Читать книгу Dorfgeschichten aus Niederbayern - Johann Eckerl - Страница 9
„An der Glatze sieht man‘s ganz genau, wenn einer gleich platzt!“
Оглавление„Ja Herrschaftszeiten, was ist denn hier los? Seids ihr alle vom Teufel geritten? Was soll denn dieser Aufstand hier?“
Der Bürgermeister hat sein Auto gleich auf der Hauptstraße stehen gelassen. Mit einem Aktenkoffer in der Hand steht er nun inmitten der Demonstranten und man hat den Eindruck, dass er recht überrascht ist, weil er den Mund so weit auf hat, auch wenn er gerade nichts sagt.
Bürgermeister Helmut Haberecht war übers Wochenende verreist und wurde heute Vormittag von Fräulein Knoll telefonisch darüber informiert, dass der Saumberger Xaver im Baum sitzt und die Schulkinder verängstigt. Sie hatte kurz nach ihrer Zurechtweisung des Baumbesetzers von den Lehrerkollegen erfahren, dass es sich um einen gewissen Saumberger Xaver handele, welchen sie da auf dem Baum kennenlernen musste.
Der Bürgermeister wendet sich hoch zum Xaver. Er hat es ja nicht recht glauben können, als er hörte, dass der alte Saumberger auf der Eiche hocke. Aber der Geschäftsleiter der Gemeinde, der ihn gleich nach dem Fräulein Knoll auch auf dem Handy angerufen hat, hat ihm dasselbe erzählt und noch dazu, dass der Xaver schon seit Samstag auf dem Baum sitze.
„Xaver, sag‘ einmal, spinnst du jetzt komplett? Komm sofort da runter und lass diesen Blödsinn sein! Nachher fällst du noch runter, du alter Depp!“
Der Xaver hätte ihm in diesem Moment gerne auf die Glatze gespuckt, dem Bürgermeister, weil der gerade so günstig unter ihm steht. Aber das gehört sich nicht.
„Ja, da frag‘ ich mich schon, wer da überhaupts spinnt! Ich glaub‘ eher, dass der Bürgermeister und seine Gemeinderäte spinnen! Unsere Eiche wollts ihr umhauen, ja habts ihr‘s noch alle? Das kommt überhaupt nicht infrage!“, baut sich der Messner vor dem Bürgermeister auf.
Hans Hohl, Geschäftsleiter der Gemeinde Augsee, ist gerade eben auch hinzugekommen und schiebt den Messner vorsichtig ein wenig weg vom Bürgermeister, damit er diesen nicht ungewollt zusammentrete, weil der Bürgermeister ist eher klein für seine Größe und der Messner eher groß.
„Ja Hergottsakrament, was habts ihr denn alle!“
Der Bürgermeister Haberecht hat noch nicht gemerkt, dass sich auch der Pfarrer Wohlfahrt dem Spektakel nähert, sonst hätte er wahrscheinlich nicht so geflucht.
„Wer sagt denn, dass die Eiche gefällt werden soll?“
„Jetzt tu‘ nicht so scheinheilig, nur weil der Pfarrer da ist. Das habts ihr in eurem stillen Kämmerlein beschlossen, gib‘s doch zu, du Haderlump, du Umweltschänder!“, hilft ihm die Trautmannsdorfer Marianne, sich zu erinnern.
„Und das mit deinem Denkmal, das kannst du gleich vergessen. Weil ein Bürgermeister, der so hinterfotzig mit seinen Wählern und der Natur umgeht, für den gibt‘s kein Denkmal!“, stellt der Bäckermeister Wolf klar.
Einer aus der Blumenstraße meint: „Jaaa, ein Denkmal möcht‘ er haben, der Bürgermeister, der g‘spinnerte. Aber für die Sanierung von der Blumenstraß‘ ist kein Geld da!“
Und dem Schmalzeder Karl ist dann noch eingefallen, dass der Bürgermeister ihm einmal die Polizei geschickt hat, wegen dem Karl seinem Hund, der ihm immer zu laut gebellt hatte, dem Bürgermeister:
„Was möcht‘ man denn schon erwarten, von einem, der einem den Hund wegnehmen lassen will! Meinst vielleicht, wenn‘s keine Bäum‘ mehr gibt, verschwinden auch die Hund‘?“
Und irgendwer sagt dann noch, dass es in der Gartenstraße immer noch keine 30er-Beschränkung gäbe.
Jetzt gerät alles schon ein wenig durcheinander, weil gar zu viele auf einmal auf den Bürgermeister einschimpfen.
„Aber Leute, Leute, jetzt beruhigts euch doch. Das kann man doch in aller Ruhe miteinander ausreden. Lassts doch den Bürgermeister mal erklären, warum die Eiche denn weg soll!“
Pfarrer Wohlfahrt müht sich salbungsvoll um Deeskalation, ohne zu merken, dass er sein Öl ins lodernde Feuer gießt. Denn dem kleinen Herrn Bürgermeister schießt jetzt die Zornesröte so in den Kopf, dass seine Glatze wie eine glühende Herdplatte leuchtet. Der Xaver denkt sich:
„Wenn ich dem jetzt auf die Platte spucken würd‘, da würd‘s ganz schön zischen!“
„Ja, Himmelhergottsakramentnocheinmal, ich weiß nichts davon, dass die Eiche weg soll! Wer sagt denn so was? Sagt das der Xaver oder wer?“
Bürgermeister Helmut Haberecht wirft seinen Aktenkoffer zornig zu Boden und stampft mit einem seiner kurzen Beine kräftig daneben auf. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen schaut er hoch zum Xaver, der sogleich in das Eichen-Geäst hinaufblickt, als würde ihn das alles gar nichts angehen.
„Jetzt wenn du nicht gleich da runterkommst, dann hol ich die Polizei. Und dann lass ich die ganze Versammlung hier auflösen – von Amts wegen. Ihr habts es doch alle nicht mehr ganz beieinander!“
Er dreht sich zweimal um die eigene Achse und verteilt stechende Blicke an die Umstehenden.
Der Vitus macht sich noch eine Halbe auf und lehnt sich gemütlich in seinen Klappstuhl zurück. Denn von da aus hat er das Gemenge rund um den Bürgermeister bestens im Blick.
„Früher, da hätt‘s jetzt Watsch‘n gegeben!“, denkt er sehnsüchtig an die heitere alte Zeit zurück.
Bürgermeister Haberecht hebt seinen zerschundenen Aktenkoffer auf, packt seinen Geschäftsleiter am Arm und zieht ihn stampfend mit sich über den Dorfplatz zum Rathaus.