Читать книгу Fee und der Schlangenkrieger - Joanne Foucher - Страница 6

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Fees Referat

„Wenn die Welt ein besserer Ort wäre, gäbe es kein Hallstatt C“, erklärte Schlotte, als Fee ihr von ihrem Abenteuer erzählte.

Fee lachte. Schlotte schrieb ihre Magisterarbeit über Siedlungskeramik aus der Zeitstufe Hallstatt C und war von der Materialsuche genervt.

„Und dann habt ihr die ganze Nacht im Arbeitsraum gesessen, Pizza gegessen und Filme geguckt? Richtig so!“

Schlotte drückte auf die Klingel neben der Glastür und kurz darauf ertönte der Summer. Sie schoben die Tür auf, riefen Frau Wagner einen Gruß zu und blieben am Glaskasten stehen.

„Eine Exkursion!“, rief Fee begeistert und las sich den Aushang durch. „Schon nächste Woche! Komm Schlotte, da fahren wir mit!“

„Was soll ich denn in Sachsen-Anhalt?“, fragte Schlotte skeptisch.

„Steht doch da, Feldbegehung! Das wird lustig, komm schon!“

„Aber ich würd viel lieber die Zeit nutzen um meine Materialaufnahme endlich abzuschließen. Und überhaupt, wer hängt denn eine Woche vorher erst eine Ankündigung für eine Exkursion aus? Das kriegt doch niemand so schnell organisiert.“

„Ach komm, die soll nur fünf Tage gehen. Das wird für deine Materialaufnahme jetzt nicht den Unterschied machen! Auf der anderen Seite hättest du fünf Tage Urlaub von Hallstatt C!“

„Ich bin doch sowieso nicht in dem Seminar“, wandt Schlotte ein, „der nimmt mich doch gar nicht mit.“

„Die Exkursion ist nicht an mein Seminar gebunden“, sagte eine Stimme hinter ihnen. Fee und Schlotte drehten sich um. Herr Maler stand vor ihnen.

„Werden wir die Himmelsscheibe von Nebra sehen?“, fragte Fee.

„Das halte ich für eher unwahrscheinlich“, er sah sie verächtlich an, „die wird unter Hochsicherheitsvorkehrungen untersucht und restauriert. Ich denke nicht, dass sie die jemandem zeigen, bevor die Analysen abgeschlossen sind, aber vielleicht machen sie ja eine Ausnahme, wenn sie hören, dass Frau Maiwald aus Bonn persönlich vorbeikommt.“

„Hätt’ ja sein können, dass Sie da bekannt sind. Ich dachte, Sie haben da vielleicht connections!“

Herr Maler warf ihr einen abschätzigen Blick zu und ließ sie dann ohne ein weiteres Wort stehen. Fee sah ihm unglücklich nach.

„O je, jetzt ist er schon wieder sauer auf mich! Ausgerechnet heute, wo ich gleich mein Referat bei ihm halten muss.“ Sie verlagerte das Gewicht der Kiste, die sie unter dem Arm trug und zuckte mit den Achseln. „Komm, tragen wir uns in die Exkursionsliste ein, bevor ich meinen Vortrag verhaue und er Frau Wagner verbietet, mir die Liste zu geben!“

„Fee stellt also die verschiedenen Phasen der Cucuteni-Kultur vor und erklärt, wie sich in den einzelnen Stufen die Verzierung ändert“, erzählte Florian nach dem Referat enthusiastisch. Schlotte, Fee, Florian, der Schwarze Schlumpf, Herr Richter und Dora, Florians Exfreundin, saßen in der Mensa. Fee aß grinsend ihre Gemüsepfanne und hörte Florians Bericht zu.

„Wie heißt diese Kultur?“, fragte Dora und schob sich eine Gabel Rinderragout in den Mund.

„Cucuteni-Tripolje-Kultur“, antwortete Florian, „und Fee erklärt also die verschiedenen Verzierungen und holt dann aus ihrem Karton Gefäße, die sie nachgetöpfert hat, eins in jedem Stil und gibt die rund. Der Maler sah aus als wüsste er nicht wie ihm geschieht.“

„Ich glaube, der dachte, ich wollte ihn verarschen“, sagte Fee. „Hey Raphael, setzt du dich zu uns?“

„Klar“, sagte Raphael, der eben gekommen war. Er stellte sein Tablett auf den Tisch, ließ sich neben Fee nieder und zog seine Jacke aus. „Coole Aktion übrigens vorhin mit den Gefäßen. Was isst du denn da?“ Die letzte Frage galt Dora.

„Ach, Scheiß mit Reis“, antwortete sie, und stocherte lustlos in ihrem Ragout herum, „das war als Rinderragout ausgeschrieben, aber eigentlich ist es der Rinderschmorbraten von vorgestern mit den Resten von oben, aus der Asienabteilung. Echt widerlich.“ Raphael setzte sich, beugte sich zu Doras Teller und inspizierte das Gemüse. „Stimmt“, sagte er, „schmeckt’s denn wenigstens?“

Dora zuckte mit den Achseln.

„Es ist genießbar, schmeckt nicht wirklich. Aber ich hab einfach so großen Hunger.“

„Tja“, sagte Florian, „Hunger ist, wenn man trotzdem isst. Jedenfalls hab ich den Maler noch nie so erlebt. Das Referat war ja gut, da konnte man dir echt nichts vorwerfen, Fee, und dann oben drauf noch diese Töpfe? Er sah ziemlich unglücklich aus.“

„Ja, er hatte sich bestimmt schon gefreut, mich fertig zu machen.“ Fee lächelte zufrieden.

„Das fing schon vor dem Referat an“, bestätigte Herr Richter, „als du deinen Rechner hochgefahren hast und dein Wallpaper an die Wand projeziert wurde.“

„Echt, hat er da was gesagt?“

„Nee, gesagt nicht, aber er sah aus, als ärgerte ihn, dass ihn das gefiel, was du da gemalt hattest.“

„Stimmt“, sagte Schlotte, „das Bild, das du von der Waldgöttin gemalt hast, ist dein Wallpaper, oder?“

Fee nickte.

„Super schönes Bild“, sage Raphael. Fee lächelte ihm erfreut zu.

„Und du hast die Gefäße echt selbst gemacht?“, fragte der Schwarze Schlumpf.

Fee nickte.

„Isst du die noch?“, fragte Dora und deutete auf Florians Apfelsine.

„Allerdings!“, sagte Florian ohne sie anzusehen.

„Ich töpfer’ öfter. Macht mir Spaß.“

„Kann ich dann ’ne Hälfte haben?“, fragte Dora.

Florian lachte, kopfschüttelnd.

„Die waren aber nicht gebrannt, die Gefäße, oder?“, fragte Raphael und Fee schüttelte den Kopf.

„Drei Gefäße hattest du, oder?“, fragte Schlotte.

„Vier.“

„Wann hätte sie die denn noch brennen sollen?“, fragte Herr Richter. „In der knappen Vorbereitungszeit.“

„Ein Wunder, dass du's überhaupt geschafft hattest, die vorher noch fertigzustellen und trocknen zu lassen“, sagte der Schwarze Schlumpf.

„Ja, das letzte war auch nicht ganz durchgetrocknet.“

„Und wo sind sie jetzt?“, fragte Florian und langte über den Tisch, um sich seine Apfelsine zurückzuholen.

„Ich hab sie in der Bibliothek geparkt.“

„Komm schon!“, bettelte Dora.

„Wenn Du so gerne eine Apfelsine willst, hättest du dir auch eine nehmen sollen, anstatt Salat“, sagte Florian streng und Schlotte und Fee lachten.

„Wo kann man denn Tonwaren in Bonn brennen lassen?“, fragte Raphael.

„Im Baumarkt.“

„War ’ne sehr coole Aktion. Das Gesicht vom Maler war herrlich.“

„Hey, weißt du was, Fee?“ Schlotte hatte eine Idee. „Warum töpferst du mir nicht einen Glockenbecher, den schieben wir dem in meiner Magisterarbeit unter, mal gucken ob er’s merkt.“

Fee und Raphael lachten.

„Der merkt das garantiert“, sagte Fee.

„Ja“, stimmte Herr Richter zu, „der ist so pedantisch, der prüft garantiert jeden Topf doppelt und dreifach nach.“

„Zum Glück hat er in Wirklichkeit nichts mit meiner Magisterarbeit zu tun.“

„Ach, der liest bestimmt jede Magisterarbeit im Institut“, widersprach Raphael, „so beurteilungsgeil wie der ist…“

Schlotte lachte laut auf.

Florian griff über den Tisch nach Doras Handgelenk.

„Gib mir meine Apfelsine wieder! Jetzt ist gut!“

„Aber ich hab Hunger!“

Zur selben Zeit saß Thomas Maler in seinem Büro und versuchte, sich auf den Aufsatz, den er für die Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte schrieb, zu konzentrieren. Hannah Maiwald ging ihm nicht aus dem Kopf, und er ärgerte sich darüber. Dieses unverschämte Mädchen. Was war denn das für ein Referat gewesen? Seit wann töpferte man denn die Gefäße nach, das war keine wissenschaftliche Arbeitsweise! Ein unreifes Kind, nicht fähig, sich dem Thema sachlich zu nähern, ein albernes Mädchen, mehr war sie nicht! Thomas rollte mit seinem Bürostuhl näher an seinen Schreibtisch heran und las den letzten Satz noch einmal. Das Problem war, dass an ihrem Referat nichts auszusetzen gewesen war. Sie hatte die Chronologie abgehandelt, die Forschungsgeschichte, die Ausbreitung der Siedlungen, die Kultfiguren, die Berührungsgebiete der Cucuteni- und der Tripoljekultur. Alle mit dem Thema verbundene Problematik hatte sie klar dargestellt. Sie hatte die Ortsnamen falsch ausgesprochen, aber das auch nur beim ersten Mal. Nachdem er sie einmal berichtigt hatte, hatte sie sich gemerkt, dass die i-s am Ende stumm waren und die T-s mit einem Punkt drunter als Z gesprochen wurden. Er sah ihr glückliches Lächeln vor sich, als sie das erste Gefäß aus dem Karton holte. Sie wusste, dass sie ein unkonventionelles Medium einsetze und sie hatte sich gefreut, dass sie ihre Kommilitonen überraschen konnte. Thomas ärgerte sich. Ihre Gefäße waren gut gewesen. Und die Abbildungen, die sie gezeigt hatte, waren tadellos gewesen, nicht einmal den Gefallen, schlechte oder unscharfe Bilder oder schwarz-weiß-Fotografien zu benutzen, hatte sie ihm ihm getan.

Er versuchte, sich wieder auf seinen Aufsatz zu konzentrieren und dachte dann daran, dass sie sich für die Sachsen-Anhalt-Exkursion angemeldet hatte. Er wollte nicht, dass sie mitfuhr. Da merkte selbst Thomas schließlich auf. Wieso ärgerte sie ihn so? Etwas hatte sie an sich, das ihm auf die Nerven ging. Was war das? Sie nahm die Archäologie nicht ernst, das war es. Sie war zu fröhlich und unkonzentriert für eine ernsthafte Studentin. Thomas nickte. Ja, sie ging ihm auf die Nerven. Und die Sachsen-Anhalt-Exkursion nächste Woche belastete ihn auch, auch wenn er nicht genau sagen konnte, wieso.

Er schob die Gedanken an beide Themen beiseite und arbeitete noch einige Stunden konzentriert weiter. Dann griff er nach seiner Sporttasche und machte sich auf den Weg ins Fitnessstudio, heute war Mittwoch.

Donnerstags zwischen 10 und 12 Uhr hatte Thomas Sprechstunde. In der Regel empfand er diese als lästige Pflicht, die ihn bei seinen Forschungen unterbrach. Die schlimmste Zeit zu Anfang des Semesters, in der Nachzügler noch schnell in sein Seminar nachrücken, Referatstermine umlegen und Ähnliches von ihm wollten, war jedoch vorüber und Thomas hoffte, dass ihn außer den Referenten der nächsten Sitzungen niemand belästigen würde. Er öffnete die Datei „Exkursionsplan“ und starrte finster auf die vorgesehene Route. Es war alles organisiert, die Teilnehmer hatten den Betrag überwiesen, der Universitätsbus war bestellt und die Unterkünfte waren bestätigt. Wieso nur überkam ihn stets ein ungutes Gefühl, wenn er an die Exkursion dachte?

Er dachte an Michaela Thomas und musste lächeln. Sie hatte seinen Ratschlag befolgt und sich ebenfalls für die Exkursion angemeldet. Er hoffte, dass sie hinsichtlich ihres bronzezeitlichen Prüfungsthemas von der Zeit in Sachsen-Anhalt profitieren würde. Sie hatte es verdient, eine so vorbildliche Studentin… Nicht, dass jemand, der so fleißig war, Hilfe brauchte; er war sicher, dass sie auch so eine hervorragende Prüfung machen würde. Gestern im Fitnessstudio hatte sich gezeigt, dass sie ebenso konzentriert trainierte, wie sie studierte. Er war sehr beeindruckt von ihrer Disziplin. Sie waren sich einig gewesen, dass sie öfter gemeinsam trainieren sollten, beide hatten den Abend genossen. Wie kam es nur, dass sie mit dieser Chaotin befreundet war?

Und wie immer, wenn man vom Teufel sprach, kam er vorbei und klopfte an die Türe.

Frau Maiwald trug ein kurzes schwarzes Kleid und flache Schuhe. Sie sah sehr hübsch aus, und ihm schoss durch den Kopf, dass ihre Freunde sie Fee nannten. Irgendetwas an ihren kurzen Haaren oder den Augen, in denen jeden Moment ein schalkhaftes Lächeln aufblitzte, ließ ihn denken, dass der Name zu ihr passte.

„Frau Maiwald“, sagte er und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, „was kann ich für Sie tun?“

„Ich wollte mir eine Rückmeldung zu meinem Referat von Ihnen abholen“, sagte sie und legte den Kopf schief, „und fragen, worauf ich bei der schriftlichen Hausarbeit achten soll, ob ich auf irgendetwas noch genauer eingehen soll oder so.“

„Legen Sie mir nur keine nachgetöpferten Gefäße mit rein.“

Frau Maiwald lachte.

„Ich wollte die Hausarbeit eigentlich in Keilschrift schreiben und Tontafeln abgeben“, sagte sie, und er musste grinsen, „aber dann dachte ich, nee, das wär ein fieser Anachronismus.“

„Ich danke Ihnen“, sagte Thomas und wies auf den zweiten Stuhl, „nehmen Sie platz.“

Sie dankte ihm und setzte sich.

„Also, ihr Referat war in Ordnung“, sagte er, „gehen Sie in der Hausarbeit noch etwas mehr auf die Domestikation des Pferdes ein. Lassen Sie sich nicht zu Spekulationen hinreißen, Frau Maiwald, Sie scheinen mir über sehr viel Kreativität zu verfügen, aber halten Sie sich mit zu kühnen Äußerungen zurück. Bedenken Sie, wir können in Tripolje A bereits Pferdeknochen und Pferdefigurinen nachweisen. Es vergehen aber noch mindesten 600 Jahre, bevor in den Kurgan-Kulturen Reiterei belegt ist. Im Sredny Stog IIa, um genau zu sein.“

„Natürlich“, sagte Frau Maiwald beherrscht, „in Dereivka. Levine sieht das allerdings anders.“ Sie kannte die Arbeiten von M.A. Levine. Vielleicht tat er ihr Unrecht.

„Vielleicht tue ich Ihnen Unrecht, Frau Maiwald. Lassen Sie mich Sie warnen. Die Gefäße, die Sie nachgetöpfert haben, waren eine schöne Idee, sie haben das Referat auf jeden Fall aufgelockert, aber Sie müssen aufpassen, dass Sie nicht den Eindruck erwecken, unwissenschaftlich zu sein.“

Sie zuckte zurück.

„Unwissenschaftlich? Aber wieso denn das? Wenn ich echte Gefäße gehabt und die mitgebracht hätte, würden Sie doch im Traum nicht darauf kommen, das unwissenschaftlich zu finden, oder? Ich hab mir die Gefäße nicht ausgedacht, ich hab Originale nachgetöpfert, ich hab da sehr genau drauf geachtet!“

„Frau Maiwald, ich will Sie nicht ärgern. Ich sage nur, Sie müssen aufpassen, dass man Sie nicht als Unterhalterin sondern als Wissenschaftlerin ernst nimmt.“

Sie sackte in sich zusammen und seufzte.

„Naja“, sagte sie dann, „in Ordnung.“

Ihr Blick blieb an der Wand hängen. Eine steile Falte stand zwischen ihren Augenbrauen. Er hätte gern gewusst, was sie dachte. „Na gut“, sagte sie und wollte aufstehen. Da tat sie Thomas mit einem Mal leid.

„Frau Maiwald, Ihr Referat war gut. Ich glaube nicht, dass Sie unwissenschaftlich sind. Ich sage nur, passen Sie auf, dass Sie das auch 'rüberbringen.“

Frau Maiwald biss sich auf die Unterlippe. Sie sah ihn unglücklich an. Thomas schüttelte innerlich den Kopf über sich selbst. Er hatte sie ärgern wollen, er hatte es geschafft. Nun saß er hier und fühlte sich deswegen mies. Er war einfach übers Ziel hinausgeschossen, er hatte sie verunsichert. Das hätte er nicht tun dürfen, denn das war wirklich unwissenschaftlich. Er war schließlich ihr Dozent und sie hatte ihn um seine fachliche Meinung zu ihrem Vortrag gebeten.

„Wissen Sie“, sagte sie langsam, „ich tu mich wirklich schwer mit der Art, wie wir Wissenschaft betreiben.“

„Inwiefern?“

„Naja, am Anfang… da war ich total begeistert von meinem Studium, aber dann hab ich irgendwie den Glauben an das Fach verloren. Finden Sie nicht, so wie wir hier Archäologie machen, verfehlen wir total das eigentliche Ziel, unsere eigentliche Aufgabe? Wir forschen und erschaffen Kategorien und Typologien… wir ordnen Funde in Systeme ein, und wir lassen völlig die Menschen außer acht, die damals diese Gegenstände hergestellt haben.“

Tom nickte.

„Wir erschaffen kein lebendiges Bild vom Leben der Menschen damals. Wir schaffen nur weitere Systeme, in die wir irgendetwas einordnen können.“

„So funktioniert Archäologie eben“, sagte Tom.

„Ja? Funktioniert das wirklich? Glauben Sie, dass auch nur ein einziges der Chronologiesysteme, mit denen wir arbeiten, auch nur ansatzweise irgendetwas mit den tatsächlichen Verhältnissen damals zu tun hat?“

„Das sind Grundlagen, Frau Maiwald, die Sie beherrschen müssen. Sie stellen Gerüste dar, in die Sie dann ihren jeweiligen Befund einhängen können.“

Das musste sie doch eigentlich wissen, sie war schließlich im Hauptstudium! Thomas beobachtete, wie ihr Gesicht lebhaft wurde.

„Oh, das ist mir schon klar, Herr Maler“, sagte sie und ihr Tonfall klang ein wenig spöttisch, „ich bin auch in der Lage, mich in Chronologien und Typologien einzuarbeiten und mit ihnen umzugehen.“

„Ich bin froh, das zu hören.“

„Mein Problem ist eher, dass ich mich frage, ob diese Gerüste, die wir erschaffen, tatsächlich irgendetwas mit der damaligen Realität zu tun haben. Glauben Sie wirklich, irgendein bronzezeitlicher Töpfer hat sich gedacht, ,hm, wir verwenden jetzt viel mehr Bronze als Kupfer, ein neues Zeitalter hat begonnen! Am besten, ich gebe allen meinen Gefäßen von jetzt an eine neue Form?' Oder, im Fall der Cucuteni-Kultur, eine neue Verzierung?“

So was haben wir nie gedacht, dachte Thomas und fragte sich, was das für ein Gedanke war. Er war abgeschweift. Er hatte sich geärgert über die flapsige Art und Weise, wie sie argumentierte, aber eigentlich musste er zugeben, dass sie den Nagel auf den Kopf traf.

„Ach, wissen Sie, Fee, wir können nur mit dem arbeiten, was die Funde hergeben, gerade innerhalb der Vorgeschichte…“, sagte er nachdenklich. „Ohne Schriftquellen beschränkt sich das eben auf Beschreibung und den Versuch einer logischen daraus folgenden Erklärung.“

„Geht’s Ihnen gut?“, fragte Frau Maiwald und Tom bemerkte, dass sie ihn aufmerksam ansah, „Sie sind plötzlich ganz blass geworden.“

„Tatsächlich?“ Thomas schob den seltsamen Moment beiseite. „Nein, ich bin zwar gerührt, dass Sie sich Sorgen um mich machen, Frau Maiwald, aber mir geht es gut. Wenn Sie noch mal Fragen zu Ihrer Hausarbeit haben, kommen Sie wieder.“

Frau Maiwald nickte, stand auf und ging.

Am Freitag nach dem Kolloquium überredete Schlotte Ela, mit ins Zebulon zu kommen. „Ich muss noch packen“, wandt diese sich.

„Muss ich auch“, wiegelte Schlotte ab, „das kannst du später noch machen. Komm schon, Fee wird auch da sein.“

Ela blickte zögernd den Flur hinunter. Tom verschwand in seinem Büro und zog die Tür hinter sich zu. Offenbar hatte er noch Arbeit vor sich und ging nicht mit ins Zebulon.

„Nein“, sagte sie schließlich, „hab einen schönen Abend mit Fee. Aber ich muss nach Hause, ich hoffe, ich krieg den Zug überhaupt noch… ich seh’ euch dann morgen. Wann fahren wir los?“

Schlotte verdrehte die Augen.

„Um zehn, vorm Hauptgebäude.“

„Alles klar.“

„Ela! Wir fahren um acht ab! Für jemanden, der sich so auf Leistung stresst, bist du echt enorm verpeilt. Wie bist du bloß zur Klausur rechtzeitig im richtigen Hörsaal aufgetaucht?“

Fee wartete an einem der hinteren Tische, als Schlotte ins Zebulon kam. „Wie war das Kolloquium?“, fragte sie. „Gut“, sagte Schlotte und bestellte sich ein Bier. Fee trank Rotwein. „Du solltest auch mal kommen.“

„Göttin bewahr' mich“, sagte Fee und Schlotte wunderte sich, denn anders als sonst lachte Fee dabei nicht. „Nachher denkt noch jemand, ich wär’ wissenschaftlich interessiert“, sagte sie in zynischem Tonfall.

„Was?“, fragte Schlotte und Fee erzählte ihr von ihrem Gespräch mit Herrn Maler.

„Der geht ja total ab“, stellte Schlotte schließlich fest, „was für’n Spinner. Und davon lässt du dich aus der Ruhe bringen?“

„Naja“, sagte Fee bedrückt, „ich find das so bescheuert, ich hab das Gefühl, der hat das aus purer Schikane gesagt. Mal ehrlich, das war doch Quatsch, oder?“

„Natürlich. Nur weil der zum Lachen in den Keller geht, hindert das alle anderen noch immer nicht daran, es zu verkraften, wenn jemand ein lebendigeres Referat hält als der dröge Durchschnittstudent und trotzdem zu erkennen, dass das wissenschaftlichen Wert hat. Was für’n Arschloch.“

Fee lächelte Schlotte dankbar an. Ihre Loyalität bedeutete ihr viel.

„Ich frag mich nur, wieso er mich so kacke findet. Ich meine, so richtig mich, persönlich.“

„Ich glaub, das kommt dir nur so vor.“

Fee schüttelte den Kopf. „Ich glaub eher, dass der eigentlich gerne locker wär. Weißt du, der geht so ab auf Forschen und Arbeiten und bloß nichts als Archäologie den ganzen Tag lang, dass der überhaupt keinen Spaß am Leben hat. Und dann darf das bitte auch sonst niemand haben. Und deswegen fühlt er sich persönlich davon provoziert, wenn jemand wie ich herumflattert und ihm demonstriert, dass es Leute gibt, denen seine Werte egal sind.“

Schlotte nickte langsam. Etwas überspitzt formuliert vielleicht, aber sie war sicher, dass Fee die Situation erfasst hatte.

Fee kaute auf ihrem Daumennagel herum. Dann zuckte sie mit den Achseln.

„Weißt du, einen Augenblick lang dachte ich gestern, ich hätt’s möglicherweise mit ’nem normalen Menschen zu tun. Er hat mich Fee genannt, weißt du. Ich hätt’ nie gedacht, dass er weiß, dass ich so genannt werde. Aber bei dem darf man nie nachlassen in der Wachsamkeit, der ist nämlich nicht normal. Bam, da würgt er dir wieder eine rein. Der tickt nicht richtig.“

„Du magst ihn!“

Fee rieb sich die Stirn.

„Um Gottes Willen, Fee, der Typ spinnt! Abgesehen davon, dass er ein Dozent ist.“

„Ich will ja nicht wirklich was von ihm, du liebe Zeit.“ Fee zog eine Grimasse. „Ich find ihn nur interessant und ich dachte, … ja, keine Ahnung… irgendwie mag ich ihn bestimmt, aber ich weiß, dass der gestört ist… ist ja auch egal.“

„Komm Fee, da gibt’s echt nettere, normale Männer. Du musst doch mitgekriegt haben, dass Raphael hin und weg von dir ist?“

Fee öffnete den Mund um zu widersprechen, dachte nach und schloss ihn wieder. Dann lächelte sie. „Echt?“

Fee und der Schlangenkrieger

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