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Teil I – Grundlagen

Blitzlichter zur Geschichte

Die Geschichte der Narrativen Theologie beginnt mit der Weitergabe der religiösen Inhalte und ist in der jüdisch-christlichen Religion auf die Zeit ca. 1200 v. Chr. grob einzuordnen. Sie ist der orientalischen Weise geschuldet, wie man lebenswichtige Inhalte an die nächste Generation weitergegeben hat: Gesetze, Ethik, Sippenregeln, wo Brunnen sind (für Nomaden in der Wüste überlebenswichtig!) u. a. Man lese dazu Elsa Sophia von Kamphoeveners „An Nachtfeuern der Karawanen-Serail“. Es ist das Aufschlussreichste, was ich zu diesem Thema und zum Verständnis der Predigt Jesu gefunden habe. Eine in Erzählungen verpackte Wahrheit ist zum einen leichter zu merken (die Gehirnforschung hat das erklärt), zum Zweiten ist die mitzuteilende Wahrheit bei jeder Erzählung leicht an die aktuelle Zuhörersituation anzupassen (Verstärkung des situativen Wahrheitsgehalts) und damit leicht zu rezipieren.

Diese orientalische Erzähltradition finden wir reichlich im Alten Testament, und an sie hat Jesus von Nazareth angeknüpft. Deshalb ist auch das Neue Testament voller Geschichten. Was Rudolf Bultmann später mit dem oft missverstandenen Begriff „Entmythologisierung“ deutlich machen wollte, ist nichts anderes als dies, dass die Wahrheit „IN“ den Geschichten steckt und als Wahrheit dort entdeckt werden will, ent-mytologisiert, entschlüsselt werden will, weil sie per narrativer Theologie weitergegeben wurde und es nicht auf die Geschichte an sich ankommt, sondern auf die Wahrheit, die damit transportiert wurde.

Als sich das Christentum – vielleicht festzumachen an den Missionsreisen des Paulus – mit seinem Schwerpunkt vom Orient auf den Okzident verlagerte und vom orientalischen auf das griechisch-philosophische Denken wechseln musste, um verstanden zu werden, was ein wesentliches Verdienst des Johannesevangeliums war, wurde das Narrative in den Hintergrund gedrängt. Es ging stärker um Begriffe, Definitionen, Systeme. Der Streit der sieben mediterranen Theologenschulen um die Vormacht beförderte diese Tendenz. Und als sich schließlich Rom als führende theologische Macht flächenmäßig durchsetzte, war Recht wichtiger als Richtig. So begann eine 2000 Jahre anhaltende Suche nach der „absoluten Wahrheit“ in Begrifflichkeiten und Streitschriften, in akademischen Disputen und ängstlicher dogmatischer Absicherung.

Die Erzähllieder in den ersten lutherischen Gesangbüchern ( Muster: Vom Himmel hoch …) gehören vielleicht zu den ersten Zeugen Narrativer Theologie der Reformationszeit. Mit der „Volkspredigt“ in der Landessprache als Bildungsangebot besann sich die Kirche auch der biblischen Tradition des Erzählens neu. „Die biblischen Geschichten“ zu erzählen, gewann speziell im Pietismus ein bis heute hohes Ansehen und ist in Religionsunterricht und Kindergottesdienst noch immer weit verbreitet. Und ich bin froh darüber.

In der Predigt galt jedoch das Erzählen eher als verpönte Tugend, als kindisch und einfältig und so, als hätte der Prediger nichts Richtiges zu sagen. Predigt war ja die Fortsetzung des Katheder-Vortrags von Professor Luther und seinen Freunden. Die historisch-kritische Methode der Exegese verleitete zusätzlich zu einem wissenschaftlichen Vortrag über das Wort Gottes und erreichte damit auch vielerorts wirklich einen sehr hohen theologischen Bildungsstand und eine beachtliche Bibelkenntnis bei den Hörerinnen und Hörern.

Erst im Zeitalter der Medien, als Erzählen mit Wort und Bild wieder einen öffentlich höheren Stellenwert errang, besann man sich auch in der Theologie wieder dieser Tugend. „Die Beispielgeschichte“ aus dem Alltag wurde in der Predigt salonfähig. Ich erinnere mich noch gut: Als ich zu studieren begann, hörte ich viele Predigten, die in etwa so anfingen: „Als ich heute früh im Radio hörte“ oder: „Auf dem Weg zum Gottesdienst heute“. Damit brachten die Prediger(-Innen gab es damals noch nicht auf den Kanzeln) die Aktualität ihrer Predigt zum Ausdruck. Aber das war und ist noch keine narrative Predigt, wie wir in diesem Buch sehen werden. Und das „Wort zum Sonntag“ ist bis heute das dem Medium unangemessenste Sendungsformat im gesamten Fernsehprogramm, weil es auf die vielen erzählerischen Möglichkeiten durch Bilder vollständig verzichtet, um sich allein mit dem Wort zu begnügen.

An den theologischen Fakultäten gab es immer wieder einmal Versuche dazu in der Praktischen Theologie und in der christlichen Publizistik, aber die Konkurrenz der einzelnen Disziplinen war doch recht ausgeprägt und verhinderte wohl die damit nötige Teamarbeit. So erinnere ich mich an einen Professor während meines Studiums: Als studentischer Vertreter der Fakultät versuchte ich eine interdisziplinäre Diskussion zu aktuellen Zeitthemen zu organisieren. Jener Professor antwortete auf meine Anfrage mit den Worten: „Da kann ich mich ja gar nicht richtig profilieren. Da mache ich nicht mit.“ Ich denke, dass das ein Schlaglicht auf das Wissenschaftsgefühl dieser Zeit wirft.

Mein damaliges Anliegen aber hat mich nicht losgelassen. Es zeigte sich umso mehr, je tiefer ich in die Gemeindearbeit einstieg. Theologie braucht die Zusammenschau aller Einzeldisziplinen, wenn sie zeitgemäß auf die Fragen und Nöte der Menschen Antworten bereitstellen will. So begab ich mich auf die Suche. Sogenannte „Glaubenskurse“, die es wie Sand am Meer auf dem religiösen Büchermarkt gab, erlebte ich nicht als hilfreich, um eine religiöse Haltung zu bekommen, mit deren Hilfe die Lebensdeutung des Alltags im christlichen Kontext gelang.

Eine theologisch bedeutsame Grundlegung für ein narratives Predigen war die neutestamentliche Gleichnisforschung der Siebziger- und achtziger-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sprachliche Untersuchungen der Gleichnisreden Jesu, auch mit den Instrumentarien der Literaturwissenschaft und der Kommunikationsforschung, machten deutlich, dass Jesus Geschichten erzählte, in denen das Reich Gottes – im wahren Sinne des Wortes – zur Sprache kam.1 Seine Gleichniserzählungen sind Glanzstücke Narrativer Theologie und keine dogmatisch-lehrhaften Weisheiten. Sie erzählen Geschichten aus der Alltagswelt der Hörerinnen und Hörer, verfremden und überbieten diese (s. etwa das bekannte Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und sein verblüffender Schluss) und lassen so Gottes neue Wirklichkeit in unsere Welt scheinen. Exegetische und hermeneutische Weiterentwicklungen dieses Ansatzes fanden schließlich auch eine produktive Weiterentwicklung und Aufnahme in der Praktischen Theologie2 und haben das Arsenal guter Werkzeuge für eine Predigtgestaltung fruchtbar und nachhaltig bereichert.

Es könnte ein Buch von Hans-Peter Dürr gewesen sein, das dann den letzten Ausschlag gab und mich auf die Idee brachte, ein narratives Gesamtkonzept zu entwickeln. Das ging dann schnell, denn die wöchentliche Predigtarbeit gab ein großes Trainings-Feld ab. Und ich entdeckte bald, dass viele Gemeindeglieder sehr positiv darauf reagierten. Nicht aufs Geschichten Erzählen an sich, sondern auf die Theologie, die damit nutzbar wurde: in neuer Weise verständlich, anschaulich, greifbar, mitteilbar. Vergeblich suchte ich damals nach grundlegenden Werken zu diesem Thema. So arbeitete ich selbst daran weiter.

Gleichzeitig entdeckte ich immer stärker die Bedeutung der Beziehung in der Theologie: Schöpfung ist Beziehung; Glaube ist Beziehung; Liebe ist Beziehung. Es lag also nahe, die Verbindung zur Narrativen Theologie anzuschauen. Das Ergebnis liegt hier vor: der narrativ-relationale Ansatz in der Predigtarbeit.

Ludwig Wittgenstein soll gesagt haben: An Gott glauben heißt sehen, dass das Leben einen Sinn hat. Dieses Sehen aus dem Hören einer Predigt zu gewinnen, beschreibt gut, was narrativ-relationales Predigen meint: Theologie als Ganzes in nachvollziehbaren Sprachbildern.

Warum narrativ?

Theologie ereignet sich. Theologie ist kein System, das künstlich erfunden, entwickelt, herausdiskutiert wurde, sondern ist Teil des Lebens-Gens, der DNS des Menschseins und von der Schöpfung selbst darin implantiert, als Teil der Funktionalität des Lebens in der vielfältigen sozialen Komponenten-Ebene des Menschen. Theologie benennt, misst, zählt, beschreibt diese Elemente des Menschseins, wie die Naturwissenschaften das mit anderen Phänomenen der Welt tun. Theologie ist deshalb insgesamt, wie Religion überhaupt, keine Anreihung ethisch-moralisch guter Taten, sondern eine Haltung, nicht Buchstabe – von dem wir wissen, dass er tötet! –, sondern ein inneres Ausgerichtet-sein – eben Geist, der lebendig macht, zum Leben hilft, führt. In diesem Sinne ruft Jesus auch zur Buße, zu meta-noia, zur immer wieder neuen „Hinwendung des Geistes“ und Ausrichtung des Daseins am Urgrund des Lebens selbst, wofür die Theologie die Kurzbezeichnung „Gott“ (vom Wort her ursprünglich ein Ausruf des Staunens3) eingeführt hat, um es sprachfähig zu machen. So sagt schon Augustin sinngemäß in den „Confessiones“: ‚Von Gott kann man nicht reden; doch wehe dem, der von ihm schweigt.‘ So beginnt alle Rede und Erkenntnis von Gott mit dem Staunen.

Man stelle sich einen Kompass vor, dessen Nadel sich ausrichten will zwischen dem magnetischen Nord- und Südpol entlang der Kraftlinien des Magnetfeldes der Erde. Dieses Bestreben der „Kompassnadel unseres Menschseins“, das ist die Theologie, das ist die Kraft der Religion. Das Kraftfeld, an dem sich der Mensch innerlich ausrichten will, ist das Leben in Glück und Frieden und Gerechtigkeit, das nur dann so funktioniert, wenn es im Zusammenleben geschieht und wenn es sich ausrichtet nach den Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten, die das Leben selbst in uns so angelegt hat.

Wie das gehen kann, das beschreibt, erforscht, wiegt und misst die Theologie, um es den Menschen verfügbar zu machen. Und deshalb macht sie nichts anderes als alle Naturwissenschaft auch. Und deshalb fühle ich mich, in meinem Herzen Naturwissenschaftler, so wohl bei der Theologie.

Der Fundamentalismus ist deshalb so weit weg von der Theologie und von der göttlichen Erkenntnis, weil er diese fundamentale Wahrheit nicht erfasst und die Kompassnadel ständig zu beeinflussen sucht, um vermeintlich die Richtung mit moralistisch-gesetzlichen, ängstlich-machtorientierten Maximen an den eigenen Bedürfnissen und Ängsten selbst festzulegen. In diesem grundsätzlichen Verständnis ist der Fundamentalismus auf der ganzen Welt, egal in welcher Religion, gleich, und ich halte ihn überall für gleich ungeeignet und in seiner Ausrichtung für lebensbehindernd oder gar zerstörend. Das sind auch meine Erfahrungen aus der Seelsorge.

Theologie, wie sie von mir verstanden wird, sucht also nicht danach, den Menschen im Sinne einer absoluten Wahrheit mit Hilfe von Gesetzen den richtigen Weg zu zeigen, sondern sie will Menschen eine Haltung vorleben, aus der sie spüren, erfahren, erleben, wie sie diesem großen Ziel näherkommen, dass alle Schöpfung in Frieden, Gerechtigkeit und Glück leben kann. Eben nach dem Willen Gottes.

Dieser Wille Gottes hat doch ein wunderbares Ziel. Er geht vom gleichen Lebensrecht aller aus. Er ist von sich aus gewaltfrei. Er ist in sich gerecht und angstfrei, nachhaltig und ökologisch, global und wahrhaftig. Können Sie sich Besseres vorstellen? Ich nicht. Deshalb bin ich Christ und arbeite in Kirchengemeinden mit, schreibe dieses Buch und versuche mit Menschen darüber ins Gespräch zu kommen.

Machthungrige Egoisten sind die größte Gefahr für unsere Welt. Denn sie verwandeln mit ihrem Streben nach Ungleichheit alles, was dem Guten dienen könnte, ins Böse. Dass es an vielen Orten der Welt so schlimm aussieht, ist nicht Gott in die Schuhe zu schieben, sondern uns selbst!

Doch wie soll das gehen?

Ja, ich weiß, ich bin ein Phantast und Träumer, ein Optimist und Weltverbesserer, ein Menschenversteher und Gutmensch, und ich will es sein und bin stolz auf jeden Moment, wo es mir gelingt, so zu sein.

Aber haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum all diese Begriffe heutzutage als „Schimpfwörter“, als Negativbezeichnung benutzt werden? Es scheint doch Kräfte zu geben, die sich etwas davon versprechen, das Gute schlechtzumachen. Sensationslust statt Harmonie und Glück. Aber niemand ist gezwungen, mitzuspielen bei diesem Spiel. Denn alle, die mitspielen, sind am Ende die Verlierer. Im System der gnadenlosen Egoisten, die nicht verstehen, sondern beherrschen, die nicht träumen, sondern bestimmen, die nicht hoffen, sondern beschneiden, die nichts verbessern, sondern ausbeuten, die nicht gut sein wollen, sondern stolz sind auf ihre vernichtende Stärke – in diesem System heißt das Ziel, dass der Stärkste überlebt und der Schwächere untergeht. Und überleben kann in diesem System letztlich nur ein Einziger oder eine Einzige, und der/die wird am Ende nicht leben können.

Ich glaube, dass ein wichtiges Element dafür, dass es in unserer Welt besser wird, die Predigt in der Gemeinde ist, in Reden und Hören, begleitet von Erwachsenenbildung und seelsorgerlich orientierten Gesprächen, um die gute und zum Guten anregende Haltung weiterzusagen, zu hören, zu begreifen, zu lernen und einzutrainieren und dann miteinander zu üben. Und dazu ist die narrativ-relationale Predigt ein wichtiger Baustein. Denn sie erzählt, teilt sich mit, stellt zur Diskussion, öffnet sich: nicht um belehren zu wollen, sondern um zu zeigen, um ein Angebot zu machen, um einzuladen, um sich selbst dem Nächsten zu stellen, damit die Vielen überleben.

Warum relational?

Alle Erfahrungen, die ich in Leben und Amt gemacht habe, haben mich darin bestärkt, dass die Welt nur „in Beziehung“ funktioniert, also: relational. Dinge und Menschen bekommen einen Wert, wenn ich mich zu ihnen in Beziehung setze.

In Beziehung sein ist dabei zu unterscheiden von dem, was heute „vernetzt“ heißt. Vernetzt ist man ohne Beziehung, denn Vernetzung ist noch keine Qualität und hat auch zunächst keine. Es ist allein die Beschreibung von kommunikativen Verbindungen auf unverbindlichem Weg, heute meist auch virtuell. In der Vernetzung ist es gleichgültig, ob ich die anderen in ihrer menschlichen Qualität wahrnehme, in ihrem So- und-nicht-anders-Sein. Das unterscheidet sich von einer Beziehung, die hinschaut, um den Menschen zu sehen, seine Stärken und Schwächen, seine Kompetenzen und Fehler, seine Sehnsucht und Verzweiflung – um ihn mit all dem anzunehmen als Gegenüber, als Mensch an der Seite, als PartnerIn, als jemanden, der mein Leben beeinflusst.

Beziehung korrespondiert mit dem Narrativen. Um in Beziehung zu treten, benenne ich Dinge, geben ihnen einen Namen, belege sie mit einem Begriff, kreiere ein Bild, spreche sie an, erfasse ihr Gefühl mit dem meinen. Das In-Beziehung-Treten baut die Welt und hält sie zusammen, gibt ihr Gesicht und Gewicht. Geschieht es nicht narrativ, wird es auch nicht relational. Geschieht es nur informativ, wird es bestenfalls eine Vernetzung. Vernetzung hat kein Herz, das ist ihr Kennzeichen und ihr Makel.

Deshalb ist es nicht überraschend, wenn der Atomphysiker Hans-Peter Dürr in seinem Buch über seine Lebenserkenntnis die Liebe – also das Basiselement der Theologie – als das Basiselement der Welt schlechthin bezeichnet.4 Denn die Liebe ist die reinste und qualitativ höchste Form der Beziehung überhaupt. Und nach Hans-Peter Dürr ist es die Liebe (auch als physikalischer Begriff erfasst), die die Welt in ihrem Innersten als letzte Kraft zusammenhält. Welche eine Erkenntnis! Es ist Gott, der die Welt hält!

„Relational“ teilt dabei gleich auch mit, dass Beziehung durchaus viele Gesichter haben kann. Es können festgelegte sein, wie zum Beispiel die Beziehung zwischen zwei Wasserstoffatomen (H2) und einem Sauerstoff-Atom (O). Wir kennen das als H2O = Wasser. Klar definiert, und doch kann diese gleiche Formel in ihren verschiedenen Aggregatszuständen sehr unterschiedliche Eigenschaften haben, in dem Fall temperaturabhängig. Und wir wissen, wie es sich auflösen und andere Verbindungen eingehen kann.

Relational können aber auch sehr vage Beziehungen sein, die über ein Gefühl, eine Ahnung oder einen Geistesblitz zustande kommen. Kaum messbar (oder wir haben noch keine Methoden dafür gefunden) und doch real etwas gegenseitig bewirkend.

Narrativ-relational predigen ist der Versuch, davon zu reden, wie differenziert und vielfältig Beziehungen sind und sein können, und diese Rede nicht im Zufälligen zu belassen, sondern gezielt einzusetzen für die Verkündigung dessen, was die tiefste Ur-Verkündigung überhaupt ist: die Verkündigung der Beziehung des in der Heiligen Schrift der Bibel beschrieben Dreieinigen Gottes zu den Menschen, in je konkreten Situationen.

Und das ist nur logisch und konsequent: Denn wenn es um den Urgrund, die Liebe geht, und dieser Urgrund sich in Beziehung äußert, die einfach der Welt mitgeteilt wird, schlicht da ist und wirkt, ohne konkret erfasst werden zu können – wie die Schwerkraft oder das Licht –, also narrativ in der Welt wirkt, dann folgt die Predigt damit einem guten Vorbild.

Doch zuvor noch ein paar Überlegungen zur Predigt überhaupt.

Was ist eine gute Predigt?

Natürlich fallen mir sofort Kriterien für eine geschliffene Rede ein. Aber ist das eine gute Predigt? Ich denke, dass ein sorgfältiger Umgang mit Sprache und eine ansprechende Gestaltung schon nötig sind, aber für eine Predigt kommen noch ganz andere Aspekte hinzu, die sehr viel schwieriger und vor allem „von außen“ nur bedingt einzuschätzen sind. Ich denke dabei an Kriterien wie:

 zeitgemäße Bezüge zur konkreten Gemeindesituation

 Berücksichtigung der Gespräche des Predigers während der Woche

 Leben und Konzept einer Gemeinde

 die in der Regel differenzierte Zuhörerschaft und deren sehr unterschiedliche Zugänge zu Bildern und Sprache

 politische, (regional-)historische und soziale Umfeldbedingungen und wahrscheinlich noch vieles andere mehr.

Das macht die „Beurteilung“ einer Predigt fast schon unmöglich, wenn der/die zu Beurteilende nicht selbst im Gottesdienst sitzt und zur Gemeinde gehört. Und eine allgemeine Predigt, die jederzeit irgendwo gehalten werden könnte, halte ich eher für eine schlechte Predigt, allenfalls eine theologisch richtige und sprachlich geschliffene Kanzelrede. Aber „Predigt“, das hat für mich Gemeindebezug, konkrete Menschen vor Augen, Zeit und Ort, wo Beziehung entsteht und sein kann, die dann weiterhilft zum Leben. Predigt ist ja und will Lebenshilfe sein, und das geht nur konkret: in der Beziehung vor Ort.5

Das folgende Beispiel, das davon etwas deutlich machen kann, kennt vermutlich jede Predigerin und jeder Prediger:

Ich schleiche etwas demütig aus dem Gottesdienst hinüber zum Kirchencafé, weil ich gemerkt habe, dass der Stress der Woche und der Tanzabend mit meiner Frau am Samstag das Frischegefühl für den Gottesdienst nicht gerade befördert haben und die Predigt wohl etwas schnell entstand, neben all den anderen Aufgaben des Pfarramtes. Also das schlechte Gewissen nach dem Amen der Predigt steckt in den Knochen, und ich erwarte den einen oder anderen scharfen Blick aus der Gemeinde oder auch so manch kritisches Wort der aufmerksamen Predigt-HörerInnen. Aber: Herr K. kommt auf mich zu, freudestrahlend, ganz außer sich: „Das war heute aber eine gute Predigt! Danke, Herr Pfarrer!“ Und Frau G., die das hört, befleißigt sich, gleich dranzuhängen. „Wie Sie das nur immer sagen! Ich gehe heute so erfüllt nach Hause. Die Woche ist gerettet!“

Batsch! Letzten Sonntag habe ich mich so angestrengt, da kam bei Weitem kein solches Echo. Soll ich die nächsten Predigten einfach so mal aus dem Ärmel nehmen? Oh, aufgepasst! Das funktioniert nicht! Auch diese Erfahrung kennen alle, die auf Kanzeln stehen oder unter einer Kanzel sitzen.

Es liegt ganz einfach auch noch an etwas ganz anderem, dass Menschen im Gottesdienst eine Predigt für „gut“ empfinden. Da war etwas, was sie angesprochen hat, in ihrer Situation, in ihrem Leben, in ihrer Befindlichkeit, in ihrem Fühlen und Denken. Sie haben eine Beziehung zu sich und ihrem Leben wahrgenommen, gefühlt, gespürt – und wenn es nur die Sympathie mit dem Pfarrer, seine Sprachmelodie oder ein einzelnes Stichwort war. Auch diese „schlechte“ Predigt hat wohl doch eine solche Beziehung schaffen können. Ein Punkt, an dem sich HörerInnen ertappt fühlten, aber nicht allein und im Stich gelassen. Ein Beispiel hat sie erinnert an das siedend heiß hochsteigende Gefühl von Angst und Beklommenheit. Und irgendein erlösender Satz hat den Luftzug erzeugt oder fühlen lassen, der kühlt, der Freiheit ahnen lässt. „Aha, so ist das also, eigentlich ganz einfach, ich hab’s nur noch nicht so sehen können.“ Oder: „Ja, wenn man das so sieht, ist es gar nicht so schlimm!“ Ich bin überzeugt, dass das eine „gute“ Predigt ausmacht. Nicht nur die theologische Theorie, sondern die entstandene, die erzählte, sich zwischen Gott und einem Menschen ereignete Beziehung. Relational narrativ eben! Da liegt ganz offensichtlich ein wichtiger Schlüssel.

In einer kleinen Dorfgemeinde, in der ich zur Vertretung eines erkrankten Pfarrers aushalf, kam nach dem Gottesdienst ein Mann mit hochrotem Kopf in die Sakristei. Als ich gerade meinen Talar aufknöpfte, stürmte er auf mich zu, fasste mich beim Arm und rief: „Sagen Sie mir, woher Sie das wissen!“

Ich war etwas mehr als verdutzt und suchte verzweifelt in meiner Überrumpelung nach einer sachgerecht-seelsorgerlichen Reaktion. Aber der aufgeregte Gottesdienstbesucher, den ich nicht kannte – ich war ja nun in Vertretung hier –, ließ mir nicht viel Zeit: „Sie können das gar nicht wissen, ich hab das nämlich noch nie jemandem erzählt! Also wer hat Ihnen das verraten?“

Wir suchten uns zwei Sitzgelegenheiten, und ich übte mich im aktiven Zuhören. So kam nach einer Weile zu Tage, dass ich in einem Beispiel in der Predigt eine Situation angesprochen hatte, die er auf eine ihn sehr belastende Erfahrung hin gehört hatte –, obwohl ich das gar nicht so gesagt, auch nicht gemeint und wirklich nicht gewusst hatte, dass man das auch so hören konnte. Wir wurden am Ende einig, dass Gott ihm etwas hatte sagen wollen an diesem Sonntag und mich lediglich benutzt hatte, meine Worte und sein Ohr in Kombination, um ihm, dem von Gott geliebten Kind Gottes, eine Tür aufzutun, mit dieser so sehr vergrabenen Sache endlich ans Licht zu kommen und der darin enthaltenen Dunkelheit den Garaus zu machen. Welch eine gute Predigt – von der ich gar nichts mehr weiß! Aber diese, durch ein Beispiel erzählte, gestiftete Beziehung ist hängengeblieben. Nicht nur bei mir!

Eine „gute“ Predigt, so habe ich damals gelernt, ist nicht eine Sache eines hohen IQs, sondern ein Geschehen Gottes, in dem ich ein – wohl auch verantwortlich agierendes – Rädchen im Getriebe sein darf. Das ist die Verpflichtung des Predigers zur sorgfältigen theologisch-seelsorgerlichen Arbeit im Gottesdienst, aber auch zugleich seine Entlastung. Er trägt nicht „die ganze Welt“ am Beffchen oder an der Stola. „HE’s got the whole world in his hand …“!

So bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, so gut zu arbeiten, wie ich kann. Mit Lust und Freude an den einen Tagen, mit Pflicht und Mühe an anderen Predigtabschnitten, und vor allem habe ich versucht, immer als Erster zum Hörer zu werden. (Auch wenn ich gelegentlich viel Zeit und viel Schokolade und Kaffee dafür brauchte.) Und dann konnte ich all die Hörerinnen und Hörer, die Kranken und Feiernden, die Sorgenvollen und Problembeladenen, die Traurigen und Frohen mit in die Vorbereitung hineinnehmen, die ich während der Woche in der Gemeinde getroffen hatte.

Und wenn mir jemand beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst sagt, dass er heute etwas von Predigt und Liturgie „mitnehmen“ kann, dass ihm etwas zu seinem Leben hilft, dann, finde ich, war es eine gute Predigt. Weil der Heilige Geist eine Möglichkeit gefunden hatte, Herz, Sinn oder Seele eines Menschen zu finden. Und die gottesdienstlichen Stücke waren vielleicht der Steigbügelhalter.

Narrativ-relational

Über solche Erfahrungen bin ich zu dem gelangt, was ich nun hier vorstelle: Ich nenne es narrativ-relationaler Ansatz – kurz auch: narrativ predigen. Es ist nicht schwer zu entdecken, denn die ganze Bibel ist so verfasst: Es werden Geschichten erzählt, die eine Beziehung ermöglichen, weil sie eine theologische Haltung deutlich machen: zwischen dem Gesagten und den Gottesdienstbesuchern, zwischen Menschen in der Liebe Gottes und natürlich von Gott zu Mensch und Mensch zu Gott.

Es sind die Bilder, die unseren Kopf und unser Gefühl prägen. Darin liegt auch ein Teil der Macht von Medien, die Bilder erzeugen, auswählen und anbieten. Und es sind die Beziehungen, die uns bewegen.

Theorien lassen sich immer nur in aller Regel gut zur Festigung von Ideologien hernehmen. Sie bewegen aber meist das Herz nicht mit. Aber wenn ich in eine Beziehung rutsche, dann packt es mich ganzheitlich, und das ist die Chance, an mir selbst etwas zu entdecken und zu ändern. Darum bin ich fest überzeugt: Das ist der Weg Gottes. Das Geheimnis der Schöpfung und der Menschwerdung ist die erzählte Beziehung, die narrative Relation: dass Gott sich zu uns in Beziehung setzt und uns damit die Möglichkeit zur Buße, zur metanoia, zur Hinwendung zu ihm eröffnet. Das ist der Clou. Das ist Glaube: dass wir die Änderungsmöglichkeit hin zu einem gottgemäßen ethischen Verhalten nur dann schaffen, wenn Gott uns den Weg öffnet, und das geschieht: in der Beziehung, in der Relation, im Verhalten von und zu Gott, wie er sich zu uns und wir uns zu ihm verhalten. Davon zu erzählen, das macht Gott deutlich in der Welt, das ist gemeindenahe Theologie, das ist Religion für Menschen, die auf eigene Macht verzichten kann, die keine Amtshierarchie braucht und keine Titel.

In der Chorarbeit ist mir das am stärksten aufgefallen. Wenn ich ein aussagekräftiges gemeinsames Bild für ein Lied habe, dann kann ein Chor gestaltend singen. Wenn wir uns die Lebensweise der Sklaven vor Augen gehalten haben, dann wurden die Gospels zur Verkündigung und kamen aus dem Schlager-Geäffe raus: „Wade in the water“ oder „Deep river“ ließen dann die Verzweiflung spüren, die im Lichte des Evangeliums in Hoffnung umschlug. Dem Ertrinkenden in Not und Verzweiflung wird eine Hand gereicht, die ihn ans rettende Ufer zieht. Das erzeugte Gänsehaut, die bis zur Seele spürbar war. Und die reißenden Ströme der Verzweiflung, die Fluten der Sorge und die Tiefe der Angst erfahren Menschen heute noch immer, wenn vielleicht auch anders gefüllt. Und deshalb spüren wir die Verkündigung in den Liedern, wenn sie nicht industriell vermarktet werden, sondern mit Herz und Botschaft gesungen werden.

In der Erwachsenenbildung in den 80er-Jahren bin ich mit einem Vortrag in einem Umkreis von mehr als 100 km um meine damalige Pfarrstelle herum unterwegs gewesen. Er hatte den Titel: „Fernsehen lernen, wie macht man das?“. Die These: Der Umgang mit Medien will gelernt werden, damit ich Herr des Mediums bleibe und nicht das Medium mit mir macht, was es will.

Wenn ich das heute erzähle, fangen die jungen Leute mitleidig zu lächeln an, denn sie sind mit Medien so zugeschüttet, dass sie den Lernbedarf nicht mehr sehen können – und ich denke manchmal: auch nicht mehr erkennen sollen. Es ist von den Herren der Medien sehr willkommen und sogar gewollt!

Ich hatte zu meinem Vortrag einen Beitrag aus den Nachrichten mit verschiedenen Kommentaren bei immer den gleichen Bildern versehen. Er zeigte einen Aufstand des ANC (African National Congress; ja, das war damals!), weil ein weißer Polizist ohne erkennbaren Grund einen Farbigen erschossen hatte. Ein Ton war der nachgesprochene Originaltext, ein anderer Text war gemacht wie ein Missionsbericht über Brauchtum und Riten der Schwarzafrikaner und ein dritter Text zu den gleichen Bildern wie ein Reisebericht durch Südafrika.

Dazu immer die gleichen Bilder, dreimal hintereinander. Der Erfolg im Gespräch hinterher: Schwarze sind Randalierer, Krawallmacher, Aufständische. Nichts von allen meinen Texten war angekommen, dummerweise auch nicht der Originaltext, dass nämlich ein weißer Polizist der Auslöser dieser Bilder war. Wir mussten den Originalbeitrag mehrere Male anschauen, anhalten und kommentieren, bis klar war, wovon der Bericht tatsächlich erzählte: nämlich von verärgerten Menschen, weil einer von ihnen, nur weil er eine andere Hautfarbe hatte, erschossen worden war. Natürlich verstanden am Ende alle die Wut der Menschen. Aber die Bilder hatten sie anfangs betrogen, und die Zuschauer konnten sich nicht dagegen wehren. Das durch Bilder erzeugte Gefühl war stärker als das im Verstand angekommene Wort.

Immer wieder ist mir dieses Phänomen begegnet. Heute diskutieren wir, wie wir der Fake-News Herr werden sollen! Verführte Bilder im Kopf durch Schlagworte, anstelle von Wahrhaftigkeit! Das ist eine Folge von Vernetzung. Das geht so schnell und leicht! Die Wahrheit dagegen braucht eine Beziehung, Vertrauen, Wahrhaftigkeit, geduldiges Hinhören und Hinschauen, Empfindsamkeit und Offenheit und Kontinuität, weil Vertrauen sonst nicht wachsen kann. Religiös gesagt: Die Wahrheit braucht eine Gemeinde.

Bei all den Diskussionen wird mir von Mal zu Mal klarer, wie wichtig es ist, Sprache und Bilder sorgfältig zu bedenken, die wir in der Predigt den Menschen mitgeben. Das hat meine Predigtarbeit nachhaltig verändert.

Nein, ich predige nicht NUR narrativ, aber da, wo es passt, und manchmal auch nur in einzelnen Teilen. Aber auch in allen anderen Predigten schaue ich hin, wie ich Sprache und Bilder verwende. Und wo immer es mir gelingt, predige ich relational.

Das hängt natürlich auch von dem Predigtabschnitt und seinen Themen ab. Sie bestimmen die Form der Predigt mit: ob es eine Katechismuspredigt zu einem zentralen Glaubensthema oder eine seelsorgerliche Ansprache wird, eine Dialogpredigt oder eine mit Bildern und Gegenständen unterlegte, ob musikalische Elemente eingebunden werden oder liturgische Schwerpunkte aufgenommen werden. Narrative Elemente können jedoch in allen Predigtformen vorkommen. Jetzt im Ruhestand als verstärkter Predigthörer merke ich noch mal deutlicher, wie sehr viel leichter ich zuhören kann und wie viel ansprechender eine narrative Passage in einer Predigt ist. Aber nur irgendwelche Geschichtchen zu erzählen, ist noch nicht narrativ, das merke ich auch, vorwiegend an meinem Ärger, wenn ich platt abgespeist werde. Und ich bekomme mit: Anderen Gottesdienstbesuchern und Predigthörerinnen geht es genauso.

1 Vgl. dazu grundlegend: Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, Göttingen 1978 (31984); Wolfgang Harnisch, Die neutestamentliche Gleichnisforschung im Horizont von Hermeneutik und Literaturwissenschaft, Wege der Forschung Bd. 575, Darmstadt 1982; Wolfgang Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung, Göttingen 1985 (42001).

2 Siehe etwa Gert Otto, Predigt als Rede. Über die Wechselwirkung von Homiletik und Rhetorik, Stuttgart 1985; ders., Rhetorische Predigtlehre. Ein Grundriss, Mainz 1999.

3 Siehe S. 139-144.

4 Hans-Peter Dürr und Raimon Panikkar: Liebe – Urquelle des Kosmos. Ein Gespräch über Naturwissenschaft und Religion, Freiburg 2008.

5 Das macht Lesepredigten so schwierig und oft etwas spröde. Deshalb ist LektorInnen Mut zu machen, sie den örtlichen Verhältnissen anzupassen.

Narrativ predigen

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