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1. Narrenschwämme oder Fleisch der Götter Gedanken zur Geschichte und Erforschung von Zauberpilzen

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„Zu gering ist kein Ding, selbst kein Pfifferling.“

Altes Sprichwort

Es ist erstaunlich, dass bedeutend mehr bewusstseinsverändernde Naturprodukte den Völkern auf dem amerikanischen Kontinent bekannt waren, als es sich für die frühen Kulturen Europas und Asiens nachweisen lässt. Die Existenz von bedeutend weniger Pflanzen mit halluzinogener Wirkung in Europa lässt sich botanisch nicht begründen. Auch die immer umfangreicher werdende Zahl europäischer Pilzarten mit Psilocybin als Inhaltsstoff, die erst in den letzten Jahren entdeckt wurden, beweist das Vorkommen einer psychotropen Mykoflora bei uns, die der anderer Länder vergleichbar ist.

Da nicht anzunehmen ist, dass die Menschen der Frühzeit in Europa sich weniger Pflanzen und Pilze durch unmittelbare Erfahrung erschlossen hätten als anderswo, muss ein Verlust dieser Kenntnis schon vor mehreren Jahrhunderten eingetreten sein.

Durch die Entdeckung der Verwendung des Fliegenpilzes als psychotrope Substanz in Sibirien wurde auch auf die frühe Verwendung dieser Pilzart in Europa geschlossen. Tatsächlich existieren recht spärliche Zeugnisse aus dem Mittelalter über die verbreitete Kenntnis der Wirkung spezieller Pilze auf das menschliche Bewusstsein. Ich glaube aber, dass diese Berichte in der Vergangenheit oft willkürlich dem Fliegenpilz zugeordnet wurden, weil er die einzig bekannte psychotrope Art Europas war. Die spektakulären Halluzinosen durch den Verzehr dieser Spezies bei den sibirischen Stämmen traten in dieser eindrucksvollen Form bei den europäischen Intoxikationen nie auf. Es ist daher anzunehmen, dass die ausgeprägt halluzinatorischen Wirkungen einzelner Psilocybe-Arten und ihrer Verwandten in der Vergangenheit die Menschen Europas weitaus stärker beeindruckt haben als die oft an Delirien erinnernden Erscheinungen nach Verzehr des Fliegenpilzes mit ihrem meist auftretenden Bewusstseinsverlust und den starken körperlichen Nebenwirkungen. Diese Annahme wird auch durch analoge Ergebnisse der umfangreichen Feldforschung aus Mexiko unterstützt. Ich beziehe daher die folgenden Zeugnisse der Kenntnis psychotroper Pilze aus Europa eher auf die Psilocybe-Arten oder verwandte Spezies als auf den Fliegenpilz, ohne dass eine abschließende Bewertung heute noch möglich ist.

Die Pilzverwendung spiegelt sich sogar noch in der Sagenwelt wieder. So wird darin über einen sonderbaren Giftpilz aus Wales mit dem eigenartigen Namen Bwyd Ellylon berichtet, den die Elfen als Leckerbissen verspeisen, wenn sie Geisterfeste feiern. Die Psilocybe semilanceata als wichtigster psilocybinhaltiger Pilz Europas wächst gerade in diesem Teil Großbritanniens zur Herbstzeit in Massen.

G. Samorini verdanke ich den Hinweis, dass die Inquisition in den Alpentälern von Valcamonica, Valtrompia und Valtellina (Provinzen Brescia und Sandrio, Norditalien) besonders wütete. Viele Bücher berichten über die zahllosen Hexenverbrennungen in dieser Region, wobei die Treffen der Hexen am „Monte del Tonale“ in 2000 m Höhe in der Literatur am meisten erwähnt werden. Die Feldforschungen ergaben, dass die Nachtschattengewächse („Hexenkräuter“) in diesen Höhen nicht mehr wachsen; auch das Vorkommen des Fliegenpilzes ist selten. Die Psilocybe semilanceata findet man dagegen dort auf den Weiden im Herbst kiloweise. So erscheint es wahrscheinlich, dass die Pilzart in diesem historischen Rahmen eine wichtige Rolle als psychotropes Mittel gespielt hat (vgl. auch Abb. 33, S. 87). Interessanterweise sind – in Analogie zu den mittelalterlichen Berichten über die Hexenpraktiken – auch bei der Psilocybinwirkung Flugsensationen typisch.

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