Читать книгу 24 Stunden Angst - Joachim Koller - Страница 7

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»Was meint er damit?«, fragte Tom leise.

Tamara stand auf und ging zu ihm. Die anderen Personen im Raum wandten sich wieder ihren Handys zu. Das Getuschel ging weiter, wenn nun auch weniger aggressiv.

Tamara nahm Toms Hände und blickte ihn mit verweinten Augen an. Sie war einen Kopf kleiner als er und musste den Kopf hochstrecken.

»Tom, bitte … das …« Sie fand keine Worte. Tamara war weiß im Gesicht, ihre Augen spiegelten ihre Verzweiflung und Angst wieder.

»Lass uns rausgehen«, sagte Tom emotionslos und riss sich von ihr los.

Wortlos verließen sie den Container. Nach einigen Schritten blieb Tom stehen und drehte sich zu seiner Frau.

»Sprich mit mir, Tamara.«

Sie starrte ihn an, Tränen rannen ihr über das Gesicht.

»Das ist nicht der richtige … Zeitpunkt. Lass uns … bitte können wir das zu Hause …« Sie stotterte und versuchte, die richtigen Worte zu finden.

»Eine einfache Frage, Tamara: Stimmt es?«, fragte er, immer noch emotionslos. Sein Körper war angespannt, seine Hände zu Fäusten geballt und sein Blick ausdruckslos.

»Bitte, Tom. Das müssen wir nicht hier … ich meine, unsere Tochter ist da drinnen …«

»Sophia ist und wird immer meine Tochter sein, aber wer ist ihr leiblicher Vater? Tamara, rede mit mir, schnell, sonst drehe ich jetzt auf der Stelle durch, und zwar gewaltig«, zischte er warnend. Tamara sah ihn an und wich einen Schritt zurück. Gleichzeitig kam Simon näher. Tom blickte zu ihm.

»Misch dich da nicht ein, das geht nur uns beide …«

Simon stellte sich mit seinem breiten Körper zwischen ihn und Tamara.

»Nein, Tom. Wenn ich das hier richtig deute, dann geht es mich sogar sehr viel an«, erklärte er und versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen.

»Frau Korn, wenn es stimmt, was Jakob gesagt hat und ihr Mann nicht der leibliche Vater ist, dann betrifft das vielleicht uns alle.«

»Was geht Sie das … das betrifft nur Tom und mich.«

Simons Tonfall wurde strenger.

»Wenn Tom es bislang nicht wusste, wer wusste es dann?«, fragte er sie direkt.

Tamara blickte ihn stumm an.

Tom riss der Geduldsfaden.

»Wer ist der Vater, verdammt! Ich will wissen, mit wem du rumvögelst, während du daheim die brave, glückliche Ehefrau spielst!«, brüllte er sie an. Mehrere Polizisten drehten sich überrascht um, einige wollten sich schon auf den Weg zu ihnen machen. Simon hob die Hand.

»Ich mache das schon! Weg mit euch!«, scheuchte er sie davon. Er packte Tom fest an der Schulter und hielt ihn zurück.

»Wir werden hier nicht durchdrehen, verstanden? Diese Situation ist angespannt genug. Ich muss jetzt sofort von ihnen, Frau Korn, wissen, ob es stimmt, dass ihre Tochter einen anderen leiblichen Vater hat?«

Tamara blickte abwechselnd von Tom zu Simon.

»Jetzt, Frau Korn!«, sagte er scharf.

»Ja, es stimmt«, brachte sie hervor und heulte noch mehr. Tom drehte sich um und trat mit voller Wucht gegen das Geländer vor ihm. Als er sich wieder umdrehte, hatte Simon Tamara zur Seite gezogen. Mit ernstem Blick sah er Tom in die Augen.

»Ich bin sicher nicht Euer Familientherapeut, aber wenn du nicht auf der Stelle runterkommst, muss ich dich abführen lassen, Tom«, stellte er klar.

Tom sah ihn mit funkelnden Augen an, sagte aber kein Wort.

»Und nun zurück zu ihnen, Frau Korn. Wer ist der Vater und wer weiß davon?«, wandte er sich wieder an Tamara.

»Ich will das nicht jetzt und hier mit Ihnen …«

Simon baute sich vor ihr auf und packte sie an den Schultern.

»Jetzt hören Sie mir mal ganz genau zu. Dieser Mistkerl weiß Dinge, die ansonsten nicht jeder hier weiß. Ich will, nein ich muss jetzt auf der Stelle erfahren, wer noch darüber Bescheid weiß. Wir müssen herausfinden, woher Jakob das wissen kann. Verstehen Sie das?«

Tamara nickte wortlos.

»Dann reden Sie. Wenn es Tom nicht wusste, wer weiß es dann?«

»Niemand«, sagte sie kleinlaut.

»Das kann nicht sein, der richtige Vater wird es doch wohl wissen, oder?«, schnaubte Tom. Simon blickte ihn streng an und wandte sich dann wieder Tamara zu.

»Ich will den Namen des Vaters. Ist er der Einzige, der es weiß?«, fragte er erneut nach.

Tamara holte tief Luft.

»Ja, er ist der Einzige. Es war … ein Ausrutscher, ein Fehler, eine einmalige Sache. Aber wir haben damals gesagt, dass wir nie darüber sprechen werden.«

»Sind sie sicher, dass Tom nicht der Vater ist«, bohrte Simon weiter nach.

»Ja, ich habe damals … also kurz nach der Geburt von Sophia … ich habe einen Test machen lassen. Er hat bestätigt, dass …«, sie stockte.

»Er hat bestätigt, dass ich nicht der Vater bin. Und wer ist der Glückliche?«, fragte Tom, bemüht, seine Fassung nicht zu verlieren.

»Tom, mein Schatz, bitte. Es war nur einmal und es war ein Fehler. Da war diese Feier, viel Alkohol und da ist es einfach passiert. Ich weiß, es hätte nicht sein dürfen, aber ich wollte nicht alles zerstören. Nicht unsere Beziehung und auch nicht Martins …«

Tom riss die Augen auf.

»Martin? Du meinst, Martin, meinen besten Freund?«, fragte er entgeistert.

Tamara sah ihn schweigend an, was für Tom als Antwort reichte. Er atmete mehrmals tief ein und aus. Seine Wut auf Tamara ließ ihn verkrampfen. Tom musste sich beherrschen, er spürte, wie sein Körper zitterte. Binnen weniger Stunden wurde sein Leben komplett auf den Kopf gestellt und Tom war mit dieser Situation hoffnungslos überfordert.

»Wann? Wie ist es dazu gekommen? Warum?«

»Tom, bitte lass uns das zu Hause besprechen. Jetzt ist es nur wichtig, dass Sophia wieder heil hier rauskommt«, versuchte Tamara das Thema zu beenden.

»Nicht so schnell«, mischte sich Simon ein, »Ich möchte wissen, wer außer ihnen beiden noch davon wusste. Woher weiß Jakob davon?«

Tamara überlegte, den Blick beschämt zu Boden gerichtet.

»Ich weiß es nicht. Martin hat mir versprochen, dass es für immer unter uns bleiben wird.«

»Wo finden wir diesen Martin?«, wollte Simon wissen.

»Entweder im Büro oder bei Gericht, der Hund ist Anwalt«, gab Tom Simon die Auskunft, bevor er zu Tamara gewandt wütend weitersprach.

»Dann weiß Bettina auch nichts davon. Die beiden waren damals schon verheiratet. Ihr zwei seid wirklich das Letzte. Als Nächstes erklärst du mir dann vielleicht, das er anstatt Alimente zu zahlen, einfach das Schulgeld für Sophia übernommen hat.«

»Er hat mitbekommen, wie sehr sich Sophia gewünscht hatte, in diese Schule zu gehen. Deshalb …«

Tom musste sich immer mehr zusammenreißen, um nicht erneut loszubrüllen. Noch immer war sein ganzer Körper angespannt.

»Deshalb war er an fast jedem Geburtstag bei uns. Deshalb gibt es so oft Geschenke für sie. Dieser verfluchte … Wenn der mir das nächste Mal unter die Augen kommt, dann Gnade ihm Gott!«, fluchte Tom.

»Ich will den vollständigen Namen und seine Telefonnummer. Dieser Martin muss sofort vorbeikommen, ich will ihn sprechen. Soll ich anrufen, oder macht einer von euch beiden das?«

Tom drückte Simon sein Handy in die Hand.

»Hier bitte. Ich will nicht mit ihm reden.« Er drehte sich um und ging am Zaun entlang bis zur Polizeiabsperrung. Tamara wollte ihm nach, doch Simon hielt sie auf.

»Lass ihn alleine. Er muss zuerst mit dieser Nachricht fertig werden.«

Dann rief er Martin an, der zu Hause bei seiner Frau und dem kranken Sohn Lukas war. Ohne ihm Genaueres zu verraten, erklärte er ihm, dass seine Anwesenheit hier dringend erwünscht wäre. Martin hatte in den Medien schon von der Geiselnahme gehört und versprach, sich umgehend auf den Weg zu machen.

»Wenn es etwas gibt, ich bin im Kommandowagen«, meinte Simon säuerlich und reichte Tamara das Handy.

Tom lehnte sich an den niedrigen Zaun und blickte auf das Museum. Hinter dieser großen Hausfassade war seine Tochter gefangen. Das Kind, das er seit dreizehn Jahren großgezogen hatte, ohne jemals daran zu zweifeln, dass sie nicht sein leibliches Kind sei. Wie oft hatte Tamara zu ihm gesagt, wie glücklich sie war und froh, mit ihm ein gemeinsames Kind zu haben. Andererseits fiel Tom ein, wie oft Martin bei ihnen war, wie er sich immer nach Sophia erkundigte und was er für sie schon alles ermöglicht hatte. Tom hatte es immer als Freundschaftsdienst angesehen, nun wusste er, was der wahre Grund gewesen war.

Er konnte selbst nicht erklären, wie ihm zumute war. Einerseits hatte er Angst um seine Tochter, wollte sie so schnell wie möglich wieder bei sich haben. Sie konnte nichts dafür, weder für die Geiselnahme noch für die Affäre von Tamara.

Andererseits spürte er diese Wut auf seine Frau, der er vor wenigen Minuten noch voll und ganz vertraut hatte.

Irgendwo hinter diesen Fenstern sitzt du und hast Angst, mein Kind. Und ich kann nichts machen, um dir zu helfen, kann dich nicht rausholen, oder diesen Jakob anflehen, dich freizulassen, dachte Tom verzweifelt.

In eineinhalb Stunden würde ein Kind freikommen, nur weil dessen Eltern reich waren. Diese Ungerechtigkeit ließ Toms Magen zusammenkrampfen. Er klopfte sich mit der Faust immer wieder nervös auf den Oberschenkel, aber er konnte sich nicht beruhigen und schon gar nicht den Kopf freibekommen.

Nach mehreren Minuten gesellte sich Tamara vorsichtig zu ihm. Ohne ein Wort zu sagen, lehnte sie sich neben ihn. Sie schwiegen über zehn Minuten und jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Tom brach das Schweigen.

»Erzähl mir, wann und wie es passiert ist«, verlangte er von ihr.

»Das tut doch nichts …«

»Doch tut es. Erzähl es mir, jetzt, hier auf der Stelle«, forderte er sie auf.

Tamara drehte sich zu ihm und atmete schwer. Sie holte Luft und begann zu reden.

»Kannst du dich noch an das Wochenende in Salzburg mit Martin erinnern? Der Abend, wo wir lange gefeiert haben aber du recht bald auf unser Zimmer gegangen bist, weil dir der Tequila zu Kopf gestiegen ist?«, fragte Tamara.

Tom nickte.

»Bettina war damals nicht dabei, weil Martin beruflich in Salzburg war. Nachdem du weg warst, habe ich viel mit Martin geredet und getrunken. Über unsere Beziehungen und über alles Mögliche haben wir besprochen. Dazu gab es viel Alkohol und irgendwann sind wir in seinem Zimmer gelandet und haben dort weitergeredet. Und dann ist es einfach passiert, wir waren beide betrunken und … den Rest kannst du dir denken, oder?«

»Nur zu gut. Hat es dir wenigstens gefallen mit ihm?«, giftete Tom sie an.

»Tom, lass das, bitte. Es tut mir ehrlich leid.«

»Wie bist du denn darauf gekommen, dass er der Vater sein könnte. Zu dieser Zeit hatten wir auch viel Sex, oder?«, fragte Tom weiter.

»Ja, aber das war die Zeit, wo ich keine Pille nahm und in der Nacht … naja, wir haben nicht mitgedacht.«

Tamara konnte Tom nicht ansehen, sie blickte auf den Boden und an ihm vorbei.

»Ich habe die ganze Zeit über gehofft, gebetet und gewünscht, dass du der Vater bist. Martin hat mir dann einen Vaterschaftstest empfohlen und auch bezahlt. Als das Ergebnis kam, war er fertig und sah seine Ehe den Bach hinunter gehen. Martin ist nur ein paar Monate jünger als du und er wollte nicht alles verlieren. Er hat mir angeboten, dass es unser Geheimnis bleiben soll und mir versprochen, immer für Sophia da zu sein, wenn wir etwas brauchen würden.«

Tom hatte genug gehört.

»Hast du vorgehabt, es Sophia jemals zu sagen?«

»Nein. Egal was damals war, du bist ihr Vater. Du, Thomas Korn, hast sie großgezogen, hast sie gewickelt und gepflegt und warst immer für sie da. Sie kann nichts dafür …«

»Dass ihre Mutter eine Schlampe ist? Da hast du Recht. Sie muss es auch im Moment nicht erfahren, vorausgesetzt dieser Jakob sagt es ihr nicht. Aber wir beide, Tamara, wir werden darüber noch reden.«

Tom ließ sie am Zaun stehen und ging zum Kommandowagen. Werner Ritter stand vor dem Wagen. Er wollte gerade etwas sagen, doch Tom kam ihm zuvor.

»Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist ein Psychologe, der mich aufmuntern will oder mich mit Weisheiten vollquatschen will«, erklärte er ihm.

Der Polizeipsychologe hielt ihm einen Plastikbecher hin.

»Dann gebe ich Ihnen einfach einen Kaffee aus, wie wäre das?«

»Danke.« Tom griff zu und nahm einen Schluck.

Simon kam zu ihnen hinaus, rauchte sich eine Zigarette an und machte einen langen Zug.

»Ich hasse es, wenn ich nichts machen kann. Dieser Jakob hat immer noch die Kontrolle und das regt mich auf. Ich will diesen Mistkerl schnappen! Geiselnahmen sind immer schwierig, aber mit Kindern, das ist einfach nur … Was soll ich sagen, wenn ich diesen Mistkerl alleine gegenüberstehen würde, dann …«

Werner sah Simon besorgt an.

»Herr Chefinspektor, ich spüre da eine große Wut. Mehr als man normalerweise in diesem Fall haben sollte. Gibt es …?«

»Auch ich brauche keine Therapie im Moment, verstanden?«, unterband Simon jede weitere Frage des Psychologen.

Werner schwieg und sah sich mit Ihnen um.

Es waren noch immer viele Polizisten vor Ort, aber das Chaos hatte sich etwas gelegt. Bei der Eingangstreppe saßen die Spezialisten der WEGA. Da sie wussten, dass es in nächster Zeit nicht zu einem Einsatz kommen würde, hatten sie die Waffen abgelegt und plauderten. Manche hatten Getränkedosen in der Hand und kleine Sandwiches.

Der Einsatzwagen der WEGA war von bewaffneten Männern umstellt, damit keine Schaulustigen in den Wagen blicken konnten.

Die Sanitäter, von denen Tom einige Kollegen erkannte, hatten ein Zelt aufgebaut und vertrieben sich die Zeit mit telefonieren und reden.

An diesen Schauplätzen merkte man wenig von der Brisanz der Geiselnahme. Aber beim umfunktionierten Baucontainer war reges Treiben. Die Eltern der eingesperrten Kinder versuchten immer noch, so viel Geld wie möglich zu bekommen. Allen war die Verzweiflung anzusehen.

Tom sah Herrn und Frau Grodek vor dem Container stehen und selbst den beiden stand die Angst ins Gesicht geschrieben.

Ein Blick auf die Uhr verriet Tom, dass in einer Stunde das grausige Spiel von Jakob weitergehen würde.

24 Stunden Angst

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