Читать книгу Fate of Whisky - Joachim Koller - Страница 6
Jänner 1993
ОглавлениеEine Woche war vergangen, seit Julia und Niko ein Paar waren.
Zu ihrer Überraschung waren ihre Freunde nicht besonders neugierig gewesen. Außer einem kurzen Verhör durch die besten Freunde, war niemand an Details interessiert.
Das Wochenende stand bevor und Lorenzo, dessen Eltern immer wieder die Wochenenden in ihrer Heimatstadt in Italien verbrachten, lud zu einer Party in seinem Haus ein. Diese Samstagabende waren bekannt für laute Musik im großen Keller des Hauses, viel Alkohol und ausgelassene Stimmung bis spät in die Nacht.
»Mein Vater hat mir erklärt, bis 23 Uhr und keine Minute länger, sonst gibt es die nächsten drei Wochen keinen Ausgang für mich«, fluchte Julia, als Niko sie von der Straßenbahnstation abholte.
»Dann haben wir etwas über vier Stunden Zeit. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass du pünktlich wieder zu Hause bist. Hausarrest geht überhaupt nicht, ich will dich ja nicht nur in der Schule sehen.«
Kaum öffneten sie die Tür zu dem zweistöckigen Haus von Lorenzo, schallte ihnen die Musik lautstark entgegen.
»Entweder sind die Nachbarn alle taub, oder das Haus hat richtig dicke Wände«, stellte Niko fest. Dabei musste er laut reden, um MC Hammers ›Can't touch this‹ zu übertönen. Schon im Vorraum warf man ihnen neugierige Blicke zu. Auch wenn ihre Freunde nicht nachfragten, in der Schule waren sie dennoch eines der derzeit interessantesten Gesprächsthemen. Nikos Bruder Stefanos kam ihm entgegen und begrüßte Julia.
»Hallo, ihr zwei. Viel Spaß in der Menge, ihr werdet begafft werden wie ein Promipärchen.«
Ausgerüstet mit je einer Flasche Bier gesellten sie sich zu den schon anwesenden Freundinnen von Julia. Niko entging nicht, wie sie ihn von der Seite musterten. Am liebsten hätte er Julia gepackt und vor aller Augen geküsst, damit dieses Versteckspiel beendet war.
Der große Kellerraum war mit Leuchtkugeln und großen Lautsprechern zu einer Disko umfunktioniert worden. In einer Nische war die Musikanlage aufgebaut, die nur Lorenzo benutzen durfte. Er hatte schon Erfahrung mit dieser Art von Partys. Jedem Gast war seine oberste Regel bekannt: Ausgelassen feiern, kein Problem. Aber es durfte nichts ruiniert werden, ansonsten war derjenige von allen weiteren Feiern ausgeschlossen, ein ganzes Schulleben lang. Da er häufig zu einer Wochenendfeier lud, wollte niemand es darauf ankommen lassen.
Niko gesellte sich zu seinen Jungs, die zum Teil schon über den Durst getrunken hatten und dementsprechend wackelig auf den Beinen waren. Es reichte aber noch, um zu den aktuellen Dancefloor-Hits auf die Tanzfläche zu gehen.
Eine Stunde später, in der sich der Keller gefüllt hatte und nur noch wenig Platz zum Tanzen blieb, stoppte die Musik.
»Genug gerockt und herum gehüpft. Lasst uns etwas kuscheln!«
An den Gesichtern der Gäste zeigten sich die unterschiedlichsten Reaktionen. Die Pärchen nahmen einander an der Hand und schlugen die Arme umeinander, die schüchternen Jungs verzogen sich schnell in die dunklen Ecken und widmeten sich lieber ihren Getränken. Ein paar Mutige suchten nach einer neuen Erfahrung und auch einige Mädchen hofften auf ein Angebot.
»Na, wo ist dein Rotschopf?«, wurde Niko gefragt. Er hatte Julia schon vor einiger Zeit aus den Augen verloren.
»Beginnen wir doch mit einem speziellen Song, ich widme ihn all den neuen Pärchen, für die das Jahr sicherlich noch einiges zu bieten hat!«, rief Lorenzo von der Musikanlage aus und startete einen Song, den Niko augenblicklich erkannte, auch wenn er ihn erst vor einer Woche zum ersten Mal gehört hatte.
If I should stay
I would only be in your way
Whitney Houstons ›I will always Love You‹ war gerade der Nummer-eins-Hit in Österreich, natürlich auch dank des Kinofilms.
Zwischen den Pärchen konnte er Julia entdecken, die etwas hilflos neben zwei Freundinnen stand und zu ihm blickte.
»Trau Dich, kleiner Bruder. Jeder weiß es, dann kann es auch jeder sehen, oder?«, ermutigte ihn sein Bruder mit einem leichten Stoß in den Rücken.
Niko musste ihm recht geben und ging zu Julia hinüber. Ihre Freundin drehte sich zu ihm und sah ihn mit einem wissenden Grinsen an.
»So, so. Habt ihr zwei es endlich geschafft«, meinte sie, doch Niko hatte nur Augen für seine Freundin.
»Willst du tanzen, Julia?«
»Auf jeden Fall! Vor allem zu dem Song«, antwortete sie und ließ sich an der Hand auf die Tanzfläche ziehen.
»Wir werden beobachtet«, stellte sie kurz darauf fest.
»Lass sie doch. Von mir aus kann jeder wissen, dass wir zusammen sind.«
Julia sah ihn kurz an, lächelte und küsste ihn dann lang und innig. Ab diesem Zeitpunkt war ihre Liebesgeschichte für alle anderen weit weniger interessant. Da es nun offiziell war, kümmerten sich alle wieder um andere wichtige Dinge.
Es folgte noch ein weiterer Lovesong, Bon Jovi mit ›Bed of Roses‹, den das Paar ebenfalls eng umschlungen auf der Tanzfläche verbrachte. Danach verschwanden Julia und Niko in einem der schier unzähligen Gästezimmer, bei denen Lorenzo vorsorglich die Zimmerschlüssel innen steckengelassen hatte. Denn auch dafür waren seine Partys bekannt.
---***---
Für Niko endete der Traum an dieser Stelle. Bislang war der Abend damals genauso verlaufen. Jetzt aber änderte sich sein Traum, denn kaum hatte er die Tür geschlossen, verschwand der Boden unter seinen Füßen und er stürzte ins Bodenlose. Das Schwarz um ihn herum verschwand und Niko befand sich wieder in der Luft, auf dem Sturz nach unten, ohne Fallschirm. Panisch sah er sich um, konnte aber weder Julia noch Alison entdecken. Rasend schnell kam der Boden näher, er wusste, dass ihn dieses Mal niemand retten würde. Die Bäume kamen ihm entgegen, bogen sich zur Seite und ließen ihn auf den harten Boden blicken, wo spitz aufgerichtete Steine ihm entgegenleuchteten. Ohne abzubremsen und laut schreiend krachte er in den Boden. Er sah seinen Körper, der wie eine überreife Melone explodierte.
»Niko! Niko!«
Heftiges Rütteln weckte ihn aus seinem Alptraum. Niko wollte aufspringen, spürte seine schmerzenden Beine und dann, dass Alison ihn festhielt.
»Ganz ruhig, es ist alles okay«, redete sie sanft auf ihn ein.
Erst jetzt bemerkte er, dass er am ganzen Körper zitterte, er war heiser vom Schreien und konnte sich nicht beruhigen.
Alison nahm ihn fester in den Arm und streichelte seinen Kopf.
»Ganz ruhig, großer Mann. Es ist alles vorbei. Es war nur ein Traum, du bist hier sicher.«
Das Bild verschwand nicht vor seinen Augen. Wie er in der Luft auf den Boden blickte, mit der Gewissheit, wie ein Stein aufzuschlagen.
Niko wollte sich losreißen, doch ihm fehlte die Kraft. So blieb er zitternd in Alisons Armen, nicht fähig zu reden, oder sich von selbst wieder zu beruhigen. Er spürte Alisons Nähe und die zeigte mit der Zeit Wirkung. Irgendwann wurde das Zittern weniger und Niko sank erneut in den Schlaf, dieses Mal ohne Träume.
Alison erwachte und stellte fest, dass sie alleine im Unterschlupf lag. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne war schon seit längerem aufgegangen und ein leichter, kühler Wind fuhr durch den Wald.
Die Feuerstelle neben dem Zelt war neu aufgebaut worden. Statt der Pyramide vom Vorabend war nun aus dickeren Ästen ein quadratischer Rahmen angelegt. In dessen Mitte lagen kleine Äste, Nadeln und Kienspäne. Ein flacher Stein lehnte an der Feuerstelle.
Sie stand auf und streckte sich durch. Sie vermutete Niko am Bach und machte sich auf den Weg durch das Moos und kleinere Büsche. Am Ufer des Baches sitzend fand sie Niko, geistesabwesend den Blick auf das Wasser gerichtet. Er bemerkte sie erst, als sie sich neben ihn setzte.
»Guten Morgen.«
»Morgen«, antwortete er leise.
»Wie geht es dir?«
»Viel besser. Dank dir.«
»Wirklich?«
Niko wandte den Kopf zu ihr.
»Es war keine angenehme Nacht, wie du sicherlich bemerkt hast«, gestand er.
»Es ist verständlich, nachdem was du gestern erlebt hast.«
»Keine Sorge, dafür wird jemand bezahlen.« Niko klang entschlossen.
»Wer ist Julia?«, wollte Alison nach einer kurzen Schweigepause wissen. Niko zog die Augenbrauen überrascht hoch.
»Du hast ihren Namen geschrien, mehrmals.«
»Eine Jugendliebe. Ich muss in letzter Zeit viel an sie denken«, erklärte er ihr.
»Wieso gerade jetzt?«
»Weil sie aus Schottland kam.«
»Erzählst du mir mehr?«, fragte Alison.
»Beim Frühstück«, antwortete Niko und deutete auf drei Fische, die er frisch aus dem Wasser geangelt hatte.
Alison war von Nikos Kochkünsten überrascht. Fachmännisch zerlegte er den Fisch auf dem flachen Stein und reichte ihr einen Trinkbecher mit eiskaltem Wasser. Schnell war das Feuer entfacht und Niko platzierte den Stein samt Fischfilets über die Flammen. Vorsichtig kostete sie ein Stück.
»No Bad«, meinte sie und fuhr im unverständlichen Dialekt fort, bis Niko die Hand hob.
»Du kannst mit mir englisch reden, aber bitte kein schottisch.«
»Ich habe nur gemeint, etwas Salz und Gewürze wären gut.«
»Die habe ich leider nicht im Gepäck.«
Auf Alisons Nachfragen erzählte Niko von den Anfängen der Beziehung mit Julia, wie er es bislang in den Träumen wieder erlebt hatte.
»... Ab diesem Zeitpunkt galten wir als das Traumpaar der Schule. Romeo und Julia haben sie uns genannt.«
»Das ist aber süß.«
»Wir waren jung, fünfzehn, sechszehn Jahre alt, und es war für uns beide die erste große Liebe. Da war noch vieles einfacher.«
Nach dem Frühstück wurde die Unterkunft abgebaut. Alles, was sie tragen konnten, wurde mitgenommen, um keinen Müll zu hinterlassen. Dabei fiel Alison auf, dass der Fallschirm weiter zerlegt worden war. Niko reichte ihr ein zusammengerolltes Bündel.
»Ich habe aus dem Schirm einen Regenschutz geschnitten. Wir werden es brauchen.«
»Aus dem Fallschirm?«
»Das Material für Fallschirme ist nicht nur äußerst leicht, sondern auch dichtgewebt. Es soll ja möglichst luftundurchlässig sein. Deswegen ist es auch feuchtigkeitsabweisend.«
Alison warf sich den Umhang über den Kopf. Die Kapuze war ihr viel zu groß, doch sie schützte sie vor dem wieder einsetzenden Regen.
»Und du bist dir sicher, dass wir nur dem Bach folgen müssen?«
»Es ist der einzige Anhaltspunkt«, Niko deutete auf den Kompass, der auf seinem Messer montiert war, »Wir werden nicht im Kreis gehen und müssen hoffen, dass der Fluss zu einer Straße oder einem Dorf führt.«
Da Alison keinen besseren Vorschlag anzubieten hatte, stimmte sie zu und folgte ihm. Ihre improvisierten Regenüberzüge schützten sie zwar vor dem Regen, der durch den dichten Wald hinabtropfte, dem eisigen Wind hatten sie nichts entgegenzusetzen. Um sich von den immer steifer werdenden Fingern und den wieder aufkommenden Schmerzen abzulenken, fragte Niko nach Alisons bisherigem Lebenslauf.
»Ich bin einen Großteil meiner Kindheit und Jugend bei meinem Onkel aufgewachsen. Mein Vater war so sehr mit seinen Geschäften beschäftigt, vor allem, nachdem meine Mutter überraschend starb. Im Schloss wurde ich meistens von einem Kindermädchen betreut. Die hieß übrigens auch Julia, wenn ich mich richtig erinnere. Bei meinem Onkel in Edinburgh sind die Schulen einfach besser gewesen, als auf dem Land und ein Privatlehrer kam nicht in Frage. Ich wollte ja auch unter Gleichaltrigen sein. Da mich Edelsteine schon immer faszinierten, war bald klar, dass ich ins Familienunternehmen einsteige.
Inzwischen bin ich für die Akquirierung neuer Händler zuständig. Dazu kann ich viel reisen, verdiene nicht schlecht und sehe viel von Europa. Außerdem kann mein Vater sich so auf seine neuen Aufgaben konzentrieren.«
»Was ist mit diesem anderen Clan?«, wollte Niko wissen.
»Die Remingtons? Heutzutage sollten diese Clandifferenzen kein Thema mehr sein, aber wie du selbst mitbekommen hast ...«
»Differenzen? Alles nur wegen einer Geschichte um eine Höhle.«
»Eine Höhle in der Gold und Edelsteine wachsen, angeblich.«
»Natürlich. Eine schöne Fantasie«, meinte Niko herablassend.
»Für mich schon. Aber sag das nicht meinem Vater. Er nimmt das Clanwesen sehr ernst. Er ist ja auch das Oberhaupt. Keiner widerspricht ihm, was er sagt, wird befolgt.«
»Das kommt mir bekannt vor«, fiel Niko ein.
Um die Zeit im Wald zu überbrücken und sich vom Nieselregen abzulenken, fragte Alison erneut nach Nikos Jugendliebe.
»Was willst du wissen?«
»Egal, erzähl mir etwas, was mich von der Kälte ablenkt.«
Nach kurzem Überlegen begann Niko zu erzählen.