Читать книгу Fate of Whisky - Joachim Koller - Страница 3
Prolog
ОглавлениеNie wieder, schwor sich Niko, ich bin zu alt für diese Scheiße. Sein Kopf brummte, die letzte Nacht war zu lang und sehr feuchtfröhlich gewesen. Erschöpft lehnte er auf der Couch, massierte seine Schläfen und genoss die Ruhe und den Geruch des Kaffees auf dem Tisch vor ihm. Noch immer dröhnte die Bassmusik des Vorabends in seinem Kopf, außerdem hatte er eindeutig zu viel Alkohol getrunken. Die Stille hielt nur kurz an. Keine fünf Minuten später wurde die Schlafzimmertür aufgerissen und eine junge Frau kam heraus, weitaus munterer und frischer als er. Ihre blonden Haare mit feuerroten Strähnen waren wild durcheinander, aber im Gegensatz zu Niko wirkte sie ausgeschlafen. »Morgen! Du bist also auch schon auf«, bemerkte Kira fröhlich. »Leise ... bitte«, jammerte Niko. Sie grinste ihn an. »War es dir zu viel gestern?« »Kleine, ich bin keine zwanzig Jahre, so wie du, sondern doppelt so alt. Da spürt man auch die Nächte doppelt.« »Keine Sorge. Es war ja mein letzter Abend in Wien. Heute darfst du zeitig ins Bett gehen, nachdem ich zurück nach Kreta fliege. Ich hoffe, mit vierzig bin ich noch so aktiv wie du.« Niko war vor einigen Wochen in eine neue Wohnung gezogen, als Kira, eine gute Freundin von Kreta, überraschend ihren Besuch angekündigt hatte. Nun, nach einem ergiebigen Frühstück, half sie ihm, die letzten Kisten zu verstauen. Die letzten Tage hatte er damit verbracht, ihr die Stadt zu zeigen. Tagsüber besuchten sie Museen, Kirchen und Parks, in der Nacht lernte Kira die unterschiedlichsten Bars und Diskotheken kennen. »Manos wird es bereuen, nicht mitgekommen zu sein.« »Wenn dein Freund lieber eine Schiffstour macht«, meinte Niko und verstaute eine Schachtel voller Bücher in einem Regal. »Die ist aber sinnvoll! Wir arbeiten bei einer Organisation, die sich darum kümmert, Plastik aus dem Meer zu fischen. Und da der Umweltschutz auf Kreta gerade erst im Aufbau ist, haben wir jede Menge Arbeit.« »Das glaube ich dir.« »Was ist denn da drinnen?«, fragte Kira und deutete auf einen Schuhkarton mit der Aufschrift ›1993/94‹. Niko hielt kurz inne und nahm ihr die Schachtel behutsam ab. »Erinnerungen.« »Was genau? Ein spezieller Urlaub, dein erstes krummes Ding, oder ...?« »Eine lange Geschichte aus meiner Schulzeit.« »Deine erste Liebesgeschichte!«, meinte Kira neugierig und wollte nach der Schachtel greifen. »Lass sie lieber zu. Da sind zu viele Dinge drinnen, an die ich nicht sonderlich gern zurückdenke.« Kira grinste breit. »Ach wie süß. Der alte Mann und seine erste Liebe. Wie war sie, stürmisch und wild, oder eher zwei schüchterne Kinder, Händchen halten und zarte Küsschen im Mondschein?« »Sie war wild, verrückt und mit einem abrupten Ende«, antwortete Niko und stellte die Schachtel auf den Tisch. Kira gab keine Ruhe, bis er ihr erlaubte, einen Blick hineinzuwerfen. »Klar, auch hier findet man ein Messer.« »Ein sogenanntes Sgian dubh. Es gehörte früher zur Kleidung eines schottischen Clanmitglieds.« »Schottland, okay. Und hier haben wir eine fast vergilbte Kinokarte ... Kolosseum?« »So hieß das Kino, heute ist dort ein Supermarkt.« »Bodyguard?«, las Kira vor, »Klingt nach einem Actionfilm.« »Eher eine Schnulze.« Als Nächstes zog sie eine kleine Dinosaurierfigur heraus. »Du kennst doch Jurassic Park? Damals kam der erste Teil ins Kino«, erklärte Niko. »Und dieses Armband, selbstgeknüpft und aus deinem so geliebten Paracord.« »Es war mein erstes Paracord-Armband. Ein Weihnachtsgeschenk«, sagte Niko und starrte auf das Band. Erinnerungen an den Abend, an dem er das Armband erhalten hatte, aber auch wie seine Jugendliebe von einem Tag auf den anderen vorbei war, kamen hoch. »Konzertkarten!« Kira zog zwei Karten hervor und wedelte damit vor Nikos Gesicht. »Bon Jovi und Roxette. Das waren Bands, die in meiner Jugend ihren Höhepunkt hatten.« »Und die man heute auch noch kennt. Vom welchem Film ist dieses Bild?« Sie hielt ein Bild in der Hand, wie es früher in den Auslagen der Kinos neben dem Filmplakat hing. Auf dem Bild war eine Gestalt mit weiß angemaltem Gesicht zu sehen, die mit ausgebreiteten Händen in einer dunklen Gasse stand. »The Crow, die Krähe. Das Original mit Brandon Lee.« »Nie davon gehört. Sieht aber düster aus.« Als sie auch noch ein kleines Buch mit Fotos herausnahm, reichte es Niko. »Gib die Sachen wieder hinein und mach sie zu«, bat er mit ernster Stimme. Er wollte nicht über dieses Kapitel nachdenken. Kira kannte ihn gut genug, um nicht weiter nachzufragen. Sie steckte sich einen Kopfhörer ins Ohr und griff nach dem Korb voll mit dunklem Gewand. Dabei summte sie eine Melodie, die Niko nicht erkennen konnte. »Was hörst du?« »Den bekanntesten österreichischen Schlager- oder Volksmusiksänger zurzeit.« Niko sah sie fragend an. Die von ihr erwähnte Musikrichtung war ihm alles andere als geläufig und überhaupt nicht sein Musikgeschmack. Kira schaltete den Lautsprecher ein: Es is' verdammt lang her, wuoh-oh Verdammt lang her Und so wie's früher woar mit sechzehn Joahr Wird's nie mehr Obwohl Niko wenig für diese Musik übrig hatte, den Sänger erkannte er. »Andreas Gabalier und seine Musik sind nicht mein Metier.« »Aber es passt zu der Schachtel voller Erinnerungen. Wie alt warst ...« »Fünfzehn, sechszehn. Können wir das Thema jetzt lassen? Dein Flug geht heute Nachmittag, lass uns vorher etwas essen gehen.«
Später an dem Tag, nachdem sie gemeinsam zu Mittag gegessen hatten, fuhr Niko Kira zum Flughafen. Kira saß neben ihm auf dem Beifahrersitz, sah aus dem Fenster und summte unentwegt eine Melodie.
»Ein Ohrwurm?«
»Ja, dieses ›Verdammt lang her‹ geht mir nicht mehr aus dem Kopf.«
Niko schüttelte nur verständnislos den Kopf, widersprach aber nicht, als sie das Lied erneut auf ihrem Handy vorspielte.
»Solang es nicht das Einzige ist, was dir von deinem Wienurlaub in Erinnerung bleibt.«
»Nein, keine Sorge. Es war eine tolle Woche. Danke nochmal für die Ausflüge, Besichtigungen und die langen Nächte.«
»Von denen ich mich jetzt erst einmal erholen muss.«
Mit dem Versprechen, Kira, ihre Familie und Freunde demnächst in Kreta zu besuchen, verabschiedete sich Niko von ihr und fuhr wieder zurück nach Wien. Kiras Entdeckung der alten Schachtel hatte bei ihm Erinnerungen ausgelöst, über die er lange nicht mehr nachgedacht hatte.
Während er Bilder aus seiner Jugendzeit im Kopf hatte, begann er unwillkürlich zu summen. Erst nach einigen Minuten bemerkte Niko, dass Kira ihn angesteckt hatte.
»Verdammter Ohrwurm!«, fluchte er mit einem Lächeln im Gesicht.
Kiras Entdeckung ließ ihn nicht los. Am Abend, nachdem er alleine daheim sein Abendessen beendet hatte, setzte sich Niko mit einem Glas Whisky auf den Balkon und blickte in den Sternenhimmel. Über seine Kopfhörer ließ er ein Lied in Dauerschleife laufen, in der Hand hatte er das Fotoalbum mit Bildern aus seiner Schulzeit. Eines der Bilder wurde bei seinem Schulfest aufgenommen. Er blickte in die Kamera, im Arm ein etwa gleichgroßes Mädchen im selben Alter. Ihre langen roten Haare wehten zur Seite, beide lächelten verliebt und unbekümmert. Rund um das Paar waren Getränkestände und Jugendliche mit ihren Eltern und Lehrern zu sehen.
Still every night I burn
Every night I scream your name
Every night I burn
Every night the dream's the same
Der Song ›Burn‹ von The Cure in seinen Ohren erinnerte ihn nicht nur an den Film ›The Crow - Die Krähe‹, sondern auch an die schönen Momente mit seiner damaligen Freundin.
»Auf dich, Julia. Wo immer du auch bist«, sagte er zu sich selbst und leerte ein Glas Whisky – ein schottischer Single Malt, den er schon in seiner Jugendzeit probiert hatte – in einem Zug.