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Zwischen Bewunderung und Furcht
ОглавлениеStets wurden die Pilzwirkungen mit den Symptomen von Geisteskrankheiten verglichen. Wahrscheinlich lässt sich die unterschiedliche Einschätzung erklären, wenn man die von R. G. Wasson und seiner Frau erstmalig definierten Begriffe Mykophilie und Mykophobie verwendet. Danach teilte er das traditionelle Verhältnis der Völker zu Pilzen in zwei Gruppen ein, wobei einer ausgesprochenen englischen Pilzabneigung (Mykophobie) die Pilzliebe (Mykophilie) z. B. in den slawischen Ländern gegenübersteht. Die Gründe für diese unterschiedliche Entwicklung liegen im Dunkel der Geschichte.
Es könnte eine frühe Tabuisierung psychotroper Pilze als Auslöser für ein späteres mykophobes Verhalten gedient haben. Andererseits könnte bei der Erschließung der Pilze als Nahrungsquelle vor Tausenden von Jahren eine auffällige Häufung tödlicher Vergiftungsfälle in mehreren Landstrichen aufgetreten sein, die eine starke und dauerhafte Abneigung der Bevölkerung gegen die gesamte Mykoflora hervorgerufen hat.
Die Mykophilie im alten Mexiko war jedenfalls verbunden mit einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Wirkung der Psilocybe-Arten, ihrer festen Einbindung in Riten, ohne dass eine Beziehung zu den ebenfalls dort vorkommenden echten Geisteskrankheiten gezogen wurde. Die Indianer dieses Landes sind interessanterweise auch die einzigen Amerikas, die traditionell Speisepilze in großem Umfang verwenden.
Leider werden die halluzinogenen Substanzen auch heute noch sofort nach ihrer Entdeckung mit stark wertenden Attributen belegt, die einen vorurteilsfreien, wissenschaftlich sachlichen Blickwinkel erschweren. Der Narrenschwamm tauchte in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts als mexikanischer „Irrsinnspilz“ auf. Die Entdecker des mittelamerikanischen Kultes nannten die Pilze in den fünfziger Jahren unter Anerkennung ihrer Wirkung und der frühen gesellschaftlichen Integration und Bedeutung „mexikanische Zauberpilze“. Später wurden sie in der Literatur mit dem relativ wertfreien Begriff „halluzinogene Pilze“ bezeichnet. Im Zuge der Zeit kamen dann die abwertende Bezeichnung „Rauschpilze“ und sogar der fachlich unmögliche Begriff „Drogenpilze“ in Mode.
Als T. Leary nach seinem mexikanischen Experiment mit den Pilzen im Sommer 1960 begann, in Harvard das Psilocybin anfänglich in psychologischen Testreihen zu verwenden und die Versuche bald danach auf breitere Kreise ausgeweitet wurden, brachte die amerikanische Presse Wertungen über die Pilze, die die Bezeichnung „Narrenschwämme“ noch übertrafen. Die Pilze induzierten angeblich einen „todähnlichen Zustand“. Den Protagonisten des Psilocybins wurde vorgeworfen, dass sie leugneten, dass das Alkaloid „halbpermanente Gehirnschäden“ hervorrufen könnte. Dieser wissenschaftlich unsinnige Wortsalat war ein Zeichen der sich immer mehr verschärfenden Kontroverse um die Halluzinogene, wobei das Psilocybin sehr schnell völlig in den Hintergrund rückte und dem ungeheuer potenten LSD mit dessen bald gewaltiger Publizität Platz machte. Dabei geriet der Pilzwirkstoff in den gesetzlichen Strudel dieser mächtigsten halluzinogenen Substanz, und seine Anwendung für wissenschaftliche Zwecke wurde zunehmend eingeschränkt. Die Halluzinogene differenzierte man nicht mehr untereinander. Bald erfolgte nicht einmal mehr eine Abgrenzung dieser pharmakologischen Gruppe von den echten Suchtmitteln des Typs Heroin. Dabei hatte die Basler Sandoz AG vor dieser Zeit kompetenten Forschern ausreichend Substanz für experimentelle und psychotherapeutische Zwecke zur Verfügung gestellt. Insgesamt wurden nach dem Verfahren von A. Hofmann 2 kg Psilocybin synthetisiert.
Schnell erschien als Resultat der pharmakologischen Untersuchungen klar, dass die Anwendung des Alkaloides in kontrollierten Experimenten kein Risiko für den Probanden darstellt. Trotzdem macht der dann Mitte der sechziger Jahre geschaffene gesetzliche Rahmen im Sinne einer „offiziellen Mykophobie“ es bis heute so schwierig, mögliche Anwendungsgebiete des Psilocybins wissenschaftlich abzuklären. Als Resultat der naturstoffchemischen Untersuchung weiß man jedoch heute, dass Pilze, die diesen Wirkstoff enthalten, auf allen Kontinenten wachsen und dadurch wissenschaftlich genau wie die andere Mykoflora untersucht werden müssen.
Neben der Einstellung einzelner Völker hat jeder von uns eine spezifische Sichtweise auf die Pilze im allgemeinen. Die Wurzeln für ein individuelles Verhältnis zu den Pilzen werden schon in der Kindheit gelegt. Oft bleibt jedoch im Dunkeln, warum man dann später ein bestimmtes Wertsystem in dieser Richtung entwickelt.
Ich erinnere mich an eine Situation, als ich im Alter von etwa fünf Jahren im Gras spielte und mir ein Mädchen einen braunen Pilz zeigte und mit bedeutungsvoller Stimme sagte, dass er giftig sei und man ihn daher nicht essen dürfe. Trotzdem bin ich zum Pilzliebhaber geworden, obwohl mir diese Episode im Gedächtnis haften blieb. Andererseits blieb mir aus meiner frühen Jugendzeit die Bewunderung über ein sehr üppiges Vorkommen von bläulichen Blätterpilzen auf einem Müllplatz ebenso gut in Erinnerung wie die vorherige Szene. Allgemein kann man wohl sagen, dass durch ihre bizarren Eigenschaften (Toxizität, Aussehen) diese Organismen viele frühe Eindrücke hervorrufen können, die sich später in verschiedener Hinsicht manifestieren.
Erfolgt dann noch eine zusätzliche Beschäftigung mit den psychotropen Arten, so wird die individuell vorherrschende Mykophobie oder -philie verstärkt oder abgeschwächt, da jetzt die Bewusstseinsveränderung zusätzlich in einer bestimmten, wertenden Sichtweise eingeschätzt wird.
Aus den Schilderungen der folgenden Kapitel werden die verschiedenen Blickwinkel auf die psychotropen Pilze deutlich. Die unfreiwilligen und gezielten Experimente mit den einzelnen Arten dokumentieren eindrücklich, dass sehr viele Interpretationen der Pilzwirkungen möglich sind.