Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 24
Dritter Aufzug
ОглавлениеGaddo in einer Ecke des Zimmers schlafend. Einige Männer tragen zween Särge über das Theater, die sie Gaddo gegenüber hinstellen, daß nur der vorderste gesehn wird. Gaddo erwacht und betrachtet ihn mit vieler Aufmerksamkeit
Gaddo. Dieser große Kasten sieht natürlich aus, wie ein Totenkasten. Wenn ich den Kasten betrachte, richtet sich mein Haar ganz langsam in die Höhe; weh mir! und ein Fieber klappert in meinen Zähnen! Holla! spricht hier niemand, als der kranke Gaddo? (Es wird ein starkes Pochen im vordersten Sarge gehört) Ach, heilige Jungfrau! was ist das? (Eine dumpfigte Stimme ruft »Gaddo! Gaddo!«) Hilf mir, mein Vater! Mein Vater! Anselmo!
Ugolino. (ohne die Särge zu sehn) Was ist dir, Gaddo?
Gaddo. O mir! Die Gebeine haben sich geregt! rufen: »Gaddo! Gaddo!«
Anselmo. (im Hereinlaufen) Wartet, wartet, ihr Männer. Nehmt mich und Gaddo auch mit. Wir sind Francescos Brüder. (Stößt auf den Sarg) Ah!
Ugolino. (sieht sich nach Anselmo um) Welch ein Traum ist dies? Ein Sarg? (Pochen im Sarg. Ugolino tritt zurück) Nun, beim wunderbaren Gott! das ist seltsam! (Die Stimme ruft »Hülfe!«) Der Deckel dieses Sarges ist nicht befestigt. (Er hebt den Deckel auf, und fährt zurück) Ha!
Francesco. (steigt heraus. Nachdem sie einander lange mit Erstaunen betrachtet haben, fällt Francesco seinem Vater zu Füßen)
Francesco. Der Blinde lehnte sich wider den Sehenden auf. Ich bin bestraft, mein Vater.
Ugolino. Ich erwartete nicht, dich so wiederzusehen. Wo bist du gewesen?
Francesco. Wollte Gott, ich dürfte nicht sagen, im Hause Gherardescas.
Ugolino. Du erfandst einen Sprung vom Thurme; Ruggieri eine neue Art, dich wieder herzubringen: wer unter euch beiden ist der sinnreichste, mich zu quälen?
Francesco. Dies ist so strenge – so erstaunlich strenge, mein Vater –
Ugolino. Du warst frei. Die Kühnheit deiner Unternehmung ließ mich hoffen, daß der Ausgang weniger schimpflich sein würde. In einen Sarg rafft man Gherardescas Erstgebornen; und er vergißt seiner Hände – Doch ich tue dir Unrecht, du brauchtest sie zum Pochen im Sarge.
Francesco. Ich erdulde deine Streiche ohne Murren.
Ugolino. Murren, Knabe? Wer bist du? Ha?
Francesco. Dein Sohn mein Vater; ein zwanzigjähriger Jüngling; nie bisher von dir verachtet; und ich wage hinzuzusetzen, noch itzt deiner Verachtung nicht würdig.
Ugolino. Redseliger! Der Hülflose, der in diesem Kasten wimmerte, sollte bescheidner sprechen. Ich habe keine Geduld mit dir. Geh zurück, wo du hergekommen bist.
Francesco. Und bald! meine Sprache soll dich nicht lange beleidigen. Ah! kann Gherardesca ungerecht gegen seinen Francesco sein? Anselmo, er muß nicht wissen, wie ungerecht er ist.
Anselmo. Francesco, ich hatte alle meine besten Hoffnungen auf dich gesetzt, und du nennst unsern Vater ungerecht? Ach Gaddo! wir sind betrogen! wir sind betrogen!(ringt die Hände)
Gaddo. Gib mir Speise, Francesco, oder ich sterbe!
Anselmo. Speise her! Speise! Francesco! Ich bin standhaft gewesen, weil ich auf deine Zusage baute. Aber nun kann ich's nicht länger aushalten, Gott ist mein Zeuge!
Ugolino. O es dringt tief in die Seele! Unglücklicher! was hast du gemacht!
Anselmo. Gaddo wird dich vor Gottes Richterstuhl verklagen, wenn du ihn hier verschmachten lässest.
Gaddo. Ach ich Verlaßner! soll ich denn Hungers sterben?
Francesco. Es ist grausam! o es ist grausam! Der Gott, den ihr zum Zeugen wider euren Bruder anruft, er weiß es, daß ich unschuldig bin.
Anselmo. Was kümmert mich deine Unschuld? Solltest du zurückkommen, ohne einen Bissen Brot für deine hungernden Brüder mitzubringen, du?
Gaddo. Er weint, Anselmo. Vielleicht ist er unschuldig. Gott vergebe ihm, daß er uns betrogen hat!
Anselmo. Sprich wenigstens, teurer Francesco! sprich daß der Thurmwärter noch einmal, nur einmal! kommen wird! Du hast Empfindung, mein Bruder: ach, bei allen Heiligen im Himmel! sprich, daß du den Thurmwärter zu deinen armen Brüdern hergewiesen hast!
Francesco. Nichts, nichts darf ich sagen! Wenn der große Erbarmer nicht einen Engel vom Himmel herabschickt, euch Speise zu bringen, ach so – so –
Ugolino. Daß ein Todesengel vom Himmel herabsteige, deine Zunge zu lähmen, der du meine fürchterlichen Ahndungen zur Wahrheit machst! Verstumme, verstumme auf ewig!
Francesco. Warum fluchst du mir, mein Vater? Was ich dir zu erzählen hatte, würde warme Tränen hervorlocken: darum verschwieg ich's; und stille sei mein Geheimnis, wie das Grab.
Ugolino. Komm seitwärts. Was hattest du mir zu erzählen?
Francesco. Nichts.
Ugolino. Seit wann bin ich dir der Schwache, dem du sein Unglück verbergen müßtest?
Francesco. Du bist Mensch, Gemahl und Vater.
Ugolino. Ha! du hast deine Mutter gesehn? Hurtig! sie ist doch sicher?
Francesco. Ihr Friede ist unzerstörbar.
Ugolino. Das ist mehr, als das Los einer Sterblichen. Sprich deutlicher. Deine weggewandte Augen, diese Glut auf deiner Stirne sind treuere Erzähler, als deine Lippen. Du ängstigst mich.
Francesco. Frage mich nicht, Vater.
Ugolino. Keine Geheimnisse, junger Mensch!
(Anselmo schreit erschrocken)
Ugolino. Schon wieder? was nun, Anselmo?
Anselmo. Ach! Sieh! sieh! mein Vater!
Ugolino. Wo? was?
Anselmo. Wenn mich kein Gesicht täuscht, so steht hier noch ein Sarg.
Francesco. Anblick des Entsetzens! den Sarg kenn ich!
Ugolino. (tritt herzu) Lebt's in diesem Sarge auch? (will den Deckel abschieben; Francesco hält ihm den Arm)
Francesco. Tu es nicht, mein bester, mein teurer Vater!
Ugolino. Nicht? nicht?
Francesco. Um Gottes willen! Ich will dir alles erzählen.
Ugolino. (reißt sich von ihm los, und schiebt den Deckel ab) Mein Weib! o Himmel und Erde!
Francesco. Warum zerschmetterte ich mir nicht das Gehirn? Warum zerstiebten die SThurmwinde den Spreu nicht? Warum ward ich geboren? (Reißt sich die Haare aus)
(Anselmo wirft sich bei Gaddo auf den Boden hin, und verhüllt sich das Gesicht)
Ugolino. Sie schweigt. Bleich ist ihr schöner Mund. Kalt der Schnee ihrer Brust.
Francesco. Kann ich's, muß ich's überleben?
Ugolino. Ach nein! nein! du bist nicht tot! Beim Himmel! ich will's nicht glauben! (Er faßt Francesco vor die Brust) Verderben ergreife dich, du Todesbote! Warum ließest du mich nicht zweifelhaft? Warum brachtest du diese unseligste Gewißheit vor meine Augen? Warum kamst du, wie das Grab gerüstet, meine goldnen Träume zu verscheuchen?
Francesco. Dein Raub – und des Todes – zerreiße mich vollends.
Ugolino. Nicht einsam stand ich da, und schaute von meinem Thurme herab. Ich war stolz: denn ich hoffte. Ein lieblicher Betrug. Verderben ergreife dich, du Todesbote!(schüttelt ihn heftig)
Francesco. Vollende dein Werk; du hast mich dem Verderben gezeugt.
Ugolino. (zum Sarge gehend) Und ist sie tot? O Gianetta! bist du tot? Tot? tot?
Francesco. Rede du zu unserm Vater, Anselmo. Rede zu ihm.
Ugolino. Was hier? Mein Bild an ihrem Herzen? Ach! sie war lauter Liebe und erhabne Gütigkeit! Sie vergab mir mit dem letzten stillen Seufzer ihres Busens. Es ist feucht, dies Bild; feucht von ihrem Sterbekuß. (Er küßt das Bild) Und küßte meine Gianetta ihren Ugolino in der richterlichen Stunde? Wie freundlich war das! wie ganz Gianetta! Ihr Tod muß sanft gewesen sein, mein lieber Francesco.
Francesco. Ihr Tod war ein sanfter Tod.
Ugolino. Gott sei gelobt! Ihr Tod war ein sanfter Tod. Ich danke dir, Francesco. Sie küßte ihren Ugolino in der Stunde ihres sanften Todes. Aber sieh her, Francesco. Dies Bild gleicht deinem Vater nicht recht. Das Auge ist zu hell, die Backe zu rot und voll. Ihr seid die Abdrücke dieses Bildes; aber keine Wange unter diesen Wangen ist rot und voll. Ihr seid blaß und hohl, wie die Geister der Mitternachtstunde. Ihr gleicht diesem Ugolino, nicht dem. Ah! ich muß hieher sehen.
Francesco. Wir sind vergnügt, mein Vater, wenn du zu uns redest.
Ugolino. Daß sie mein Bild an ihrem Herzen trug; daß sie sich ihres Ugolino nicht schämte, mein Sohn, als sie vor ihre Schwester-Engel hintrat; daß sie mit ihrem Sterbekusse meine Flecken abwusch: ach liebes Kind! wie erheitert mich das! wie gütig, wie herablassend war es! Aber sie hat mich immer geliebt. Kein pisanisches Mädchen hat zärter geliebt. Sie war die liebreichste ihres Geschlechts.
Francesco. Und hier diese diamantne Haarnadel, mein Vater, mit der sie nur an dem Jahresfeste ihrer Vermählung ihr duftendes Haar zu schmücken pflegte –
Ugolino. Es ist mein Angebinde. Geschmückt wie eine Braut entschlief meine Gianetta. Sie lud mich ein: hier liegt ein Brief an ihrem keuschen Busen. Nie ist ein Liebesbrief geschrieben worden, wie dieser. Ha! es ist meine Hand! Der letzte Brief, den ich aus diesem elenden Aufenthalte an sie schrieb!(er will den Brief nehmen; Francesco springt zu, und zerreißt ihn)
Francesco. Du mußt den Brief nicht sehn, mein Vater –
Ugolino. Den Brief?
Francesco. Er ist furchtbar, wie der Tod! Die Natter hat ihn getränkt.
Ugolino. Mein Brief?
Francesco. Tod ist sein Hauch.
Ugolino. Mein Brief?
Francesco. Er fiel durch die Treulosigkeit des Thurmwärters in Ruggieris Hände: du weißt genug.
Ugolino. Richter im Himmel! –
Francesco. Nie hat die Hölle einen giftigern Aspik an des Arno versengten Strand ausgeworfen, als der Gherardescas Worte zur Pest machte.
Ugolino. O ich erliege! Mein Brief?
Francesco. Sie trank die Züge deiner werten Hand in sich – ah Getäuschte! Sie drückte den geliebten verrätrischen vergifteten Brief an ihr Herz –
Ugolino. Widerrufe, Francesco.
Francesco. Ungefürchtet wirkte die verborgne Natter fort; in jede Nerve, in jede kleinste Blutader, in jeden liebevollesten ihrer Blicke sandte Ruggieri seinen Tod, und mit dem trübentfliehenden Tage, früher als der Abend sich neigte, eilte ihr Geist zum Himmel auf.
Ugolino. Widerrufe, junger Mensch; widerrufe deine Verleumdungen. Mein Brief, sagst du? – Wehe mir! dem Gedanken erlieg ich!
Francesco. Ich habe dir noch zu wenig gesagt. Daß ein Blitz Gottes den Verruchten in den untersten Pfuhl der Vergiftung hinunterschleudre! hinunter! wo scheußliche Dünste siebenfachen Tod brüten; wo das Antlitz der Natur von Volkanen und Pestilenzen versehrt ist! daß sein Leib verdorre, wie eine Otterhaut, und eine Gewissensangst nach der andern seine Seel ergreife! Ach mein Vater! mein Vater!(er umfaßt seines Vaters Kniee ängstlich)
Ugolino. Ich errate. Deine starren Blicke in wilder Verwirrung, dein straubigtes Haar, deine schlotternden Kniee, die aschgraue Verzweiflung deines Angesichts, jeder Ton, jede Bewegung lehrt mich, daß noch eine Nachricht ist, vor der die Menschlichkeit zurückbebt. Verbirg sie, mein Sohn, verbirg sie diesen Schwachen. Und du, Francesco, sei standhaft.
Francesco. Mein Kelch ist geleert. Wie glücklich, wenn deine und meiner Brüder Leiden mir in die Grube folgten! Könnt ich sie mit dir teilen, mein Vater, so wär ich beneidenswürdig!
Ugolino. Du bist ein edler Jüngling. Vergib mir, ich kannte deinen Wert nie bis itzt.
Anselmo. (greift Gaddo wild an) Wir sind betrogen!
Gaddo. Ist's denn meine Schuld?
Ugolino. Dieser Knabe ist heftig, wie ein Mann.
(Anselmo geht ab)
Rede, Francesco. Komm her. Erst laß uns diesen Sarg verschließen. Ruhe wohl, heiliger Staub, bald will ich deiner würdiger sein. Genug. Nun rede.
Francesco. Ah, Gherardesca! Du hast der Schritte noch viele bis ans Ziel! und schwere!
Ugolino. Gherardesca soll sie tun. Sei nicht traurig. Wie weiter?
Francesco. Was kann ich? was darf ich sagen?
Ugolino. Ist das Todesurteil über dich und deine Brüder gesprochen?
Francesco. Du wirst fallen, wie der Stamm einer Eiche, alle deine Äste um dich her gebreitet.
Ugolino. Ist es über dich und deine Brüder gesprochen?
Francesco. Gesprochen über alle! Vollzogen an mir!
Ugolino. Wie meinst du das?
Francesco. Ich bin zu glücklich. Ich habe meinen Kelch geleert.
Ugolino. Man hat dir einen Giftbecher gereicht?
Francesco. Ich habe ihn geleert.
Ugolino. (mit starken Schritten, auf und ab gehend) Es gibt mancherlei Todesarten, mein Sohn. Kein Geschöpf ist sinnreicher, Todesarten zu erfinden, als der Mensch. Ich will dir nur eine nennen. Der Erzfeind hätte seine Freude daran finden können, mir ein Glied nach dem andern absägen zu lassen, erst die Gelenke an den Zehen, dann die Füße, dann die Beine, dann die Schenkel; so stünde ich Torso da: und nun setzte man mir das zackigte Eisen an die Finger, die Hände, die Arme, eins nach dem andern, mit Ruhezeiten, daß der Zeitvertreib nicht zu kurz dauerte; ganz zuletzt zerstieße man mir, nicht aus Mitleid! das wunde Herz, bis ich in meinem Blute erläge, das mit viel Schweiß herabränne, aber nicht mit Tränen! Wie könnt ich weinen? Man sollte denken, dieser Tod sei schon unterhaltend genug: allein der Erzfeind hat's besser überlegt. Hier würde ich an meinem eignen Fleische leiden: eine Kleinigkeit! Ich soll in meinen Kindern langsam sterben, eine volle Weide an eurer Marter nehmen, und dann fallen! Mein Weib mußte erst fallen, durch die Worte meiner Liebe fallen, in diesem Sarge hergeschickt werden, du ihr Vorläufer, dem Tode geopfert, aber später zum Grabe reif! O es ist der Hölle so würdig! Doch ich will nicht murren! Aber warum mußten diese Unschuldigen leiden? Warum du? warum mein Weib? warum durch den großen Verführer? womit hatt ich ihn beleidigt? Pisa konnte mich strafen, um Pisa hatt ich's verdient: aber womit um ihn? Ich hielt ihn für meinen Freund; ich hätt ihn lieben können; allein sein teuflisches Herz enthüllte sich mir zu bald. O schändliche Eifersucht über einen dreimal schändlichern Gegenstand! Fürchtete er, daß ich Ruggieri sein könnte, wenn ich Ruggieris Macht hätte? Heimtückischer zähneblöckender Neid! Erstgeborner der Hölle! und Erstgefallner! Aber warum mußt ich durch den großen Neider fallen? warum er nicht? warum reichte die Vorsehung ihm, unter allen Verworfensten der Schöpfung nur ihm – nur ihm – nur ihm – o es verwundet jeden Gedanken meiner Seele! – warum nur ihm ihre Geißel?
Francesco. Um das Maß seiner Verdammnis ganz vollzufüllen.
Ugolino. Ist es denn wahr, himmlischer Vater! Doch nein! nein! ich will nicht murren! Rechtfertige du die Wege der Vorsicht.
Francesco. Innerhalb einer Stunde hoff ich's zu können.
Ugolino. Innerhalb einer Stunde! Glücklicher Francesco! Ich sollte mich dieser Stunde freuen. Wie konnte Ruggieri den menschlichen Gedanken fassen, deinen Tod zu beschleunigen? Es ist wundervoll, ich gesteh es.
Francesco. Bist du stark genug, meine traurige Erzählung zu hören?
Ugolino. Ich glaube, daß ich sie hören kann.
Francesco. Im Taumel meiner Wonne, Pisas Pflaster noch einmal zu betreten, floh ich augenblicklich dem Palaste meiner Mutter zu. Alle Wände hallten von der Wehklage ihrer Frauen. Ich blieb nicht lange im Zweifel. Blind vom Schrecken stürzte ich vor der Schwelle nieder. Als ich erwachte, sah ich das Zimmer voll hagerer hohnblickender Gesichter; Ruggieri war nicht unter ihnen. Ich wollt entspringen, da ich mich umringt sah: allein ich war von ihren Riechwassern, wie sie sie nannten schwindlicht und krank. Man riß mir die Kleider auf; man bot mir einen Becher mit kühlem Getränke dar; ich trank; meine Geister waren verwirrt. Neue Ohnmachten überfielen mich, und da ich endlich die Augen öffnete, herrschte stille Nacht um mich her, ich fühlte mich schweben, in einem engen Raume, und atmete schwerer: wo ich aber war, konnt ich nicht erkennen. Lange vernahm ich nur ein undeutliches Geräusch in meinen Ohren: zuletzt eine Stimme. O diese Stimme! Noch zittre ich. Sie hatte mich versteinert, daß ich den Gebrauch meiner Sinne verlor, bis ich, wie im Traume Gaddo reden hörte.
Ugolino. Was sagte diese Stimme?
Francesco. Verlange nicht, es zu erfahren.
Ugolino. Da ich das Ärgste weiß?
Francesco. Wahr ist's. »Ich erwarte euch hier unten«, zischelte sie. »Ich will den Thurmschlüssel selbst in den Arno werfen. Was droben ist, gehört der Verwesung: kein lebendiger Mensch soll diese Stufen nach uns betreten. Es müssen noch Schlupfwinkel im Thurm sein«, sprach sie lauter; »verwahrt sie: denn der Thurm ist von dieser Stund an verflucht! ein Gebeinhaus!« –
Ugolino. Und verflucht die Stimme, die diese Unmenschlichkeit aussprach! O Pisa! Schandfleck der Erde! geschieht das in deinen Mauren? Ich will der unerhörten Bosheit itzt nicht weiter nachsinnen. Es könnte die Weisheit selbst wahnsinnig machen. (Geht gedankenvoll) Sollen meine armen Kinder zu meinen Füßen verhungern? Verhungern? Hast du jemals dies greuliche Wort: »Verhungern!« recht überdacht, Francesco?
Francesco. Sprich es nicht aus, mein Vater!
Ugolino. Selbst Verhungern zu milde! Verhungern sehn! Meine Kinder verhungern sehn! Und dann verhungern! Das ist das große Gericht! Und bin ich! ich Gherardesca! ich der Sieger! ich, der ich einen Fürsten zu ehren schien, wenn ich ihn meiner Rechten an meiner Tafel würdigte! bin ich be stimmt den Tod des Hungers zu sterben? Doch stille! Ich will, ich will des Schändlichsten, o dieses Schändlichsten Frevelstücke nicht nachsinnen! Aber ach! wie bedaure ich dich, mein Francesco!
Francesco. Mich?
Ugolino. Dich. Hast du mir alles erzählt?
Francesco. Alles, alles.
Ugolino. Keinen kleinsten Umstand verschwiegen?
Francesco. Keinen. Verlaß dich drauf.
Ugolino. Überlege es wohl.
Francesco. Keinen, keinen, mein Vater; nicht den mindesten.
Ugolino. So bedaure ich dich! Bei allem, was heilig ist, ich bedaure dich!
Francesco. Du setzest mich in Verwundrung.
Ugolino. Was für Grund hattest du, zu hoffen, daß der Becher, den man dir reichte, ein Giftbecher sei?
Francesco. Er kam von Ruggieri. Was konnt er sonst sein?
Ugolino. Siehst du? Du trautest Ruggieri Menschlichkeit und Gefühl zu. Nein, nein, mein Sohn, es war ein Erquicktrank; ich kenn ihn besser.
Francesco. Ha! wenn dem so wäre! ich dürfte mit meinem Vater ganz ausdulden! gewürdigt sein, ihn zu trösten und zu ermuntern! die Stütze seines reifern Elends! der Teilnehmer seiner Leiden! Ach ich wäre beneidenswürdig! Ich kann's nicht glauben!
Ugolino. Francesco, was du mir itzt sagst, ist der empfindlichste Vorwurf, den mir je ein Sterblicher gemacht hat.
Francesco. Ich zittre.
Ugolino. Wie sehr hab ich dich verkannt! Dein Herz ist ein erhabnes Herz, Francesco! Ich bewundre dich. Ich betrachte dich mit Entzücken.
Francesco. Nur dein Herz ist erhaben, mein Vater. Ich bin eigennützig. Doch wage ich nicht, es zu hoffen. Mein Leben neigt sich; ich fühl es zu sehr.
Ugolino. Überreste deiner Ohnmacht – Du warst in einen Sarg gepreßt.
Francesco. Gesegnet, gesegnet seist du mir, bester Vater! Du machst mich noch einmal glücklich!
Ugolino. Laß uns diese Unterredung abbrechen, du große Seele; sie rührt mich zu sehr.
Francesco. Wollen wir jenen Sarg nicht entfernen, der itzt meine Augen nur ärgert? Ich hoff ihn noch lange nicht zu bewohnen.
Ugolino. Ich bin's zufrieden. (sie tragen Francescos Sarg ab)