Du etwas Interessantes gefunden? Etwas, das diesen Angriff erklären würde?«

Monja zog ein Blatt hervor, auf dem das Abzeichen der beiden Männer abgebildet war.

»Ja, hier, zum Beispiel. Ein Brief von einem Salvatore Barbier-Mueller. Er schreibt, dass diese sogenannte Bruderschaft nichts anderes, als eine große, gut organisierte und geheime Sekte ist. Ihre Grundideen von einem Paradies auf einem anderen Planeten sind nicht neu, diese Sekte hat sich auf den Mars eingeschworen. Hier steht auch, dass er die Anstecknadel untersucht hat und der kleine Stein, der eingefasst ist, einige seltsame Merkmale aufweist. Er wird ihn weiter überprüfen lassen und sich dann wieder melden. Er hofft, dass dein Vater ihn in Barcelona besuchen kommt.

Bezüglich der Obsidiansteine verläuft die Spur im Sand, aber er müsse noch Erkundigungen einholen, inwieweit Antoni Gaudi mit dem Franzosen Victor Cuvier zu tun hatte. Hier ist seine Visitenkarte, ich werde ihn nachher anrufen und erzählen, dass mein Vater … dass er nicht mehr lebt.«

Sie stöberte weiter in der Mappe. Eric kam zu ihr, doch sein Blick ging zum geöffneten Safe.

»Monja hast Du dir den Inhalt des Safes genauer angesehen?«, fragte er verwundert. Abgelenkt von den vielen Unterlagen meinte sie nur: »Noch nicht, ich schaue mir gerade …«

Eric packte sie an der Schulter und drehte sie in Richtung der offenen Tür.

»Hey, was soll das? Lass mich … Was ist denn?«, fluchte sie, aber als sie noch einmal in den Safe blickte, verstummte sie.

Sie hatte nur die Mappe aus dem oberen Fach herausgenommen, das zweite Fach hatte sie nicht beachtet. Dort lagen bündelweise Geldscheine. Eric nahm einige heraus.

»Ein Bündel mit fünfzig 500 Euro Scheinen, das sind … 25.000 Euro! Und das ist nur ein Bündel von vielen hier drinnen.«

Er nahm noch mehrere heraus. Neben den 500er-Scheinen waren auch Bündel mit 100 und 50 Euro Scheinen dabei.

»Dein Vater war ein reicher Mann, Süße«, stellte Sammy fest, »Wenn Du Hilfe mit dem Geld brauchst …«

»Sorry, nein. Das überlass schön mir, okay?«, blockte sie sofort ab. Sammy grinste Eric kurz an, wich einige Schritte zurück und reichte ihr eine Stofftasche, in die Monja die Bündel verstaute.

»Hier in der Mappe steht eine Notiz in der Handschrift meines Vaters. `Die Bilder zeigen den Weg.´ Was soll denn das bedeuten?«

»Dein Vater litt unter Verfolgungswahn, ich glaube, deshalb hat er die Wohnung auch als Versteck gewählt und hier seine Nachforschungen betrieben. Ob er diese selbstgemalten Bilder meint?«, überlegte Eric laut. Ines kam seiner Überlegung zuvor und nahm das Bild von Paris herunter.

»Schön gemalt, er hatte scheinbar eine recht ruhige Hand«, meinte sie und hielt das große Bild vor sich. Es war ungefähr einen Meter breit.

Was Ines nicht sah, dafür aber alle anderen in dem Raum, war eine kleine Postkarte, die auf der Rückseite eingeklemmt war. Eric nahm sie heraus und zeigte sie Monja.

»Der Eiffelturm auf einer ziemlich alten Ansichtskarte. Kannst Du Französisch?«, fragte er sie. Monja schüttelte den Kopf und wendete die Karte, aber die Rückseite war leer. »Okay, das alles ist mir eindeutig zu hoch, zu verkorkst, fast schon zu verrückt. Ich glaube, wir sollten jetzt einmal die Polizei …« Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment zerbarsten die Fenster im Wohnzimmer. Zwei brennende Flaschen wurden hereingeworfen. Eine landete auf der Couch und setzte diese sofort in Flammen. Die zweite Flasche zerbrach am Boden, die brennende Flüssigkeit verteilte sich in Richtung Buchregal. Monja kreischte erschrocken auf und wich vom Feuer zurück. Eric packte sie fest am Arm und zog sie mit sich. »Raus hier, alle, schnell!«, schrie er. Sammy sah sich kurz um, schnappte sich dann das Bild von Mexiko und rannte mit seiner Freundin los. Ines hielt ebenfalls ihr Gemälde noch immer in der Hand. Bei der Eingangstür schnappte sie sich die Tasche mit den Geldbündeln. Kaum erreichten sie die Tür, hörten sie, wie ein weiterer Brandsatz in die Wohnung landete. »Die zwei …«, fiel Monja ein. »Was sollen wir tun? Zurückgehen und sie aufwecken?«, fuhr Sammy sie an und schob sie weiter. Monja griff noch einmal in den Safe und zog eine Mappe heraus, die sie fest an sich klammerte. Als sie draußen waren, schlug Eric die Tür hinter sich zu. Sie rannten ins Freie und sahen noch, wie ein Wagen davon raste. Es war derselbe, der Eric schon vorher aufgefallen war. Aus dem Fenster der Wohnung schlugen Flammen und Rauch auf die Straße. »Caramba, Coño! Was geht denn hier vor? Zuerst der Unfall mit dem Wagen, jetzt wird die Wohnung in Brand gesetzt. Dein Vater muss mitten in ein Wespennest gestochen haben, Monja.« »Reden können wir später auch, unser Wagen steht um die Ecke. Kommt mit, wir fahren zu uns«, forderte Sammy sie auf und zog sie weiter. Um die nächste Hausecke stand der Wagen von Sammy. Sofort sprangen sie alle hinein und Sammy warf sich hinter das Steuer. Er fuhr los und lenkte den Wagen weg von dem brennenden Haus. Erst einige Minuten später traute sich wieder jemand, in dem Wagen zu sprechen. Es war Ines, die sich zu Eric und Monja umdrehte. Beiden war der Schock im Gesicht anzusehen. »Wir fahren jetzt zu uns heim und dann werden wir uns in aller Ruhe diese ganzen Unterlagen ansehen. Ihr müsst da etwas Hochbrisantes in Händen halten, wenn diese Verrückten sogar ihre eigenen Leute opfern.« »Ich verstehe das alles nicht. Mein Vater war Wissenschaftler. Noch dazu jemand, der sich mit solchen Fantastereien, wie Außerirdischen beschäftigt hat. Wer sollte denn so einen Mann umbringen wollen?« Monja zitterte am ganzen Körper. »Wir sind gleich bei uns daheim, dann kriegst Du etwas zur Beruhigung, Süße«, versprach Sammy ihr, während Eric sie an sich drückte und versuchte, sie etwas zur Ruhe zu bringen.

Sammy Beruhigung war ein Glas Whiskey, das Monja in einem Zug leerte. Den zweiten trank sie etwas langsamer.

Vor ihnen lag die Mappe, die Monja aus der Wohnung gerettet hatte. Außer diesen Unterlagen hatten sie noch die zwei Bilder mitgenommen. In den Nachrichten war schon von dem Brand gesprochen worden. Die Feuerwehr konnte nichts mehr aus der Wohnung retten, die Identität der zwei Leichen war nicht geklärt worden.

»So, legen wir alles zusammen, was wir haben, vielleicht bringt es uns ja weiter«, schlug Eric vor.

Sammy zückte eine der Waffen.

»Die werde ich zuerst einmal sicher verstauen, ich glaube kaum, dass uns die weiterhilft.«

Ines nahm die zwei Gemälde und lehnte sie neben der Couch an die Wand.

»Auch die werden uns im Moment kaum etwas helfen können«, meinte sie und hielt Monja die Mappe hin.

Monja öffnete sie.

»Verdammt, einige Zettel sind in der Wohnung rausgefallen«, fluchte sie. Sie nahm ein Prospekt in die Hand und zeigte es den anderen.

»Eine Werbung für die Ausstellung des Penacho. Ich habe darüber gelesen.«

»Penacho? Du meinst diesen Federfächer?«, fragte Eric.

»Federfächer? Du hast keine Ahnung, was dieser Kopfschmuck für eine Bedeutung hat, stimmt´s?«

»Nein, aber ich bin mir sicher, Du wirst mir gleich einen klugen Vortrag darüber halten«, gab Eric ihr zur Antwort und lehnte sich provokant zurück.

Monja holte tief Luft.

»Der Penacho ist ein Kopfschmuck mit grünen Federn des, in Mexiko heimischen, Quetzal-Vogel. Er wurde von den aztekischen Priestern bei Ritualen getragen. Vermutungen gehen auch in die Richtung, dass dieser Kopfschmuck von Montezuma selbst getragen wurde, als Hernando Cortez und er zusammentrafen. Ob Montezuma wirklich Cortez den Kopfschmuck geschenkt hat, ist bis heute umstritten. Genauso wie man nicht genau erklären kann, wann und unter welchen Umständen der Kopfschmuck nach Europa gelangt ist.

In den Inventaraufzeichnungen, für die damals im Schloss Ambras befindliche Kuriositätensammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol scheint der Federschmuck auf. Von dort kann auch sein Weg bis nach Wien nachvollzogen werden.«

»Montezuma? Ich kenne nur Montezumas Rache und die hat wohl kaum etwas mit einem aztekischen …«, meinte Sammy ironisch.

Monja sah ihn mit ernster Miene an.

»Doch hat es. Bei der Eroberung durch die Spanier schleppten die Europäer Krankheiten mit nach Mexiko. Der Legende nach soll Montezuma kurz vor seinem Ableben einen Fluch ausgesprochen haben, dass alle Eindringlinge seine Rache zu spüren bekommen sollen. Daher kommt der Ausdruck.«

»Wer braucht schon Wikipedia, wenn man Monja hat, oder?«, war Erics Kommentar zu ihrem Vortrag. Monja legte den Kopf schief und sah Eric herausfordernd an. Sie schien zu überlegen, ob er sie auf den Arm nehmen wollte oder nicht.

»Aber da kommt wieder das Problem, dass mein Vater sich mehr mit den Maya beschäftigte. Zwischen der Kultur der Maya und der Azteken liegen einige Jahrhunderte.«

»Okay, soviel zur Geschichtsstunde, machen wir weiter«, empfahl Eric und nahm einen Brief aus der Mappe.

»Ich habe hier den Brief an Deinen Vater von diesem Salvatore Barbier-Mueller. Seine Visitenkarte hängt auch noch dran.«

»Wer ist dieser Franzose Victor Cuvier, der in dem Brief erwähnt wird?«, fragte Monja.

»Was fragst Du mich, bis vor ein paar Tagen kannte ich noch nicht einmal Dich und deinen Vater.«

Eric zog ein weiteres Blatt hervor.

»Eine E-Mail an Deinen Vater. Na die hilft uns ungemein weiter: Die Übersetzung des Textes lautet ›Drei Steine in einem Altar werden den Tempel erscheinen lassen. Frage nicht nach dem Wo, konzentriere Dich auf das Wann‹. Mit freundlichen Grüßen, Miguel. Schon wieder dieser Miguel.«

Sie schüttelte den Kopf und zog ein eine alte Postkarte hervor.

»Was soll das den, ist das eine Ansichtskarte aus Wien?«, wunderte sie sich. Sammy, der neben ihr stand, beugte sich zu ihr hinunter.

»Wien ist einmal richtig, aber der Rest? Interessanter Text. Sag einmal, kann es sein, dass dein Vater Rätsel liebte?« Er nahm die Karte aus ihrer Hand und zeigte sie den anderen.

»Ich nehme an, Du hast keine Ahnung, was das bedeuten soll, Süße?«, fragte Ines nach. »Nein«, meinte Monja leicht verzweifelt, »Und schön langsam frage ich mich, ob das alles überhaupt einen Sinn ergibt.« »Für unsere verkohlten Freunde jedenfalls genug um Euch zu töten«, stellte Sammy trocken fest. »Danke, mein Freund, Du bist uns eine große Hilfe«, meinte Eric und nahm sich das letzte Blatt Papier aus der Mappe. Auf einem kleinen Blatt war eine seltsame Zeichnung gemalt. Der Text darunter war in Spanisch. »Wie sieht es mit Deinen Spanischkenntnissen aus, Freundchen?«, fragte Monja in Erics Richtung. Er nahm ihr das Blatt aus der Hand und blickt kurz darüber und übersetzte laut den Text: »Nachdem der gesamte Stamm mir nun vertraut, können wir gemeinsam die Verteidigung gegen Cortes aufbauen. Meine Aufgabe wird es sein, das Grab des großen Herrschers, der mit Hunab Ku gesprochen hatte, zu beschützen. Der Hohepriester hat erzählt, dass den Eindringlingen unter keinen Umständen verraten werden darf, wo sich der Schatz befindet. Der Tempel, der diesen heiligsten Ort aller Maya bewacht, wurde von den großen Herrschern versiegelt. Drei Herrscher, die je einen Schlüsselstein bei sich tragen. Als Zeichen seines Vertrauens hat mir der Hohepriester, wohl auch als Geschenk zur Vermählung mit seiner Tochter, eine Kugel aus Obsidian überreicht. Sie wirkt klein und unscheinbar, aber sie ist die Verbindung zu Hunab Ku, unserer Hochgottheit. Das gut versteckte Heiligtum, dieser Tempel mit dem sagenhaften Schatz, soll von den Göttern persönlich besucht worden sein. Egal, ob wir Cortes und seine Männer besiegen können oder nicht, diese Schlüssel dürfen ihm niemals in die Hände geraten. Auch wenn ich den Sinn nicht verstehe, aber die Übersetzung ist richtig, Princesa«. Sammy und Ines grinsten sie beide an. »Monja, was ist Dein Vortrag dazu?«, wollte Eric wissen und deutete auf das Zeichen über dem Text. »Die linke Zeichnung ist die Darstellung des Maya-Kalenders, das andere Symbol ist mir fremd.« »Und weiter?« »Ich weiß viel, aber nicht alles«, gab sie ihm schnippisch zurück. Sie legten die Postkarte von Paris in die Mappe und sahen sich gegenseitig ratlos an. »Und jetzt?«, fragte Eric in die Runde. Monja lehnte sich an ihn an. »Wenn wir jetzt zur Polizei gehen, dann werden wir viel zu erklären haben. Die zwei Toten, das ganze Geld. Ich bezweifle, dass man mir glauben wird, wenn ich denen die Geschichte erzähle.« Den restlichen Nachmittag musste Monja lange und breit erklären, was sie von ihrem Vater wusste und er ihr all die Jahre erzählt hatte. Während sie den anderen erzählte, was ihr Vater bei der Raumfahrtbehörde erlebte, saß Ines am Computer und surfte über diverse Internetseiten. Sie fand aber keine Informationen über die Bruderschaft und den Zusammenhang zum Mars. Entweder diese Vereinigung war wirklich derart geheim, oder nur eine Erfindung der zwei Verbrecher gewesen. Sie kopierte die Unterlagen von Monjas Vater und machte Kopien der beiden Gemälde. Die Anstecknadeln, die sie den beiden Männern abgenommen hatte, teilte sie zwischen Monja und sich auf. Erst am späten Abend verabschiedeten sich Eric und Monja. Die beiden Bilder ließ sie bei Ines und Sammy stehen. Eric brachte die inzwischen etwas gefasste junge Frau bis zu ihrer Wohnungstür. »Danke nochmals, für alles heute.« »Bist Du Dir sicher, dass Du alleine zurechtkommst?«, fragte er ehrlich fürsorglich nach. »Ja, das geht schon. Der Tag heute war wie eine Achterbahn, eine sehr gefährliche Achterbahn. Ich bin froh, wenn ich jetzt die Beine auf den Tisch legen kann und etwas abschalten kann. Diese Unterlagen werde ich morgen nochmals durchgehen. Wenn es Dich interessiert und Du Zeit hast, können wir uns alles gemeinsam durchsehen. Vielleicht fällt uns etwas zu diesem ganzen … Wahnsinn ein.« »Ich habe Zeit, ich muss ja im Moment nicht arbeiten. Dann komme ich einfach morgen Vormittag vorbei. Ich nehme Dir auch gerne ein Frühstück mit. Und sollte Dir heute noch die Decke auf den Kopf fallen, kannst Du Dich jederzeit melden, einverstanden?« Monja nickte, versicherte ihm aber, dass es ihr gut ging. Eric war sich da nicht sicher, immerhin war Monja heute zuerst auf der Beerdigung und dann in Lebensgefahr geraten. Auch er war ziemlich aufgewühlt. Solange sie bei seinen Freunden waren, konnte Eric es gut vor Monja überspielen. Aber als er daheim war, rasten seine Gedanken um die zwei Männer und die Nachforschungen von Monjas Vater. Eigentlich wussten sie nichts Genaueres, die Hinweise, die Walter Knoth im Safe deponiert hatte, waren ein einziges Rätsel. Mit einer Bierflasche setzte er sich vor den Fernseher und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Die Aufregung des Tages half nicht wirklich beim Einschlafen.

Obsidian

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