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1. Kapitel

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Die Straße zwischen Benedict und der Bowl Ranch war kaum mehr als ein hügeliger, staubiger Sandweg. Tag für Tag knallte die Sonne darauf. Wenn einer der schweren Straßenkreuzer der Ranch darüber gerollt war, lag noch stundenlang eine dichte Staubwolke über der Gegend.

Das änderte sich erst, als Sam Jordan, Besitzer der Bowl Ranch, sich entschloß, die Straße asphaltieren zu lassen. Ihm gehörten so ungefähr zwei Millionen Acre Land am Golf von Mexiko. Die Jordans saßen seit über hundert Jahren in Texas und beschäftigten sich damit, die perfekte Kreuzung zwischen dem englischen Hereford-Rind und dem Longhorn zu züchten.

Dieser Job warf eine Masse Geld ab. Die Jordans waren zwar stolz darauf, noch genauso einfach zu leben wie ihre Vorväter. Dabei mußte man nur die Tatsache außer acht lassen, daß ihnen der Herrgott in seiner Güte ein fünfundzwanzig Meter langes Schwimmbecken aus Stahlbeton vor die Tür gesetzt hatte. Auch andere kleine Annehmlichkeiten des Daseins, zu denen eine zweimotorige Douglas gehörte, änderten nichts an dieser Überzeugung.

Die Straßenbaukolonne bestand ausschließlich aus Negern. Nur der Vorarbeiter, Francis Quint, war ein Weißer. Er saß in einem der Campwagen und sorgte dafür, daß sein Whiskyvorrat nicht warm wurde.

Die Sonne warf glühende Hitze über die schutzlose Landschaft. Der Job war langweilig. Quint legte die Beine hoch und beobachtete die Schwarzen, die träge ihre Arbeit verrichteten.

Den angenehmsten Job hatte zweifellos der Mann, der die riesige Planierraupe fuhr, die aus dem hügeligen Terrain eine tafelebene Trasse hobelte. Sam Jordan wollte, daß seine Straße einer Art privater Rennpiste glich, denn er war ein Freund schnellen Fahrens.

Quint döste vor sich hin. Trotz der Dumpfheit in seinem Schädel, der Folge von Sonnenhitze und Whisky, wurde er sich bewußt, daß unversehens irgend etwas um ihn her anders war als eben noch. Was war es doch? Quint hob lauschend den Kopf, und plötzlich wußte er es: Das Rattern und Dröhnen der großen Planierraupe war plötzlich verstummt. Gleich darauf gellte ein Schrei an sein Ohr.

„Mr. Quint!“ Einer der schwarzen Arbeiter kam mit allen Zeichen des Entsetzens auf ihn zu. „Sie müssen sofort kommen!“

„Was, zum Teufel, soll die Aufregung?“ Quint kletterte wütend über die Störung aus dem Wagen. Die Hitze draußen traf ihn wie ein Schlag.

„Ich habe eine Hand gesehen“, sagte der Schwarze aufgeregt.

„Wo?“

„Dort, in der Erdmasse, die die Raupe bewegte.“

„Unsinn!“ brummte Quint. „Du siehst Gespenster.“

Er stapfte hinüber zu dem Maschinengiganten. Die übrigen Neger hatten mit der Arbeit aufgehört und umstanden aufgeregt schwatzend die große Planierraupe.

Quint warf einen Blick auf die Masse von Erdreich, die sich vor der stählernen Scheibe der Planierraupe türmte, und er erstarrte.

Deutlich waren die gekrümmten Finger einer Hand zu erkennen, die aus der graubraunen Erde hervorragte.

Quint war bleich geworden. Er hatte das dringende Bedürfnis nach einem Whisky.

„Joe“, sagte er mit belegter Stimme zu einem der Neger. „Nimm den Wagen und fahr nach Benedict. Sag dem Sheriff, er soll sofort kommen. Und ihr übrigen rührt nichts an, bis der Sheriff da ist, kapiert?“

Francis Quint ging oft ins Kino und wußte, worauf es in solchen Fällen ankam.

Sheriff Jules Euskins kannte die Gegend um Benedict wie seine eigene Tasche. Er war hier bereits fünfunddreißig Jahre Sheriff und hatte noch die Zeit miterlebt, als jedermann einen Fünfundvierziger um den Bauch geschnallt trug und es in Benedict jeden Monat mindestens eine Schießerei gab. Ihn konnte so leicht nichts erschüttern.

„Eine Hand“, brummte er und steckte sich den Stern an. „Sonst nichts?“

„Doch, Sir“, sagte der Neger aufgeregt, „Es war ein ganzer Körper!“

„Wir wollen uns die Geschichte mal ansehen“, sagte Euskins und trat auf die Straße. Vorsichtig rangierte er seinen Chevrolet aus einer Parklücke. Daß man neuerdings in Benedict Parkschwierigkeiten hatte, war der beste Beweis dafür, daß die Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts auch bis hierhin vorgedrungen war.

Nach knapp zwanzig Minuten Fahrt erreichten sie das Camp. Quint führte ihn zu der Planierraupe.

„Ich bin wahrhaftig nicht so leicht zu erschüttern, Sheriff“, sagte er. „Aber das hier ist mir verdammt auf den Magen geschlagen.“

„Was hast du gemacht, Francis?“ fragte Euskins.

„Nichts!“ sagte Quint.

„Auch etwas“, brummte der Sheriff und sah sich um. „Los, Leute, buddelt den Leichnam vorsichtig aus.“

Die Arbeiter machten sich mit Schaufeln ans Werk. Nach ein paar Minuten lag der Körper frei. Mit seinen verrenkten und vielfach gebrochenen Gliedern bot er keinen schönen Anblick.

Euskins strich sich über den grauen Schnurrbart.

„Ich hatte schon die ganze Zeit über einen derartigen Verdacht“, sagte er. „Es ist Henderson.“

„Der Kassenbote?“ fragte Quint überrascht.

Euskins nickte.

„Er sollte vor einer Woche vierzigtausend Dollar von Benedict zur Bowl Ranch bringen. Seitdem ist er spurlos verschwunden. Ich nahm an, er hätte sich mit dem Geld aus dem Staub gemacht. Die Fahndung nach ihm läuft noch.“

„Wie, zum Teufel, kommt er hierher?“

Der Sheriff wies auf eine Stelle an der Brust des Toten.

„Da ist die Einschußstelle“, erklärte er sachlich. „Henderson wurde erschossen, ausgeraubt und hier oberflächlich verscharrt.“

Quint kratze sich am Kopf.

„Wird ’ne Masse Ärger geben, Sheriff“, meinte er.

„Darauf kannst du Gift nehmen“, erwiderte Euskins.

Der Ärger begann schon sehr bald. Euskins hatte gerade seinen Bericht für die Mordkommission in Waco fertiggemacht, als er Besuch erhielt.

Frank Hopkins war Besitzer eines kleinen Ladens in Benedict. Er schwenkte einen nagelneuen Fünfzigdollarschein.

„Ich möchte, verdammt noch mal wissen, wieso dieser Negerbengel daran gekommen ist“, sagte er und knallte den Geldschiein auf den Tisch. „Da dachte ich mir, ich zeige ihn mal Ihnen, Sheriff. Wer weiß, vielleicht ist er geklaut oder falsch.“

Euskins nahm den Schein und holte ein abgegriffenes Notizbuch aus der Tasche. Rasch verglich er die Nummer des Geldscheines mit einer langen Reihe von Nummern, die er dort notiert hatte. Dann hob er den Kopf.

„Woher stammt das Ding, Frank?“

„Wie ich schon sagte – von einem Negerbengel.“

“Kennst du den Burschen?“

„Aber sicher. Es ist Bill James. Er wohnt im Negerviertel.“

„Hat er gesagt, wie er zu dem Geld gekommen ist?“

„Keine Spur! Er kam in meinen Laden und verlangte eine Stange Chesterfield. Als er zahlte, gab er mir den Schein.“

„Hör zu, Frank!“ entgegnete Euskins. „Die Geschichte bleibt unter uns, bis ich Bill James geschnappt habe. Das Geld stammt aus dem Raub an dem Kassenboten der Bowl Ranch. Die Bank hatte alle Nummern der Geldscheine notiert, bevor sie sie an Henderson auszahlte. Ich warte schon seit einer Woche darauf, daß einer davon wieder auftaucht.“

Für Euskins war das eine ziemlich lange Rede, und Hopkins blieb deshalb mit aufgerissenem Mund stehen.

„Sind Sie sicher, Sheriff?“ fragte er endlich.

„So sicher wie du gepantschten Whisky verkaufst, Frank. Ich gehe jetzt und verhafte den Neger. Und du hältst den Mund über die Geschichte, klar?“

Frank Hopkins nickte zwar, aber er war eine viel zu geschwätzige Seele, um wirklich schweigen zu können. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Benedict lag tief im Süden von Texas, nicht weit von der mexikanischen Grenze. Es verdankte seine Entstehung lediglich der Tatsache, daß die Cowboys der Bowl Ranch früher einmal monatlich das Bedürfnis hatten, ihren Lohn zu verjubeln. Später hatte man Öl in der Gegend gefunden, wodurch die Stadt einen weiteren Aufschwung genommen hatte.

Zwei Umstände waren bemerkenswert in Benedict: Die Einwohner Waren nur zur Hälfte Weiße. Die andere Hälfte bestand aus Mexikanern, die jedes Jahr zur Erntezeit illegal Verstärkung über die Grenze bekamen, und aus Negern, Nachkommen der Sklahven. Die Neger hatten ihr eigenes Viertel im Süden der Stadt. Sie wurden streng isoliert von den Weißen gehalten. Für das Rassenproblem hatte man in Benedict noch keine Lösung gefunden. Das war der eine Umstand.

Der zweite war das Wetter. Den ganzen Sommer über knallte eine gnadenlos heiße Sonne auf die Köpfe der Menschen und glühte ihre Hirne aus.

So glich das verschlafene Benedict einem Pulverfaß, an das man nur noch das Zündholz halten mußte, um es zur Explosion zu bringen. Sheriff Euskins hielt dieses Zündholz, ohne es zu wissen, in der Hand.

Gegen Nachmittag fand er Bill James. Der Schwarze bewohnte eine verfallene Bretterhütte. Er richtete sich erschrocken auf, als die breitschultrige Gestalt des Sheriffs im Türrahmen erschien.

„Komm mit, James!“ sagte Euskins. „Du bist wegen Mordverdacht verhaftet.“

Draußen liefen die Leute zusammen, als er den Neger in seinen Chevrolet verfrachtete.

Im Sheriffsoffice holte Euskins ohne lange Umschweife den Fünfzigdollarschein heraus.

„Wo stammt das Ding her, James?“ Der Neger bekam vor Angst runde Augen.

„Ich hab’ den Schein gefunden, Mr. Euskins. Er war in einer Brieftasche, die ich heute früh vor meinem Haus gefunden habe.

„Hast du noch nie was davon gehört, daß man gefundene Sachen abgeben muß?“ brummte Euskins.

„Sicher, Sheriff, aber es war eine Masse Geld für mich. Ich hab’ noch nie soviel auf einmal gehabt.“

„War noch mehr Geld in der Brieftasche?“

„Nein, bestimmt nicht.“ James holte eine abgegriffene Ledertasche heraus und legte sie auf den Tisch, „Das ist sie, Mr. Euskins.“

Der Sheriff nahm die Tasche und betrachtete sie genau. Dann hob er den Kopf; sein grauer Schnurrbart sträubte sich.

„Jetzt hör mal genau zu, James! Ich will dir nichts vormachen. Diese Tasche gehörte Henderson, dem Kassenboten der Bowl Ranch. Er wurde vor einer Woche ermordet. Die Leiche fand man heute. Ich möchte wissen, wie Henderson das Ding heute vor deiner Tür verloren haben kann.“

Der Schwarze sprang entsetzt auf.

„Ich schwöre Ihnen, Mr. Euskins: Ich habe mit der Geschichte nicht das geringste zu tun. Wenn ich so etwas geahnt hätte, hätte ich die Tasche nie angerührt.“

„Kann ich mir denken“, knurrte der Sheriff. „Du bleibst also bei deiner Geschichte?“

„Natürlich, es ist die Wahrheit.“

„Hoffentlich siehst du ein, daß du ziemlich tief in der Tinte sitzt. Das einzige, was dir noch helfen kann, ist ein Geständnis.“

„Ich habe nichts zu gestehen!“

„Wie du willst!“ Euskins erhob sich und sperrte den Neger in eine der beiden Zellen, die hinter dem Office lagen.

Dann stieg er wieder in seinen Wagen und holte sich einen Haussuchungsbefehl.

Zwei Stunden lang durchsuchte er die armselige Behausung des Schwarzen, ohne etwas zu finden.

Hol’s der Teufel, dachte Euskins, als er wieder in sein Büro zurückkehrte. Der Fall wird langsam kompliziert.

Es war schon dunkel, als er die Stufen zum Office emporstieg. Er war mit seinen Gedanken viel zu beschäftigt, um den Lastwagen zu bemerken, der auf der Straße stand. Auch daß die Fensterläden zum Office geschlossen waren, bemerkte er erst, als er schon drin war. Da aber war es bereits zu spät.

Ein schußbereiter Fünfundvierziger ist auch für einen Sheriff keine Kleinigkeit, zumal dann nicht, wenn er die Waffe genau auf sich gerichtet sieht.

Euskins blickte langsam in die Runde und kam ins Schwitzen. Er wußte, worum es ging.

Die fünf Männer trugen Waffen. Das allein jedoch war es nicht, was Euskins so schockierte, sondern vielmehr die weißen Kapuzen über ihren Köpfen, in die nur schmale Schlitze für die Augen geschnitten waren. Es war die Maskerade des Ku-Klux-Klan. Das letztemal war der Klan in dieser Gegend vor fünfunddreißig Jahren in Erscheinung getreten. Damals war Euskins als junger Hilfssheriff nach Benedict gekommen. Er glaubte nicht, daß der Klan hier wiedererstanden war. Die Burschen vor ihm bedienten sich der Maskerade nur als bequemer Tarnung für ihre dunklen Machenschaften.

„Was wollt ihr?“ knurrte der Sheriff nach einer Weile.

„Nichts von Ihnen, Euskins“ antwortete einer, der offenbar der Sprecher der Männer war, mit verstellter Stimme. „Wir haben nur gehört, daß Sie den Neger eingesperrt haben, der Henderson ermordet hat.“

„Möglicherweise“, korrigierte Euskins. „Es ist noch nicht bewiesen.“

„Darum brauchen Sie sich nicht zu bemühen“, sagte der Mann ironisch. „Wir übernehmen den Fall. Sheriff. Sie sollten uns dafür dankbar sein. Wir ersparen Ihnen eine Menge Arbeit.“

„Was ihr vorhabt, ist ungesetzlich“, erwiderte Euskins, dem der Schweiß auf die Stirn trat. „Ihr könnt das nicht tun.“

Der Mann lachte ironisch.

„Und ob wir können. Sie, Sheriff, täten besser daran, uns keine Schwierigkeiten zu machen. Vorwärts, jetzt!“

Er winkte einladend mit dem Colt. Euskins griff nach seiner Waffe; bevor er sie aber aus der Halfter hatte, stürzten sich die Maskierten auf ihn und überwältigten ihn. Er wurde in die freie Zelle gebracht.

Nebenan hörte er die eiserne Tür klappen und gleich darauf den gellenden Angstschrei des Negers, der abrupt abbrach. Dann wurde der Körper durch das Office geschleift.

Minuten später orgelte auf der Straße der Dieselmotor des Lastwagens los. Das Geräusch entfernte sich langsam in nördlicher Richtung.

Euskins schlug mit der Faust gegen die eiserne Tür und schrie laut um Hilfe. Aber es dauerte lange, bis man ihn hörte.

Privatdetektiv Joe Barry - Die Uhr ist abgelaufen

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