Читать книгу Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band) - Joachim Ringelnatz - Страница 17
3. Kapitel: Auf hoher See
ОглавлениеNapoleon war ein großer Drückeberger. Bekam er irgendeinen Auftrag, der ihm nicht paßte, so stellte er sich an, als ob er nicht verstände, was man wolle, bis man ihn zuletzt »Deck schrapen« ließ oder ihm sonst eine leichte Arbeit anwies, bei der er sitzen konnte. Dann verstand er, holte sein Arbeitszeug, nahm irgendeine eifrige Stellung ein und – – – schlief ein.
Wir beide hatten uns recht gern, plauderten oft zusammen von unserer Vergangenheit, und er gestand mir, daß er zur See geschickt war, weil er etwas zu Hause ausgefressen hatte.
In der Kajüte wurde ich vom Steuermann oder Bootsmann aufgezogen und wie ein Schulkind ausgefragt. Ich war eben Schiffsjunge. Ich besann mich, daß mir meine Mutter einmal von dem beißenden Spott der Seeleute gesprochen hatte. Das war zutreffend.
Entfuhr mir bei irgendeiner Gelegenheit ein »Danke schön« oder »Bitte«, so lachten die anderen, und der Steuermann sagte: »Ach was, altes Aas, Dankeschön gibt's nicht zur See.«
Einmal bekam ich den Auftrag, etwas mit Teer anzustreichen, und als ich dabei den Teertopf ein wenig behutsam angriff, tauchte mir der Kapitän beide Arme zweimal bis zum Ellenbogen in die schwarze Masse, »zum Abgewöhnen« sagte er.
In manche Arbeiten konnte ich mich nur langsam hineinfinden. Ich war überhaupt sehr ungeschickt und zerbrach viele Teller, Gläser usw. Was die rein seemännischen Arbeiten betraf, so waren und blieben mir dieselben lange Zeit ganz unverständlich. Wenn der Steuermann plötzlich mit lauter Stimme das Kommando: »Heiß Groß-stengstachseil!« gab, so stürzte die ganze Mannschaft an Deck, an eins der vielen herunterhängenden Tauenden, bildete mit dem Bootsmann an der Spitze eine Kette, und während dieser eigentümlich durchdringende Rufe ausstieß, rissen alle im Takt danach an dem Tau. Wollten Paul oder ich im Hintergrunde dann fragen, was das zu bedeuten habe, dann gab uns jemand einen Stoß ins Genick und rief in rauhem Platt: »Rit, Bengels, rit!« Auf das Schlußkommando »Belay!« wurde das Tau an einem eisernen Nagel festgebunden, und jeder ging wieder an seine Arbeit, oder es kam ein neuer Befehl.
Mit oder ohne Willen wurde ich aber täglich klüger. Ich lernte die Zeiteinteilung an Bord nach Glasen und schrieb mir die Namen der zahlreichen Tauenden auf, um sie auswendig zu lernen.
Das letzte frische Brot, das für die Kajütsbewohner mitgenommen war, ging eines Tages zu Ende, und nun mußte ich mich an Schiffszwieback halten, der mir unter dem Namen Hundekuchen schon von Hause her bekannt war. Auch die Kartoffeln gingen aus. Man schickte sich mit der Zeit in die Verhältnisse und war zuweilen wieder heiter. Die weite, ungeheure Meeresfläche, die uns ununterbrochen umgab, freute mich.
Eines Morgens trieb ein Mast an uns vorüber. Die anderen beachteten das weiter nicht, aber für mich war's ein seltsam reizvoller Anblick. Ich mußte an Schiffsunglück, Meuterei und seemännischen Heldentod denken.
Paul Phené, alias Napoleon, teilte das letzte Stück Schokolade mit mir, das ihm seine Mutter mitgegeben, und ich mauste dafür den Rest Schnaps aus der Kajüte, auch eine Flasche Wein.
Kapitän Pommer war, wie alle Ostfriesen, ein anspruchsloser Esser, aber ein starker und verwöhnter Trinker. Im Grunde war er gutmütig, konnte jedoch sehr rauh und jähzornig sein. Als er eines Tages die Lampe zerbrach, tobte er furchtbar gegen mich, obgleich mich absolut keine Schuld traf. Ich war der Blitzableiter für alle seine Launen. Schmeichelworte wie Totenkopf, Specht, Aas, Bengel hatte er auch in der besten Stimmung für mich bereit.
Wir entdeckten ein Rudel Schweinsfische, große Tiere, die in forellenartigen Sprüngen vor dem Bug der »Elli« herschwammen. Anfangs hielten wir sie für Delphine. Es wurden eine alte Harpune und ein Dreizack hervorgesucht. Die Tiere entfernten sich aber bald.
Eines Tages brachte mir der Koch die Nachricht, daß er Walfische gesehen habe. Ich lief sofort an Deck. Der Steuermann, von meiner Neugier belustigt, rief mir zu: »Paß gut auf!«
Zunächst konnte ich die Tiere jedoch nicht finden, sondern hörte nur ein lautes Schnauben vom Wasser her. Erst als wir dicht vorüberfuhren, gewahrte ich sie plötzlich. Es waren zwei mächtige Exemplare, die, wie unser Schiff auf und nieder tauchend, ruhig nebeneinander vorüberschwammen. Ein großartiger Anblick! – –
Ganz erstaunlich war, was der Bootsmann im Essen leistete. Ich habe nie wieder einen Menschen so viel auf einmal vertilgen sehen.
Napoleon lehrte mich französische Lieder, unter anderen auch die Marseillaise, die wir dann gemeinschaftlich abends sangen. Einmal rief uns der Kapitän abends nach achtern, damit wir ihm das französische Revolutionslied vorsingen sollten. Als wir zögerten, ließ er uns durch den Bootsmann so lange an der Reling festbinden, bis wir seinem Willen nachkamen.
Wir bekamen jetzt häufiger Schweinsfische zu sehen. Jahn kletterte mit einer Harpune auf den Klüverbaum. Er lag lange auf der Lauer, konnte aber keines der vorsichtigen Tiere treffen. Der Schweinsfisch ist bei den Seeleuten sehr begehrt wegen seines schmackhaften Fleisches. An die Angel geht er nicht.
Wir waren nun acht Tage auf See. Ich hatte vielerlei gelernt, mußte aber nach wie vor unter roher Behandlung, außerdem unter Hunger und Mangel an Ruhe leiden. Auch war ich mitunter krank und durfte das dann nicht sagen; denn der Bootsmann hatte erklärt: »Kranksein gibt's auf einem Segelschiff nicht.«
Napoleon ging es ebenso schlecht. Der rohe Jahn goß ihm morgens einen Eimer Wasser über den Kopf und schlug ihn häufig. »Oh I will be glad when I return to Havre!« rief er ein über das andere Mal; er sprach gewöhnlich englisch mit uns.
Bei dem gräßlichen Einerlei der Kost suchte ich mir mitunter selbst etwas Außergewöhnliches zu bereiten. So stellte ich aus Zucker, Sirup sowie einer Flüssigkeit, die ich in einer kleinen Flasche in der Kajüte fand und die entweder Likör oder Medizin war, eine Art Bonbons her. Als ich einmal das Abendbrot für die Kajütsgäste auftrug, fand ich den Kapitän mit meinem Tagebuch beschäftigt, das er in meiner Koje entdeckt hatte. Er durchblätterte es schmunzelnd und las die ungünstigen Bemerkungen, die ich darin über den Bootsmann gemacht hatte, in dessen Gegenwart laut vor. Letzterer lächelte zwar dazu, aber dieses Lächeln war ein teuflisches und sagte mir deutlich: Na warte nur! Wenn wir erst allein sind! Zum Schluß gab mir der Kapitän Pommer das Buch zurück und meinte, ich solle nicht solchen Quatsch schreiben. Das sei verboten.
Ich wurde zum erstenmal auf den Klüverbaum geschickt, um ein Segel festzubinden. Jetzt müßten mich meine Freunde sehen, dachte ich, als ich so frei über den Wellen auf dem schwankenden Tau stand und das Wasser betrachtete, wie es sich unaufhörlich schäumend am Bug des Schiffes brach. Ob wohl jetzt in Leipzig einer meiner gedachte? Martin Fischer vielleicht, mein liebster Freund.
Der Wind wurde immer heftiger; infolgedessen ging die See immer höher, rollte die »Elli« immer unbändiger von der einen Seite auf die andere, rutschte ich fortwährend auf dem schrägen, durch das überspritzende Wasser glatten Deck aus und stieß mich überall. Wir liefen tolle Fahrt und mußten schließlich alle Segel festmachen.
»Steuermann, ist das ein Sturm?« fragte ich, aber der Steuermann lachte und sagte: »Das ist noch gar nichts.« –
Der Koch hatte den Versuch gemacht, Brot zu backen; das war aber mißlungen. Natürlich traf nur den Ofen die Schuld. Der Koch war, wie er mit großem Stolz erzählte, als Matrose gefahren. Trotzdem hatte er sich auf der »Elli« als Küchenmeister anmustern lassen, und wir armen anderen mußten nun unter seinen ersten Versuchen leiden. –
Sonntags gab es Pudding in Napfkuchenform, der aus reichlich Mehl und Wasser bestand. Auch Rosinen und Kakerlaken fanden sich darin. Als er ins Logis gebracht wurde, erprobte Jahn seine Festigkeit, indem er mit der flachen Hand kräftig daraufschlug, und dann rief er: »Wat, det Tüg solln wi fretten?« Jahn zwang Hermann, ein großes fettes Stück Salzfleisch hinunterzuwürgen, indem er ihm mit einem Tauende drohte. –
Er stahl auch, was er nur konnte. Trotzdem war etwas in seinem Wesen, was mir gefiel. Sein kräftiges, derbes Auftreten, seine sichere Geschicklichkeit und Ruhe bei der Arbeit und ein famoser trockener Mutterwitz standen ihm gut und verschafften ihm bei den übrigen Respekt.
Mit dem Hund blieb es die alte Geschichte. Wie er bald meine Wut, bald mein Mitleid erregte, verdrosch oder liebkoste ich ihn. Für Futter sorgte ich, so gut ich konnte, mußte aber selbst gründlich kennenlernen, was es heißt, Hunger leiden.
Kapitän Pommer gab mir ein Scheibchen Schinken, das ich mit Koch und Steuermann teilte, und das war ein so wundervolles Ereignis, daß ich ihm mehrere Zeilen in meinem Tagebuch widmete.
Der 28. April war ein prächtiger Sonntag. Die Sonne schien warm auf das ausgetrocknete Deck. Eine frische Brise wehte, und wir waren alle fideler Stimmung. Ich aß zum erstenmal, seit ich an Bord war, Salzfleisch, und zwar in ungeheurer Quantität, als wollte ich mich mit einem Male für die vorangegangenen vegetarischen Tage entschädigen. Dann kletterte ich in die Takelage, setzte mich auf die oberste Rahe und blickte über die weite, weite Wasserwüste.
Eigentümliche, große Empfindung, im Sturm in luftiger Höhe zu sitzen, mitten im Ozean, mit dem Gedanken, soundso viele Meilen vom Lande, von den Menschen und von der Heimat entfernt zu sein! Unter mir erschien das Schiff wie ein Plättbrett und die Menschen darauf wie große Käfer.
Einmal hörte ich Kapitän Pommer nach mir rufen: »Seppl, wo bist du?« Und als ich von meiner Höhe zurückgab: »Hier, auf dem Royl«, hörte ich ihn etwas wie »Verfluchter Bengel« wettern, aber es klang lachend und halb freundlich. Auch er war an diesem Tage gut aufgelegt. Nach dem Mittagessen sagte er, auf das Geschirr deutend: »So, nun schmeiß alles über Bord, und morgen deck's wieder auf.«
Es war wirklich ein strahlender Sonntag. Nicht einmal eine Hundezigarre fand ich auf meinem gewohnten Gang übers Achterdeck.
Nachmittags fand zum allgemeinen Gaudium ein Ringkampf zwischen mir und dem Franzosen statt.
Nur ein Übel machte sich an diesem Feiertag unangenehm bemerkbar: Wir litten Wassernot. Die Tanks waren bis auf einen kleinen Rest Wasser erschöpft. Dieser durfte als Notbestand nicht angerührt werden. Da kam uns das Regenwasser zustatten, das sich in einer leeren, an Deck befindlichen Salzfleischtonne angesammelt hatte. Gierig sogen wir alle an dem Schlauch, der in die nicht ganz klare Flüssigkeit getaucht wurde.
Je näher wir der Neuen Welt kamen, desto früher dunkelte es abends. Natürlich wurde auch die Uhr täglich entsprechend zurückgestellt. Der Montag verlief nicht so ruhig wie der vorangegangene Sonntag. Ich hatte mich auf die Lauer gelegt, um den Hund einmal beim Naschen zu erwischen, und faßte ihn auch richtig ab, als er im Begriff war, ein Stück Büchsenfleisch aus dem Spind zu holen. Ich erhielt für meine Denunziation vom Kapitän ein Stück Schinken als Geschenk.
Wir sichteten wieder Rudel von Schweinsfischen.
Eine regelmäßige Essenszeit hatte ich nicht, sondern aß während des Servierens oder in freien Augenblicken zu irgendeiner Stunde.
Bootsmann schlug mich mit der Faust und dann mit einem Tau auf den Kopf, weil ich den Tisch mit Werg anstatt mit einem sauberen Tuch abgewischt hatte. Ich verbiß den Schmerz, aber als ich allein war, hatte ich Mühe, Tränen zu unterdrücken.
Abends lag ich gewöhnlich noch lange in meiner Koje wach. Mit dem Mondschein, der durch die offene Tür in die Kammer drang, kamen oft sehnsüchtige Gedanken, die von meinen Idealen, von Freiheit und Abenteuern erzählten.
Nie hätte ich geglaubt, wie unendlich viele Farben und Eindrücke die beiden Elemente Meer und Himmel bieten können, bis ich es nun selbst sah.
Wir änderten jetzt unseren Kurs, doch war ich noch nicht Seemann genug, um dieses Manöver selbst wahrnehmen zu können. Ich wurde mit der fachmännischen Arbeit betraut, die Gottings auf der Großrahe zu überholen.
Den Hund mußte ich dreschen, weil er sich wieder in dem Lorbeerkranz verewigt hatte.
Ein großer Moment: Es gab zum erstenmal mittags Reis. Er war ohne jede Zutat nur in Wasser gekocht. Mit stiefelwichsähnlichem Sirup vermischt, schmeckte er mir aber ebenso gut wie einst Mutters Milchreis. Sirup war das Element, in dem ich nun schwamm.
Eines Tages erregte ein Schuß meine Aufmerksamkeit. Steuermann hatte eine Möwe geschossen.
Mit dem Koch war schwer auszukommen. Sein prahlerisches Wesen war mir zuwider. Es gab aber Stunden, wo er ein wenig, ich möchte sagen, wieder thüringisch wurde. Solche Stimmungen benutzte ich dann, um mir von ihm Aufklärung in seemännischen Fragen zu holen oder plattdeutsche Seemannslieder beibringen zu lassen: »Im Schottischen Hering zu Altona« – oder »Wenn hier en Pott mit Bohnen steit« und andere. –
Am ersten Mai sichteten wir Madeira. Der Hund fraß den zweiten Sammetschuh von Kapitän Pommer, was ihm wieder eine Tracht Prügel eintrug.
Abends schlug ich mich mit Paul, weil er in irgendeiner Sache nicht Wort gehalten hatte.
Meine Kammer sah traurig aus. Mit der Zeit traf ich verschiedene Verbesserungen und machte mir den Aufenthalt gemütlicher. Es war ja nur eine ganz winzige Ecke, wo ich meine freien Stunden zubringen konnte und wo ich schlief, aber um so größer war die Freude, wenn ich durch irgendeine simple Einrichtung, sei es durch Anbringung eines Bordes, sei es durch Aufhängung eines Liebig-Bildes, Schmuck oder Bequemlichkeit hineinbrachte.
Unglaublich war aber auch wirklich die Unsauberkeit um mich herum. Es war unmöglich, einen Brief zu schreiben oder sonst eine saubere Arbeit vorzunehmen.
Hinter Madeira wurde ich zum erstenmal ans Ruder geschickt, allerdings vorläufig unter Aufsicht. Ein Ehrenposten! Mit nicht geringem Stolz löste ich den Rudersmann ab und übernahm den Kurs und die Führung des Schiffes.
Das Ruder befand sich achtern auf dem Kajütsdeck. Der Mann, der es bediente, sah durchs Kajütsglasdach auf den Kompaß. Er konnte dabei auch den Mahlzeiten in der Kajüte zusehen. Was natürlich sehr interessant war. Ich stand in der Folgezeit häufig und gern am Ruder. Das war ein seemännischer, nicht anstrengender Posten, bei dem ich meinen persönlichen Gedanken nachhängen konnte.
Ein kleines Erlebnis prägte sich mir ein. Eine Schwalbe, auf der Rückreise aus dem Süden begriffen, hatte sich ermüdet auf dem Schiff niedergelassen und in meine Kammer geflüchtet. Das kleine, stahlblaue Tier gefiel mir. Ich beschloß, es zu fangen und auszustopfen. Verroht, wie ich durch meine Umgebung geworden war, griff ich das Tier und preßte ihm die Kehle zusammen, um es zu ersticken. Als ich aber sah, wie es vor Schmerz und Angst die schönen dunklen Augen verdrehte, dauerte es mich wieder, so daß ich es freiließ und in ein weiches Nest aus Werg bettete. Der kleine Vogel erholte sich und flog eines Tages von dannen.
Auf dem Gebiet der Kochkunst erlitt ich wieder Fiasko. Ein Kuchen, den ich aus getrockneten Kartoffeln und Zwieback herzustellen versuchte, mißriet völlig.
Die schrecklichste Arbeit für Paul und mich war das Heraufholen von Kohlen aus dem Kohlenschacht. Dieser enge Raum lag tief unten und war so schmutzig, daß man ihn stets ganz und gar schwarz verließ. Natürlich war er völlig dunkel. Eine steile, eiserne Leiter führte hinunter, und es war nicht leicht, mit den schwer gefüllten Eimern in der Hand wieder hinaufzuklimmen. Paul warf noch dazu gewöhnlich unten das Licht um, und dann stießen wir uns in der Dunkelheit bald hier bald dort die Köpfe.
Die nächsten Tage verliefen ziemlich unruhig. Es gab so viel zu tun, daß ich manchmal glaubte, nicht mehr mitmachen zu können.
Im Matrosenlogis machte sich die Unzufriedenheit mit der Kost immer lauter bemerkbar. Als der Koch eines Tages den Reis für die Mannschaft wieder besonders schlecht zubereitet hatte, ging Jahn mit der Schüssel zum Kapitän, hielt ihm den Reis vor und sagte in seiner trotzigen Art: »Captain, son Negerfraß kann man doch nicht fretten!« Die Folge war, daß es seitdem vorn kein warmes Frühstück mehr gab. Kapitän Pommer war entschieden kein Gourmet und meinte auch zu mir: Ich müsse recht rohe Kost essen, das sei gesund.
Einmal, als ich in meiner Koje im Begriff war einzuschlafen, sah ich Jahn in meine Kammer schleichen und sich an der Zuckerbüchse zu schaffen machen, die der Koch dort aufbewahrte. »Was willst du, Jahn?« rief ich, mich aufrichtend. Er stieß mich gegen das Kojenbrett, daß ich eine dicke Beule am Kopf bekam, Dann nahm er sich eine Handvoll Zucker und ging an Deck.
Zank und Schlägereien gab's immer. Steuermann schlug Jahn eine Beule. Dieser antwortete mit einem Schlag ins Auge, so daß Steuermann lange Zeit alle Perlmutterfarben im Gesicht trug. Meine Sympathie war im stillen auf Jahns Seite. Auch Bootsmann stritt sich oft mit Steuermann, und ich freute mich darüber, denn ich hatte beide hassen gelernt. Der Bootsmann, der größere Erfahrung und mehr Geschick hatte als der Steuermann, wollte sich von diesem nichts sagen lassen.
Am meisten hatte wohl der Hund zu leiden. Auch der Kapitän schlug ihn oft. Ich selbst behandelte ihn besser. Er war mein stiller Freund, und ich suchte ihm allmählich einige Kunststückchen beizubringen.
Die Kost an Bord wurde immer schlechter, und es erregte absolut kein Erstaunen, wenn ich mittags ein Stück getrockneten, leider sogar schon mehr flüssigen Stockfisches in Sirup tauchte, um wenigstens etwas Verdauliches zu erhalten.
Es kamen auch gute Stunden. Wenn die Matrosen abends in der kühlen Dämmerung nach vollbrachter Arbeit sich an Deck lagerten und jene schlichten Volkslieder anstimmten, die selbst im rohesten Gemüt freundliche Erinnerungen hervorrufen, dann beschlich mich ein wehmütiges Gefühl. In schönen Nächten schlief ich an Deck unterm freien Himmel. Den Sonntag suchte ich durch allerlei Kurzweil zu vertreiben. Ich machte Dressurversuche an dem namenlosen Hund, ich malte auf alle möglichen und unmöglichen Papiere Seelandschaften, die bei den Matrosen Anklang fanden, aber unter ihren Händen entzweigingen.
Hermann, dem Leichtmatrosen, gegenüber war ich übrigens in dieser Kunst nicht konkurrenzfähig, denn er zeichnete äußerst geschickt und war von seinen Eltern eigentlich auch für die Malerkarriere bestimmt. Schließlich griff ich aus Langeweile zur Nähnadel und – – – tätowierte meine Arme.
Die Gespräche der Seeleute boten oft viel Amüsement. Ich hatte Mühe, ernst zu bleiben, wenn Jahn und Gustav sich stritten, ob es der Hund oder das Hund hieße und dergleichen.