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Nach dem Kampf

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»Nach­dem wir die ja­pa­ni­sche Ge­sandt­schaft aus ih­rer ge­fähr­li­chen Lage be­freit hat­ten, habe ich mich an dem klei­nen Fluss ge­rei­nigt. Wang Lees Ver­su­che, mich zu be­ru­hi­gen, hat­ten nicht wirk­lich Er­folg. Es war für mich das ers­te Mal ge­we­sen, dass ich an ei­nem Kampf teil­ge­nom­men hat­te, bei dem Men­schen zu Tode ka­men. Mei­ne Ge­dan­ken kreis­ten dar­um, ob ich das Recht ge­habt hat­te, hier ein­zu­grei­fen. Nur der Um­stand, dass im an­de­ren Fall die Ja­pa­ner ver­mut­lich um­ge­kom­men wä­ren, be­ru­hig­te mich ein we­nig. Den­noch soll­te mich die­ses Ge­sche­hen noch lan­ge be­schäf­ti­gen.

Aber vor­erst hat­te ich kei­ne Zeit, mich die­sen Ge­dan­ken wei­ter hin­zu­ge­ben. Der ja­pa­ni­sche Fürst kam mit sei­nem Ge­folgs­mann auf mich zu. Als sie uns er­reicht hat­ten, neig­ten sie leicht den Kopf, und der Ge­folgs­mann des Dai­myo sprach mich an. Sein Chi­ne­sisch war ein we­nig ge­bro­chen, aber gut ver­ständ­lich.

›Fürst Date Ma­sa­mu­ne möch­te sich bei Ih­nen für Ihr hilf­rei­ches Ein­grei­fen be­dan­ken! Wir ste­hen tief in Ih­rer Schuld, und un­se­re Dank­bar­keit kann Ih­nen ge­wiss sein.‹

Die rech­te Hand senk­recht vor die Brust hal­tend, neig­te ich eben­falls den Kopf und grüß­te zu­rück.

›Je­der, der in Be­dräng­nis ge­rät, kann mei­ner Hil­fe ge­wiss sein, doch ich habe nichts ge­tan, was nicht auch alle an­de­ren Brü­der aus Shao­lin tun wür­den.‹

›Ja, wir ha­ben ge­merkt, dass das, was der Abt uns vor­spie­len ließ, nicht der Wahr­heit ent­spricht. Ihr seid große Kämp­fer und habt ein star­kes Chi. Ich habe auch be­merkt, dass schon die Kraft Eu­res Chi star­ke Krie­ger dazu brin­gen kann, ihre Schwer­ter zu sen­ken‹, sag­te er mit ei­nem hin­ter­grün­di­gen Lä­cheln.

Ich wuss­te, dass er auf den Zu­sam­men­sto­ss, den Wang Lee und ich mit zwei sei­ner Män­ner ge­habt hat­ten, an­spiel­te. Doch dar­auf woll­te ich nicht ein­ge­hen, und glück­li­cher­wei­se rich­te­te nun der Dai­myo sein Wort an mich. Da die­ser aber nicht Chi­ne­sisch sprach, muss­te sein Ge­folgs­mann über­set­zen.

›Fürst Date Ma­sa­mu­ne möch­te wis­sen, wie es kommt, dass ihr uns ge­folgt seid, und wer die­se An­grei­fer wa­ren!?‹

›Wer die­se An­grei­fer wa­ren, kann ich auch noch nicht sa­gen, doch wir wer­den ver­su­chen, es he­r­aus­zu­be­kom­men. Und dass wir hier­her ka­men, war ei­gent­lich Zu­fall. Ich woll­te eine län­ge­re Rei­se an­tre­ten, und mei­ne Freun­de ha­ben mich bis Deng­feng be­glei­tet. Als wir dort er­fuh­ren, dass Sie nicht durch die­sen Ort ge­kom­men wa­ren, war uns klar, dass et­was nicht stimm­te. Die­ser Weg hier ist der ein­zi­ge, den Sie noch neh­men konn­ten, doch er ist be­schwer­lich, man kommt nicht schnel­ler ans Ziel, und nur we­ni­ge ken­nen ihn. Als uns das be­wusst wur­de, ver­stärk­te sich mein un­gu­tes Ge­fühl, und wir be­eil­ten uns, Sie zu er­rei­chen. Auf hal­bem Weg fan­den wir dann einen Ih­rer ver­wun­de­ten Sol­da­ten, der Hil­fe ho­len woll­te, aber nicht wei­ter­kam.‹

Beim letz­ten Satz hat­te der Sa­mu­rai auf­ge­horcht und ließ sich den Sol­da­ten ge­nau be­schrei­ben. Er nick­te ver­ste­hend und über­setz­te das bis­her Ge­hör­te dem Dai­myo. Un­ge­dul­dig for­der­te mich die­ser durch den Über­set­zer auf wei­ter­zu­er­zäh­len. Ich ver­stand dies nicht ganz, kam aber schul­ter­zu­ckend sei­ner Auf­for­de­rung nach.

›Nun, da gibt es nicht mehr viel zu er­zäh­len. Aus den Ges­ten und dem Zu­stand des Sol­da­ten schloss ich, dass es einen Über­fall ge­ge­ben hat­te und dass Ihre Grup­pe drin­gend Hil­fe brauch­te. Ei­ner mei­ner Freun­de blieb zu­rück, um sich um den Ver­wun­de­ten zu küm­mern, und wir an­de­ren be­eil­ten uns, Sie zu er­rei­chen. Tja, den Rest ha­ben Sie ja mit­be­kom­men.‹

›Der Ver­wun­de­te, wie geht es ihm?‹, frag­te der Sa­mu­rai un­ge­dul­dig.

Ver­wun­dert über so viel An­teil­nah­me an ei­nem ein­fa­chen Sol­da­ten sah ich ihm und dem Dai­myo in die Au­gen. Sie schie­nen bei­de sehr be­sorgt um das Le­ben die­ses Man­nes zu sein, und ich kam ih­rem Wunsch nach:

›Er ist ein tap­fe­rer Mann und ob­wohl er so schwer ver­letzt ist, dass er sich nicht auf­rich­ten konn­te, blick­te ich erst ein­mal in sein Schwert. Ich den­ke, bei gu­ter Pfle­ge, und wir ha­ben im Klos­ter sehr gute Wund­hei­ler, wird er wie­der völ­lig ge­ne­sen. Es wird zwar et­was dau­ern, doch er wird sei­nen Dienst bei Ih­nen wie­der auf­neh­men kön­nen.‹

Der Sa­mu­rai be­eil­te sich, das Ge­hör­te sei­nem Fürs­ten zu über­set­zen, und die­ser schi­en sicht­lich er­leich­tert. Wie­der ver­neig­te er sich vor mir und rich­te­te ei­ni­ge Wor­te an mich. Mit ei­nem freund­li­chen Lä­cheln über­setz­te sie sein Ge­folgs­mann:

›Der Fürst ist Ih­nen nun noch mehr ver­pflich­tet, denn es ist sein Sohn, den Sie da ge­fun­den ha­ben. Er ist Ih­nen auch sehr dank­bar, dass gleich ei­ner Ih­rer Freun­de bei ihm ge­blie­ben ist, um ihn zu pfle­gen.‹

Ich war sehr er­staunt. Die­ser jun­ge Mann hat­te nicht den Ein­druck ei­ner hö­her­ge­stell­ten Per­son er­weckt. Er war im­mer mit den ein­fa­chen Sol­da­ten un­ter­wegs und im Klos­ter auch so un­ter­ge­bracht ge­we­sen. Sein Auf­tre­ten und sei­ne Be­hand­lung durch die an­de­ren hat­ten im­mer auf einen un­ter­ge­ord­ne­ten Sol­da­ten hin­ge­deu­tet. Der Grund da­für in­ter­es­sier­te mich sehr, und ich woll­te mich schon da­nach er­kun­di­gen. Doch ir­gend­wie hat­te ich das Ge­fühl, dass das jetzt nicht an­ge­bracht wäre. Des­halb beließ ich es vor­erst da­bei und sag­te in der Hoff­nung, spä­ter mehr zu er­fah­ren:

›Es gibt kei­nen Grund für be­son­de­re Dank­bar­keit, denn wie ich schon sag­te, je­der, der in Not ist, kann auf un­se­re Hil­fe zäh­len.‹

Die bei­den ver­neig­ten sich noch ein­mal ach­tungs­voll vor uns, und dann be­ga­ben wir uns zu den Ver­wun­de­ten. Chen Shi Mal war schon bei ih­nen und schau­te sich die Ver­let­zun­gen der Über­le­ben­den an. Au­ßer dem Dai­myo und dem Sa­mu­rai, der als Über­set­zer auf­trat, hat­ten nur noch zwei mit re­la­tiv ge­ring­fü­gi­gen Ver­let­zun­gen über­lebt. Die­se be­durf­ten un­se­rer Hil­fe nicht, und wir küm­mer­ten uns um die fünf Schwer­ver­letz­ten, die et­was wei­ter hin­ten in der Sei­ten­schlucht la­gen.

Sie hat­ten un­ter­schied­li­che, aber teil­wei­se sehr tie­fe und ge­fähr­li­che Wun­den da­von­ge­tra­gen. Eine Ge­mein­sam­keit ver­band sie aber alle. Sie hat­ten sehr viel Blut ver­lo­ren und wa­ren sehr schwach.

Vor­sich­tig tru­gen wir sie in das wei­te Tal und rich­te­ten dort ein pro­vi­so­ri­sches La­ger ein. Wir ver­sorg­ten die Ver­let­zun­gen, so gut das un­ter den der­zei­ti­gen Be­din­gun­gen mög­lich war, ka­men dann aber über­ein, dass wir Hil­fe be­nö­ti­gen wür­den. Des­halb be­rie­ten wir, wie das ge­sche­hen soll­te.

›Es muss je­mand zu­rück nach Shao­lin und Hil­fe ho­len, denn ins Klos­ter kön­nen wir die Ver­letz­ten nicht trans­por­tie­ren. Zum einen sind wir zu we­ni­ge dazu, und zum an­de­ren wür­den das ei­ni­ge nicht über­le­ben.‹

›Da stimm ich dir zu, Chen Shi Mal!‹, ant­wor­te­te ich. ›Ich bin der Schnells­te von uns, viel­leicht wäre es am bes­ten, ich wür­de mich gleich auf den Weg ma­chen. Wenn ich kei­ne Pau­se ein­le­ge, könn­te ich mor­gen Vor­mit­tag mit Hil­fe wie­der zu­rück sein.‹

Wang Lee mach­te ein be­denk­li­ches Ge­sicht und warf ein:

›Ich weiß nicht?! Habt Ihr euch die to­ten An­grei­fer ein­mal ge­nau­er an­ge­schaut? Ich hat­te den Ein­druck, ei­ni­ge die­ser Ge­sich­ter schon ein­mal ge­se­hen zu ha­ben, und zwar im Klos­ter.‹

›Stimmt, wenn ich mich nicht irre, ge­hör­te zu­min­dest ei­ner zu der Grup­pe, die mit Mao Lu Peng vom Kai­ser­hof zu­rück­kam. Ich hab die­se Män­ner aber nur kurz ge­se­hen, und ich kann mich auch täu­schen. Es gibt mitt­ler­wei­le so vie­le, die zu Kämp­fern aus­ge­bil­det wer­den, aber kei­ne Mön­che sind, dass man sich nicht mehr je­des Ge­sicht mer­ken kann‹, er­wi­der­te Chen Shi Mal.

Wang Lee nick­te be­stä­ti­gend.

›Und ge­nau aus die­sem Grund ist es viel­leicht nicht so gut, wenn Xu Shen Po noch ein­mal im Klos­ter auf­taucht. Alle den­ken, er hat es für im­mer ver­las­sen, und wenn Mao Lu Peng in die Sa­che ver­wi­ckelt sein soll­te, müs­sen wir ihn nicht dar­auf auf­merk­sam ma­chen, dass es viel­leicht nicht so lief, wie er es sich ge­wünscht hat.‹

Er­staunt sah ich ihn an.

›Wie kommst du denn dar­auf? Ich dach­te, das wä­ren Ban­di­ten ge­we­sen.‹

›Ich kann es dir nicht er­klä­ren! Doch ich habe ein un­gu­tes Ge­fühl bei der Sa­che, und wir müs­sen doch kein Ri­si­ko ein­ge­hen! Wenn Chen Shi Mal oder ich wie­der im Klos­ter auf­tau­chen, er­weckt das kei­nen Ver­dacht, und wir kön­nen ein paar we­ni­ge ver­trau­ens­wür­di­ge Leu­te mit­brin­gen. An­sons­ten soll­ten wir aber erst ein­mal Still­schwei­gen über die Vor­gän­ge von hier wah­ren.‹

Nach­denk­lich schau­te ich von ei­nem zum an­de­ren.

›Na ja. Wenn ihr denkt. Aber viel­leicht wäre es gut, wenn ihr zu­sam­men los­geht und ei­ner von euch dann mit Liu Shi Meng den ver­letz­ten Sohn des Fürs­ten hier­her bringt. Viel­leicht könnt ihr euch eine Tra­ge bau­en und ihn her­tra­gen. Ich bleib erst mal hier und küm­me­re mich so lan­ge um die an­de­ren Ver­letz­ten.‹

Die bei­den stimm­ten zu und bra­chen so­fort auf. An­schlie­ßend er­klär­te ich den Ja­pa­nern, was wir be­schlos­sen hat­ten.

Da der Dai­myo und sein Ge­folgs­mann mit der Pfle­ge der Ver­wun­de­ten nicht viel im Sinn hat­ten, war ich auf mich al­lein ge­stellt. Wäh­rend ich ver­such­te, al­les Wis­sen, das ich in die­ser Be­zie­hung von den Mön­chen er­hal­ten hat­te, aus mei­nem Ge­dächt­nis her­vor­zu­kra­men, mach­ten sich der Dai­myo mit sei­nen noch ak­ti­ons­fä­hi­gen Män­nern auf, um die Pfer­de wie­der ein­zu­fan­gen. Auch ihre ver­streut he­r­um­lie­gen­den Sa­chen sam­mel­ten sie wie­der ein.

Bald brach­ten sie mir ei­ni­ge Nah­rungs­mit­tel und Klei­dungs­stücke, aus de­nen ich Stoff­strei­fen zum Ver­bin­den mach­te. So ge­lang es mir, die Ver­wun­de­ten not­dürf­tig zu ver­sor­gen.

Als das letz­te Ta­ges­licht schon fast ge­schwun­den war, ka­men Wang Lee und Liu Shi Meng mit dem ver­letz­ten Sohn des Fürs­ten in un­se­rem La­ger an. Ich hat­te er­war­tet, dass der Dai­myo sich gleich um sei­nen Sohn küm­mern wür­de, doch er warf nur einen kur­zen Blick auf die­sen und be­ach­te­te ihn dann nicht wei­ter.

Das konn­te ich über­haupt nicht ver­ste­hen, und in ei­nem güns­ti­gen Au­gen­blick er­kun­dig­te ich mich bei dem chi­ne­sisch spre­chen­den Sa­mu­rai nach dem Grund die­ses Ver­hal­tens.

›Ge­stat­ten Sie eine Fra­ge?‹

›Na­tür­lich, warum denn nicht!?‹

›Nun, ich kann ei­ni­ges nicht ver­ste­hen, habe aber das Ge­fühl, dass es ein Ta­bu­the­ma ist.‹

›Wir wer­den se­hen!‹

›Als ich Ih­nen er­zähl­te, dass wir den Sohn des Fürs­ten schwer ver­letzt ge­fun­den hat­ten, schie­nen Sie bei­de sehr be­sorgt um ihn zu sein und wa­ren froh, dass er Pfle­ge er­hielt. Doch als er hier im La­ger an­kam, wur­de er von Ih­nen kaum ei­nes Blickes ge­wür­digt. Wie­so? Und warum ist er als Sohn des Fürs­ten un­ter den ein­fa­chen Sol­da­ten und wird von al­len auch so be­han­delt?‹

Im ers­ten Au­gen­blick ver­schloss sich die Mie­ne des Sa­mu­rai, und ich hat­te den Ein­druck, er wür­de mich auf­brau­send ab­wei­sen, aber dann be­sann er sich.

›Das lässt sich nicht so leicht be­ant­wor­ten, denn es be­steht ein recht ge­spann­tes Ver­hält­nis zwi­schen Va­ter und Sohn. Au­ßer­dem gibt es in un­se­rem Land einen an­de­ren Ver­hal­tens­ko­dex als in Ih­rem. Ehre und die Ver­pflich­tun­gen ge­gen­über Hö­her­ge­stell­ten wer­den bei uns an­ders be­wer­tet als bei Ih­nen.‹

›Das mag schon sein, doch ich habe die Sor­ge und die Lie­be zu sei­nem Sohn im Auge des Fürs­ten ge­se­hen. Was hin­dert ihn dar­an, ihm die­se auch zu zei­gen?‹

Der Sa­mu­rai hol­te tief Luft und stieß sie mit Druck wie­der aus.

›Sie ge­ben aber auch kei­ne Ruhe. Nun gut, ich wer­de ver­su­chen, Ih­nen die Si­tua­ti­on zu er­klä­ren.‹

Er schau­te sich kurz um, nick­te zu­frie­den und sag­te dann:

›Der zwei­t­äl­tes­te Sohn des Fürs­ten wur­de bis vor ei­nem Jahr be­han­delt, wie es ihm zu­kommt. Er er­hielt eine her­vor­ra­gen­de Aus­bil­dung und hat­te alle Pri­vi­le­gi­en, die ei­nem Sohn und Nach­fol­ger des Pro­vinz­fürs­ten zu­ste­hen. Sei­ne kämp­fe­ri­sche Aus­bil­dung ob­lag mir, und er war ein her­vor­ra­gen­der Schü­ler, der mir am Ende fast ge­wach­sen war. Doch all die­se Din­ge mach­ten ihn über­heb­lich, ar­ro­gant und herrsch­süch­tig. Er er­kann­te sei­ne Gren­zen nicht mehr und über­schritt stän­dig sei­ne Be­fug­nis­se. Nach Date Ma­sa­mu­nes Tod soll er der neue Dai­myo wer­den, und dann hät­te ein sol­ches Ver­hal­ten schwer­wie­gen­de Fol­gen. Die Pro­vinz­fürs­ten sind auf Ge­deih und Ver­derb dem Sho­gun ver­pflich­tet. Sie ha­ben seit ei­ni­ger Zeit nur noch ein­ge­schränk­te Rech­te, vie­le Pflich­ten, und ihr Le­ben ge­hört dem Sho­gun. Un­ter­wer­fung die­sem ge­gen­über ist obers­tes Ge­bot. Der Sohn des Fürs­ten be­gann sich für un­an­tast­bar zu hal­ten, und sein Le­ben wäre am Hofe des Sho­gun si­cher­lich bald ver­wirkt ge­we­sen. Als sich Date Ta­da­mu­ne im­mer öf­ter in Schwie­rig­kei­ten brach­te, er­bat der Fürst vom Sho­gun, sei­nen Sohn als ein­fa­chen Sol­da­ten in eine Trup­pe un­ter mei­nem Kom­man­do zu stel­len und nach Sen­dai, zur Burg des Fürs­ten, zu schi­cken. Da Date Ma­sa­mu­ne ein treu er­ge­be­ner Die­ner des Sho­gun ist, wur­de ihm dies ge­stat­tet. Of­fi­zi­ell han­del­te es sich um eine Be­stra­fung durch den Sho­gun für un­an­ge­mes­se­nes Ver­hal­ten. Kei­nem au­ßer dem Fürst, dem Sho­gun, mir und jetzt Ih­nen sind die wah­ren Hin­ter­grün­de be­kannt. Nur eine Be­din­gung gab es: Der Fürst muss­te die­se Rei­se hier pla­nen und an­tre­ten.‹

Ich sah ihn er­staunt an, und er be­eil­te sich, sei­ne Wor­te ge­nau­er zu er­klä­ren:

›Nicht die­se hier nach Shao­lin, sie wur­de nur we­gen der Neu­gier­de des Fürs­ten un­ter­nom­men, der sehr viel über die Shao­lin-Kämp­fer am Kai­ser­hof ge­hört hat­te. Nein, die Rei­se an den chi­ne­si­schen Kai­ser­hof.‹

Da ich ihn im­mer noch fra­gend an­sah, fuhr er mit sei­nen Er­klä­run­gen fort:

›Mehr kann ich dar­über jetzt nicht sa­gen, nur eins noch: Der Sho­gun be­auf­trag­te Date Ma­sa­mu­ne da­mit, weil schon ein­mal ein Ge­folgs­mann von ihm eine di­plo­ma­ti­sche Rei­se an­ge­tre­ten hat­te. Ha­se­ku­ra Ts­une­n­a­ga war im Auf­trag des Sho­gun bis nach Me­xi­ko und Eu­ro­pa ge­reist. Der Sho­gun ver­traut nun dar­auf, dass Date Ma­sa­mu­ne das glei­che Ge­schick bei die­ser di­plo­ma­ti­schen Missi­on an den Tag le­gen wird. Au­ßer­dem weiß er, dass ich als sein Ge­folgs­mann mit da­bei bin und Date Ma­sa­mu­ne sich durch mei­ne Chi­ne­sisch­kennt­nis­se nicht auf einen frem­den Dol­met­scher ver­las­sen muss.‹

Ich horch­te auf. Hier gab es eine Ver­bin­dung zu Eu­ro­pa, und ob­wohl es eine ganz an­de­re Epo­che war, hat­te ich plötz­lich ein selt­sa­mes Ge­fühl. Ich war neu­gie­rig ge­wor­den und be­gie­rig, mehr dar­über zu er­fah­ren, doch vor­erst er­gab sich die­se Ge­le­gen­heit nicht. Der Sa­mu­rai fuhr aber mit sei­nen Er­klä­run­gen fort.

›Be­vor wir die­se Rei­se an­tra­ten, war es mir ge­lun­gen, den Sohn des Fürs­ten ein we­nig zur Ruhe zu brin­gen. Es fiel ihm schwer, sich un­ter­zu­ord­nen, doch er hat­te kei­ne an­de­re Wahl. Ich den­ke, dass sein Va­ter im rich­ti­gen Mo­ment die rich­ti­ge Ent­schei­dung ge­trof­fen hat. Er woll­te ihn De­mut leh­ren. Ihm zei­gen, dass auch er sich in be­stimm­ten Si­tua­tio­nen un­ter­wer­fen muss, dass auch ihm Gren­zen ge­setzt sind und Will­kür und Hoch­mut schnell zum Ver­der­ben wer­den kön­nen.‹

Ich dach­te über das eben Ge­hör­te nach. Zum Teil konn­te ich den Fürs­ten ver­ste­hen, aber mich ir­ri­tier­te, dass er sich im­mer noch so ab­wei­send ver­hielt und sei­nem Sohn nicht zeig­te, wie sehr er ihn ei­gent­lich lieb­te.

›Ei­ni­ges kann ich nun bes­ser ver­ste­hen, doch warum schließt er jetzt im­mer noch kei­nen Frie­den mit ihm und ver­heim­licht ihm, wie be­sorgt er war?‹

›Zum einen ist er der Mei­nung, dass es noch zu früh dazu ist. Zum an­de­ren ist das eine Ei­gen­schaft un­se­res Vol­kes und un­se­res Stan­des. Es ist nicht so ein­fach, sei­ne Ge­füh­le ei­nem an­de­ren ge­gen­über zu zei­gen, ohne da­bei sein Ge­sicht zu ver­lie­ren, und ich wür­de Ih­nen ra­ten, mit dem Fürst vor­läu­fig nicht dar­über zu spre­chen. Date Ma­sa­mu­ne ist ein Toz­a­ma-Dai­myo, der aber ein ho­hes An­se­hen beim Sho­gun ge­nießt. Er ist also ein re­la­tiv un­ab­hän­gi­ger Fürst, und um die­se Stel­lung zu wah­ren und in den fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen wei­ter aus­zu­bau­en, müs­sen auch sei­ne Söh­ne über je­den Ta­del er­ha­ben sein. Ich kann nicht sa­gen, was mich be­wo­gen hat, Ih­nen das al­les zu er­zäh­len, doch Sie kön­nen si­cher sein, dass es mein An­se­hen beim Fürs­ten ge­wal­tig un­ter­gräbt, wenn er da­von er­fährt.‹

Ich ver­sprach ihm, dar­über zu schwei­gen. Er war auch des­halb re­la­tiv be­ru­higt, da ich durch die Un­kennt­nis der ja­pa­ni­schen Spra­che im Mo­ment so­wie­so nur über ihn mit dem Fürst spre­chen konn­te.

Als wir wie­der im La­ger an­ge­kom­men wa­ren, ge­sell­te ich mich zu Wang Lee und Liu Shi Meng, doch vor­läu­fig herrsch­te nur Schwei­gen. Ich hing mei­nen Ge­dan­ken nach, und die bei­den merk­ten, dass mich et­was be­schäf­tig­te.

Ich mach­te mir Ge­dan­ken über das Ver­hal­ten des Fürs­ten und frag­te mich, ob es wirk­lich der rich­ti­ge Weg war, sei­nen Sohn zu er­zie­hen. Aber an­schei­nend hat­te er da­mit einen ge­wis­sen Er­folg. Au­ßer­dem war es ein an­de­res Land mit an­de­ren Sit­ten, da­her konn­te ich mei­ne Maß­stä­be nicht bei ih­nen an­le­gen. Mir hat­te der Wehr­dienst auch ge­hol­fen, selb­stän­dig und ver­ant­wor­tungs­be­wusst zu wer­den. Da man das hier fast ge­nau­so wer­ten konn­te, blieb nur das ge­spann­te Ver­hält­nis zwi­schen Va­ter und Sohn. Aber ich hat­te auch die Lie­be und Sor­ge un­ter der rau­en Scha­le be­merkt, und so schi­en das Gan­ze nach au­ßen schlim­mer zu sein, als es war.

In­zwi­schen hat­ten sich Wang Lee und Liu Shi Meng über die letz­ten Er­eig­nis­se un­ter­hal­ten, und die letz­ten Wor­te Liu Shi Mengs lie­ßen mich auf­hor­chen.

›Ich bin der Mei­nung, wir soll­ten so schnell wie mög­lich hier ver­schwin­den. Mei­ner An­sicht nach war die Ak­ti­on gut ge­plant und kein zu­fäl­li­ger Über­fall von ei­ner ein­zel­nen Ban­di­ten­grup­pe. Wenn be­merkt wird, dass sie ihr Ziel nicht er­reicht ha­ben, kom­men viel­leicht noch an­de­re, und dann ha­ben wir kei­ne Chan­ce mehr!‹

Da ich durch mein tie­fes Nach­sin­nen nichts vom vor­her­ge­hen­den Ge­spräch mit­be­kom­men hat­te, frag­te ich nach:

›Wie kommst du denn dar­auf?‹

›Ich kann es dir nicht er­klä­ren, aber ich habe kein gu­tes Ge­fühl hier. Mag sein, dass es an die­sem Ort mit den noch sicht­ba­ren Kampf­spu­ren liegt, wie Wang Lee meint, doch ich fin­de, wir soll­ten von hier ver­schwin­den!‹

›Wo willst du hin, ins Klos­ter kön­nen wir die Ver­wun­de­ten nicht schaf­fen, das ist zu weit, und ei­ni­ge von ih­nen wür­den die­sen lan­gen Trans­port si­cher nicht über­le­ben‹, fiel Wang Lee ein.

›Na ja, vor ei­ni­gen Jah­ren war mal ein al­ter Mann im Klos­ter. Er woll­te Me­di­zin für sei­ne kran­ke Toch­ter von Han Li­ang Tian er­bit­ten, doch der Abt ist da­mals gleich selbst mit­ge­gan­gen und hat sie ge­sund ge­pflegt. Als er zu­rück­kam, hat er uns er­zählt, dass er noch nie von die­sem klei­nen Dorf hier oben in den Ber­gen ge­hört hat­te und dass es si­cher­lich auch nicht so schnell von je­mand ge­fun­den wür­de. Wenn ich mich recht an sei­ne Orts­be­schrei­bung er­in­ne­re, dürf­te nicht weit von hier ein schma­ler Weg in die Ber­ge ab­zwei­gen, und et­was ver­steckt in ei­nem Sei­ten­tal ste­hen sechs oder sie­ben Hüt­ten.‹

›Sechs oder sie­ben Hüt­ten!? Liu Shi Meng, wo sol­len wir denn da mit all den Ver­letz­ten un­ter­kom­men? Die Leu­te hier in den Ber­gen ha­ben meist ge­ra­de mal ge­nug Platz für sich selbst, sie le­ben schon auf engs­tem Raum, da ist nie­mals Platz für uns alle.‹

›Ist schon rich­tig, aber wo willst du sonst hin. Selbst wenn nie­mand mehr hier­her kommt, auf die­ser Wie­se kön­nen wir die Ver­letz­ten nie­mals ge­sund pfle­gen.‹

›Da hast du schon recht‹, sag­te ich nach­denk­lich. ›Und selbst wenn wir in den Hüt­ten der Berg­bau­ern nicht un­ter­kom­men, könn­ten wir dort si­cher­lich bes­ser ein pro­vi­so­ri­sches La­ger ein­rich­ten als hier. Weißt du ge­nau, wo die­ses Dorf liegt?‹, frag­te ich Liu Shi Meng.

›Nein, nicht ge­nau. Doch ich wür­de mor­gen früh so zei­tig wie mög­lich auf­bre­chen und da­nach su­chen. Ihr müsst so­wie­so auf die an­de­ren war­ten, und erst dann kön­nen wir von hier ver­schwin­den. Bis das so weit ist, wer­de ich das Dorf si­cher ge­fun­den ha­ben.‹

Da uns nichts Bes­se­res ein­fiel, ei­nig­ten wir uns auf Liu Shi Mengs Vor­schlag, und nach­dem wir noch ein­mal nach den Ver­wun­de­ten ge­se­hen hat­ten, gin­gen wir zur Ruhe.

Die Nacht ver­lief ru­hig, und am Mor­gen küm­mer­ten wir uns als Ers­tes um die Ver­wun­de­ten. Der Zu­stand von zwei der Ver­letz­ten er­schi­en mir recht kri­tisch. Ich be­riet mich mit Wang Lee, und auch er war der Mei­nung, dass die bei­den schnells­tens Hil­fe be­nö­tig­ten.

Ei­ner von ih­nen hat­te eine klaf­fen­de Wun­de am Hals und sehr viel Blut ver­lo­ren. Die Blu­tung hat­ten wir zwar stil­len kön­nen, doch er war durch den ho­hen Blut­ver­lust so schwach, dass wir um sein Le­ben bang­ten. Der an­de­re hat­te eine Bauch­wun­de, und um ihn sorg­ten wir uns ei­gent­lich noch mehr, da wir nicht wuss­ten, ob auch in­ne­re Or­ga­ne ver­letzt wa­ren. Wir hat­ten zwar in Er­man­ge­lung an­de­rer Hilfs­mit­tel die Wun­drän­der mit dem Ver­band fest zu­sam­men­ge­presst, doch wür­de das rei­chen? Kei­ner von uns hat­te Er­fah­rung in der Be­hand­lung sol­cher Ver­let­zun­gen.

Der Dai­myo be­merk­te un­se­re Sor­ge und kam mit dem dol­met­schen­den Sa­mu­rai zu uns.

›Der Fürst Date Ma­sa­mu­ne möch­te wis­sen, wie es um die Ver­letz­ten steht.‹

Ich stand auf und ant­wor­te­te, den Fürst da­bei an­schau­end:

›Den Ver­wun­de­ten geht es so weit gut, nur um die­se bei­den hier ma­chen wir uns Sor­gen. Wir sind kei­ne Hei­ler, und uns fehlt die Er­fah­rung in der Be­hand­lung sol­cher Wun­den. Doch die Hil­fe aus dem Klos­ter müss­te heu­te im Lau­fe des Ta­ges ein­tref­fen, und wir hof­fen, dass es dann noch nicht zu spät ist.‹

Der Dai­myo sah auf die bei­den he­r­un­ter, nick­te, und der Sa­mu­rai über­setz­te uns dann sei­ne Wor­te:

›Date Ma­sa­mu­ne sagt: Es sind gute und star­ke Män­ner, sie wer­den so lan­ge durch­hal­ten wie nö­tig, und wenn es so weit ist, wer­den sie ge­hen, ohne zu kla­gen.‹

Ich sah mir den Fürst ge­nau­er an, denn er ver­wirr­te mich im­mer wie­der. Auf der einen Sei­te wirk­te er be­sorgt und auf­merk­sam sei­nen Män­nern ge­gen­über, doch nach au­ßen schi­en er über die­sen Din­gen zu ste­hen. Es sah im­mer so aus, als dürf­te kei­ner se­hen, dass in die­sem har­ten Mann auch ein wei­cher Kern steck­te. Die­ser Ein­druck wur­de noch durch sein Äu­ße­res ver­stärkt, denn ihm fehl­te das rech­te Auge. Im Klos­ter hat­te er eine Au­gen­klap­pe ge­tra­gen, doch jetzt sah man die ver­wach­se­ne lee­re Au­gen­höh­le, wäh­rend das an­de­re Auge auf­merk­sam al­les um sich he­r­um im Blick be­hielt. Spä­ter er­fuhr ich, dass er das Auge durch eine schwe­re Er­kran­kung ver­lo­ren hat­te, aber er för­der­te auch an­de­re Ge­rüch­te. Die­se und sei­ne Aus­strah­lung tru­gen dazu bei, dass er den Spitz­na­men ein­äu­gi­ger Dra­che er­hal­ten hat­te.

Wäh­rend­des­sen hat­te der Fürst wei­ter ge­spro­chen, und der Sa­mu­rai über­setz­te ge­wis­sen­haft sei­ne Wor­te:

›Date Ma­sa­mu­ne möch­te wis­sen, wie es wei­ter­ge­hen soll. Er fin­det den Platz hier nicht gut und möch­te so schnell wie mög­lich die­sen Ort ver­las­sen.‹

Also hat­te nicht nur Liu Shi Meng ein schlech­tes Ge­fühl.

›Wir ha­ben uns auch schon dar­über un­ter­hal­ten, und Liu Shi Meng möch­te ger­ne ein Dorf su­chen, das hier ganz in der Nähe sein muss‹, ant­wor­te­te ich.

Der Dai­myo nick­te und gab zu ver­ste­hen, dass er so schnell wie mög­lich wei­ter möch­te. Nach­dem ich ihm er­klärt hat­te, dass wir we­nigs­tens die Hil­fe vom Klos­ter ab­war­ten müss­ten und dass wir die Ver­letz­ten auch nicht sehr weit trans­por­tie­ren könn­ten, ging er miss­mu­tig da­von.

Der Sa­mu­rai war bei uns ge­blie­ben, und nach­dem der Fürst au­ßer Hör­wei­te war, sag­te er:

›Sie müs­sen Date Ma­sa­mu­ne ver­ste­hen, er macht sich Sor­gen um un­se­re Si­cher­heit. Au­ßer­dem un­ter­nah­men wir die­sen Ab­ste­cher ins Klos­ter nicht im Auf­trag des Sho­gun. Wenn sei­ne Missi­on jetzt des­halb ge­fähr­det ist, könn­te das sei­ne Stel­lung sehr ne­ga­tiv be­ein­flus­sen. Er macht sich Vor­wür­fe, dass er die­se Rei­se an­ge­tre­ten hat, denn das ei­gent­li­che Ziel war schon er­reicht.‹

›Ich kann das ja ver­ste­hen, doch es ist nun ein­mal ge­sche­hen, und wir müs­sen se­hen, dass wir das Bes­te dar­aus ma­chen. Liu Shi Meng wird auf­bre­chen und nach dem Dorf su­chen. Ich möch­te aber mit Wang Lees Hil­fe ver­su­chen, die­sen bei­den Ver­letz­ten noch ein we­nig Kraft zu ge­ben, da­mit sie durch­hal­ten, bis die an­de­ren ein­tref­fen.‹

Der Sa­mu­rai und auch Wang Lee, mit dem ich noch nicht dar­über ge­spro­chen hat­te, sa­hen mich er­staunt an.

›Was hast du vor? Du willst doch nicht etwa das­sel­be ver­su­chen wie da­mals Han Li­ang Tian bei Hu Kang?‹

›Doch, warum nicht? Schlim­mer kön­nen wir es nicht ma­chen, den­ke ich.‹

›Das weißt du nicht! Wir ha­ben es noch nie­mals ge­tan, und Han Li­ang Tian hat die­se Fä­hig­kei­ten nur im äu­ßers­ten Not­fall an­ge­wen­det.‹

›Ich weiß, aber ich habe Angst, dass die bei­den uns wegs­ter­ben, bis Hil­fe da ist.‹

Der Sa­mu­rai war neu­gie­rig ge­wor­den und un­ter­brach uns.

›Darf ich er­fah­ren, was Sie vor­ha­ben und warum Sie nicht si­cher sind, ob Sie es an­wen­den dür­fen?‹

Ich sah Wang Lee an, und die­ser zuck­te die Schul­tern mit ei­nem Blick, der sag­te: Nun sieh zu, wie du da wie­der raus­kommst, ich hab nicht da­von an­ge­fan­gen. Ich ent­schloss mich, dem Sa­mu­rai mei­ne Ab­sicht so gut wie mög­lich zu er­läu­tern.

›Es be­steht die Mög­lich­keit, an­de­ren Kraft zur Hei­lung zu ge­ben, doch es ge­hört ein sehr star­kes Chi dazu. Wir bei­de ha­ben es noch nicht ohne Hil­fe prak­ti­ziert. Ich habe zwar ein­mal an ei­ner sol­chen Sit­zung teil­ge­nom­men, aber un­auf­ge­for­dert und nur durch die Hil­fe ei­nes in die­sen Din­gen sehr er­fah­re­nen Man­nes mei­ne Kraft bei­steu­ern kön­nen. Wir wis­sen also, wie es funk­tio­niert, doch uns fehlt die Er­fah­rung.‹

›Ich ver­ste­he nicht, warum Sie sich scheu­en, es zu ver­su­chen? Ich habe schon vie­le ver­wun­de­te Män­ner ge­se­hen, und die­se bei­den hier ha­ben ohne so­for­ti­ge Hil­fe kei­ne Hoff­nung zu über­le­ben. So viel kann ich nach mei­nen Er­fah­run­gen ein­schät­zen. Also ver­su­chen Sie, was ih­nen mög­lich ist, auch wenn es eine mir noch un­be­kann­te Ge­fahr ber­gen soll­te. Mei­ner An­sicht nach kön­nen Sie es nicht schlim­mer ma­chen.‹

Ich dach­te ge­nau­so und sah Wang Lee fra­gend an.

›Wenn du meinst, dann ver­su­chen wir’s, ob­wohl ich Zwei­fel habe!‹

›So wird’s aber nichts, Wang Lee. Wenn du Zwei­fel hast, kannst du nicht dei­ne gan­ze Kraft bei­steu­ern, und wir sind von vorn­he­r­ein zum Schei­tern ver­ur­teilt. Du musst an die Mög­lich­keit glau­ben und die gan­ze Kraft dei­nes Chi nut­zen!‹

›Ich weiß! Lass mich einen Au­gen­blick me­di­tie­ren, um mich auf die­se Auf­ga­be ein­zu­stim­men.‹

Ich nick­te ihm zu und ge­dach­te, das Glei­che zu tun. Bei­de lie­ßen wir uns nie­der und kon­zen­trier­ten uns auf die be­vor­ste­hen­de Auf­ga­be, doch zu­vor bat ich den Sa­mu­rai, da­für zu sor­gen, dass wir nicht ge­stört wur­den. Er nick­te und po­si­tio­nier­te sich so, dass er so­wohl uns als auch alle an­de­ren im Blick hat­te.

In­zwi­schen wa­ren wir in tiefer Me­di­ta­ti­on ver­sun­ken. Nach ei­ni­ger Zeit öff­ne­te ich die Au­gen, denn ich hat­te das Ge­fühl, dass Wang Lee so weit war, und rich­tig, er schau­te mich mit ei­nem ent­spann­ten und kon­zen­trier­ten Blick an.

Da wir gleich ne­ben dem Mann mit der Hals­wun­de sa­ßen, nah­men wir uns die­sen als Ers­ten vor. Wie ich es da­mals bei Han Li­ang Tian ge­se­hen hat­te, leg­te ich mei­ne Hän­de auf Stirn und Brust des Ver­letz­ten, und Wang Lee leg­te die sei­nen auf mei­ne. Nun kon­zen­trier­ten wir un­se­re gan­ze Kraft in den Wunsch, dem Schwa­chen Ener­gie von uns zu ge­ben. Ich ver­such­te es auf die glei­che Art, wie ich es da­mals an Hu Kangs Kran­ken­la­ger wahr­ge­nom­men hat­te, und dach­te im Gleich­klang mit Wang Lee:

›Nimm die­se Kraft von uns, nut­ze sie zu dei­ner Hei­lung! Nimm so viel, wie du brauchst, um wie­der ge­sund zu wer­den! Wir ge­ben dir ger­ne, was wir ge­ben kön­nen! Nimm von uns, um dei­nen Kör­per zu hei­len und die Kraft zu fin­den, dass dein Herz wei­ter­schlägt. Dass dei­ne Lun­ge wei­ter­ar­bei­tet und dein Kör­per das ver­lo­re­ne Blut wie­der er­setzt.‹

Bei die­sen Ge­dan­ken ver­such­te ich mich in den Kör­per des Ver­letz­ten hi­n­ein­zu­ver­set­zen und da­bei zu er­ken­nen, wo die Hil­fe am not­wen­digs­ten war. Nach ei­ni­ger Zeit ge­lang es mir fast so gut wie in mei­nem ei­ge­nen Kör­per, und ich er­kun­de­te die be­trof­fe­nen Stel­len. Die Wun­de am Hals wür­de wie­der hei­len, auch wenn Seh­nen und Mus­keln ver­letzt wa­ren und der Hals viel­leicht bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad steif blei­ben wür­de. Ich er­kann­te auch die Ur­sa­che für sei­nen rö­cheln­den Atem. Er hat­te Blut ver­schluckt und ei­ni­ges da­von in sei­ne Atem­we­ge be­kom­men. Aber sein Kör­per war zu schwach, um das Blut wie­der hi­n­aus­zu­be­för­dern.

Ohne mei­ne bis­he­ri­gen Ge­dan­ken zu un­ter­bre­chen, füg­te ich ih­nen noch den Be­fehl hin­zu, die Atem­we­ge wie­der frei zu ma­chen. Das kos­te­te mich und Wang Lee sehr viel Kraft, und ich ver­such­te wie da­mals Han Li­ang Tian, Ener­gie aus mei­ner ge­sam­ten Um­welt auf­zu­neh­men.

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, der Sa­mu­rai, der als Dol­met­scher fun­gier­te und nun da­für sor­gen soll­te, dass wir nicht ge­stört wur­den, be­ob­ach­te­te er­staunt, was vor­ging. Mu­te­te ihn die Hand­lungs­wei­se auch selt­sam an, so spür­te er doch die Kraft und Ener­gie, die uns wie eine Aura um­gab. Er be­merk­te, wie sich un­ser gan­zer Kör­per straff­te und sich alle Mus­keln und Seh­nen bis zum Zer­rei­ßen spann­ten, doch bis auf das leich­te Zit­tern der Hän­de und Zu­cken im Ge­sicht war nichts Äu­ßer­li­ches sicht­bar. Ge­bannt be­ob­ach­te­te er uns, und Date Ma­sa­mu­ne sah er erst, als die­ser uns fast er­reicht hat­te. Schnell sprang er auf und ver­neig­te sich vor ihm.

Im­mer noch ver­stimmt we­gen des Auf­ent­halts an die­sem un­güns­ti­gen Ort, frag­te der Dai­myo ge­reizt:

›Was geht hier vor?‹

›Mein Fürst, bit­te stö­ren Sie die­se bei­den nicht, sie wol­len ver­su­chen, dem Ver­let­zen bei der Hei­lung zu hel­fen.‹

›So? Wie soll das ge­hen?‹

›Ich weiß es nicht ge­nau, doch se­hen Sie, es scheint sich et­was zu tun.‹

Der Ver­letz­te hus­te­te und würg­te, und sein Ge­sicht wur­de pu­ter­rot vor An­stren­gung. Den bei­den Be­ob­ach­tern wur­de angst, denn sie fürch­te­ten um das Le­ben des Man­nes. Date Ma­sa­mu­ne war drauf und dran, un­se­re Ak­ti­on ab­zu­bre­chen, als der Ver­letz­te spu­ckend das Blut aus den Atem­we­gen würg­te. Der Fürst stock­te mit­ten in der Be­we­gung und war­te­te ab, was wei­ter ge­sche­hen wür­de.

Der Ver­wun­de­te schi­en schon frei­er zu at­men. Nach­dem sich die­ser Vor­gang mehr­fach wie­der­holt hat­te, sank der Mann gleich­mä­ßig at­mend zu­rück. Sei­ne Haut nahm eine ge­sün­de­re Far­be an, und als wäre er in einen hei­len­den Schlaf ge­fal­len, at­me­te er ru­hig ein und aus.

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga be­ob­ach­te­te uns ge­bannt und er­war­te­te je­den Au­gen­blick, dass wir uns er­he­ben wür­den, als das nicht ge­schah, wand­te er sich wie­der dem Fürs­ten zu:

›An­schei­nend ha­ben sie Er­folg ge­habt. Warum und wie lan­ge sie jetzt noch fort­fah­ren, kann ich aber nicht sa­gen.‹

›Wir wer­den se­hen, doch ihr Wort­füh­rer scheint kein Chi­ne­se zu sein. Ich habe das da­mals im Klos­ter schon ge­dacht, weil er da aber im­mer mit den Mön­chen zu­sam­men war, mich nicht wei­ter dar­um ge­küm­mert. Ir­gend­ein Ge­heim­nis um­gibt ihn, und sei­ne Aus­strah­lung ist sehr groß. Ich möch­te, dass du ihn dar­auf an­sprichst, wenn sie das hier be­en­det ha­ben.‹

›Ja mein Fürst!‹, sag­te der Sa­mu­rai und schau­te dem Dai­myo hin­ter­her, der sich wie­der zu den an­de­ren be­gab.

Von all­dem hat­ten wir nichts mit­be­kom­men, und erst spä­ter hat mir Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga da­von er­zählt. Uns war aber nicht ent­gan­gen, dass wir eine Wir­kung er­zielt hat­ten. Nun woll­ten wir dem Mann noch Ener­gie für die wei­te­re Hei­lung mit­ge­ben und kon­zen­trier­ten uns auf die an­fäng­li­chen Ge­dan­ken.

Erst ge­rau­me Zeit spä­ter ver­stän­dig­te ich mich in Ge­dan­ken mit Wang Lee, und wir öff­ne­ten die Au­gen. Wir sa­hen nicht nur, dass es dem Ver­wun­de­ten bes­ser­ging, wir hat­ten es auch ge­spürt. Er­freut über den Er­folg, stan­den wir auf.

In die­sem Au­gen­blick merk­ten wir, wie viel Kraft uns die­se Ak­ti­on ge­kos­tet hat­te. Wang Lee tau­mel­te ei­ni­ge Schrit­te zur Sei­te, und ich muss­te die Au­gen schlie­ßen, da sich al­les zu dre­hen be­gann. Erst nach ei­ner Wei­le konn­te ich sie wie­der öff­nen, und auch Wang Lee kam, ein we­nig blass, wie­der zur Ruhe. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga war in der Zwi­schen­zeit zu uns he­r­an­ge­kom­men und frag­te nun:

›Ist es so er­folg­reich ver­lau­fen, wie Sie ge­hofft hat­ten?‹

›Al­lem An­schein nach, ja. Für den Au­gen­blick ist die Ge­fahr ge­bannt, wie sich sein Zu­stand wei­ter­ent­wi­ckelt, kann ich aber nicht sa­gen.‹

›Ver­su­chen Sie es jetzt auch bei dem an­de­ren?‹

›Ich den­ke, so schnell geht das nicht! Wir müs­sen selbst erst ein­mal wie­der Kraft schöp­fen. Es hat uns mehr an­ge­strengt, als ich dach­te. Bit­te gön­nen Sie uns ein we­nig Ruhe, be­vor wir uns um den Zwei­ten küm­mern.‹

Der Sa­mu­rai nick­te und knie­te sich bei dem Mann nie­der, um den wir uns ge­ra­de be­müht hat­ten.

Da ich mich mit Wang Lee auch ohne Wor­te ver­stän­di­gen konn­te, ge­nüg­te ein kur­zer Blick, und wir such­ten uns eine ru­hi­ge Stel­le, um zu me­di­tie­ren. Ich ließ mich voll­kom­men fal­len und kon­zen­trier­te mich nur dar­auf, so schnell wie mög­lich wie­der zu Kräf­ten zu kom­men.

Als ich mich ei­ni­ge Zeit spä­ter, die Son­ne hat­te in­zwi­schen fast ih­ren höchs­ten Stand er­reicht, wie­der er­hob, merk­te ich schnell, dass die ver­brauch­te Ener­gie noch nicht wie­der voll­stän­dig auf­ge­füllt war. Wang Lee ging es nicht an­ders, und nun mach­ten wir uns Sor­gen, ob un­se­re Kraft rei­chen wür­de, um dem zwei­ten Mann zu hel­fen. Dum­mer­wei­se hat­ten wir uns ent­schie­den, dem zu­erst zu hel­fen, bei dem es leich­ter er­schi­en, und jetzt be­fürch­te­ten wir zu ver­sa­gen.

Wir gin­gen zu­erst noch ein­mal zu Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, der im­mer noch bei dem zu­erst Ver­sorg­ten saß. Er stand auf und frag­te:

›Hel­fen Sie jetzt dem an­de­ren? Bei dem hier ha­ben Sie ein Wun­der be­wirkt. Er ist jetzt viel kräf­ti­ger, rö­chelt über­haupt nicht mehr und hat vor­hin schon die Au­gen ge­öff­net. Ich hof­fe, es war nicht falsch, dass ich ihm Was­ser ge­bracht habe, als er da­nach ver­langt hat?‹

›Nein, im Ge­gen­teil! Er hat sehr viel Blut ver­lo­ren und muss viel trin­ken, um den Flüs­sig­keits­ver­lust aus­zu­glei­chen.‹

Er at­me­te er­leich­tert aus, und ich be­ant­wor­te­te, mich dem mit der Bauch­wun­de zu­wen­dend, sei­ne an­de­re Fra­ge:

›Wir wer­den jetzt ver­su­chen, die­sem hier zu hel­fen, doch ich kann nicht sa­gen, ob un­se­re Kraft da­für noch aus­reicht. Bit­te sor­gen Sie wie­der da­für, dass wir nicht ge­stört wer­den!‹

Er nick­te be­stä­ti­gend, und wir ver­fuh­ren wie­der wie beim Ers­ten. Als wir uns nie­der­knie­ten und dem Mann ins Ge­sicht blick­ten, wur­de uns angst, denn sein Zu­stand schi­en sich sehr ver­schlech­tert zu ha­ben. Als ich in Wang Lees Au­gen sah, be­merk­te ich, dass er die Hoff­nung schon auf­ge­ge­ben hat­te, und ich setz­te mich in Ge­dan­ken mit ihm in Ver­bin­dung:

›Erst wenn wir al­les ver­sucht ha­ben, Wang Lee! Erst wenn wir all un­se­re Kraft ge­ge­ben ha­ben!‹

›Ich wer­de mich be­mü­hen, doch ich habe we­nig Hoff­nung.‹

›Den­ke an­ders, sonst wirkt es nicht, Wang Lee! Bit­te, denk an­ders!‹

›Ich be­mü­he mich!‹, ant­wor­te­te er, und ich spür­te, wie er sich kon­zen­trier­te.

Wir ver­fuh­ren auf die glei­che Wei­se wie bei un­se­rem ers­ten Pa­ti­en­ten. Aber nach ei­ner Wei­le merk­te ich, dass es nicht so lief wie beim ers­ten Mal. Wir dran­gen gar nicht rich­tig zu ihm vor, und er schi­en nicht in der Lage zu sein, un­se­re Hil­fe an­zu­neh­men. Er war so schwach, dass wir den Ein­druck hat­ten, er wäre schon halb in ei­ner an­de­ren Welt.

Nach ei­ni­ger Zeit ga­ben wir frus­triert auf. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, der das be­merkt hat­te, kam zu uns he­r­an und er­kun­dig­te sich be­sorgt:

›Was ist? Sie sind bei ihm so schnell fer­tig? Ich habe auch nicht wie vor­hin das Ge­fühl, dass sich sein Zu­stand ge­bes­sert hat.‹

Ich sah ihm in die Au­gen und sag­te:

›Ich weiß nicht, ob wir nicht mehr ge­nü­gend Kraft ha­ben oder ob er schon so schwach ist, dass er un­se­re Hil­fe nicht mehr an­neh­men kann. Auf je­den Fall drin­gen wir gar nicht mehr bis zu ihm vor.‹

›Steht es so schlecht um ihn?‹

›Ich den­ke, ja! Wir ken­nen lei­der nur die­se Me­tho­de, um je­mand Kraft zu ge­ben, und der Be­trof­fe­ne muss be­reit sein, sie an­zu­neh­men. Wenn es mög­lich wäre, ihm die Kraft auf eine an­de­re Art zu ge­ben, hät­ten wir viel­leicht Er­folg, aber so ...‹

Be­stützt sah der Sa­mu­rai auf den nur noch schwach at­men­den Mann. Ich hat­te den Ein­druck, dass ihm je­der die­ser Män­ner wirk­lich ans Herz ge­wach­sen war. Er wür­de sich ei­nem Ja­pa­ner ge­gen­über si­cher­lich nie­mals eine sol­che Emp­fin­dung an­mer­ken las­sen, doch bei uns schi­en ihm die­se Maß­nah­me nicht nö­tig zu sein.

›Ha­ben Sie al­les ver­sucht?‹

Ich nick­te nur be­stä­ti­gend.

›Dann wer­den wir ihn wohl auch noch ver­lie­ren‹, sag­te er trau­rig und wen­de­te sich ab.

Ich wuss­te nicht, was ich dar­auf ant­wor­ten soll­te, und auch Wang Lee, den ich rat­los an­sah, ging es nicht bes­ser. Das währ­te aber nur we­ni­ge Au­gen­bli­cke, dann sprach uns der Sa­mu­rai wie­der an:

›Sie ha­ben ge­hol­fen, so gut Sie konn­ten, und ohne Ihre Hil­fe wä­ren wir jetzt alle tot. Auch bei den Ver­wun­de­ten ha­ben Sie mehr ge­tan, als ich er­war­tet hat­te. Sei­en Sie ver­si­chert, dass wir das nie­mals ver­ges­sen wer­den!‹

Er ver­neig­te sich wie­der ein­mal leicht vor uns, und mir wur­de das lang­sam pein­lich, denn so viel Ehr­er­bie­tung schi­en mir un­an­ge­bracht.

›Sie brau­chen sich nicht im­mer vor uns zu ver­nei­gen. Wir sind nur ein­fa­che Mön­che, und Ihre Stel­lung ist viel be­deu­ten­der als die un­se­re.‹

Ge­schickt nutz­te Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga die Mög­lich­keit, um den Auf­trag sei­nes Herrn zu er­fül­len.

›Ich den­ke, auch in Chi­na ist es nicht un­üb­lich, ei­nem an­de­ren auf die­se Art und Wei­se sei­ne Dank­bar­keit zu zei­gen. Der Rang oder die Stel­lung spie­len da­bei nur eine un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le. Doch ich habe, ob­wohl Sie chi­ne­sisch spre­chen, als wäre es Ihre Mut­ter­spra­che, den Ein­druck, dass Sie kein Chi­ne­se sind.‹

Wie soll­te ich jetzt re­agie­ren? Ich war un­si­cher, wie viel und was ich ihm über­haupt er­zäh­len soll­te oder durf­te. Mei­ne Un­si­cher­heit mit ei­nem Lä­cheln über­spie­lend, sag­te ich aus­wei­chend:

›Sie lie­gen nicht falsch, aber viel­leicht auch nicht ganz rich­tig mit Ih­rer Ver­mu­tung, aber das ist eine lan­ge Ge­schich­te, die wir uns für eine ru­hi­ge­re Zeit auf­he­ben soll­ten.‹

Ich woll­te erst ein­mal Zeit ge­win­nen, um mir über mei­ne wei­te­re Vor­ge­hens­wei­se klar zu wer­den. Glück­li­cher­wei­se er­for­der­ten in die­sem Mo­ment an­de­re Din­ge un­se­re Auf­merk­sam­keit. Von dem Weg, den wir am Vor­tag ge­kom­men wa­ren, dran­gen Ge­räusche zu uns. Schnell grif­fen die noch kampf­fä­hi­gen Ja­pa­ner zu ih­ren Waf­fen, und auch wir be­ob­ach­te­ten, auf al­les ge­fasst, die Weg­bie­gung.

Er­leich­tert at­me­te ich aus, als ich er­kann­te, dass Chen Shi Mal mit der Hil­fe aus dem Klos­ter kam. Zehn Mön­che hat­te er mit­ge­bracht, und un­ter ih­nen war der bes­te Wund­hei­ler des Klos­ters. Auch ei­ni­ge Pack­pfer­de, die ver­schie­de­ne Din­ge tru­gen, wa­ren da­bei, und ich schöpf­te wie­der Hoff­nung, dass wir dem Mann mit der Bauch­wun­de noch hel­fen konn­ten.

Als uns die­se Grup­pe fast er­reicht hat­te, be­merk­te ich Liu Shi Meng, der aus der an­de­ren Rich­tung auf uns zu­streb­te. Sei­nem Ge­sichts­aus­druck zu­fol­ge hat­te er Er­folg ge­habt, denn er wirk­te fröh­lich und ent­spannt.

Be­vor ich mit ihm spre­chen konn­te, er­reich­te uns aber Chen Shi Mal und be­rich­te­te, wie es ihm er­gan­gen war.

So schnell ihn sei­ne Bei­ne tra­gen konn­ten, war er zum Klos­ter ge­lau­fen und hat­te es spät in der Nacht er­reicht. Ohne Auf­merk­sam­keit zu er­re­gen, weck­te er den Abt, Hu Kang, und be­rich­te­te ihm von den letz­ten Er­eig­nis­sen. Die­ser über­leg­te nicht lan­ge, such­te zehn ver­trau­ens­wür­di­ge Mön­che aus und bat sie, Chen Shi Mal zu be­glei­ten. Nach­dem al­les Not­wen­di­ge ver­schnürt war, bra­chen sie mit den Pack­pfer­den auf. Ih­rer Mei­nung nach hat­te sie nie­mand be­merkt, und der Abt woll­te den wah­ren Grund ih­rer Ab­we­sen­heit auch erst ein­mal ge­heim hal­ten. So hoff­ten wir, selbst wenn die Ver­mu­tun­gen, die wir teil­wei­se heg­ten, zu­tra­fen, vor­läu­fig un­be­hel­ligt zu blei­ben.

Ich hielt die Ge­sprä­che sehr kurz, denn die Ver­sor­gung der Ver­letz­ten er­schi­en mir wich­ti­ger. Als Ers­tes führ­te ich den Wund­hei­ler zu dem Mann mit der Bauch­wun­de, den er ein­ge­hend un­ter­such­te. Nach­dem er den Ver­band ent­fernt und die Wun­de aus­gie­big be­gut­ach­tet hat­te, stand er mit ei­nem be­dau­ern­den Ge­sichts­aus­druck auf.

›Ich wer­de al­les ver­su­chen, was ich kann, doch ich ma­che mir we­nig Hoff­nung, dass die­ser Mann den mor­gi­gen Tag über­lebt. Selbst wenn ich so­fort zu Stel­le ge­we­sen wäre, hät­te er ver­mut­lich nicht über­lebt, denn es sind in­ne­re Or­ga­ne ver­letzt.‹

Ich sah hi­n­un­ter auf die frei­ge­leg­te Wun­de und er­schrak über de­ren Aus­se­hen. Die Wun­drän­der wa­ren zwar ver­klebt, doch es war al­les ge­rö­tet, und die gan­ze Haut des Ver­letz­ten hat­te eine un­ge­sun­de gel­be Far­be. Es sah aus, als wür­de je­den Au­gen­blick Ei­ter aus der Wun­de her­vor­bre­chen. Auch der all­ge­mei­ne Zu­stand des Man­nes schi­en sich von Mi­nu­te zu Mi­nu­te zu ver­schlech­tern. Ich mach­te mir im­mer mehr Vor­wür­fe, dass wir nicht zu­erst die­sem Mann ge­hol­fen hat­ten. Viel­leicht hät­te un­se­re Kraft aus­ge­reicht, um ihn zu ret­ten.

Der Mönch hat­te mich die gan­ze Zeit be­ob­ach­te­te, be­merk­te mei­nen See­len­kampf, konn­te sich aber nicht er­klä­ren, warum ich so be­drückt war.

›Wie­so be­drückt dich der Zu­stand die­ses Man­nes so sehr? Als wel­chem Grund bist du so nie­der­ge­schla­gen?‹

Aus mei­nen Ge­dan­ken hoch­ge­schreckt, sah ich ihn an.

›Ich ma­che mir Vor­wür­fe, dass ich viel­leicht einen Feh­ler be­gan­gen habe.‹

Er schüt­tel­te den Kopf und stand auf.

›Die Wun­de hät­tet ihr mit dem Wis­sen und den Mit­teln, die ihr habt, nicht bes­ser ver­sor­gen kön­nen. Selbst ich kann nichts an den in­ne­ren Ver­let­zun­gen ma­chen. Wenn der Kör­per sie nicht selbst hei­len kann, sind auch mir die Hän­de ge­bun­den.‹

›Ja, und ge­ra­de des­halb hät­ten wir erst die­sem hier hel­fen müs­sen, um ihm ge­nü­gend Kraft zur Selbst­hei­lung zu ge­ben!‹, sag­te ich trau­rig.

Rat­los sah er mich an und er­kun­dig­te sich dann nach dem, was wir ge­tan hat­ten, und warum ich so dach­te. Ich führ­te ihn zu dem Mann mit der Hals­ver­let­zung und schil­der­te ihm un­ser Vor­ge­hen. Mit je­dem Wort, das ich sag­te, wur­den sei­ne Au­gen grö­ßer. Er mus­ter­te mich und Wang Lee mit ei­ner Mi­schung aus Er­stau­nen und Hoch­ach­tung.

›Ich wuss­te nicht, dass Han Li­ang Tian sein Wis­sen um die­se Kräf­te wei­ter­ge­ge­ben hat und dass es ihm ge­lun­gen ist, je­mand zu fin­den, der die­se Kräf­te auch nut­zen kann. Ich selbst hat­te es ver­sucht, doch mir fehlt die in­ne­re Kraft, um das zu be­wir­ken, was ihr be­herrscht.‹

Er schau­te sich den Mann mit der Hals­ver­let­zung nä­her an und ließ sich den Ver­lauf noch ein­mal ge­nau schil­dern.

›Ich den­ke, ohne die Hil­fe, die ihr ihm ge­ge­ben habt, hät­te er nicht über­lebt. Das Blut, das er he­r­aus­würg­te, wäre nach und nach in die Lun­gen ge­ra­ten und hät­te ihm ein qual­vol­les Ende be­rei­tet. Ihr habt mit eu­rer Kraft et­was be­wirkt, was kein Hei­ler mit nor­ma­len Mit­teln er­rei­chen kann. Und ich bin si­cher, wenn ihr das erst bei dem an­de­ren ge­tan hät­tet, dann wäre Hil­fe bei die­sem hier nicht mehr mög­lich ge­we­sen.‹

Er schau­te noch ein­mal von ei­nem zum an­de­ren und schüt­tel­te wie­der mit dem Kopf.

›Nein, so grau­sam es klingt, ihr habt un­be­wusst die rich­ti­ge Ent­schei­dung ge­trof­fen, denn so hat we­nigs­tens ei­ner die Mög­lich­keit zu über­le­ben!‹

Ich spür­te, dass es ihm ernst war mit dem, was er sag­te, doch es be­ru­hig­te mich nur we­nig. Noch lan­ge mach­te ich mir Vor­wür­fe, dass ich zu die­sem Zeit­punkt eine falsche Ent­schei­dung ge­trof­fen hat­te.

Der Hei­ler ging wie­der zu dem mit der Bauch­ver­let­zung. Zu­sam­men mit ei­nem an­de­ren Mönch, der sich in der Zwi­schen­zeit schon um den Mann ge­küm­mert hat­te, rei­nig­ten und ver­ban­den sie die Wun­de noch ein­mal. Dann flöß­ten sie dem Mann einen stär­ken­den Trunk ein, doch fast un­mit­tel­bar da­nach wand er sich in Krämp­fen, bis er zit­ternd und schwach at­mend in eine tie­fe Ohn­macht fiel.

Da ich die Ver­letz­ten in gu­ten Hän­den wuss­te, ging ich zu Liu Shi Meng. Ihn hat­te ich seit sei­ner An­kunft noch nicht ge­spro­chen, und ich woll­te ger­ne wis­sen, wie sei­ne Su­che ver­lau­fen war.

Er stand bei Chen Shi Mal, und sie un­ter­hiel­ten sich ge­ra­de über die letz­ten Er­eig­nis­se.

›Warst du er­folg­reich Liu Shi Meng?‹, frag­te ich, als ich bei ih­nen an­kam.

›Ja, ich hat­te doch noch sehr gut in Er­in­ne­rung, wie Han Li­ang Tian mir da­mals den Weg in das Dorf be­schrie­ben hat­te. Als ich den Dorf­be­woh­nern von den letz­ten Er­eig­nis­sen be­rich­te­te und sie frag­te, ob sie uns hel­fen wür­den, ver­spra­chen sie es so­fort. Sie be­rei­ten al­les für un­se­re An­kunft vor, und Män­ner des Dor­fes wer­den mor­gen früh hier sein, um uns beim Trans­port zu hel­fen.‹

›Das ist wirk­lich eine gute Nach­richt! Nun müs­sen wir nur noch se­hen, dass wir auch be­reit sind, mor­gen früh auf­zu­bre­chen.‹

›Wie­so soll­ten wir nicht?‹, warf Chen Shi Mal ein.

›Nun, wir müs­sen uns ja noch um die To­ten küm­mern! Oder willst du sie ein­fach so lie­gen las­sen?‹

Chen Shi Mal sah sich er­staunt um, denn er hat­te die Lei­chen nir­gend­wo ge­se­hen. Das konn­te er auch nicht, denn die Ja­pa­ner hat­ten alle To­ten am Vor­tag in die Sei­ten­schlucht ge­tra­gen, aus der der klei­ne Fluss kam.

Wir mach­ten uns auf den Weg, um uns vor Ort einen Über­blick zu ver­schaf­fen, und kurz vor dem Ziel er­hiel­ten wir Ge­sell­schaft. Wang Lee, Date Ma­sa­mu­ne und der Dol­met­scher schlos­sen sich uns an.

Der Blick in die Sei­ten­schlucht öff­ne­te sich, und wir sa­hen die to­ten Ja­pa­ner, die, so gut das mit den vor­han­de­nen Mit­teln ging, eh­ren­voll auf­ge­bart wa­ren. Da­vor stand ei­ner der nur leicht ver­letz­ten Sol­da­ten und hielt Wa­che. In ei­ni­ger Ent­fer­nung an der Fels­wand wa­ren die to­ten Chi­ne­sen lieb­los auf einen Hau­fen ge­wor­fen. Es war ein trau­ri­ger An­blick, und ich stock­te kurz, um das zu ver­ar­bei­ten.

Der Fürst sah mich fra­gend an, und der Sa­mu­rai sprach aus, was die­ser dach­te:

›Fin­den Sie die Be­hand­lung der to­ten An­grei­fer un­ge­recht­fer­tigt?‹

Ihm in die Au­gen bli­ckend, ant­wor­te­te ich:

›So wür­de ich das nicht aus­drücken. Ich fin­de den sinn­lo­sen Tod so vie­ler Men­schen be­drückend und be­dau­re, dass Ih­nen und Ih­ren Män­nern so viel Leid zu­ge­fügt wur­de.‹

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga nick­te und über­setz­te dem Fürs­ten mei­ne Ant­wort, um mir gleich dar­auf des­sen Wor­te zu über­mit­teln.

›Date Ma­sa­mu­ne be­dankt sich für Ihre freund­li­chen Wor­te und möch­te wis­sen, wie es wei­ter­geht.‹

Ich er­klär­te ihm, dass wir am nächs­ten Mor­gen in das Dorf auf­bre­chen woll­ten, uns aber vor­her noch um die To­ten küm­mern müss­ten. Der Fürst stimm­te zu und frag­te, ob es uns mög­lich wäre, sei­ne Lands­män­ner mit bud­dhis­ti­schen Bräu­chen zu be­stat­ten.

Ich be­riet mich kurz mit mei­nen Freun­den, und wir ka­men über­ein, dass Chen Shi Mal mit zwei wei­te­ren Mön­chen die Su­tren, also die Re­den des Bud­dha, vor­le­sen wür­de. Au­ßer­dem soll­te je­der, der ein we­nig Zeit hat­te, sich zu ih­nen ge­sel­len, um der To­ten zu ge­den­ken. Ich woll­te in der Zwi­schen­zeit mit Hil­fe von Wang Lee und Liu Shi Meng die Grä­ber am Fluss­rand aus­he­ben.

Als wir die Ja­pa­ner schließ­lich be­stat­tet hat­ten, häuf­ten wir über ih­ren Grä­bern klei­ne Stein­py­ra­mi­den an, da­mit die­ser Ort auch von zu­fäl­lig Vor­bei­kom­men­den ent­spre­chend ge­ehrt wur­de. An­schlie­ßend woll­ten wir die Chi­ne­sen da­ne­ben be­stat­ten, doch der Fürst ver­wahr­te sich ener­gisch da­ge­gen, und um kei­ne Miss­s­tim­mung auf­kom­men zu las­sen, wur­den sie an der Fels­wand be­gra­ben. Da es dort nicht mög­lich war, tief ge­nug in den Bo­den ein­zu­drin­gen, war es am Ende nur ein großer Stein­hau­fen, der das Grab kenn­zeich­ne­te.

Die Su­tren wur­den auch bei die­sen To­ten ge­le­sen, doch zu de­ren Ge­den­ken fand sich kei­ner au­ßer Wang Lee und mir ein. Je­der von uns bei­den hing stumm sei­nen ei­ge­nen Ge­dan­ken nach.

Ich über­leg­te, was die­se Män­ner wohl be­wo­gen hat­te, so eine Tat zu be­ge­hen, und warum sich Men­schen im­mer wie­der ge­gen­sei­tig um­brin­gen. Doch ich kam zu kei­nem rech­ten Er­geb­nis, da es so vie­le Grün­de gibt, die zu sol­chen Ta­ten füh­ren, dass ein­fach kei­ne Ver­all­ge­mei­ne­rung mög­lich war. Nur eins ist in al­len Fäl­len gleich: Alle, die eine sol­che Tat be­ge­hen, sind in die­sem Mo­ment von der Rich­tig­keit ih­res Han­delns über­zeugt, und nur we­ni­ge ma­chen sich am Ende Ge­dan­ken dar­über oder be­reu­en, was sie ge­tan ha­ben. Ich hat­te bis­her kei­nem Men­schen per­sön­lich das Le­ben ge­nom­men, doch in­di­rekt zum Tod ei­ni­ger die­ser Chi­ne­sen bei­ge­tra­gen. Nun stand ich da und ver­such­te, vor mei­nem Ge­wis­sen die­ses Han­deln zu recht­fer­ti­gen.

Im Grun­de wuss­te ich, dass mein Ein­grei­fen die ein­zi­ge Mög­lich­keit ge­we­sen war, den Be­dräng­ten zu hel­fen. Es wür­de wohl auch kei­nen ge­ben, der mich des­we­gen ver­ur­tei­len wür­de, den­noch war ich be­drückt.

Als ich durch Chen Shi Mal aus die­sen sich stän­dig im Kreis dre­hen­den Ge­dan­ken ge­ris­sen wur­de, war ich sehr froh.

›Darf ich dich kurz stö­ren, Xu Shen Po?‹

Ich rich­te­te mich auf und sah ihn an.

›Na­tür­lich! Was gibt es denn?‹

›Der ja­pa­ni­sche Fürst möch­te dich ger­ne spre­chen und bit­tet dich, zu ihm zu kom­men.‹

Ich nick­te Wang Lee zu, der sei­ne An­dacht gleich­falls be­en­det hat­te, und be­gab mich zum Fürs­ten, der mich mit dem dol­met­schen­den Sa­mu­rai er­war­te­te.

›Ent­schul­di­gen Sie, das wir Sie ge­stört ha­ben, doch der Fürst muss ei­ni­ge wich­ti­ge Din­ge klä­ren!‹

›Kein Pro­blem! Um was han­delt es sich denn?‹

›Da wir mor­gen in die­ses Dorf auf­bre­chen, in dem die Ver­letz­ten ge­sund ge­pflegt wer­den sol­len, möch­te Date Ma­sa­mu­ne ger­ne wis­sen, wie lan­ge es wohl dau­ern wird, bis wir wei­ter­rei­sen kön­nen?‹

›Oh, das kann ich Ih­nen nicht ge­nau sa­gen. Doch ich den­ke, dass die Schwer­ver­letz­ten erst in zwei bis drei Wo­chen dazu fä­hig sind. Selbst dann wird es nur lang­sam und mit Be­hin­de­run­gen vor­an­ge­hen.‹

Mit ei­nem mür­ri­schen Ge­sichts­aus­druck dis­ku­tier­te der Fürst nach mei­ner Ant­wort mit dem Sa­mu­rai. Erst nach ei­ni­ger Zeit sprach mich Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga wie­der an.

›Der Fürst be­fin­det sich der­zeit in ei­ner schwie­ri­gen Lage. Zum einen ist die­ser lan­ge Auf­ent­halt in kei­ner Form beim Sho­gun ent­schuld­bar, und der Fürst möch­te so zei­tig wie nur ir­gend mög­lich auf­bre­chen. Au­ßer­dem hat er un­ser Schiff zur Mün­dung des Qjang­wei He nach Lia­nyun­gang be­or­dert, das uns dort in den nächs­ten Ta­gen er­war­tet. Wenn wir uns gar zu sehr ver­spä­ten, wird es viel­leicht wie­der da­v­on­se­geln. Aber er möch­te auch sei­ne Män­ner nicht im Stich las­sen und nicht ohne sie auf­bre­chen. Nun über­legt er, ob er ohne die Ver­letz­ten los­ge­hen soll­te. Er könn­te sich bei dem Schiff mel­den und an­schlie­ßend am Kai­ser­hof eine of­fi­zi­el­le Be­schwer­de über den Vor­gang ein­rei­chen. Die Ver­wun­de­ten könn­ten sich nach ih­rer Ge­ne­sung zur Küs­te be­ge­ben und wür­den dann mit auf­ge­nom­men, um ge­mein­sam die Rück­rei­se an­zu­tre­ten.‹

Ich über­leg­te einen Au­gen­blick und war mir nicht si­cher, ob ich un­se­ren Ver­dacht er­wäh­nen soll­te, doch schließ­lich ent­schloss ich mich, sie ohne eine di­rek­te Aus­sa­ge auf die glei­chen Ge­dan­ken zu brin­gen.

›Ich weiß nicht, ob der Ge­dan­ke gut ist! Vor al­lem we­gen der Be­schwer­de am Kai­ser­hof. Als Sie dort den Wunsch zu die­ser Rei­se äu­ßer­ten, hat­ten Sie da den Ein­druck, dass man be­geis­tert über das An­sin­nen war?‹

›Nein, ei­gent­lich nicht! Im Ge­gen­teil, man hat lan­ge ver­sucht, es dem Fürs­ten aus­zu­re­den. Doch wie­so fra­gen Sie jetzt da­nach?‹

›Nun, kurz be­vor Sie ka­men, wur­den wir durch einen Bo­ten vom Kai­ser­hof an­ge­wie­sen, nichts von den Kampf­küns­ten der Mön­che preis­zu­ge­ben. Wir soll­ten den Ein­druck er­we­cken, dass es sich nur um ein ein­fa­ches bud­dhis­ti­sches Klos­ter han­delt und die Ge­rüch­te um die Kampf­mön­che maß­los über­trie­ben sei­en. Der Über­brin­ger die­ser Nach­richt hat sich wäh­rend Ih­rer An­we­sen­heit noch im Klos­ter auf­ge­hal­ten und al­les be­ob­ach­tet. Er war aber mit ei­ni­gen Din­gen nicht ganz zu­frie­den. Vor al­lem der Zwi­schen­fall, bei dem zwei Ih­rer Män­ner Wang Lee und mir aus­wi­chen, hat ihm sehr miss­fal­len.‹

Ich stock­te kurz, denn ich war drauf und dran, al­les preis­zu­ge­ben. Ein we­nig vor­sich­ti­ger sag­te ich des­halb:

›Nun, was glau­ben Sie, was ge­schieht, wenn sich der Fürst am Kai­ser­hof be­schwert? Ich den­ke, man wird sein Be­dau­ern aus­drücken, ver­spre­chen, den Vor­fall zu un­ter­su­chen, und viel­leicht auch eine un­lieb­sa­me Per­son als Sün­den­bock hin­stel­len. Doch ins­ge­heim wird man sich höchs­tens är­gern, dass nicht die ge­sam­te Ge­sandt­schaft in den Ber­gen ver­schol­len ist.‹

Nach­denk­lich sah mich der Sa­mu­rai an und über­setz­te das Ge­hör­te wie­der dem Fürs­ten. Des­sen Ge­sichts­aus­druck ver­fins­ter­te sich bei je­dem Wort mehr, und es folg­te eine sehr ge­reiz­te Dis­kus­si­on zwi­schen den bei­den. Nach ei­ni­ger Zeit wand­te sich Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga wie­der an mich und sag­te:

›Der Fürst ist sehr auf­ge­bracht über das Ver­hal­ten des Kai­ser­ho­fes, hat aber selbst schon die­se Ver­mu­tun­gen ge­habt. Er über­legt nun, wie er sich ver­hal­ten soll.‹

›Warum will er un­be­dingt dar­auf re­agie­ren? Wie hät­te er sich denn in der Si­tua­ti­on des Kai­ser­ho­fes ver­hal­ten? Si­cher­lich nicht viel an­ders, den­ke ich. Au­ßer­dem ist nicht dar­auf re­agie­ren viel be­las­ten­der für die Be­trof­fe­nen. Ich wür­de in der Si­tua­ti­on des Fürs­ten je­den­falls so han­deln.‹

Der Sa­mu­rai sah mich an und schi­en zu über­le­gen, ob und wie er das dem Dai­myo über­set­zen soll­te.

›Über­set­zen Sie ru­hig, was ich ge­sagt habe. Ich ste­he dazu, und wenn der Fürst ehr­lich ist, wird er mir zu­stim­men.‹

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga zö­ger­te im­mer noch und über­leg­te krampf­haft, wie er es be­schö­ni­gen könn­te. Doch der Dai­myo wur­de un­ge­dul­dig und frag­te barsch nach. Dar­auf­hin gab der Sa­mu­rai mei­ne Wor­te un­ver­än­dert wie­der. Im ers­ten Mo­ment stieg Zorn­rö­te in das Ge­sicht des Fürs­ten, doch schon we­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter lä­chel­te er und sag­te mit ei­nem ver­söhn­li­chen Ge­sichts­aus­druck:

›Sie ha­ben recht, ich hät­te si­cher ähn­lich ge­han­delt! Aber es ist schwie­rig, das hin­zu­neh­men und nicht dar­auf zu re­agie­ren, ohne sein Ge­sicht zu ver­lie­ren.‹

Der Sa­mu­rai über­setz­te sei­ne Wor­te so­fort und schi­en sicht­lich er­leich­tert zu sein. In der Zwi­schen­zeit hat­te der Fürst schon wei­ter­ge­spro­chen, und Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga hat­te Mühe, mit dem Über­set­zen nach­zu­kom­men.

›Die wei­te­re Hand­lungs­wei­se, die sich der Fürst über­legt hat­te, ist also hin­fäl­lig. Nun steht er wie­der am An­fang und fragt, was Sie tun wür­den.‹

Ich hat­te mir schon wäh­rend des vor­an­ge­gan­ge­nen Ge­sprächs Ge­dan­ken über den wei­te­ren Ver­lauf ge­macht und sag­te nun:

›Das Bes­te wäre nach mei­ner An­sicht, erst ein­mal einen Bo­ten zum Schiff zu schi­cken, der es auf die Ver­spä­tung hin­weist und zum War­ten auf­for­dert. Ei­ner von uns könn­te mit ei­nem Schrift­stück des Fürs­ten die­se Auf­ga­be über­neh­men. Dann wür­de ich ihm emp­feh­len, hier aus­zu­har­ren, bis sich alle wie­der auf die Rei­se be­ge­ben kön­nen. Viel­leicht ist es auch mög­lich, dass ei­ni­ge von uns die­sen Zug be­glei­ten, um eine si­che­re Rück­kehr zu ge­währ­leis­ten. Dem Sho­gun wür­de ich die­se Rei­se als not­wen­dig und de­ment­spre­chend er­folg­reich schil­dern. Ich ken­ne nicht den Grund Ih­res Be­su­ches am chi­ne­si­schen Kai­ser­hof, doch ich den­ke, dass es ir­gend­wie in Ih­ren Auf­trag pas­sen wür­de, wenn Sie so vor­ge­hen. Mit ein we­nig Ge­schick kön­nen Sie das so­gar als Er­folg ver­bu­chen.‹

Wie­der stock­te der Sa­mu­rai beim Über­set­zen und sah mich prü­fend an. Auch der Dai­myo re­agier­te so, als ihm das Ge­sag­te über­setzt wur­de.

›Sie er­stau­nen uns im­mer wie­der!‹, fass­te Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga sei­ne und des Fürs­ten Ge­dan­ken zu­sam­men. ›Nach­dem wir Sie nun bes­ser ken­nen ge­lernt ha­ben, fällt es uns schwer, in Ih­nen den ein­fa­chen Mönch zu se­hen, der Sie nach au­ßen zu sein schei­nen. Der Fürst und auch ich den­ken mitt­ler­wei­le, dass Sie eher ein ge­wand­ter Di­plo­mat sind, der ir­gend­wie hier ge­stran­det ist.‹

Ich lach­te kurz auf.

›Nun, Sie ha­ben recht und auch wie­der nicht! Ich bin nicht von hier, son­dern durch selt­sa­me Um­stän­de hier­her ge­langt! Ein Mönch bin ich nicht, wie Sie rich­tig er­kannt ha­ben, doch bin ich nach den Jah­ren, die ich hier schon lebe, ein Mit­glied des Klos­ters und ein Teil die­ses Lan­des. Aber ein Di­plo­mat bin ich be­stimmt nicht! Ob­wohl ich in mei­nem al­ten Le­ben ein Händ­ler oder nach Ih­rem Ver­ständ­nis eher ein Kauf­mann war und die­se Ar­beit ei­ni­ges di­plo­ma­ti­sches Ge­schick ver­langt. Da­her weiß ich auch, dass man, ohne zu lü­gen oder den an­de­ren zu be­trü­gen, oft Din­ge er­rei­chen kann, die der Ver­hand­lungs­part­ner vor­her gar nicht woll­te. Mit Ge­schick und Fein­ge­fühl kann ich die Ge­dan­ken mei­nes Ge­gen­spie­lers in eine mir güns­ti­ge Rich­tung len­ken und mein Ziel er­rei­chen, ob­wohl der an­de­re denkt, dass er sein Ziel er­reicht hat.‹

Lä­chelnd über­setz­te der Sa­mu­rai die­se Wor­te sei­nem Fürs­ten. Die­ser nick­te an­er­ken­nend und sag­te:

›Es ist Date Ma­sa­mu­ne eine Ehre, Sie ken­nen ge­lernt zu ha­ben, und er fragt, ob es Ih­nen mög­lich ist, ihm die­se Kunst nä­her­zu­brin­gen. Er war im­mer ein Kriegs­herr, in di­plo­ma­ti­schen Din­gen hat er sich meist auf an­de­re ver­las­sen, doch jetzt wird es im­mer drin­gen­der, auch dar­in be­wan­dert zu sein.‹

Wie­der lach­te ich kurz auf.

›Kunst!? Na ja, viel­leicht ist es et­was in die­ser Art, und viel­leicht könn­te ich dem Fürs­ten auch den einen oder an­de­ren Rat­schlag ge­ben, aber das Ge­fühl da­für muss er selbst ent­wi­ckeln, und das dau­ert sei­ne Zeit.‹

Der Dai­myo war mit mei­nem Vor­schlag über das wei­te­re Vor­ge­hen ein­ver­stan­den und be­gab sich zu sei­nem Ge­päck, um ein Schrift­stück auf­zu­set­zen, das ei­ner von uns zu sei­nem Schiff brin­gen wür­de.

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga blieb noch kurz ste­hen und sag­te zu mir:

›Sei­en Sie sich der großen Ehre be­wusst, die der Fürst Ih­nen eben er­wie­sen hat, denn Kauf­leu­te sind bei uns die un­ters­te Stan­des­rie­ge und wer­den meist nur ver­ach­tet. Ich neh­me aber an, dass er in Ih­nen nicht den Kauf­mann, son­dern den großen Krie­ger sieht, der Sie auch sind. Aber ich wür­de Ih­nen ra­ten, ei­nem ja­pa­ni­schen Sa­mu­rai ge­gen­über nie­mals wie­der zu er­wäh­nen, dass Sie Kauf­mann wa­ren. Es wür­de Ih­nen nur zum Nach­teil ge­rei­chen.‹

Er nick­te mir freund­lich zu und folg­te dem Fürs­ten.«

Traum oder wahres Leben

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