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Prolog
»Bloß keine Lobhudeleien«

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Vom heiklen Unterfangen,

das eigene Leben zu erzählen

Lieber Herr Kowalski, wir sitzen hier im noblen West-Berliner Schlosshotel Grunewald …

… ja, in einer echten Oase, an meinem Lieblingsplatz im Westen der Stadt, neben der sechsten Etage des KaDeWe natürlich, der Feinschmeckerabteilung. Es gibt für mich kaum einen angenehmeren Platz in West-Berlin als dieses Schlosshotel, denn schon als Kind wollte ich gerne König sein. Und hier, im neobarocken Ambiente, in diesem Klein-Versailles, kann ich meine Lieblingsrolle spielen, mit Kaiser Wilhelm und seiner Gemahlin, der Kaiserin Auguste Viktoria, an der Wand. Beide gucken uns allerdings ganz schön streng an. Kaiser Wilhelm II. war ja eigentlich ein Freund der Künste, aber wenn ihm etwas nicht behagte, dann sagte er einfach: »Mir passt die janze Richtung nicht!«

Na, das soll hoffentlich nicht der Leitgedanke für unser Projekt werden … Wir werden uns hier in den kommenden Monaten an ein paar Sonntagnachmittagen treffen, um über Ihr Leben zu sprechen und ein Buch zu schreiben. Hätten Sie sich das vor dreißig Jahren, als Sie noch Gesang an der Ost-Berliner Hochschule für Musik »Hanns Eisler« studierten, eigentlich träumen lassen: in einem Fünf-Sterne-Hotel im kapitalistischen »Ausland« Hof zu halten und einer Autorin aus dem Westen Ihre Erinnerungen zu erzählen?

Na, sicher nicht! Aber ist das nicht ohnehin ein verrücktes Jahrhundert, in dem wir leben? Da werden die unwahrscheinlichsten Dinge wahr: Eine einstige FDJ-Sekretärin wird Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, ein ehemaliger Flakhelfer steigt bis zum Papst auf, um dann wieder nach einigen Jahren freiwillig von diesem Amt zurückzutreten, und da passt es doch gut ins Bild, wenn ein früherer Requisiteur auch zum Countertenor mutiert, zum Wanderer zwischen Ost und West. Wir sind doch eigentlich ganz schön privilegiert, solche einmaligen Dinge erleben zu können, ob sie jetzt große politische und historische Dimensionen berühren oder nur ganz private Lebensläufe.

Die eigene Lebensgeschichte zu erzählen ist ein heikles Unterfangen, und es gibt bei Memoiren auch ganz verschiedene Ansätze: Welche Art von Künstlerbiografien lesen Sie eigentlich gerne?

Es ist kurios: Ich fange oft hinten an bei der Lektüre solcher Bücher, denn nichts interessiert mich mehr als die Frage, was diese Künstler eigentlich gemacht haben, nachdem ihre große Zeit vorüber war. Und das ist in der Tat meist sehr spannend. Gerade habe ich die Memoiren der Sopranistin Erna Berger gelesen, AUF FLÜGELN DES GESANGES heißen sie. Das Ende ihrer Geschichte hat mich unglaublich gerührt: wie sie als 85-Jährige noch einmal an die Staatsoper Berlin, ihr früheres Stammhaus, gekommen ist und dort Ehrenmitglied wird, nach all den Jahrzehnten, die sie im Westen verbracht hat. Die »Flügel des Gesanges« haben ihr ermöglicht, selbst die blöde Mauer zu überspringen. Ich habe dieses Buch ausgesprochen gern gelesen und schätze Erna Berger ohnehin sehr: Als ich in Düsseldorf Händels Julius Caesar sang, habe ich sie sogar einmal in Essen besucht – es war ein hinreißender Nachmittag. Auch in ihren Erinnerungen erzählt sie unglaublich fesselnd aus schwierigsten Zeiten: von den ersten Nachkriegsjahren, als die Bühnen keine Subventionen bekamen, als die Leute noch nicht genug zu essen hatten und die Gesellschaft noch lange nicht den heutigen Wohlstand kannte. So etwas interessiert mich am allermeisten. Die Erna schreibt in ihrem Buch so wunderbar wenig von sich selbst und ihren Erfolgen, sie fand sich auch meist überhaupt nicht gut. Dafür schildert sie umso plastischer ihre Ängste und ihre Gefühle, als sie sich am Scheitelpunkt ihrer Karriere glaubte, als sie etwa fünfzig Jahre alt war und merkte, dass ihr die hohen Töne abhandenkamen. Mit solchen Geschichten kann ich etwas anfangen, darin erkenne ich mich zu einem Gutteil wieder.

Und was interessiert Sie weniger?

Bloß keine Lobhudeleien … Mich interessiert nicht, wie viele Vorhänge welcher Sänger an der Metropolitan Opera oder am Covent Garden erhielt. Auch dieses Denken à la Guinness-Buch der Rekorde – Sänger X bekam soundso viel Minuten mehr Beifall, Sänger Y zwanzig Sekunden weniger – finde ich völlig verfehlt. Und die Frage, welcher König, Minister oder Großindustrielle nach der Vorstellung zu wem in die Garderobe kam und welche Präsente überreicht hat, ist auch allenfalls für den Beschenkten von Belang. Solche Bücher lege ich gleich zur Seite. Es berührt mich unangenehm, wenn einer immer nur von sich erzählt und davon, wie großartig er gewesen sei. Bei diesen Leuten sind natürlich auch stets die andern schuld, wenn mal etwas nicht so gut läuft.

Jochen Kowalski und Susanne Stähr beim Gespräch im Schlosshotel Grunewald © Felix Feistel

Also, worauf wollen wir uns konzentrieren? Auf Sie als Menschen und auf die Zeitgeschichte?

Die Zeit, in der wir leben und deren Zeugen wir geworden sind, ist so turbulent und bewegend, dass sie den besten Stoff abgibt: Das Jahr 1989 ist für die meisten doch ein großer Einschnitt gewesen, für die Ostler, wie ich einer bin, natürlich noch mehr als für die Westler. Und jeder hat diesen Umbruch anders erlebt, kann ihn mit seinen eigenen Geschichten unterfüttern. Für mich jedenfalls hat sich durch den Mauerfall fast alles verändert. Es war wunderschön, aber es war auch schmerzhaft, denn letztlich habe ich doch gern in diesem kleinen Land gelebt, das einmal die DDR war. Und bis heute gibt es noch diese spezielle Ost-Identität. Wenn ich etwa im Ausland auf andere Deutsche treffe, merke ich meist ganz schnell: Na, wie der aussieht oder spricht, der müsste auch aus dem Osten kommen … Dann stellt sich noch immer das Gefühl einer Vertrautheit ein, die man kaum beschreiben kann.

Was also soll die Prämisse sein – schonungslose Ehrlichkeit?

Ich werd’s versuchen, auch wenn ich weiß, wie nah die Versuchung liegt, etwas frisieren zu wollen. Aber ich spreche mir jetzt selbst mal Mut zu und glaube auch, dass ich nichts zu verbergen habe.

Dann fangen wir doch einfach an …

Der Countertenor Jochen Kowalski

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