Читать книгу Dorfgeschichten aus Niederbayern - Johann Eckerl - Страница 7
„Die Marianne hat g‘sagt, dass sie‘s gleich g‘sagt hat!“
Оглавление„Xaver! He, Xaver! Möchst nicht lieber mit heimkommen? Hernach friert‘s dich recht und dann wirst du mir noch krank.“
Der Hilde wäre es lieber gewesen, wenn der Xaver diesen Abend wieder mit nach Hause gekommen wäre. Aber weil sie schon wusste, dass er das nicht machen wird, hat sie ihm einen Brotzeitkorb und eine Decke mitgebracht.
„Schau, Xaver, ich hab dir einen heißen Tee mitgebracht. Und noch ein Stückerl G‘selchtes und ein Brot. Und ein Bier habe ich dir auch rein getan in den Korb“, ruft sie in den Baum hinauf.
Der Xaver ist auch für einen Brotzeitkorb gut gerüstet. Er richtet sich von seiner knorrigen Lagerstatt auf und lässt ein Seil, an dessen Ende ein Karabiner befestigt ist, zu seiner Hilde hinunter. Die hängt den Korb ein und der Xaver zieht ihn langsam zu sich hoch. Das Seil mit dem Korb wickelt er um den Ast an dem sein Rucksack hängt. Wie ein Lampenschirm baumelt der Korb jetzt wenige Zentimeter über seinem Kopf.
Der Menschenauflauf ist jetzt am späten Nachmittag schon etwas weniger geworden. Denn es sind mehr gegangen, als neu hinzugekommen sind. Aber so zehn, fünfzehn Leute stehen noch da auf dem Dorfplatz und plaudern und lachen und trinken Bier und einer beißt gerade in eine Wurstsemmel. Auch der Vitus sitzt noch in seinem Klappstuhl und bestellt sich noch eine Halbe beim Fritz, dessen dritter Kasten jetzt auch gleich leer sein wird.
Natürlich haben die Leute den Xaver immer wieder gefragt, warum er da oben sitze und nicht mehr runterkommen möchte, und wie lange er denn da bleiben möchte. Aber der Xaver hat nicht darauf geantwortet. Auch nicht, als ihn der Messner fragte:
„Gegen was protestierst du denn, Xaver?“
Eine zwar gute Frage, die dem Xaver aber dennoch keine Antwort wert war. Also machten sich die Leute eben ihre eigenen Gedanken.
„Ja mei, das ist schon schade, dass der Baum jetzt wegkommen soll, gell?“, konstatiert die Trautmannsdorfer Marianne und bemüht sich, ein trauriges Gesicht zu machen.
„Wer hat denn das beschlossen, dass die Eiche gefällt werden soll?“, fragt der Fischer Albert mit dem kleinen Block in der Hand, den er als Redakteur immer bei sich hat – ebenso wie seine Fotokamera, auf der er bereits eine Menge Fotos vom Xaver auf dem Baum hat. Nur eines mit dem Gesicht vom Xaver fehlt ihm, weil der Xaver die ganze Zeit nicht mehr heruntergeschaut hat vom Baum. Darum hat der Fischer Albert nur Fotos vom Xaver seinem Hintern in der Astgabel und seinen runterhängenden Beinen machen können.
„Ja, das muss schon der Gemeinderat beschlossen haben. Die im Gemeinderat haben ja eh immer schon über die Eiche geschimpft. Wegen dem Laub und weil sie so groß ist und so!“, weiß die Marianne und der Albert kritzelt mit einem stummeligen Bleistift etwas in seinen Block.
„Also ich meine ja, dass man so was nicht tun darf!“, diktiert die Marianne dem Albert und vergewissert sich mit drängendem Blick auf den Block, dass ja auch alles richtig aufgeschrieben wird, was sie sagt.
„Denn weißt, die Eiche, die ist ja schon so alt. Die steht ja schon hier, so weit kann ich gar nicht zurückdenken. Also mindestens schon …, ich weiß jetzt auch nicht so genau, aber schon eeewig lange! Aber ich hab‘s ja gleich gesagt, dass es irgendwann einmal soweit kommen wird, dass sie umgehauen wird!“
„Wer weiß denn, wie alt die Eiche ist?“, fragt der Albert ganz reportermäßig die noch herumstehenden Leute und notiert die Antworten nebeneinander in seinen Block: 100, 200, 500, 750, fast 1000.
„Ja, warum soll sie denn weg? So geht‘s doch auch wieder nicht! Die ist ja kerngesund, die Eiche. Möchten die da etwas herbauen? Ein Denkmal für den Bürgermeister vielleicht!“
Der Messner erntet Zustimmung und Gelächter gleichermaßen für seine entrüstete Einlassung.
„Jetzt verschwindets doch endlich mal und lasst‘s mir meine Ruhe, Hergottsakramentnocheinmal!“, schallt es plötzlich vom Baum herunter, als wäre es ein göttliches Donnergrollen geradewegs vom Himmel herab – wenn man sich das Fluchen mal wegdenkt. Aber es war nur der Xaver. Und alle sind still und schauen hinauf zum Xaver, als würden sie auf ein himmlisches Zeichen warten.
„Habts ihr nichts besseres zu tun, als da herumzustehen und blöd daherzureden? Lasts mir jetzt gefälligst meine Ruh‘ und gehts heim oder zum Wirt – oder auf die Straß‘ und lassts euch dort von einem Laster überfahren, zefix!“
Der Xaver ist jetzt ein wenig ungehalten geworden, weil ihn seine Blase schon arg drückt. Und er will diese nicht vor den Augen der ganzen Leute entleeren. Er sitzt jetzt aufrecht auf einem der gegabelten Äste und beide Beine hängen nun auf der selben Seite herunter, baumeln direkt über dem Vitus in seinem Klappstuhl.
Der Vitus lacht glucksend in sich hinein. Er wird noch ein wenig beim Xaver bleiben, wenn die anderen weg sind. Ob sie dann was miteinander reden oder nicht, das wird sich zeigen.
Da es nun schon langsam dunkel wird und auch der Fritz mit seinem Bierkarren nicht mehr da ist, machen sich die Leute schwatzend auf den Weg nach Hause. Und bald kehrt Stille ein auf dem Dorfplatz. Nur ein leises Plätschern ist zu hören, nachdem der Xaver ein paar Kletterbewegungen gemacht hat und sich nun aufrecht auf dem Ast stehend mit einer Hand am Stamm festhält. Der Vitus schiebt seinen Klappstuhl ein wenig weiter weg und setzt sich wieder hinein.