Читать книгу Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel - Страница 6

Fehl­ver­hal­ten mit Fol­gen

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»Der ers­te Tag, den ich in Ja­pan zu­ge­bracht hat­te, war re­la­tiv er­eig­nis­los ver­gan­gen. Am nächs­ten Vor­mit­tag war ich noch nicht lan­ge im Ge­spräch mit Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, als wir von ei­nem Bo­ten des Dai­myo ge­stört wur­den. Mein Gast­ge­ber wur­de zum Fürs­ten ge­ru­fen, und ich war­te­te vor dem Haus auf sei­ne Rück­kehr. In Ge­dan­ken ging ich das durch, was er mir zu­letzt bei­ge­bracht hat­te, doch es dau­er­te nicht lan­ge, bis Shi­ge­na­ga zu­rück­kam. Er steu­er­te di­rekt auf mich zu und teil­te mir mit, dass der Dai­myo wi­der Er­war­ten schon jetzt zur Be­richt­er­stat­tung bei dem al­ten Sho­gun er­schei­nen sol­le. Ihn hat­te er be­auf­tragt, das Schiff im Ha­fen auf­zu­su­chen und dem Ka­pi­tän mit­zu­tei­len, dass er ihn vor­läu­fig nicht mehr be­nö­ti­ge. Er möge zu sei­ner nächs­ten Han­dels­rei­se auf­bre­chen, so­bald das Schiff zum Aus­lau­fen be­reit sei. Wei­ter­hin soll­te Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga einen Ver­tre­ter der hol­län­di­schen De­le­ga­ti­on, die kurz nach uns in Edo ein­ge­trof­fen war, auf­su­chen und ihm wich­ti­ge Mit­tei­lun­gen des Fürs­ten über­brin­gen. Die An­we­sen­heit von Eu­ro­pä­ern in un­mit­tel­ba­rer Nähe weck­te mein In­ter­es­se, und Shi­ge­na­ga war ger­ne be­reit, mich bei die­sem Bo­ten­gang mit­zu­neh­men.

Durch die ja­pa­ni­sche Klei­dung, die ich seit der An­kunft in Edo trug, fiel ich nicht mehr gar so sehr auf, und um mei­ne frem­den Ge­sichts­zü­ge ein we­nig zu ver­ber­gen, be­kam ich einen großen Reiss­troh­hut. Da ich nicht dem Sa­mu­rai­stand an­ge­hör­te, soll­te ich seit­lich hin­ter Shi­ge­na­ga lau­fen. Es sah so aus, als wäre ich sein Die­ner. Auf­merk­sam folg­te ich sei­nen mir zu­ge­raun­ten An­wei­sun­gen. Nach­dem der Ka­pi­tän des Schif­fes un­ter­rich­tet war, woll­ten wir den Ha­fen ver­las­sen, um die Hol­län­der auf­zu­su­chen. In dem Mo­ment lief uns der Vor­ste­her der hol­län­di­schen Fak­to­rei von Hi­ra­do, den mein Be­glei­ter schon mehr­fach ge­trof­fen hat­te, über den Weg.

Nach ei­ner knap­pen Be­grü­ßung, die von hol­län­di­scher Sei­te de­mü­ti­ger aus­fiel, als ich er­war­tet hat­te, stell­te mich Shi­ge­na­ga als einen in Chi­na ge­stran­de­ten Eu­ro­pä­er vor. Mich ge­nau mus­ternd, er­kun­dig­te sich der Fak­to­rei­vor­ste­her nach mei­ner Na­tio­na­li­tät. Ich teil­te ihm mit, dass ich aus Thü­rin­gen stamm­te, und so­fort ver­such­te er es mit Hol­län­disch, Fran­zö­sisch und ei­nem Kau­der­welsch, das nach Deutsch klang. Ver­le­gen schüt­tel­te ich den Kopf und ver­such­te es mit mei­nem Deutsch. Da­bei hat­te ich aber nicht be­dacht, dass es die­se Art von Deutsch zu je­ner Zeit noch gar nicht gab, wes­we­gen er mich ver­ständ­nis­los an­sah. Da­bei war es mir nicht leicht ge­fal­len, die rich­ti­gen Wör­ter zu fin­den, denn mitt­ler­wei­le dach­te ich in Chi­ne­sisch. Glück­li­cher­wei­se er­in­ner­te er sich in die­sem Mo­ment dar­an, dass Shi­ge­na­ga mit mir chi­ne­sisch ge­spro­chen hat­te. Er wech­sel­te in die­se Spra­che, die er ganz pas­sa­bel be­herrsch­te, und stell­te sich als Cor­ne­lis van Neyen­ro­de vor.

Da wir uns nun recht gut ver­stän­di­gen konn­ten, be­gann ein re­ges Hin und Her.

Als Ers­tes woll­te er wis­sen, in was für einen selt­sa­men Dia­lekt ich geant­wor­tet hat­te. Ich ver­such­te mich da­mit he­r­aus­zu­re­den, dass es eine re­gio­nal be­grenz­te Sprach­va­ri­an­te aus dem Thü­rin­ger Wald sei, die ich je­doch durch mei­nen lan­gen Auf­ent­halt in Chi­na nicht mehr rich­tig be­herr­schen wür­de. Das ak­zep­tier­te er, er­kun­dig­te sich aber gleich nach den Um­stän­den und der Län­ge mei­nes Chi­na-Auf­ent­hal­tes. Wie schon bei mei­nen ja­pa­ni­schen Freun­den muss­te ich wie­der zu ei­ner Not­lü­ge grei­fen, die mir gar nicht ge­fiel. Auch ihm er­zähl­te ich, dass ich über die Mar­co-Polo-Rou­te Chi­na er­reicht hät­te und schließ­lich in Shao­lin ge­stran­det wäre. Van Neyen­ro­de lausch­te ge­spannt und frag­te dann:

›Und Sie ha­ben wirk­lich die letz­ten Jah­re nur in die­sem Klos­ter ge­lebt?‹

›Ja, was ist dar­an so er­staun­lich?‹

›Nun, zum einen, dass Sie sich dort so ein­ge­lebt ha­ben und an­schei­nend gar nicht mehr den Wunsch heg­ten, in Ihre Hei­mat zu­rück­zu­keh­ren. Und zum an­de­ren, dass Sie an­schei­nend gar kei­ne Vor­stel­lung da­von ha­ben, was in Ih­rer Hei­mat los ist.‹

›Nein, hab ich wirk­lich nicht. Ich weiß ja nicht ein­mal ge­nau, wel­ches Jahr wir ha­ben. Durch das Le­ben im Shao­lin-Klos­ter habe ich ir­gend­wie den Fa­den ver­lo­ren.‹

Cor­ne­lis lach­te kurz auf.

›Kaum vor­stell­bar. Doch egal. Wir schrei­ben das Jahr 1624 nach Chris­ti Ge­burt, und es gibt seit sechs Jah­ren Krieg in Eu­ro­pa, in den mitt­ler­wei­le auch Ihre Hei­mat ver­strickt ist.‹

›Krieg? Was für einen Krieg?‹

Hier zeig­te sich wie­der ein­mal, dass ich von der deut­schen Ge­schich­te nicht viel be­hal­ten hat­te.

›Nun, die ka­tho­li­sche Liga und die pro­tes­tan­ti­sche Uni­on be­kämp­fen sich we­gen ih­res Glau­bens‹, er schnaub­te ver­ächt­lich durch die Nase. ›Sa­gen sie je­den­falls, doch ei­gent­lich will der Papst sei­nen Ein­fluss nicht ver­lie­ren, und mitt­ler­wei­le hat der dä­ni­sche Kö­nig in den Krieg ein­ge­grif­fen. Doch der will si­cher nur sein Land ver­grö­ßern. Über­all wird ge­raubt und ge­brand­schatzt. Der Han­del kommt zum Er­lie­gen, und die Men­schen lei­den Hun­ger.‹

Bei ei­nem Blick in sei­ne Au­gen, konn­te ich wirk­li­ches Be­dau­ern be­mer­ken.

›Sei­en Sie froh, dass Sie nicht in Ih­rer Hei­mat sind, denn dort wä­ren Sie ent­we­der in ei­nem der Hee­re oder Sie müss­ten viel­leicht hun­gern wie vie­le der Ein­woh­ner Ih­res Lan­des.‹

1624, was für ein Krieg herrsch­te da­mals? Ich brauch­te eine gan­ze Wei­le, bis mir klar wur­de, dass es nur der Drei­ßig­jäh­ri­ge Krieg sein konn­te. Die­ser Krieg wür­de ja noch mehr als zwan­zig Jah­re dau­ern, und ich konn­te wirk­lich froh sein, dass ich mich hier be­fand.

Cor­ne­lis deu­te­te mein Schwei­gen an­ders und riss mich aus mei­nen Ge­dan­ken.

›Sie ma­chen sich wohl Sor­gen um Ihre An­ge­hö­ri­gen?‹

›Oh, nein‹, sag­te ich, ohne nach­zu­den­ken, wor­auf er mich fra­gend mus­ter­te.

›Nein, da brau­che ich mir kei­ne Sor­gen zu ma­chen, da ich von kei­nen An­ge­hö­ri­gen weiß, die jetzt dort le­ben.‹

Er hob die Au­gen­brau­en noch ein we­nig wei­ter, und ich merk­te, dass ihm die­se Er­klä­rung nicht ge­nüg­te.

›Nun, ich habe alle, die mir lieb und teu­er wa­ren, durch einen tra­gi­schen Un­fall ver­lo­ren. Aus die­sem Grund kam es auch zu die­ser Rei­se, und es gibt nichts, was mich wie­der in die Hei­mat zieht.‹

Ich fuhr mir mit der Hand übers Ge­sicht und schob den Stroh­hut ein we­nig ins Ge­nick.

›Nach die­sen Nach­rich­ten schon gar nicht. Ich den­ke, dass ich im Mo­ment hier viel bes­ser auf­ge­ho­ben bin.‹

›Na, da sind Sie sich mal nicht zu si­cher. Hier ist es für einen Aus­län­der auch nicht leicht. Die Mi­li­tär­re­gie­rung macht seit ei­ni­ger Zeit im­mer mehr Front ge­gen al­les, was nicht ja­pa­nisch ist. Be­son­ders auf die Je­sui­ten­mis­sio­na­re und auf alle, die sich of­fen zum christ­li­chen Glau­ben be­ken­nen, hat es die Re­gie­rung ab­ge­se­hen. Es wur­den auch schon vie­le hin­ge­rich­tet. Ich glau­be, Ihre Hei­mat könn­te sich viel­leicht als we­ni­ger ge­fähr­lich he­r­aus­stel­len, denn es dau­ert im­mer lan­ge, bis neue Nach­rich­ten hier ein­tref­fen. In der Zwi­schen­zeit könn­te der Krieg schon be­en­det sein.‹

›Hm, ich weiß nicht. Ich wur­de vom Dai­myo, Date Ma­sa­mu­ne, ein­ge­la­den, und Sie hal­ten sich ja auch hier auf‹, ant­wor­te­te ich und ver­schwieg mein Wis­sen über die lan­ge Kriegs­dau­er in Eu­ro­pa.

Jetzt misch­te sich Ka­ta­ku­ra wie­der in das Ge­spräch ein.

›Ja es stimmt. Mein Herr hat ihn hier­her ein­ge­la­den, und er steht als sein Gast un­ter sei­nem Schutz.‹

›Was will der Dai­myo ma­chen, wenn der Sho­gun et­was an­de­res im Sinn hat?‹

Eine fra­gen­de Ges­te be­glei­te­te die Wor­te des Nie­der­län­ders.

›Nun, so ganz ohne Ein­fluss ist mein Herr nicht‹, stolz rich­te­te sich Shi­ge­na­ga ein we­nig auf. ›Und ge­nau des­halb soll­te ich Sie auch auf­su­chen. Date Ma­sa­mu­ne hat er­fah­ren, dass Sie eine Au­di­enz beim Sho­gun er­bit­ten wol­len. Er geht da­von aus, dass Sie ge­gen die Auf­la­gen pro­tes­tie­ren wol­len, die ihre Fak­to­rei ge­trof­fen ha­ben.‹

Cor­ne­lis van Neyen­ro­de schnapp­te nach Luft.

›Wo­her weiß er das denn? Of­fi­zi­ell bin ich hier, um mei­ne Auf­war­tung zu ma­chen und die üb­li­chen Ge­schen­ke zu über­rei­chen.‹

›Ich sag­te doch, mein Herr hat mehr Ein­fluss, als Sie den­ken.‹

Der leicht ver­är­ger­te Hol­län­der woll­te et­was er­wi­dern, aber Shi­ge­na­ga schnitt ihm das Wort ab.

›Sie müss­ten doch mitt­ler­wei­le ge­merkt ha­ben, dass alle Aus­län­der schär­fer be­ob­ach­tet wer­den. Mein Fürst hat sehr gute Kon­tak­te, er er­fährt man­ches so­gar eher als der Sho­gun.‹

Er wur­de im­mer lei­ser, als er sag­te:

›Date Ma­sa­mu­ne war län­ge­re Zeit nicht im Lan­de und be­kommt jetzt nach und nach alle wich­ti­gen In­for­ma­tio­nen. Er bit­tet Sie, die Au­di­enz noch ein we­nig hi­n­aus­zu­zö­gern oder, wenn sie schon in den nächs­ten Ta­gen statt­fin­den soll­te, wirk­lich nur den An­stands­be­such bei To­ku­ga­wa Ie­mit­su zu ma­chen.‹

Wie­der schau­te sich Shi­ge­na­ga ver­stoh­len um und fuhr fast flüs­ternd fort:

›Mein Herr ist jetzt bei To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da, dem al­ten Sho­gun, und wird vor­sich­tig auch Ihre Sor­gen zur Spra­che brin­gen. Sie wis­sen si­cher, dass To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da ein nicht ganz so stren­ges Vor­ge­hen wünscht, doch auch er ist ver­är­gert we­gen der il­le­ga­len Aus­fuhr be­stimm­ter Wa­ren.‹

›Was soll denn das hei­ßen? Wol­len Sie uns des Dieb­stahls be­zich­ti­gen?‹, warf van Neyen­ro­de mit ge­spiel­ter Ent­rüs­tung ein.

›Wie könn­te ich‹, schnaub­te Shi­ge­na­ga be­lus­tigt. ›Wir wis­sen doch bei­de, dass ver­schie­de­ne Dai­myos Ge­schäf­te mit Ih­nen ma­chen, die nicht beim Han­dels­mi­nis­te­ri­um an­ge­zeigt wer­den. Und ge­nau das ver­är­gert To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da und To­ku­ga­wa Ie­mit­su. Doch viel­leicht ...‹

Ich ver­lor das In­ter­es­se an die­sem Dis­put, hier ging es um In­tri­gen, die mich nicht be­tra­fen und in die ich auch nicht ver­strickt wer­den woll­te. Da ich vor­läu­fig kei­ne Ge­le­gen­heit sah, mit dem Hol­län­der wie­der ins Ge­spräch zu kom­men, ging ich ei­ni­ge Schrit­te zur Sei­te und schau­te mir das Ha­fen­ge­tüm­mel an. Ein klei­ne­res Schiff hat­te, aus der Fluss­mün­dung kom­mend, den Ha­fen an­ge­steu­ert und wur­de ent­la­den. Ha­fen­ar­bei­ter schlepp­ten mit Reis ge­füll­te Kör­be in ein La­ger­haus, und ein Be­am­ter prüf­te, ob sie auch bis zum Rand ge­füllt wa­ren. Auf ei­ner Lis­te wur­de je­der Korb re­gis­triert, und zwei Sa­mu­rai, die die Ar­bei­ten mit über­wach­ten, trie­ben die Trä­ger im­mer wie­der an. Von der Stadt her nä­her­te sich ein of­fen­sicht­lich hoch­ran­gi­ger Sa­mu­rai. Er war gut ge­klei­det, und vor ihm scheuch­ten zwei we­ni­ger gut aus­ge­stat­te­te Krie­ger die ein­fa­chen Leu­te zur Sei­te.

Ge­bannt be­ob­ach­te­te ich die­sen Auf­zug und mus­ter­te da­bei den Sa­mu­rai ge­nau. Er hat­te hoch­mü­ti­ge Ge­sichts­zü­ge, eine klei­ne Nase, aber einen kräf­ti­gen Schnauz­bart. Ein wei­ßes Stirn­band mit ei­ner Art Wap­pen zeig­te an­schei­nend sei­nen Rang an. Sei­ne Ober­be­klei­dung be­stand aus ei­nem wei­ßen Ki­mo­no mit wei­ten, am un­te­ren Rand schwarz ge­mus­ter­ten Är­meln. Der Ki­mo­no war vorn of­fen, und man konn­te einen bunt ge­mus­ter­ten Brust- und Bauch­pan­zer se­hen. Im Obi, dem tra­di­tio­nel­len Gür­tel der Sa­mu­rai, steck­ten ein klei­nes und ein großes Schwert, so wie ich es schon von mei­nen neu­en Freun­den kann­te. In der rech­ten Hand hielt er einen ge­schlos­se­nen Fä­cher, und aus sei­nem schwar­zen Ho­sen­rock schau­ten die nack­ten Füße, die in Reiss­troh­san­da­len steck­ten. Zwei of­fen­sicht­lich nie­der­ran­gi­ge Sa­mu­rai folg­ten ihm und die ein­fa­chen Men­schen am Weges­rand ver­such­ten ent­we­der Ab­stand zu ge­win­nen, oder sie neig­ten ehr­er­bie­tig das Haupt.

Die­ser Zug kam di­rekt an uns vor­bei, und ich konn­te den Blick nicht ab­wen­den. Plötz­lich, ohne dass ich wuss­te, wie mir ge­schah, stürmt ei­ner der vor­aus­lau­fen­den Sa­mu­rai auf mich zu. Ein wü­ten­der Wort­schwall er­goss sich über mich, und er schwang sein Schwert, das noch in der Schei­de steck­te, wie einen Knüp­pel. Re­flexar­tig hob ich die Arme, um die dro­hen­den Schlä­ge ab­zu­weh­ren, doch das war nicht nö­tig. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga war durch die Schimpf­ti­ra­de auf­merk­sam ge­wor­den und stand blitz­ar­tig zum Schutz vor mir. Al­les ging sehr schnell, und durch das, was mir Shi­ge­na­ga zu­rief, ging mir lang­sam ein Licht auf.

›Schnell, beu­ge dein Knie, und nei­ge das Haupt!‹

Auch er hat­te das Haupt ge­neigt, doch sein Schwert hielt er plötz­lich, mit der lin­ken Hand an der Schei­de, waa­ger­recht in Brust­hö­he. Die rech­te konn­te je­der­zeit das Schwert zie­hen, und sein gan­zes Auf­tre­ten mach­te nicht den Ein­druck, dass er von der Stel­le wei­chen wür­de. Aus dem Au­gen­win­kel sah ich, dass Cor­ne­lis van Neyen­ro­de mit ge­neig­tem Kopf auf das lin­ke Knie ge­sun­ken war, und ich folg­te sei­nem Bei­spiel. Ich hat­te of­fen­sicht­lich einen schwe­ren Feh­ler be­gan­gen, als ich die­sen an­schei­nend be­deu­ten­den Mann so un­ver­hoh­len an­starr­te.

Mein Be­schüt­zer lie­fer­te sich mit dem An­grei­fer ein hit­zi­ges Wort­ge­fecht, von dem ich lei­der nur ein­zel­ne Wor­te ver­stand. Ich schärf­te mei­ne Sin­ne und ver­such­te sei­ne Ge­dan­ken auf­zu­neh­men, und mir stock­te der Atem. Bil­der nah­men Ge­stalt an, die mehr als be­droh­lich wa­ren. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga be­schäf­tig­te sich schon mit dem Ge­dan­ken, dass Schwert ge­gen die­se Män­ner zu zie­hen. Das konn­te ich nicht zu­las­sen und woll­te mich er­he­ben, als sich eine Hand auf mein Knie leg­te. Es war Cor­ne­lis, der an mei­ne Sei­te ge­rutscht war. Er hat­te mich aus dem Au­gen­win­kel be­ob­ach­tet und raun­te mir lei­se zu:

›Um Got­tes wil­len, blei­ben Sie un­ten! Un­ter­neh­men Sie auf kei­nen Fall et­was! Ihr Be­glei­ter schützt Sie mit sei­nem Le­ben und sei­ner Ehre. Wenn Sie sich jetzt ein­mi­schen, es­ka­liert die Si­tua­ti­on, und es kommt un­wei­ger­lich zum Kampf.‹

In der Zwi­schen­zeit war der hoch­ran­gi­ge Sa­mu­rai he­r­an­ge­tre­ten und fuhr Shi­ge­na­ga in bar­schem Ton­fall an. Aber auch wenn mein Be­schüt­zer ihm of­fen­sicht­lich ehr­er­bie­tig ge­gen­über­stand, schi­en er nicht be­reit, sei­nen Platz zu räu­men.

›Was ha­ben Sie nur ge­tan?‹, flüs­ter­te van Neyen­ro­de. ›Das ist der Po­li­zei­prä­fekt von Edo, und je­der, der nicht min­des­tens sei­nen Rang in­ne­hat, muss vor ihm das Haupt nei­gen. Sie ha­ben ihn be­gafft wie einen Bett­ler und wur­den zu­dem noch als Aus­län­der er­kannt. Das ist für die­sen Mann eine der schlimms­ten Be­lei­di­gun­gen, und wie Ihr Freund die Si­tua­ti­on ret­ten will, ist mir schlei­er­haft.‹

Ich zuck­te bei die­sen Wor­ten wie­der ein Stück nach oben, doch die Hand des Hol­län­ders drück­te wei­ter­hin auf mein Knie.

›Wenn Sie uns nicht alle zum Tode ver­ur­tei­len wol­len, un­ter­neh­men Sie um Him­mels wil­len nichts. Ich habe es nicht er­war­tet, aber Ihr Freund hat of­fen­sicht­lich ein paar Trümp­fe in der Hand, die nicht zu ver­ach­ten sind.‹

Die Ag­gres­si­vi­tät des Wort­wech­sels ließ lang­sam nach, und kur­ze Zeit spä­ter dreh­te sich der Prä­fekt um und setz­te sei­nen Weg fort. Nach­dem er sich ei­ni­ge Schrit­te ent­fernt hat­te, hol­te Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga tief Luft und wand­te sich uns zu. Cor­ne­lis er­hob sich, und ich folg­te sei­nem Bei­spiel. Da­bei schau­te ich in das Ge­sicht mei­nes Be­schüt­zers und er­war­te­te, Wut oder min­des­tens Ver­är­ge­rung zu se­hen. Doch das was ich nun er­leb­te, konn­te ich kaum fas­sen. Shi­ge­na­ga neig­te vor mir mit ei­nem be­stürzt-be­schäm­ten Aus­druck den Kopf.

›Es ist un­ent­schuld­bar! Ich habe kläg­lich ver­sagt! Ich kann nur hof­fen, dass du und mein Herr mir ir­gend­wann ver­ge­ben könnt.‹

›Wie, was? Ver­ge­ben? Ich ver­steh gar nichts mehr.‹

Ich starr­te, nach Auf­klä­rung su­chend, in sein Ge­sicht.

›Das ist es ja. Ich habe dich nicht rich­tig vor­be­rei­tet. Habe dir zu we­nig über un­se­re Ge­bräu­che mit­ge­teilt und hät­te dich des­halb nie­mals hier­her mit­neh­men dür­fen.‹

Be­küm­mert schüt­tel­te er den Kopf.

›Es ist al­lein mei­ne Schuld, und ich muss mich da­für ver­ant­wor­ten.‹

Er hob den Blick.

›Vor dir, vor mei­nem Herrn und vor ihm‹, da­bei nick­te er mit dem Kopf in die Rich­tung des Da­v­on­schrei­ten­den.

Sei­ne Au­gen zeig­ten einen Kum­mer, den ich nicht be­grei­fen konn­te.

›Das ver­ste­he ich nicht. Ich habe aus Un­ver­stand einen Feh­ler be­gan­gen, und für den kannst du doch un­mög­lich ver­ant­wort­lich sein.‹

›Oje, Sie ver­ste­hen noch nicht viel von dem, was die­se Ge­sell­schaft aus­macht‹, warf van Neyen­ro­de ein. ›Er hat vom Dai­myo die Ver­ant­wor­tung für Sie über­tra­gen be­kom­men. Er bürgt also mit sei­nem Le­ben für Ihre Si­cher­heit.‹

Ich schluck­te und ich blick­te in der Hoff­nung, dass all das nur ein schlech­ter Scherz sei, von ei­nem zum an­de­ren. Doch es stimm­te, und mir wa­ren in die­sem Mo­ment noch nicht ein­mal alle mög­li­chen Kon­se­quen­zen be­kannt.

›Was kann ich tun, um das Un­heil, dass ich an­ge­rich­tet habe, wie­der gutz­u­ma­chen?‹

›Du kannst und musst gar nichts un­ter­neh­men. Ich bin da­für ver­ant­wort­lich und wer­de auch da­für ge­ra­de­ste­hen.‹

›Aber ...‹, ich wur­de mit ei­ner weg­wi­schen­den Ges­te von Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga un­ter­bro­chen. ›Nicht jetzt und hier! Wir ge­hen zu­rück zum An­we­sen, und wenn der Fürst da ist, wird al­les wei­te­re be­spro­chen.‹

Er wand­te sich noch ein­mal kurz an den Hol­län­der.

›Ich den­ke, al­les Not­wen­di­ge ist ge­sagt. Soll­te es Neu­ig­kei­ten ge­ben, wer­den wir Sie in­for­mie­ren.‹

Cor­ne­lis van Neyen­ro­de nick­te zur Be­stä­ti­gung und sag­te be­drückt zu mir:

›So viel zu dem Ge­dan­ken, dass Sie hier si­che­rer sind als in Ih­rer Hei­mat. Ich hof­fe, es geht al­les gut aus und wir se­hen uns noch ein­mal wie­der.‹

Er nick­te mir zu und ent­fern­te sich.

Ich schau­te ihm hin­ter­her, und in mei­nem Kopf ging al­les wirr durch­ein­an­der. Doch Shi­ge­na­ga dräng­te zum Auf­bruch. Ich woll­te mit ihm über das Ge­sche­he­ne spre­chen, doch er wink­te nur mür­risch ab. Be­drückt folg­te ich ihm und hing, im Gäs­te­zim­mer sei­nes Hau­ses al­lein ge­las­sen, mei­nen Ge­dan­ken nach. Doch ich kam zu kei­nem Er­geb­nis. Ich ver­stand nicht ein­mal voll­stän­dig, was ei­gent­lich ge­sche­hen war. Um die­sen ziel­lo­sen Grü­beln zu ent­ge­hen, ver­senk­te ich mich in Me­di­ta­ti­on.

Es war Abend ge­wor­den, als ich von Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga ab­ge­holt wur­de. Ohne dass er sich auf ein Ge­spräch ein­ließ, führ­te er mich zum Emp­fangs­raum des Fürs­ten. Als wir den Raum be­tre­ten hat­ten, be­deu­te­te er mir, dass ich war­ten soll­te, und ging al­lein nach vorn. Dort fiel er auf die Knie und sprach in trau­ri­gem, un­ter­wür­fi­gem Ton mit Date Ma­sa­mu­ne. Des­sen Mie­ne wur­de bei je­dem Wort erns­ter, und schließ­lich scheuch­te er ihn mit ei­ner un­wir­schen Hand­be­we­gung zur Sei­te und wink­te mich he­r­an.

Nach­dem ich, wie ich es ge­lernt hat­te, nach vorn ge­kom­men war, über­setz­te Shi­ge­na­ga sei­ne Wor­te ohne mich da­bei an­zu­se­hen.

›Ich bin be­stürzt! Mein Die­ner hat kläg­lich ver­sagt, und er muss nun für sei­ne Feh­ler ge­ra­de­ste­hen! Ich bin sehr be­trübt, dass Sie we­gen die­ser Un­acht­sam­keit in Ge­fahr ge­kom­men sind. Aus die­sem Grund wer­de ich vor­läu­fig auch nicht er­lau­ben, dass Sie die­ses Ge­län­de ver­las­sen.‹

Ab­wei­send hat­te er Shi­ge­na­ga be­ob­ach­tet, bis die­ser mit der Über­set­zung fer­tig war.

›Doch nun zu ei­nem wich­ti­ge­ren The­ma.‹

Ich riss er­staunt die Au­gen auf. Was soll­te wich­ti­ger sein als das eben An­ge­spro­che­ne.

›Das Ge­spräch mit dem al­ten Sho­gun ver­lief so, wie Sie es er­war­tet ha­ben, und er war zu­frie­den mit dem Ver­lauf der Missi­on. Aber lei­der wur­de ich nach der Au­di­enz, als ich schon den Rück­weg an­tre­ten woll­te, von ei­nem Die­ner sei­nes Soh­nes ab­ge­fan­gen. To­ku­ga­wa Ie­mit­su hat­te er­fah­ren, dass ich zu­erst bei sei­nem Va­ter Be­richt er­stat­tet hat­te, und schä­um­te vor Wut. Er ließ eine an­de­re Au­di­enz ab­sa­gen, und ich muss­te so­fort bei ihm vor­spre­chen.‹

Ich folg­te Ma­sa­mu­nes Wor­ten mit im­mer grö­ße­rem Un­be­ha­gen. Dass er jetzt über sol­che Din­ge spre­chen woll­te, konn­te ich nicht ver­ste­hen. Für mich war es viel wich­ti­ger, wie die miss­li­che Lage, in die mein Be­schüt­zer durch mich ge­kom­men war, ent­schärft wer­den konn­te. Ich muss­te al­ler­dings auf die Wün­sche des Fürs­ten ein­ge­hen, denn links und rechts an den Wän­den sa­ßen an­de­re Sa­mu­rai und ver­folg­ten das Ge­sche­hen.

Ma­sa­mu­ne hat­te er­klärt, dass der am­tie­ren­de Sho­gun durch die Art des Be­rich­tes zwar be­sänf­tigt wur­de, doch das er of­fen Zwei­fel am Wahr­heits­ge­halt an­mel­de­te. Er zwei­fel­te die Kampf­taug­lich­keit der Shao­lin-Mön­che an, und das war schon fast eine Be­lei­di­gung des Dai­myo. Ir­gend­wie hat­te Ie­mit­su von mei­ner An­we­sen­heit er­fah­ren und woll­te, weil er mich für einen die­ser Mön­che hielt, eine Vor­füh­rung von mir ha­ben. Da ich aber Ma­sa­mu­nes Gast war, woll­te die­ser das nur zu­ge­ste­hen, wenn ich mich da­mit ein­ver­stan­den er­klär­te.

Ich konn­te mir gar nicht vor­stel­len, dass er eine sol­che Wahl hat­te, und frag­te des­halb:

›Kön­nen Sie denn die­sen Wunsch ab­leh­nen?‹

Kopf­schüt­telnd ant­wor­te­te er:

›Das ist kein Wunsch, das ist eine Auf­for­de­rung, der ich ei­gent­lich nach­kom­men muss. Da Sie aber mein Gast sind, bin ich nicht be­reit, es ohne Ihr Ein­ver­ständ­nis zu­zu­las­sen, egal, was für Kon­se­quen­zen es hat.‹

Na pri­ma, er sag­te, er wol­le es nicht zu­las­sen, wenn ich nicht will, und setz­te mich gleich­zei­tig un­ter Druck, in­dem er mir kund­tat, dass es Kon­se­quen­zen für ihn ha­ben wür­de. Au­ßer­dem nahm ich Bil­der aus Shi­ge­na­gas Ge­dan­ken wahr, die mich be­ängs­tig­ten. Wie ich er­kann­te, sah er sich schon in einen Schwert­kampf mit dem Po­li­zei­prä­fek­ten ver­wi­ckelt, dem er sich of­fen­kun­dig un­ter­le­gen fühl­te.

Nach­denk­lich senk­te ich den Kopf und such­te nach ei­ner Lö­sung aus die­sem Di­lem­ma. Eine Be­we­gung des Fürs­ten ver­an­lass­te mich, hoch­zu­schau­en, und ich be­merk­te sei­ne Un­ge­duld. Ich hol­te schon Luft, um mein Ein­ver­ständ­nis zu die­ser Schau­stel­lung zu ge­ben, als mir ein Ge­dan­ke kam. Ein kur­zer Blick in Shi­ge­na­gas be­drück­tes Ge­sicht, und ich wuss­te, was zu tun war.

›Wie se­hen die Fol­gen aus, die Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga we­gen mei­ner Un­acht­sam­keit zu er­war­ten hat?‹

Stil­le! Mein Be­schüt­zer wag­te es nicht, das zu über­set­zen, und schau­te mich be­stürzt an.

›Über­setz es bit­te.‹

Er schwieg im­mer noch.

›Kei­ne Sor­ge, ich den­ke, ich kann sein und un­ser Pro­blem ge­mein­sam lö­sen. Sag ihm das bit­te auch.‹

Zö­gernd kam er mei­nem Wunsch nach. Im ers­ten Mo­ment mach­te der Fürst eine zor­ni­ge Be­we­gung, doch nach­dem auch der Rest über­setzt war, schau­te er mir in die Au­gen und frag­te:

›Wie?‹

›Da­mit ich mir ganz si­cher sein kann, muss ich ver­ste­hen, was im Ha­fen ge­sche­hen ist.‹

Date Ma­sa­mu­ne for­der­te Shi­ge­na­ga auf, mei­nem Wunsch nach­zu­kom­men, und die­ser frag­te mich dar­auf­hin, was mir denn un­klar sei.

›Ich habe zwar be­grif­fen, dass ich es die­sem be­deu­ten­den Mann ge­gen­über an Re­spekt habe feh­len las­sen. Aber mir sind die Fol­gen, die die­ses Fehl­ver­hal­ten nach sich zie­hen kön­nen, nicht klar. Au­ßer­dem ver­ste­he ich nicht, wie es dir ge­lun­gen ist, die­se we­nigs­tens für den Mo­ment ab­zu­wen­den.‹

Er hol­te tief Luft.

›Die Fol­gen ei­ner sol­chen Be­lei­di­gung, denn das ist dein Ver­hal­ten für ihn ge­we­sen, wä­ren in die­sem Au­gen­blick im güns­tigs­ten Fall mit Schlä­gen ab­ge­gol­ten wor­den. Da du aber als Aus­län­der er­kannt wur­dest, hät­te es auch mit dei­nem Tod en­den kön­nen.‹

Ich schluck­te. Das hat­te ich nicht er­war­tet.

›Ich konn­te das durch mein Ein­grei­fen erst ein­mal ver­hin­dern. Der Met­su­ke, Sa­na­da Ma­sa­no­ri, will das aber nicht auf sich be­ru­hen las­sen.‹

›Met­su­ke?‹

›Der Hol­län­der Cor­ne­lis van Neyen­ro­de über­setz­te es als Po­li­zei­prä­fekt, doch bin ich mir nicht si­cher, ob das die Po­si­ti­on rich­tig um­schreibt. Die Met­su­ke ste­hen näm­lich über der Po­li­zei, also den Si­cher­heits­kräf­ten, die für die öf­fent­li­che Ord­nung zu­stän­dig sind. Sie sind für weit mehr zu­stän­dig. Selbst mein Herr muss sich ih­nen ge­gen­über vor­sich­tig ver­hal­ten und darf sie sich nicht zum Feind ma­chen.‹

Oje, das war kein Fett­napf, in den ich ge­tre­ten war, das war sie­den­des Öl. Doch es kam noch schlim­mer.

›Sa­na­da Ma­sa­no­ri ist der Met­su­ke von Edo und als ein her­vor­ra­gen­der Schwert­kämp­fer be­kannt. Ge­rüch­te be­sa­gen, dass er jede Ge­le­gen­heit zu ei­nem Zwei­kampf nutzt. Die Aus­sicht auf einen sol­chen hat ihn dann auch da­von ab­ge­hal­ten, dich zu be­stra­fen.‹

›Ein Du­ell mit dir, neh­me ich an?‹

›Ja, ich den­ke, so könn­te man es aus­drücken.‹

›Aber ich war es doch, der ihn, wenn auch aus Un­wis­sen­heit, be­lei­digt hat.‹

›Und ich bin für dei­ne Si­cher­heit ver­ant­wort­lich. Ich konn­te es nicht zu­las­sen, dass du Scha­den nimmst, und habe ihn da­von in Kennt­nis ge­setzt, dass du Gast von Date Ma­sa­mu­ne bist, dass ich für dich ver­ant­wort­lich bin und für dei­nen Feh­ler ein­ste­he. Dar­auf­hin hat er Ge­nug­tu­ung ge­for­dert und woll­te sich zu die­sem Zweck mit mei­nem Herrn in Ver­bin­dung set­zen.‹ Sei­ne Mie­ne wur­de noch be­trüb­ter. ›Der Fürst hat mir vor­hin mit­ge­teilt, dass dies be­reits ge­sche­hen ist. Ich wer­de also mit ihm kämp­fen und mein Bes­tes ge­ben.‹

Das klang über­haupt nicht zu­ver­sicht­lich. Ich sann über das wei­te­re Vor­ge­hen nach, doch Date Ma­sa­mu­ne zeig­te im­mer mehr Un­ge­duld.

›Gut, über­setz jetzt dem Dai­myo al­les ge­nau so, wie ich es sage. Frag nicht nach, und un­ter­brich mich bit­te nicht.‹

Er nick­te, und ich be­gann:

›Ich wer­de nicht zu­las­sen, dass ein an­de­rer für mei­ne Feh­ler bü­ßen muss!‹

Shi­ge­na­ga schau­te mich mit großen Au­gen an und schwieg. Erst nach­dem ich eine auf­for­dern­de Hand­be­we­gung ge­macht hat­te, be­gann er sto­ckend zu über­set­zen.

›Also, ich wer­de die­sem Mann zur Ge­nug­tu­ung zur Ver­fü­gung ste­hen.‹

Ma­sa­mu­ne setz­te zu ei­ner Ant­wort an, da­her sprach ich schnell wei­ter:

›Ich den­ke, dass wir in die­sem Zu­sam­men­hang auch das an­de­re Pro­blem lö­sen kön­nen.‹

In die­sem Mo­ment hat­te ich sei­ne vol­le Auf­merk­sam­keit.

›Der Kampf, den der Met­su­ke zur Her­stel­lung sei­ner Ehre wünscht, soll­te im Bei­sein des al­ten und des neu­en Sho­gun statt­fin­den. Date Ma­sa­mu­ne wür­de da­mit die For­de­rung des Sho­gun er­fül­len, und ich kann mei­ne Ehre ver­tei­di­gen.‹

Ich be­dien­te mich die­ses Schach­zugs, da ich be­merkt hat­te, wie hoch die Ehre ei­nes Man­nes in die­ser Ge­sell­schaft ein­ge­stuft wur­de, und der Er­folg blieb nicht aus.

›Wie­so dei­ne Ehre?‹, frag­te Shi­ge­na­ga nach, ohne vor­her zu über­set­zen.

›Denkt ihr denn, dass es eh­ren­voll für mich ist, wenn ein an­de­rer für mei­ne Feh­ler ein­ste­hen muss?‹

›Ich wuss­te nicht, dass es in dei­ner Hei­mat so ...‹

›Bit­te, über­set­ze es und dis­ku­tie­re jetzt nicht mit mir!‹

Re­si­gnie­rend kam er mei­ner Auf­for­de­rung nach.

Beim Dai­myo er­reich­te ich ge­nau das, was ich be­ab­sich­tigt hat­te. Ich schi­en in sei­ner Ach­tung zu wach­sen, ob­wohl er ei­ni­ge Be­den­ken hat­te. Er er­kun­dig­te sich so­fort, ob ich Er­fah­run­gen im ja­pa­ni­schen Schwert­kampf hät­te. Als ich das ver­nein­te, mach­te er ein be­denk­li­ches Ge­sicht, doch ich hat­te zwei Ar­gu­men­te, die ihn über­zeug­ten.

Zum Ers­ten frag­te ich ihn, ob er in Chi­na den Ein­druck ge­won­nen hät­te, dass ich mich nicht ver­tei­di­gen kön­ne. Das ver­nein­te er so­fort, und ich wies zum Zwei­ten dar­auf hin, dass der Sho­gun et­was von den Kampf­fer­tig­kei­ten der Shao­lin se­hen woll­te. Das über­zeug­te ihn, und wir be­gan­nen so­fort mit der Pla­nung.

Ich bat den Fürs­ten, mir mehr über die Re­geln und den Ver­lauf ei­nes sol­chen Kamp­fes mit­zu­tei­len. Auf­merk­sam lausch­te ich den Aus­füh­run­gen und for­der­te ihn dann auf, mir einen Übungs­part­ner zur Ver­fü­gung zu stel­len. Er be­nann­te Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, der nach sei­ner Rüs­tung schi­cken ließ, denn ich woll­te, dass es mög­lichst rea­lis­tisch statt­fand.

Bei nä­he­rer Be­trach­tung der Um­stän­de wur­den uns ei­ni­ge Pro­ble­me be­wusst. Der Dai­myo heg­te Zwei­fel, dass es über­haupt zu ei­nem Kampf kom­men wür­de. Da ich kein Sa­mu­rai war, wür­de es der Met­su­ke ver­mut­lich für un­ter sei­ner Wür­de er­ach­ten, sich auf einen Zwei­kampf mit mir ein­zu­las­sen. Ich über­leg­te kurz und frag­te dann:

›Was bin ich denn in sei­nen Au­gen?‹

›Nun, zu­al­ler­erst ein Aus­län­der und dann viel­leicht ein Mönch. Bei­des wäre aber un­ter sei­ner Wür­de.‹

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga gab zu be­den­ken:

›Aber er ist ein kämp­fen­der Mönch. Mei­nem Sohn ge­gen­über habe ich ihn als einen So­hei aus­ge­ge­ben. Viel­leicht wür­de Ya­ma­bus­hi es noch bes­ser tref­fen.‹

Die an­de­ren Sa­mu­rai hat­ten sich bis­her an dem Ge­spräch nicht be­tei­ligt. Ver­mut­lich wur­de Shi­ge­na­ga des­halb auch zu­recht­ge­wie­sen, weil er den Fürs­ten sehr ver­trau­lich an­ge­spro­chen hat­te. Un­ter­wür­fig ver­beug­te er sich vor dem Dai­myo, über­setz­te mir aber auf des­sen Be­fehl hin sei­nen Ein­wurf.

Um die Si­tua­ti­on zu ent­schär­fen, ant­wor­te­te ich schnell.

›Wenn ich ihm als So­hei oder Ya­ma­bus­hi vor­ge­stellt wer­de, was ja, wenn ich rich­tig ver­stan­den habe, Krie­ger­mön­che sind, wird er dann den Kampf im­mer noch ab­leh­nen?‹

›Das sind zwar al­les kei­ne Sa­mu­rai, wenn er aber Lust auf ein Du­ell ha­ben soll­te, könn­te es viel­leicht klap­pen.‹

Ich lä­chel­te et­was zwei­deu­tig.

›Viel­leicht könn­te man ihm den Ge­dan­ken ein­ge­ben, der Sho­gun wol­le die­sen Kampf gern se­hen, um die Kampf­fä­hig­keit des So­hei zu tes­ten.‹

Date Ma­sa­mu­ne schnaub­te leicht und ver­zog den Mund zu ei­nem Grin­sen.

›Schon wie­der der Di­plo­mat! Ja, ich den­ke, das könn­te man, und es könn­te auch funk­tio­nie­ren. Aber dann ha­ben wir schon das nächs­te Pro­blem. Da Sie kein Sa­mu­rai sind, be­sit­zen Sie kei­ne Schwer­ter und kei­ne Rüs­tung. Es kann Ih­nen auch kei­ner sein Schwert ge­ben, denn das Schwert ge­hört zum Sa­mu­rai und sein Ver­lust wäre der Ver­lust sei­ner Ehre. Au­ßer­dem dür­fen nur Sa­mu­rai Schwer­ter tra­gen.‹

›Was be­nut­zen denn die So­hei für Waf­fen? Viel­leicht ... Oder Mo­ment, noch bes­ser, Date Ma­sa­mu­ne hat doch die Waf­fen der chi­ne­si­schen An­grei­fer als Tro­phä­en mit­ge­nom­men?! Hat er sie hier? Da wa­ren Schwer­ter da­bei, mit de­nen ich schon ge­übt habe und die ich gut be­herr­sche.‹

Der Fürst be­stä­tig­te, dass sich die Schwer­ter im An­we­sen be­fan­den, und ließ so­fort ei­ni­ge ho­len.

Ich wähl­te eins mit ei­ner Klin­gen­län­ge von etwa sech­zig bis fünf­und­sech­zig Zen­ti­me­tern, das gut in der Hand lag und scharf ge­schlif­fen war.

Der Dai­myo for­der­te einen an­de­ren Sa­mu­rai auf, ihm das Schwert zu brin­gen, und be­trach­te­te es ein­ge­hend. Er schwang es ei­ni­ge Male prü­fend und schüt­tel­te dann den Kopf.

›Hm, es mag für einen Kampf in Chi­na mit gleich­wer­ti­gen Schwer­tern tau­gen, doch hier ist es eine un­ter­le­ge­ne Waf­fe.‹

Er ließ es mir durch den Sa­mu­rai zu­rück­brin­gen und fuhr fort:

›Ich habe schon ei­ni­ge Kämp­fe von Sa­na­da Ma­sa­no­ri mit­er­lebt, bei de­nen er fast im­mer ein lan­ges Ta­chi be­nutz­te. Des­sen Klin­ge ist be­stimmt sie­ben Sun län­ger als die­ses chi­ne­si­sche Schwert und hat des­halb eine viel grö­ße­re Reich­wei­te. Da­mit sind Sie ihm un­ter­le­gen.‹

›Ta­chi, Sun?‹, frag­te ich.

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga ver­stand, dass ich mit die­sen Be­grif­fen noch nichts an­fan­gen konn­te, und hol­te sich beim Fürs­ten die Er­laub­nis, mir sein Ta­chi zu zei­gen. Die­se Waf­fe war in der Zwi­schen­zeit mit der Rüs­tung, die sich in ei­ner großen Kis­te be­fand, her­ge­bracht wor­den. Dann entließ der Fürst alle an­de­ren mit der Be­grün­dung, der Platz wer­de für die Übun­gen ge­braucht. Ei­ni­ge ver­lie­ßen den Raum mit ver­stimm­ter Mie­ne, doch Ma­sa­mu­ne at­me­te er­leich­tert auf, als wir nur noch zu dritt im Raum wa­ren. Er war­te­te, bis alle au­ßer Hör­wei­te wa­ren, und sag­te dann:

›Es ist er­mü­dend, im­mer die­se Zwän­ge und die­ser äu­ße­re Schein‹, bei die­sen Wor­ten stand er auf und setz­te sich ne­ben uns. Nach­dem er kurz mit Shi­ge­na­ga ge­spro­chen und die­ser mehr­fach ge­nickt hat­te, wand­te er sich schließ­lich an mich.

›Date Ma­sa­mu­ne hat mich dar­an er­in­nert, dass ich die Eti­ket­te wah­ren muss, so­bald an­de­re an­we­send sind, was na­tür­lich auch für dich gilt. So­bald wir aber un­ter uns sind, möch­te er, dass wir zwang­los mit­ein­an­der um­ge­hen. Er wird dich des­halb, wenn du da­mit ein­ver­stan­den bist, in Zu­kunft mit du an­spre­chen.‹

Ich nick­te er­freut.

›Gut, der Ein­fach­heit hal­ber wer­de ich es in Zu­kunft im­mer so über­set­zen, au­ßer ich weiß, dass ei­ner die chi­ne­si­sche Spra­che be­herrscht.‹

›Ich füh­le mich ge­ehrt!‹

Ma­sa­mu­ne wink­te ab.

›Lass den Un­sinn, in Chi­na war es auch nicht nö­tig, und ich emp­fin­de es seit ei­ni­gen Jah­ren als be­las­tend! Frü­her wa­ren mir sol­che Din­ge sehr wich­tig, doch jetzt den­ke ich an­ders dar­über. Au­ßer­dem bist du mein Le­bens­ret­ter, und ich ste­he in dei­ner Schuld!‹

Jetzt war ich es, der ab­wink­te, doch er fuhr schon fort, und sein Ge­sicht nahm einen be­sorg­ten Aus­druck an.

›Im ers­ten Au­gen­blick war ich sehr an­ge­tan von dei­nem Vor­schlag, doch nun meh­ren sich mei­ne Be­den­ken. Ich fürch­te, dass es für dich nicht gut aus­ge­hen wird, und das möch­te ich ver­hin­dern. Viel­leicht fin­den wir doch noch eine an­de­re Mög­lich­keit, um den Met­su­ke zu be­sänf­ti­gen.‹

›Nein, zum einen ste­he ich zu mei­nem Wort, und zum an­de­ren habe ich kei­ne Angst. Seit ei­ni­gen Jah­ren, habe ich fast täg­lich Kamp­f­übun­gen ab­sol­viert, und die Shao­lin ha­ben mich in den Meis­ter­stand er­ho­ben, was doch zu ir­gend­was gut ge­we­sen sein muss. Ich möch­te auch nicht mehr dar­über re­den, denn wir ha­ben Wich­ti­ge­res zu tun.‹

Ich sah Shi­ge­na­ga an und frag­te:

›Woll­test du mir nicht er­klä­ren, was Ta­chi und Sun ist?‹

Er nick­te, stand auf und hol­te sein Schwert, zog es aus der Schei­de und leg­te es ne­ben das chi­ne­si­sche, das ich aus­ge­wählt hat­te.

›Ein sol­ches Schwert nennt man Ta­chi. Es wird mit zwei Hän­den ge­führt, ob­wohl es ei­ni­ge Meis­ter gibt, die es ein­hän­dig be­nut­zen.‹

Er deu­te­te auf die Schwer­ter, die er so ge­legt hat­te, dass das Stich­blatt sei­nes Schwer­tes auf glei­cher Höhe mit der Pa­rier­stan­ge des chi­ne­si­schen war.

›Mein Ta­chi ist vier­und­zwan­zig Sun lang und über­ragt dei­nes um eine Hand­breit. Das von Sa­na­da Ma­sa­no­ri ist, nach dem, was der Fürst sagt, etwa acht­und­zwan­zig Sun lang. Er hat also eine viel grö­ße­re Reich­wei­te, da­her dürf­te es dir schwer­fal­len, mit die­sem kür­ze­ren Schwert an ihn he­r­an­zu­kom­men.‹

›Hmmm, es kommt im­mer dar­auf an, wie man kämpft. Ich habe nicht vor, es auf die glei­che Art wie der Met­su­ke zu tun, da ich die­se nicht be­herr­sche. Aber ich kann recht gut, was ich in Shao­lin und Wu­dang ge­lernt habe. Wür­dest du jetzt bit­te die Rüs­tung an­le­gen und mir ei­ni­ges von eu­rer Schwert­kampf­tech­nik zei­gen, da­mit ich mir ein Bild ma­chen kann.‹

Er nick­te, und ein Die­ner, der vor der Tür ge­war­tet hat­te, wur­de he­r­ein­ge­ru­fen. Die­ser half beim An­le­gen der Rüs­tung, und ich be­ob­ach­te­te ge­nau, wie die ein­zel­nen Tei­le mit­ein­an­der ver­bun­den wur­den.

Von je­dem Teil der Rüs­tung nann­te mir Shi­ge­na­ga den Na­men und die Funk­ti­on. Es war gleich­zei­tig wie­der Sprach­un­ter­richt, und mir wur­de zum ers­ten Mal be­wusst, dass es mir dies­mal leich­ter fiel als beim chi­ne­si­schen. Da ich sei­ne Ge­dan­ken­bil­der wahr­nahm, konn­te ich mir die Be­grif­fe viel bes­ser ein­prä­gen. Das Er­ler­nen der laut­lo­sen Spra­che, wie sie Wang Lee im­mer ge­nannt hat­te, war also noch bei an­de­ren Din­gen hilf­reich.

›Das, was ich jetzt an­le­ge, ist eine do-maru-Rüs­tung. Sie wird im Feld kaum noch ver­wen­det, denn sie bie­tet kei­nen aus­rei­chen­den Schutz vor Feu­er­waf­fen. Bei ei­nem Du­ell hin­ge­gen wird sie der mo­der­nen to­sei-gu­so­ku-Rüs­tung vor­ge­zo­gen, da sie leich­ter ist und der Kämp­fer in ihr mehr Be­we­gungs­frei­heit hat.‹

Er be­nann­te je­des ein­zel­ne Teil, und mir fiel auf, dass die­se Rüs­tung Schwach­stel­len hat­te, die ich aus­zu­nut­zen ge­dach­te. Als er fer­tig war, soll­te ich eine gleich­ar­ti­ge Rüs­tung aus Ma­sa­mu­nes Be­sitz an­le­gen, doch ich wehr­te ab.

›Nein, ich wer­de ohne Rüs­tung in mei­ner Shao­lin-Klei­dung ge­gen ihn an­tre­ten.‹

Sie sa­hen mich an, als hät­te ich den Ver­stand ver­lo­ren. Dann woll­ten sie mich so­fort vom Ge­gen­teil über­zeu­gen.

›Ohne Schutz kann er dir mit ei­nem ein­zi­gen Hieb den Schä­del spal­ten oder den Arm ab­tren­nen! Du hast ...‹

Hier un­ter­brach ich sie:

›Er hat den Vor­teil der grö­ße­ren Schwer­treich­wei­te und des bes­se­ren Schut­zes durch die Rüs­tung, doch ich bin ohne Rüs­tung viel be­weg­li­cher. Ich habe ein kür­ze­res Schwert und noch nie in ei­ner sol­chen Rüs­tung ge­kämpft, wäre also noch mehr be­hin­dert, weil ich an Be­weg­lich­keit ver­lie­re. Ihr habt mir ge­sagt, dass die­ses Ta­chi zweihän­dig ge­führt wird und ich mit mei­nem Schwert nicht di­rekt pa­rie­ren darf, da ein gu­tes Ta­chi die­ses zer­schla­gen könn­te. Wenn ich die­sen Kampf über­le­ben will, bleibt mir also nur eine Art des Kamp­fes, die mein Geg­ner nicht kennt und ein­schät­zen kann. Ich habe vor, ihn mit Schnel­lig­keit und List zu schla­gen.‹

›Nein, du ver­stehst im­mer noch nicht. Die­ser Kampf kann in we­ni­gen Au­gen­bli­cken vor­bei sein, denn dein Geg­ner baut wie du auf Schnel­lig­keit und die si­che­re Füh­rung sei­nes Ta­chi. Oft ste­hen sich die Kämp­fer lan­ge ge­gen­über, be­ob­ach­ten und um­krei­sen ein­an­der. Sie su­chen nach ei­ner Schwach­stel­le in der Ver­tei­di­gung oder sind dar­auf aus, sich ge­gen­sei­tig ein­zu­schüch­tern. In man­chen Du­el­len wird nur ein ein­zi­ger schnel­ler Hieb aus­ge­führt, der al­les ent­schei­det. Des­halb ist eine gute Rüs­tung so wich­tig, sie ret­tet dir un­ter Um­stän­den das Le­ben.‹

Bei die­sen Er­läu­te­run­gen wur­de ich un­si­cher. Ich hat­te eine ganz an­de­re Vor­stel­lung von so ei­nem Schwert­kampf ge­habt. In mei­nen Er­in­ne­run­gen, die vor al­lem auf Fil­men ba­sier­ten, hat­ten sich die Sa­mu­rai aus­dau­ern­de Schwert­kämp­fe ge­lie­fert. Ähn­lich wie bei ei­nem Fecht­kampf in Eu­ro­pa hat­ten sich ihre Klin­gen oft ge­kreuzt. Doch nun wur­de ich von Shi­ge­na­ga ei­nes Bes­se­ren be­lehrt, und ich muss­te um­den­ken.

›Ohh, gut, dann muss ich eine an­de­re Tak­tik an­wen­den. Aber trotz­dem wer­de ich es erst ein­mal ohne Rüs­tung ver­su­chen.‹

Bei­de schüt­tel­ten den Kopf und woll­ten wie­der auf mich ein­re­den, aber ich bat sie um eine Pro­be. Na­tür­lich soll­te da­bei das Schwert in der Schei­de blei­ben, denn so si­cher wie vor­her war ich mir nicht mehr.

Wi­der­wil­lig stell­te sich mein Dol­met­scher in Po­si­ti­on. Mein Schwert wur­de eben­falls mit ei­nem Schutz ver­se­hen, und wir stan­den uns fi­xie­rend ge­gen­über. Lang­sam be­gann Shi­ge­na­ga mich zu um­krei­sen und wech­sel­te da­bei im­mer wie­der die Po­si­ti­on sei­nes Ta­chi. Ein­mal hat­te er es hoch er­ho­ben, so dass er mit ei­nem star­ken zweihän­di­gen Hieb von oben be­gin­nen konn­te. Dann wie­der hielt er es mehr seit­lich, mal rechts, mal links, und er fi­xier­te mich da­bei ge­nau. Der An­griff er­folg­te so plötz­lich, dass ich kaum noch aus­wei­chen konn­te. Das Ende der Schwert­schei­de streif­te noch mei­nen Hals, und ohne den Schutz hät­te ich be­stimmt eine kräf­ti­ge Schnitt­wun­de da­von­ge­tra­gen. Ich war nicht we­nig er­schro­cken, doch ich ließ mir nichts an­mer­ken. Das jah­re­lan­ge Trai­ning hat­te mich ge­lehrt, mit sol­chen Si­tua­tio­nen um­zu­ge­hen. Aber ich merk­te auch, dass der Trai­nings­aus­fall, den ich durch un­se­re Rei­se ge­habt hat­te, nicht leicht zu kom­pen­sie­ren war.

Der Fürst und Shi­ge­na­ga ver­such­ten noch ein­mal, mich zum An­le­gen der Rüs­tung zu über­re­den, doch ich bat sie um eine klei­ne Pau­se. Kopf­schüt­telnd be­ob­ach­te­ten sie, wie ich mich in Me­di­ta­ti­on ver­senk­te. Nun ließ ich mich voll­kom­men fal­len und überg­ab al­les an mein Chi. Es soll­te mich füh­ren und alle mei­ne Re­ak­tio­nen über­neh­men. Des wei­te­ren ge­dach­te ich, zum ers­ten Mal auch mei­ne an­de­ren Fä­hig­kei­ten mit ein­zu­be­zie­hen, was ich in Chi­na im­mer ver­mie­den hat­te.

Nach kur­zer Zeit stand ich wie­der auf, und Shi­ge­na­ga be­gann mich er­neut zu um­krei­sen. Ich hat­te die Au­gen auf mei­nen Geg­ner ge­rich­tet und nahm die Bil­der doch nicht di­rekt war. Mein Chi ver­ar­bei­te­te all die­se In­for­ma­tio­nen. Alle un­wich­ti­gen Ge­dan­ken wa­ren aus­ge­blen­det, und mein Geist kon­zen­trier­te sich auf das, was in Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­gas Kopf vor­ging. Wie­der er­folg­te nach kur­zer Zeit ein ra­scher An­griff. Dies­mal ziel­te der Schlag von oben auf mei­ne rech­te Schul­ter, doch ich nahm die Be­we­gung wahr, be­vor sie aus­führt wur­de. Mit ei­ner schnel­len Dre­hung wich ich im glei­chen Mo­ment zur Sei­te aus und ließ den Schlag ins Lee­re lau­fen. Da­mit hat­te mein Trai­nings­part­ner nicht ge­rech­net, so dass er von dem Schwung des Hie­bes nach vorn ge­ris­sen wur­de. Ich ver­zich­te­te auf eine Ge­gen­wehr, da ich erst noch ei­ni­ges he­r­aus­fin­den woll­te. Ver­blüfft schau­ten mich die bei­den an, aber ich woll­te kei­ne Pau­se ent­ste­hen las­sen und bat Shi­ge­na­ga, gleich wei­ter­zu­ma­chen.

Wir trai­nier­ten die hal­be Nacht, und am Ende hat­ten bei­de kei­ne Ein­wän­de mehr ge­gen das Du­ell.

Der Fürst woll­te am nächs­ten Mor­gen alle not­wen­di­gen Schrit­te ein­lei­ten, da­mit der Kampf nach un­se­ren Wün­schen statt­fin­den konn­te. Mein Schwert soll­te noch ein­mal ge­schlif­fen wer­den, um eine mög­lichst hohe Schär­fe der Schwert­spit­ze zu er­rei­chen, denn das war der Schlüs­sel zu mei­nem Plan. Wir trenn­ten uns, und ich fiel in mei­nem Quar­tier in einen ru­hi­gen kur­zen Schlaf.

Den nächs­ten Mor­gen be­gann ich mit Tai-Chi-Übun­gen. Gleich zu Be­ginn stell­ten sich Shi­ge­na­ga und, wie ich spä­ter er­fuhr, auch Mit­glie­der der Date Fa­mi­lie ein, von de­nen kei­ner es wag­te, mich zu stö­ren. Sie stan­den oder sa­ßen still am Ran­de des gut ge­pfleg­ten Zier­gar­tens und be­ob­ach­te­ten ge­nau, was ich tat. Zwei jun­ge Frau­en, die nicht un­ter­schied­li­cher sein konn­ten, fie­len mir be­son­ders auf. Die zwei Schrit­te vor­an­ge­hen­de Frau trug einen hell­gel­ben eng an­lie­gen­den, mit schö­nen Mus­tern ver­se­he­nen und von ei­nem Stoff­gür­tel zu­sam­men­ge­hal­te­nen Ki­mo­no. Er war so straff bis in Brust­hö­he ge­wi­ckelt, dass man von ih­ren Kör­per­for­men kaum et­was wahr­neh­men konn­te. Im Rücken war ein Pols­ter mit ei­ner großen Schlei­fe be­fes­tigt. An den nack­ten Fü­ßen trug sie Holz­san­da­len, und durch den en­gen Ki­mo­no konn­te sie nur sehr klei­ne Schrit­te ma­chen. Die rech­te Hand hielt einen bun­ten Son­nen­schirm, und in der lin­ken hat­te sie einen ge­öff­ne­ten Fä­cher. Ihr tief­schwar­zes hoch­ge­steck­tes Haar wur­de von ei­ner bun­ten Span­ge zu­sam­men­ge­hal­ten. Zwei Blu­men­blü­ten­ar­ran­ge­ments ver­voll­stän­dig­ten ihre Fri­sur. Doch am auf­fäl­ligs­ten war ihr stark ge­schmink­tes Ge­sicht. Von der nor­ma­len Haut­far­be konn­te man nur am Hals ein Stück se­hen.

Die zwei­te Frau, die seit­lich hin­ter der ers­ten lief, war das gan­ze Ge­gen­teil. Ihr Äu­ße­res war we­ni­ger he­r­aus­ge­putzt. Auch sie trug einen Ki­mo­no, der aber weit ge­schnit­ten war, da­mit die Bei­ne mehr Be­we­gungs­frei­heit hat­ten. Ob­wohl we­ni­ger auf­fäl­lig ge­mus­tert, wirk­te er den­noch edel. Ein schma­ler, nicht ganz so eng ge­wi­ckel­ter Stoff­gür­tel hielt ihn zu­sam­men. Das Rücken­pols­ter fehl­te ganz, und statt des Son­nen­schir­mes trug sie in der rech­ten Hand einen Stab, auf den sie sich beim Ge­hen stütz­te. Ihr Haar war ähn­lich ar­ran­giert, aber nur we­ni­ge Blü­ten und eine klei­ne Span­ge zier­ten die Pracht. In dem de­zent ge­schmink­ten Ge­sicht war die hell­brau­ne Haut gut zu er­ken­nen. Am auf­fäl­ligs­ten war aber ihr wie­gen­der Gang. Es sah so aus, als müss­te sie ein Bein im­mer mit et­was Schwung nach vorn set­zen und sich dann wie­gend nach oben drücken. Um das zu ge­währ­leis­ten, steck­ten ihre Füße in fest ge­schnür­ten Reiss­troh­san­da­len und nicht in zier­li­chen Holz­san­da­len.

Was mich aber bei mei­nen Übun­gen fast ein we­nig aus dem Gleich­ge­wicht brach­te, war ihre Aus­strah­lung. Ob­wohl die ers­te Frau ohne Ma­kel und äu­ßer­lich schö­ner zu sein schi­en, hat­te die hin­ter ihr ge­hen­de eine in­ne­re Schön­heit, die viel­leicht nur ei­nem un­vor­ein­ge­nom­me­nen Be­ob­ach­ter auf­fiel. Das Ge­sicht war nicht ganz so voll wie bei der an­de­ren Frau, und ein schma­ler Mund wur­de von zwei schalk­haf­ten Grüb­chen be­grenzt. Die nicht zu klei­ne Nase gab dem Ge­sicht eine an­ge­neh­me Form und mach­te es wett, dass die Au­gen in all­zu fla­chen Au­gen­höh­len la­gen. Aber die­se Au­gen hat­ten es in sich. Sie wa­ren leb­haft, und ein zu­frie­de­ner Glanz ging von ih­nen aus. Ihr gan­zes We­sen strahl­te große in­ne­re Zu­frie­den­heit aus, was bei der kör­per­li­chen Be­hin­de­rung er­staun­lich er­schi­en.

Als ich be­merk­te, dass sich un­se­re Bli­cke tra­fen, schlug ich be­schämt mei­ne Au­gen nie­der. Ich woll­te nie­man­den be­gaf­fen, denn was dar­aus ent­ste­hen konn­te, wuss­te ich ja. In die­sem Fall konn­te es zu­dem ver­let­zend sein, was ich auf kei­nen Fall be­ab­sich­tig­te.

Ich rich­te­te mei­nen Blick wie­der nach in­nen und kon­zen­trier­te mich auf mein Tai Chi. Nach ei­ni­ger Zeit ging ich zum Shao­lin-Bo­xen über. Bes­ser ge­sagt, ich trai­nier­te eine Mi­schung aus Shao­lin- und Wu­dang-Stil, die ich mir in Chi­na an­ge­eig­net hat­te. Da­bei blen­de­te ich die Be­ob­ach­ter voll­kom­men aus, um mich gut auf den Kampf vor­zu­be­rei­ten.

Als ich nach meh­re­ren Stun­den auf­hör­te, war nur noch Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga an­we­send. Er kam zu mir und sag­te:

›Jetzt weiß ich, was uns in Shao­lin vor­ent­hal­ten wur­de. Be­herr­schen das alle Mön­che so?‹

Ich schüt­tel­te den Kopf.

›Nein, der Stil, den ich hier trai­niert habe, wird nur von we­ni­gen ver­wen­det, doch auch der nor­ma­le Shao­lin-Stil hat sei­ne Vor­zü­ge, nur dass er viel kraft­auf­wen­di­ger und of­fen­si­ver ist. Was ich be­vor­zu­ge, ist mehr auf Ver­tei­di­gung aus­ge­rich­tet, wo­mit ich mich auch gut ge­gen un­se­ren Groß­meis­ter be­haup­ten konn­te.‹

Jetzt erst be­merk­te ich das chi­ne­si­sche Schwert in sei­ner Hand.

›Oh, ist es das, das ich aus­ge­wählt hat­te?‹

›Ja, der Schwert­schlei­fer hat es ge­ra­de zu­rück­ge­bracht, du bist mit sei­ner Ar­beit be­stimmt zu­frie­den.‹

Er reich­te es mir, und ich be­gut­ach­te­te die Klin­ge. Dann schwang ich es leicht mit der Spit­ze durch das Gras zu un­se­ren Fü­ßen. Mehr als zu­frie­den blick­te ich auf die lie­gen ge­blie­be­nen Hal­me.

›Sehr gut, doch ich muss acht­ge­ben und den Ab­stand ge­nau ein­schät­zen. Das Bes­te wird sein, wenn ich noch ein we­nig mit die­sen Schwert trai­nie­re, da­mit ich beim Kampf kei­ne Feh­ler ma­che.‹

›Wie du meinst, doch ich glau­be nicht, dass das Du­ell schon heu­te statt­fin­det.‹

›Umso bes­ser, da ich viel nach­ho­len muss. Schon zu lan­ge habe ich nicht mehr rich­tig trai­niert.‹

›Wird dir dann nicht die Kraft im Kampf feh­len?‹

Ich lach­te auf.

›Wo denkst du hin?! Wir ha­ben im Klos­ter von früh bis zur Däm­me­rung trai­niert und die Übun­gen nur für eine Mahl­zeit mit an­schlie­ßen­der Ge­bets- und Me­di­ta­ti­ons­pau­se un­ter­bro­chen.‹

Er mach­te große Au­gen.

›Ich glau­be, un­se­re In­for­man­ten am chi­ne­si­schen Kai­ser­hof ha­ben weit un­ter­trie­ben.‹

Schmun­zelnd wink­te ich ab und woll­te mich schon um­dre­hen, als mir die wei­te­ren Be­ob­ach­ter ein­fie­len.

›Wer wa­ren denn die an­de­ren, die vor­hin hier stan­den?‹

›Date Ma­sa­mu­nes äl­tes­te Toch­ter, Iro­ha­hi­me. Sie ist die Frau von Mat­su­dai­ra Ta­da­te­ru, was lei­der kei­ne Emp­feh­lung mehr ist, da ihr Mann ver­bannt wur­de. Ihr steht es aber frei, den Ver­ban­nungs­ort zu ver­las­sen. Zur Zeit weilt sie hier, um ih­ren Va­ter zu be­su­chen.‹

›Und die an­de­ren?‹

›Ach, das wa­ren nur zwei ih­rer Leib­wäch­ter und Die­ner.‹

›Die an­de­re Frau war auch eine Die­ne­rin?‹

›Ka­zu­ko, nein, das ist kei­ne Die­ne­rin. Es ist ihre Halb­schwes­ter, doch das zählt nicht, ob­wohl sie einen ge­wis­sen Son­der­sta­tus hat. Aber es steht mir nicht zu, dar­über zu spre­chen.‹

O weh, nun hat­te ich auch noch an ein Fa­mi­li­en­ge­heim­nis ge­rührt. Ich muss­te un­be­dingt vor­sich­ti­ger wer­den, denn in die­ser Ge­sell­schaft gab es mehr Ge­heim­nis­se und Re­geln, als ich mir hat­te träu­men las­sen. Um ab­zu­len­ken, sag­te ich Shi­ge­na­ga, dass ich wei­ter­trai­nie­ren wol­le, wor­auf­hin er mich ver­ließ.

Am Nach­mit­tag saß ich me­di­tie­rend un­ter ei­nem Baum, der ne­ben Shi­ge­na­gas Haus stand. Nach ei­ner Wei­le hat­te ich das Ge­fühl, be­ob­ach­tet zu wer­den, und öff­ne­te die Au­gen.

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga stand vor mir, hat­te es aber nicht ge­wagt, mich zu un­ter­bre­chen. Al­lem An­schein nach woll­te er mich spre­chen. Ich mach­te eine ein­la­den­de Ges­te und deu­te­te auf einen Platz ne­ben mir, doch er wink­te ab.

›Ich möch­te dich nicht wei­ter stö­ren. Der Fürst hat mich be­auf­tragt, dir mit­zu­tei­len, dass al­les nach un­se­ren Wün­schen zu ver­lau­fen scheint. Wie du an­ge­regt hast, wur­de dem Met­su­ke der Ein­druck ver­mit­telt, dass der Sho­gun ger­ne ein Kräf­te­mes­sen zwi­schen dir, dem frem­den Ya­ma­bus­hi, und ei­nem gu­ten Bus­hi se­hen möch­te. Dar­auf­hin hat er selbst dem Sho­gun an­ge­bo­ten, ein Du­ell, das zu sei­ner Ge­nug­tu­ung statt­fin­den soll, da­für zu nut­zen. To­ku­ga­wa Ie­mit­su war hoch er­freut und ver­füg­te, dass der Kampf mor­gen, wenn die Son­ne am höchs­ten steht, in ei­nem der Burg­vor­hö­fe statt­fin­den soll. Sein Va­ter und ei­ni­ge an­de­re hohe Wür­den­trä­ger wer­den an­we­send sein.‹

›Date Ma­sa­mu­ne doch auch, oder?‹

›Ja, er wur­de auf­ge­for­dert zu er­schei­nen, schließ­lich bist du sein Gast. Auch ich soll mit­kom­men, weil zur Zeit kein an­de­rer ver­füg­bar ist, der chi­ne­sisch spricht.‹

›Gut, ich hof­fe der Fürst ist zu­frie­den?‹

›Sehr so­gar. Aus die­sem Grund soll­te ich es dir auch so­fort mit­tei­len.‹

Wir ver­ab­schie­de­ten uns, denn ich woll­te mich, so gut es ging, auf den kom­men­den Tag vor­be­rei­ten.

Am nächs­ten Tag, eine gan­ze Wei­le vor der fest­ge­leg­ten Zeit, be­tra­ten wir den Vor­hof. Ein Be­am­ter des Sho­gun teil­te mir die Ver­hal­tens­re­geln mit. Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga über­setz­te ge­wis­sen­haft alle An­wei­sun­gen und er­mahn­te mich mehr­fach, al­les ge­nau ein­zu­hal­ten.

Der Sho­gun wur­de an­ge­kün­digt, und wir war­fen uns auf die Knie. Den Kopf ge­senkt und auf un­se­re Hän­de bli­ckend, war­te­ten wir, bis die Er­laub­nis zum Si­cher­he­ben kam.

Mir war es un­ter An­dro­hung des To­des ver­bo­ten, den Sho­gun an­zu­bli­cken. Des­halb fi­xier­te ich den Bo­den vor mir, doch aus den Au­gen­win­keln konn­te ich das wei­te­re Ge­sche­hen ver­fol­gen. Für den Sho­gun war un­ter ei­nem Bal­da­chin ein mit Pols­tern ver­se­he­ner Stuhl be­reit­ge­stellt. Rechts da­ne­ben, aber nicht mehr un­ter dem Bal­da­chin, stand eine Sitz­ge­le­gen­heit ohne Rücken­leh­ne, über die eine reich­ver­zier­te De­cke ge­brei­tet war. Un­mit­tel­bar nach­dem der Sho­gun Platz ge­nom­men hat­te, ließ sich ein Mann auf die­ser nie­der, der viel Ähn­lich­keit mit ihm hat­te. Spä­ter be­stä­tig­te sich mei­ne Ver­mu­tung, dass es der Va­ter des am­tie­ren­den Sho­gun sei. Date Ma­sa­mu­ne er­hielt die Ge­neh­mi­gung, nach vorn zu kom­men und in ei­ni­gem Ab­stand seit­lich vom Sho­gun auf ei­nem Kis­sen Platz zu neh­men. Eine Ehre, die auch ei­ni­gen wei­te­ren ho­hen Per­sön­lich­kei­ten zu­teil wur­de.

Als alle ih­ren Platz ge­fun­den hat­ten, wur­de der Met­su­ke nach vorn ge­ru­fen. Vor dem Sho­gun kni­end, sprach er kurz mit ihm. Da­nach be­gab er sich zu Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, der ne­ben mir den Bo­den an­starr­te. Nach­dem Sa­na­da Ma­sa­no­ri ei­ni­ge Wor­te an ihn ge­rich­tet hat­te, er­hob er sich und for­der­te auch mich dazu auf. Wie mir ein­dring­lich mit­ge­teilt wor­den war, soll­te ich mög­lichtst nicht di­rekt zum Sho­gun schau­en. Ich dreh­te mich also et­was seit­lich und hielt den Kopf leicht ge­senkt, konn­te da­bei aber se­hen, dass mein Geg­ner schon in vol­ler Rüs­tung war. Er trug, wie mei­ne neu­en Freun­de ver­mu­tet hat­ten, eine do-maru-Rüs­tung. Sie äh­nel­te der von Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga, nur ein De­tail war an­ders, doch das er­schi­en mir eher noch hilf­reich zu sein. Zu­sätz­lich zum Helm trug er eine Halb­mas­ke, die Stirn und Wan­gen schüt­ze. Die­ser Typ von Ge­sichts­mas­ke, Hap­pu­ri ge­nannt, hat­te an den Wan­gen Ösen, durch die Schnü­re lie­fen, die den Helm hiel­ten. Die Wahr­schein­lich­keit, dass ich mit der Stra­te­gie, die ich mir zu­recht­ge­legt hat­te, er­folg­reich sein wür­de, er­schi­en mir nun sehr hoch. Ich war froh, dass mir an je­nem Abend so viel über die Rüs­tun­gen und ihre ein­zel­nen Tei­le er­klärt wor­den war.

Der Met­su­ke sprach mich an, und Shi­ge­na­ga über­setz­te al­les ohne Um­schwei­fe.

›Sa­na­da Ma­sa­no­ri möch­te wis­sen ob du be­reit bist, für die Schmach, die du ihm an­ge­tan hast, ein­zu­ste­hen?‹

›Ja, das bin ich!‹, mein Dol­met­scher über­setz­te al­les laut und deut­lich, da­mit es je­der der An­we­sen­den ver­ste­hen konn­te.

›Dann wird er dich jetzt auf dem Kampf­feld in der Mit­te des Ho­fes er­war­ten. Du sollst dei­ne Rüs­tung an­le­gen und mit dei­nem Schwert dort er­schei­nen.‹

Ich ver­beug­te mich vor dem Met­su­ke, deu­te­te auf mei­ne Shao­lin-Klei­dung und sag­te:

›Ich wer­de kei­ne Rüs­tung an­le­gen, denn ich bin es ge­wohnt, in die­ser Klei­dung zu kämp­fen.‹

Alle au­ßer de­nen, die es schon wuss­ten, sa­hen mich an, als hät­te ich den Ver­stand ver­lo­ren. Doch Ma­sa­no­ri brach­te es auf den Punkt.

›Willst du mich be­lei­di­gen, oder bist du ein­fach nur le­bens­mü­de?‹

Bei die­sen Wor­ten mach­te er ein mehr als wü­ten­des Ge­sicht.

›We­der das eine noch das an­de­re. Ich kom­me aus ei­nem an­de­ren Land, bin es nicht ge­wohnt, in ei­ner sol­chen Rüs­tung zu kämp­fen, und habe auch kein Ta­chi. Mei­ne Waf­fe ist ein ein­fa­ches chi­ne­si­sches Schwert, und ich habe bis­her im­mer ohne Rüs­tung ge­kämpft. Von ei­ner Be­lei­di­gung kann also kei­ne Rede sein, da es mei­ne tra­di­tio­nel­le Klei­dung ist, und ob ich le­bens­mü­de bin, mag der Kampf ent­schei­den.‹

Sa­na­da Ma­sa­no­ri mach­te eine weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung, ging in die Mit­te des Ho­fes und schnaub­te ei­ni­ge mür­ri­sche Wor­te vor sich hin.

›Das ist kei­ne Ehre für mich‹, über­setz­te Shi­ge­na­ga, doch ich hat­te den Ein­druck, dass es nicht al­les war, was der Met­su­ke ge­sagt hat­te.

Mein chi­ne­si­sches Schwert wur­de mir ge­bracht, und ich folg­te mei­nem Geg­ner. Bei die­sen Schrit­ten ließ ich mich voll­kom­men fal­len und überg­ab al­les an mein Chi. Das Schwert in mei­ner Hand wur­de eins mit mei­nem Kör­per. Die Um­ge­bungs­ge­räusche re­du­zier­ten sich auf das We­sent­li­che, und al­les um mich he­r­um wur­de von mei­nem Chi prä­zi­se aus­ge­wer­tet. Jede Be­we­gung ei­nes Schat­tens, je­der Luft­hauch, durch eine Be­we­gung ver­ur­sacht, wur­de ge­wer­tet und al­les aus­ge­blen­det, was nicht un­mit­tel­bar wich­tig war für mei­nen Kampf.

Ich stand vor Ma­sa­no­ri, ver­neig­te mich leicht und nahm eine voll­kom­men ent­spann­te Hal­tung ein. Der Met­su­ke ant­wor­te­te sei­ner­seits mit ei­nem leich­ten Ni­cken und be­gann mich fi­xie­rend zu um­krei­sen. Wie ich es schon bei mei­nem nächt­li­chen Trai­ning mit Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga er­lebt hat­te, wech­sel­te auch er stän­dig die Schwert­po­si­ti­on. Nach we­ni­gen Se­kun­den hät­te ich die Au­gen schlie­ßen kön­nen, denn sei­ne Ge­dan­ken wa­ren so stark auf sei­ne Schwert­füh­rung kon­zen­triert, dass ich jede Po­si­ti­ons­än­de­rung schon vor der Aus­füh­rung wahr­nahm. Ich pass­te mei­ne Be­we­gun­gen den sei­nen an, was ihn sicht­lich ir­ri­tier­te. Aus die­sem Grun­de dau­er­te es eine gan­ze Wei­le, bis er sei­nen ers­ten An­griff star­te­te.

Er täusch­te einen Po­si­ti­ons­wech­sel des Schwer­tes von rechts nach links an. Doch als er mit sei­nem Ta­chi nur ein klein we­nig am Kopf vor­bei war hol­te er Schwung und ziel­te mit ei­ner zie­hen­den, schnei­den­den Be­we­gung auf mei­nen rech­ten Ober­arm. Mein Vor­teil war, dass ich in sei­nen Ge­dan­ken schon ge­se­hen hat­te, was er be­ab­sich­tig­te. Im sel­ben Mo­ment, wie sein An­griff be­gann, er­folg­ten mei­ne Aus­weich­be­we­gung und so­gleich auch mein Ge­gen­an­griff. Mit ei­ner Rechts­dre­hung um mei­ne Ach­se und drei kur­zen Schrit­ten ver­hin­der­te ich, dass er ef­fek­tiv dar­auf re­agie­ren konn­te. Dann nutz­te ich die Blö­ße, die er sich durch die er­ho­be­nen Arme ge­ge­ben hat­te. Ein schnel­ler Schnitt und sein Obi war durch­trennt.

Als wirk­lich gu­ter Schwert­kämp­fer re­agier­te er so­fort auf mei­ne Be­we­gung. Da er we­gen des Über­ra­schungs­ef­fek­tes nur we­nig Schwung ho­len konn­te, ge­lang es ihm, dem Ta­chi eine neue Rich­tung zu ge­ben. Um nicht doch noch ge­trof­fen zu wer­den, muss­te ich den Schwung mei­ner Dre­hung nut­zen. Der Ab­wärts­be­we­gung, die ich mach­te, um den Gür­tel zu durch­tren­nen, folg­te ich mit mei­nem gan­zen Ober­kör­per. Als mein Ge­sicht und die Hän­de nur we­ni­ge Zen­ti­me­ter über dem Bo­den wa­ren, schwang sein Ta­chi über mei­nen Rücken und hin­ter­ließ einen Schnitt in mei­nem Ober­ge­wand. Ich stand nur auf dem rech­ten Bein, hol­te mit dem lin­ken Schwung und wir­bel­te mich durch die ge­sam­mel­te Ener­gie aus Dre­hung und Bein­schwung in einen si­che­ren Stand au­ßer­halb sei­ner Reich­wei­te. Aber das wäre gar nicht not­wen­dig ge­we­sen, denn er war auf Grund des durch­trenn­ten Obi in sei­nen Be­we­gun­gen ein­ge­schränkt.

Wie mir Shi­ge­na­ga er­klärt hat­te, ver­la­ger­te ein gut ge­bun­de­ner Obi einen Teil der Rüs­tungs­last auf die Hüf­ten, wäh­rend bei ihm jetzt die gan­ze Last auf den Schul­tern lag. Die konn­te er nach die­sem Ge­gen­an­griff nicht mehr so gut he­ben und die Ober­ar­me auch nicht mehr ef­fek­tiv dre­hen. Er war mit sei­nem Schwert­streich mei­ner Dre­hung ge­folgt und be­müh­te sich wie­der um einen si­che­ren Stand. Sein Ta­chi hat­te er er­neut in An­griffs­po­si­ti­on er­ho­ben, und sei­ne Au­gen fun­kel­ten mich wü­tend an.

Das Gan­ze hat­te nur we­ni­ge Au­gen­bli­cke ge­dau­ert. Ein kaum wahr­nehm­ba­res Rau­nen war zu hö­ren ge­we­sen, doch ich konn­te kei­nen Blick zur Sei­te wa­gen, denn schon um­kreis­te er mich wie­der, und nur kur­ze Zeit spä­ter er­folg­te der nächs­te An­griff. Er schwang sein Schwert von rechts nach links, wie­der in ei­ner zie­hen­den, schnei­den­den Be­we­gung. Doch auch dies­mal ge­lang es mir, gleich­zei­tig mit sei­ner At­ta­cke mei­ne Aus­weich­be­we­gung zu star­ten. Glück­li­cher­wei­se hat­te ich durch mei­ne gu­ten Lehr­meis­ter in Shao­lin mei­ne Be­weg­lich­keit so ver­bes­sert, dass es mir mög­lich war, mei­nen Ober­kör­per nach hin­ten fast in die Waa­ge­rech­te zu drücken. In die­ser Po­si­ti­on führ­te ich eine leicht dre­hen­de Be­we­gung aus, zog da­bei das Schwert über mei­nen Bauch hin­weg und führ­te es dann zie­hend nach oben. Ich war sei­nen Hän­den ge­folgt und hat­te das Be­fes­ti­gungs­band, das nur we­ni­ge Zen­ti­me­ter ober­halb des Hand­ge­lenks den Hand- und Un­ter­arm­schutz am rech­ten Arm hielt, durch­trennt. An­schlie­ßend schwang ich den Ober­kör­per wie­der nach oben, nahm eine Ab­wehr­hal­tung ein und schau­te mei­nem Geg­ner in die Au­gen.

In sei­nen zor­ni­gen Blick misch­te sich lang­sam ach­tungs­vol­les Stau­nen. Ohne in sei­ner Auf­merk­sam­keit nach­zu­las­sen, schau­te er auf sein rech­tes Hand­ge­lenk. So­bald er sei­nen Arm seit­lich oder mit dem Hand­rücken nach un­ten hielt, rutsch­te der Hand- und Un­ter­arm­schutz weg, da er nur noch un­ter­halb des El­len­bo­gens ge­hal­ten wur­de. Das Hand­ge­lenk war in die­sem Au­gen­blick un­ge­schützt und die Be­we­gungs­frei­heit be­hin­dert. Schnell ka­men sei­ne nächs­ten An­grif­fe. Bei ei­nem trug ich eine klei­ne Schnitt­wun­de am Un­ter­arm da­von, bei an­de­ren wur­de mei­ne Klei­dung wie­der in Mit­lei­den­schaft ge­zo­gen. Doch fast je­des Mal konn­te ich einen Ge­gen­an­griff aus­füh­ren, und nach ei­ni­ger Zeit stand er in ei­ner Rüs­tung vor mir, die ihn mehr be­hin­der­te als schütz­te. Der lin­ke Schi­en­bein- und Wa­den­schutz, der nur noch un­ten be­fes­tigt war, hing lose an sei­nem Bein und brach­te ihn bei man­chen Be­we­gun­gen fast zu Fall. Die rech­te Reiss­troh­san­da­le hat­te sich ge­löst, so dass er auf der So­cke stand. Bei die­sem Schnitt hat­te er auch die ein­zi­ge Ver­let­zung da­von­tra­gen müs­sen, eine klei­ne Wun­de auf dem Ober­fuß. Der rech­te Schul­ter- und Ober­arm­schutz war nur noch vorn be­fes­tigt und schlug in be­stimm­ten Si­tua­tio­nen vor sein Ge­sicht.

Als er sich noch ein­mal eine Blö­ße auf der rech­ten Sei­te gab, konn­te ich die un­te­re Ver­schnü­rung des Kü­rass durch­tren­nen. Den ef­fek­tivs­ten Scha­den rich­te­te aber mein letz­ter Ge­gen­an­griff an. Es war mir ge­lun­gen, die Schnur zu durch­tren­nen, mit der der Helm un­ter dem Kinn be­fes­tig­te war, so dass er nur noch von dem Haar­zopf ge­hal­ten wur­de, der durch das Loch in der Mit­te des Helms ge­zo­gen war. Er rutsch­te im­mer wie­der ins Ge­sicht, und die Halb­mas­ke ver­deck­te die Au­gen. Wenn er die nicht ge­tra­gen hät­te, hät­te ich die­sen Schnitt nicht ge­wagt, denn eine Ver­let­zung des Ge­sich­tes woll­te ich auf kei­nen Fall pro­vo­zie­ren. Doch da die Schnur über die Halb­mas­ke ge­zo­gen war, hat­te ich nur auf die­ser einen star­ken Krat­zer hin­ter­las­sen.

Schwer at­mend stand er vor mir. Ihm war mit Si­cher­heit klar, dass er aus die­sem Du­ell nicht mehr sieg­reich her­vor­ge­hen konn­te, aber ein­ge­ste­hen woll­te er es nicht. Um ihm die Ent­schei­dung ab­zu­neh­men, trat ich drei Schrit­te zu­rück, senk­te das Schwert und neig­te den Kopf.

Es war für ihn ein Di­lem­ma, denn er hat­te mich züch­ti­gen wol­len, weil ich es ihm ge­gen­über an Re­spekt hat­te feh­len las­sen und nun war ihm die nächs­te Schmach zu­ge­fügt wor­den. Er, ein Meis­ter des Schwert­kamp­fes, muss­te sich ein­ge­ste­hen, dass mei­ne An­grif­fe auch an­de­re Fol­gen hät­ten ha­ben kön­nen. Wenn er sich jetzt ge­schla­gen gab, war sei­ne Ehre noch mehr be­fleckt.

Doch nun tat Date Ma­sa­mu­ne, was wir vor­her ab­ge­spro­chen hat­ten. Er wand­te sich mit der Bit­te, et­was sa­gen zu dür­fen, an den Sho­gun. Nach­dem er die Er­laub­nis er­hal­ten hat­te, stand er auf, trat an Sa­na­da Ma­sa­no­ri he­r­an und sag­te so laut, dass alle es hö­ren konn­ten:

›Met­su­ke Sa­na­da Ma­sa­no­ri, es ist kei­ne Schan­de, die­sem Mann un­ter­le­gen zu sein. Er ist ein Groß­meis­ter der chi­ne­si­schen Ya­ma­bus­hi und in vie­len Kampf­ar­ten be­wan­dert. Er hat mir und mei­nen Die­nern das Le­ben ge­ret­tet, und ich bin ihm ver­pflich­tet, wes­halb ich ihn in un­ser Land ein­lud. Lei­der ha­ben ich und auch Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga ver­sagt, denn wir ha­ben ihn nicht ge­nü­gend mit un­se­ren Sit­ten und Ge­bräu­chen ver­traut ge­macht. Also trifft uns die Schuld an sei­nem un­höf­li­chen Ver­hal­ten. Wir müss­ten dir Ge­nug­tu­ung ge­ben, doch das ver­wei­ger­te er uns. Bei ei­nem Ge­spräch vor die­sem Kampf teil­te er mir mit, wie sehr er sein Fehl­ver­hal­ten be­dau­ert und dass er nichts sehn­li­cher wünscht, als die­se Schmach zu til­gen.‹

Er wand­te sich kurz mir zu und gab mir da­mit ein ver­ab­re­de­tes Zei­chen.

›Wenn­gleich es sei­ne Ehre nicht zu­lässt, sich schwä­cher zu zei­gen, als er ist, wird er sich dei­ner Gna­de oder Un­gna­de un­ter­wer­fen.‹

Bei die­sen Wor­ten hat­te ich mich auf mein lin­kes Knie her­ab­ge­las­sen, das Schwert ne­ben mein an­ge­win­kel­tes rech­tes Bein auf den Bo­den ge­legt und mei­nen Kopf ge­senkt. In die­ser Stel­lung war­te­te ich auf sei­ne Ent­schei­dung, denn der Dai­myo mein­te, er kön­ne nichts an­de­res mehr tun, als die Sa­che fried­lich bei­zu­le­gen. Da der Fürst in­des nichts dem Zu­fall über­las­sen woll­te, hat­te er noch ein paar Fä­den ge­zo­gen.

Die Ent­schei­dung fiel dem Met­su­ke nicht leicht, denn er emp­fand es als be­schä­mend, ei­nem wie mir so of­fen­sicht­lich un­ter­le­gen zu sein. Auf der an­de­ren Sei­te wäre es nicht mehr eh­ren­voll ge­we­sen, mich in die­ser Si­tua­ti­on zu züch­ti­gen. Die Zeit ver­rann, und un­schlüs­sig schau­te er auf mich her­ab. Aus den Au­gen­win­keln konn­te ich se­hen, dass sich To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da zu sei­nem Sohn hin­über­beug­te und ihm et­was zu­raun­te. Un­wil­lig sah der Sho­gun sei­nen Va­ter an, er­hob sich je­doch und for­der­te die Auf­merk­sam­keit al­ler An­we­sen­den.

Es wa­ren nur we­ni­ge Sät­ze, die er sprach, doch in sei­ner Stim­me lag et­was Be­stim­men­des. Als er ge­en­det hat­te, schau­te er fra­gend zu dem Met­su­ke. Der ver­neig­te sich tief vor ihm, dreh­te sich um, kam auf mich zu und for­der­te mich mit ei­ner Ges­te zum Auf­ste­hen auf. Als ich mich lang­sam, das Schwert lie­gen­las­send, er­ho­ben hat­te, schau­te er sich kurz um und rief Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga he­r­an, mit dem er ein paar Wor­te wech­sel­te, die Shi­ge­na­ga über­setz­te:

›Sa­na­da Ma­sa­no­ri hat mich ge­fragt, ob du ver­stan­den hast, was der Sho­gun ge­sagt hat?‹

›Nein.‹

›Das sag­te ich ihm auch schon, da du erst ei­ni­ge we­ni­ge Wor­te un­se­rer Spra­che ver­stehst. Des­halb soll ich dir das Ge­sag­te über­set­zen.‹

Er mach­te eine kur­ze Pau­se und ver­neig­te sich leicht in Rich­tung des Sho­gun.

›To­ku­ga­wa Ie­mit­su hat den Met­su­ke auf­ge­for­dert, die Strei­tig­kei­ten mit dir bei­zu­le­gen. Er sag­te, für ihn sehe es so aus, als wür­de dei­ne ver­meint­li­che Un­höf­lich­keit auf zwei Miss­ver­ständ­nis­sen be­ru­hen. Zum einen, weil Sa­na­da Ma­sa­no­ri an­nahm, dass du mit un­se­ren Um­gangs­for­men ver­traut seist, und zum an­de­ren, weil du nach dei­nem äu­ße­ren Er­schei­nungs­bild an­schei­nend im Rang weit un­ter ihm stehst. Na­tür­lich schützt Un­wis­sen­heit nicht vor Stra­fe. Da du aber ein Gast von Date Ma­sa­mu­ne bist und er die Ver­ant­wor­tung über­nom­men hat, wünscht er eine fried­li­che Bei­le­gung des Kon­flikts. Au­ßer­dem wur­de ihm be­rich­tet, du seist so et­was wie ein Ge­ne­ral.‹

Er­staunt zog ich die Brau­en hoch, doch Shi­ge­na­ga gab mir mit den Au­gen einen Wink und fuhr fort:

›Was ja be­deu­ten wür­de, dass ihr bei­de in etwa den glei­chen Rang habt, wes­halb die Höf­lich­keits­for­men dei­ner­seits gar nicht so hät­ten aus­fal­len müs­sen, wie er es er­war­tet hat­te.‹

Er deu­te­te nun auf mei­nen Geg­ner und über­setz­te, was die­ser dazu ge­sagt hat­te.

›Sa­na­da Ma­sa­no­ri hat er­kannt, dass du ein großer Bus­hi bist, und er ist sehr be­ein­druckt von dei­nen Fä­hig­kei­ten. Aus die­sem Grund und na­tür­lich weil der Sho­gun es so wünscht, wird er da­mit die­se un­glück­li­che Be­geg­nung als ver­ges­sen be­trach­ten. Doch er stellt eine Be­din­gung!‹

Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga hol­te tief Luft und sah mir un­si­cher in die Au­gen.

›Er möch­te mehr über dei­ne Art zu kämp­fen er­fah­ren. Aus die­sem Grund wünscht er, dass wei­te­re Tref­fen statt­fin­den, in de­nen du ihn un­ter­weist.‹

Das ge­fiel mir nicht so sehr, denn ich wuss­te ja nicht, was dar­aus ent­ste­hen wür­de. An­de­rer­seits war es in die­sem Mo­ment kaum mög­lich, ab­zu­leh­nen, ohne ihn schon wie­der zu be­lei­di­gen. Des­halb ver­such­te ich es mit ei­nem Kom­pro­miss.

›Ich wer­de sei­nem Wunsch na­tür­lich nach­kom­men, doch der Met­su­ke soll­te eins be­den­ken. Um den Stand der Kampf­fer­tig­kei­ten zu er­rei­chen, den ich jetzt habe, muss­te ich acht Jah­re lang täg­lich von mor­gens bis abends trai­nie­ren. Es gab in die­ser Zeit nur we­ni­ge Tage, an de­nen das Trai­ning aus­fiel, und vie­le an­de­re er­rei­chen die­sen Stand nie oder erst nach vie­len Jah­ren.‹

Shi­ge­na­ga über­setz­te syn­chron, was ich ge­sagt hat­te, und ich konn­te be­ob­ach­ten, wie sich die Mie­ne von Ma­sa­no­ri wan­del­te, erst ins Är­ger­li­che, dann ins In­ter­es­sier­te und schließ­lich in ein Lä­cheln.

›Ich mer­ke schon, es gibt viel zu er­fah­ren und zu ler­nen, auch wenn ich Ihre Kampf­fer­tig­keit viel­leicht nie­mals er­lan­ge.‹

In sei­ner Mie­ne war der Schalk nicht zu über­se­hen, also hat­te er mei­ne Tak­tik durch­schaut.

›Ich freue mich auf die Tref­fen mit ... Oh, ich ken­ne ja noch nicht ein­mal den Na­men mei­nes neu­en Freun­des. Wie darf ich Sie denn nen­nen?‹

›In Shao­lin nann­te man mich Gü Man und spä­ter als Meis­ter Xu Shen Po.‹

Er lach­te kurz auf, bück­te sich, hob das chi­ne­si­sche Schwert auf und prüf­te die Klin­ge.

›Nun denn, Xu Shen Po! Denn der an­de­re Name wäre eine Be­lei­di­gung.‹

Bei die­sen Wor­ten hielt er mir das Schwert mit Heft ent­ge­gen, doch als ich zu­grei­fen woll­te, zog er es wie­der et­was zu­rück.

›Aber bit­te vor­sich­tig, denn aus Er­fah­rung weiß ich, dass die Schnei­de recht scharf ist.‹

Ich nahm es ent­ge­gen und stell­te es mit der Spit­ze auf den Bo­den.

›Ich wünsch­te, es wäre nie ge­sche­hen‹, da­bei neig­te ich leicht den Kopf.

›Oh, nein, nein. Es ist gut so, denn ich mer­ke, dass die­se Be­geg­nung eine Be­rei­che­rung für mich sein wird. Es wäre nur bes­ser, wenn auch alle an­de­ren Sie als das er­ken­nen könn­ten, was Sie sind, und Sie nicht we­gen ih­res Äu­ße­ren für einen Cho­nin hal­ten.‹

Jetzt misch­te sich Date Ma­sa­mu­ne, der im­mer noch ne­ben uns stand, ins Ge­spräch.

›Das soll auch ge­sche­hen, doch lei­der geht es nicht so schnell, wie ich es wünsch­te. Zum einen möch­te ich, da er ja kein Ein­hei­mi­scher ist, die Er­laub­nis un­se­res Herrn ein­ho­len‹, er nick­te mit dem Kopf in Rich­tung Sho­gun. ›Und es ist auch noch zu klä­ren, wel­che Fa­mi­lie ihn auf­nimmt. Ich habe zwar schon ei­ni­ge in der en­ge­ren Wahl, doch ich muss erst mit de­ren Fa­mi­li­eno­ber­häup­tern spre­chen.‹

Als Shi­ge­na­ga das über­setz­te, horch­te ich auf und schau­te ihn ver­blüfft an.

›Nicht jetzt. Der Fürst woll­te und wird es dir er­klä­ren. Er ....‹

To­ku­ga­wa Ie­mit­su un­ter­brach un­ser Ge­spräch und for­der­te den Dai­myo auf, ihm zu fol­gen. Date Ma­sa­mu­ne kam der Auf­for­de­rung so­fort nach, denn der Sho­gun hat­te sich schon er­ho­ben. To­ku­ga­wa Hi­de­ta­da und zwei wei­te­re hohe Be­am­te schlos­sen sich an. Kaum wa­ren die ho­hen Her­ren un­se­ren Bli­cken ent­schwun­den, wur­den wir auch schon auf­ge­for­dert, das Burg­ge­län­de zu ver­las­sen. Mir war es nur recht, hoff­te ich doch, noch ein­mal glimpf­lich aus die­ser Si­tua­ti­on he­r­aus­ge­kom­men zu sein. Zu­sam­men mit Ka­ta­ku­ra Shi­ge­na­ga ging ich zu­rück zum fürst­li­chen An­we­sen. Un­ter­wegs er­klär­te mir mein Dol­met­scher al­les, was ich nicht ver­stan­den hat­te. Da­bei wur­de mir be­wusst, dass ich die Spra­che so schnell wie mög­lich er­ler­nen muss­te, um nicht noch ein­mal in der­lei Schwie­rig­kei­ten zu ge­ra­ten.«

Traum oder wahres Leben

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