Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 25

Vierter Aufzug

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Inhaltsverzeichnis

Ugolino. Bin ich endlich allein? (Er schiebt den Sargdeckel ab) Hier war ich König! Hier war ich Freund und Vater! Hier war ich angebetet! Ich heischte mehr. Ich wollte Sklaven im Staub meines Fußtritts sehen; und so verlor ich alles, was das parteiische Verhängnis mir geben konnte. Wenn ich mir itzt das goldne Gepränge, die Trophäen, den Stolz meiner kriegerischen Tage zurückerkaufen könnte, ach mit Entzücken gäb ich sie alle die geprahlten Nichtswürdigkeiten, um ein dankbares Lächeln ihrer errötenden Wangen, um einen belohnenden Blick ihrer Augen, um einen Ton ihrer Lippen, um einen Seufzer der Freude aus ihrer Brust. Ach Ugolino, du warst glücklich! Kein Sterblicher war glücklicher! Und du hättest glücklich vollenden können! Da sitzt der Stachel! Ich bin der Mörder meiner Gianetta! Wider mich hebt sie ihr bleiches Antlitz zum Himmel! Auf ihren Ugolino ruft ihr unwilliger Schatten den Richter herab! Liebenswürdiger Geist! liebenswürdig in deinem Unmut! Ist dein Antlitz ganz ernst? Ah! dein Antlitz ist ernst! Einst hab ich dich gesehn, meine Gianetta; liebevoll und schüchtern sankst du in meine Arme. Ruggieri Ubaldini trat heran; das Gewand des Heuchlers rauschte lauter; sein bleifarbigtes wässerigtes Angesicht tobte vom SThurm seiner Seele; er wälzte seine adrigten Augen weit hervor; Tücke und Verderben lauschten nicht mehr im Schleier der Nacht! Du aber lagst furchtsam atmend an meinem Halse. Da erhob sich mein Herz! Da erkannte Ruggieri noch einmal Gherardesca, den Mann! Da waren deine Blicke mild, wie der Morgentau; und deine süßen Lippen, deine Nektarlippen, deine Wonnelippen (Er küßt sie) nannten Pisas Befreier deinen Erretter! Nun bin ich gebeugt, meine Liebe! Mein Haar ist nun grau, und mein Bart ist fürchterlich, wie eines Gefangnen. Doch der große Morgen wird ja kommen! schrecklich, dunkelrot und schwül von Gewittern wird er ja kommen! In seinem schwarzen Strahle will ich erlöschen! In seiner gebärenden Wolke soll, wie Feuer vom Himmel, mein Geist über Pisa stehn! Dann erzittre ein Elender! aber nur einer. Feuer und Rache! ist meine Gianetta gefallen! (Steht tiefsinnig) Mit Gift hingerichtet haben sie meine Gianetta? Gift sogen sie aus den Worten meiner Liebe? ah! aus den Worten meiner Liebe? Einsame Erde! ich traure! Was? mit Gift hingerichtet haben sie meine Gianetta? (Geht stillschweigend) Gern möcht ich die Stimme des Abgrundes vergessen! o daß ich sie nie gehört hätte! Ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ein Gebeinhaus der Verhungernden! Denn der Thurm ist von dieser Stund an verflucht! ein Gebeinhaus der Verhungernden! Ha! wie er wütet, der Gedanke! wie er sich in mir umkehrt! Ich kann ihn nicht ausdenken! und mag nicht! O pfui! pfui! Brandmal für die Menschlichkeit! ewiges Brandmal! Ich kann mich deiner nicht erwehren; du Wohnhaus des Schreckens! nicht mehr Kerker meiner Erniedrigung! Gruft! Gruft der Gebeine Gherardescas! Gruft meiner Auferstehung! aber erst meiner Verwesung! ah! nicht nur meiner! Fürchterlich! hier hinsinken! hier mit dem Tode ringen! einsam! von keiner freundschaftlichen Hand unterstützt! ganz einsam! mein Weib, meine Kinder rings um mich gesammelt! dennoch ganz einsam! jeder Sinn voll ihrer Verwesung! fürchterlicher als einsam! Tod, wie keiner dich starb, o du bist fürchterlich! Ich will nicht, ich will dich nicht denken! (Er sieht Gaddo) Doch zwingt mich dieser Anblick. Ach daß ich Vater und Mensch sein muß! Steh auf, armer Gaddo! Du antwortest nicht?

Gaddo. Ich bin gelähmt.

Ugolino. Aha, war das die Ursache?

Gaddo. Hilf mir, mein Vater!

Ugolino. So!

Gaddo. Lächle, trauter Vater, und hilf deinem Gaddo!

Ugolino. So!

Gaddo. Gott segne dich!

Ugolino. (hebt ihn auf seinen Schoß) Wo schmerzt es dich, mein Gaddo? Sage mir's, armes Kind.

Gaddo. (ihn sehr beweglich ansehend) Du wirst mich nicht Hungers sterben lassen, mein Vater!

Ugolino. Wo sitzt deine Krankheit?

Gaddo. Im Herzen, im Magen, im Kopf: ich kann's dir nicht sagen. O mich ekelt!

Ugolino. Ich habe dich nicht schreien gehört.

Gaddo. Oh! der Hirnschädel wäre mir geborsten.

Ugolino. Deine Augen sind blau und geschwollen.

Gaddo. Sie wollen nicht weinen!

Ugolino. Gewiß, gewiß, es ist sehr bitter!

Gaddo. Liebt meine Mutter mich noch?

Ugolino. Sie liebt dich immer: wir lieben dich beide.

Gaddo. Hah! wenn dem so wäre! Es ist unglaublich.

Ugolino. Warum unglaublich, mein Gaddo? Sprich! Ich bin dein liebender Vater.

Gaddo. Sie hat mich an ihrem Busen genährt: itzt läßt sie mich verschmachten. Doch sie kann mich verschmachten lassen, und doch lieben: denn du liebst mich, mein Vater; sagtest du nicht so?

Ugolino. (küßt seine Augen) Habe Mitleid, Strafengel! o schone! schone!

Gaddo. (seufzt) Ach!

Ugolino. O nein! nein! lieber rede! daß Gott im Himmel dich höre! rede; strafe deinen Vater; girre nach deiner Mutter, Verlorner! Ärmster! nur laß mich dich süßes Kind nie wieder seufzen hören!

Francesco. (eilig) Es müssen Leute im Thurm sein: ich hörte Fußtritte.

Ugolino. (bestürzt) Wie? Was? (Legt Gaddo hin)

Anselmo. (langsam) Du wolltest vermutlich die Männer im Thurm sehen. Es sind dieselben, die ich vorher bat, mich und Gaddo mitzunehmen: Männer ohne Herz. Sie schlichen fort, da sie mich wahrnahmen, als fürchteten sie mich. Sie sind nicht mehr da.

Francesco. Horch! horch!

Anselmo. Auch die Öffnung ist nicht mehr. St! St!

Francesco. (erblaßt) Die Thurmtüre! Ha! (Man hört sie stark zuschlagen)

Anselmo. Sie wird verschlossen. (Ein sehr langes und schreckenvolles Stillschweigen: worauf Anselmo seinen Bruder leise anstößt) Du siehst den Geist an der Mauer, Francesco! Nein, sieh nicht dort hin; sieh unsern Vater. Erstarrt? Versteinert? Bleich war das Antlitz unsers Vaters; aber sieh, Francesco, itzt ist's schrecklich. Weh mir! ihm ins rote, ins unbewegliche Auge zu sehn, schaudert mich! Ach mein Vater! (Küßt seine Hand) Und auch du, Francesco? Du schweigst? seufzest? auch du, Francesco? und schluchzest? Mein Vater! (Küßt seine Hand noch einmal, sieht auf, und erschrickt) Auf dich wirft er einen schnell zurückgezognen Blick, und auf mich, und auf Gaddo! Blut strömt vom gewaltigen Biß seiner Lippen! Seine Gesichtsmuskeln stehn aufwärts gedrängt und starr! Mein Vater! (Wirft sich ihm zu Füßen)

Francesco. Sei ruhig, Anselmo, ich bitte dich! (er richtet ihn auf)

Anselmo. (mit Heftigkeit) Mein Vater! mein Vater! (Ugolino geht ab) Mein Vater! (Mit den Füßen stampfend) Mein Vater! (Ängstlich schreiend)

Francesco. Was ängstigt dich, mein Anselmo? Was schreckt dich, Lieber? ach! laß unsern Vater nichts von dieser Heftigkeit sehn! sei gelassen! sei ruhig!

Anselmo. Gut, Mann! entferne dich nur! aber schnell! schnell aus meinen Augen! wenn dein Leben dir lieb ist, Mann!

Francesco. Ich darf ihn itzt nicht verlassen, nein. Und mein Vater! o ewige Vorsicht!

Anselmo. Ich irrte mich. Dieser da ist keiner von ihnen. (Sieht sich furchtsam nach allen Seiten um) Ach! (Indem er die Hände ringt) Nun ist es gewiß. Weggeführt haben die Priestersklaven das Opfer! und die Reihe wird an mich kommen: aber desto besser.

Francesco. Gib dich zufrieden, Anselmo. Kennst du mich nicht?

Anselmo. Dich? (misst ihn mit den Augen)

Francesco. Kennst du mich?

Anselmo. Ha! ha! ha! Wie sollt ich dich nicht kennen. Du bist ja Er, der aus dem Abgrunde heraufkam. Ich sah dich aus deiner Grotte steigen: eine Grotte, wie ich mir keine wünsche, schmal und eckigt. Hatte sie keinen giftigen Einwohner, als dich?

Francesco. Er redet vom Sarge, und seine Geister scheinen sich zu sammeln. Beruhige dich, Anselmo; ich bin dein Bruder Francesco, und ich lebe.

Anselmo. Wohl dir, daß du lebst! Draußen, ach weh! drohn die Gefahren! man kann dir nicht schuld geben, daß du ihnen nicht zeitig genug ausgewichen seist. Willkommen, Thurmspringer! Sicherheit ist die Blume des Lebens.

Francesco. Ich vergebe dir den Spott. Thurmspringer nennst du mich? Wollte Gott, ich hätte den unseligen Sprung nicht gewagt! Alles wäre gut gewesen! Keins unter euch hätte viel gehofft, noch viel gefürchtet! Wie wund muß euer Gefühl sein! Wie sehr vergrößert sich meine Übereilung! Vergib mir, mein Bruder, o vergib mir! die Absicht war nicht unedel.

Gaddo. (ruft) Francesco!

Anselmo. Gut! sei gerichtet nach deinen Taten! (er geht auf und ab, bald schnell, bald langsam)

Gaddo. Francesco!

Francesco. Was verlangt mein Gaddo?

Gaddo. Sei mein Fürsprecher, Francesco. Ich bin dir auch gut.

Francesco. Bei wem, du geliebter Gaddo? Sprich.

Gaddo. Bin ich dein geliebter Gaddo? Ich frage nicht umsonst.

Francesco. Ja! Gott weiß es!

Gaddo. Ach! Jedermann liebt mich, und ich liebe jedermann, und doch hilft mir keiner. Hilf du mir, geliebter Francesco. Vertritt mich bei Anselmo; du giltst viel bei ihm.

Francesco. Worin, Gaddo, worin soll ich dich vertreten?

Gaddo. Erst bitt ich dich, mir eine Zechine zu leihen.

Francesco. Eine Zechine? wozu die?

Gaddo. Ich habe viele Zechinen unter meinen Sparpfennigen: sie sollen alle dein sein. Ich bitte dich nur um eine.

Francesco. Hier hast du sie, Gaddo.

Gaddo. Nimm diese Zechine, und überrede Anselmchen, daß er mir ein einziges Ei aus den vielen Nestern gebe, die er mir kurz vorher schenken wollte: sollt's auch nur so viel sein, als ein Hänflingei.

Francesco. Du sprichts mir Rätsel.

Gaddo. Ich will die Auerhähne gerne entbehren, die uns dein Sprung vom Thurme verschafft hat: itzt brauche ich nur ein einziges Hänflingei. Tu es Francesco, aber bitte ihn höflich, daß er dir's nicht abschlage.

Francesco. Schöne Folgen des Sprungs vom Thurme! Ich war nicht allein ein Tor; ich war auch ungehorsam: allein, o Himmel! die Strafe ist hart! Vergib auch du mir, mein Gaddo! Und doch mit welcher Stirne kann ich's wünschen?

Gaddo. Ein Ei würde mich retten! Ein Hänflingei! Bedenke, Francesco! Kannst du mir ein Hänflingei versagen? O lieber Gott! Gib mir die Zechine zurück: ich will Anselmo selbst bitten. Ich wollt ihm zu Füßen fallen, wenn ich könnte: allein ich kann mich nicht regen. (Francesco gibt ihm die Zechine, und geht mit aufgehobnen Augen ab) Anselmo! großmütiger Anselmo! mein Bruder!

Anselmo. (auffahrend) So ist's recht! Laßt die Hörner tönen am hallenden Fels!

Gaddo. (sanft bittend) Anselmo! mein Bruder Anselmo!

Anselmo. (rauh) Wer ruft? Hei! wer ruft denn da? wer ruft? wer ruft?

Gaddo. (erschrocken) Ich wenigstens bin hier der Rufende nicht!

Anselmo. Du da auf dem Stroh, ich habe zu tun!

Gaddo. (streckt die Hände aus, und legt sich seitwärts)

Anselmo. Hinweg! (Er pfeift) Hinweg! in meinem Kopf sollst du mir nicht spinnen! (Pfeift wieder) Hinweg ich verbanne dich auf ewig aus meinem Kopf! (Macht eine Bewegung mit der Hand) Nun, wie steht's, ihr im silbernen Gewande, unsterbliche Töchter des hohen Oceanus! haben wir das Wild? Mit diesen Nägeln will ich's zerreißen; mit diesem Gebiß will ich's zermalmen; so, so, so will ich das Wonneblut trinken! Schnaubend stürzt der Tiger vom Abhang; sie haben ihm seinen Raub entwandt; springt zischend hoch auf, wittert in den Wind, zerstiebt mit langgestreckter Klaue den Fußtritt des Schnellen im glutroten Sand, Grimm knirscht in seinen Zähnen, Hunger sprüht heiß im Aug: umsonst, Tiger, am Bart des Jägers glänzt's! Ich will mich an diesen Abhang setzen. Durch diese Felsritze kann ich die Tigerkatzen über mir, und von die ser Höhe die Marder unter mir spähen. So will ich euch den Fang ablauschen, ihr Räuber! Meine Hühnchen nisteten am Sumpf, wo der Marder mit gesenkten Ohren hinabschleicht. Weg sind sie! Stoßt ins Horn, Müßige! stoßt ins Horn! stoßt ins Horn! (singt)

Der muntre Jagdzug schwebet

In blauer Luft!

Roß, Hund, und Jäger drängt sich

Daher, dem Himmel nah!

Hab ich den Dieb? Langöhrigter! laß deine Stimme hören! (Er billt) Ho! ho! ho! Dieb siehst du den Pudel nicht?

Gaddo. Was ist das?

Anselmo. Sei gegrüßt, Endymion. Wir haben gute Weile. Kannst du einen Wettgesang singen?

Gaddo. Ich singe wenig, Anselmo.

Anselmo. Was schadet's? Wir wollen einen Wettgesang singen.

Gaddo. Ich kann kaum reden, Anselmo; und sollte singen?

Anselmo. Singe, Träger, oder bei jenem hinhangenden Monde! ich zerstoße dich mit dem Felsbruche!

Gaddo. Wie, Anselmo, du weißt, daß ich nicht singen kann.

Anselmo. Singe!

Gaddo. Ich singen?

Anselmo. Singe!

Gaddo. Ich, der ich weinen möchte, wenn ich könnte?

Anselmo. Singe weinend! Singe!

Gaddo. Nun denn, Anselmo, ich will singen: aber mein Hals ist roh und heiser. Schenke mir, wenn ich bitten darf, ein kleines Hänflingei, oder ein Zeisigei, wie es dir am nächsten zur Hand ist, um meine Stimme zu bereiten.

Anselmo. (beiseite) Was gilt's, dies ist der Marder, der mir die Eier austrinkt! Durch seine Larve hindurch erkenn ich den tückischen Heuchler! Er ist's! bei meinem Leben! Ich will ihn ausfragen.

Gaddo. Aber schenke mir's bald, Lieber: meine Stimm ist vertrocknet.

Anselmo. Gut! gut! du möchtest also ein Hänflingei haben?

Gaddo. Ich will's nicht leugnen.

Anselmo. Oder ein Zeisigei?

Gaddo. Ach ja!

Anselmo. Hem! wäre dir nicht mit einem Hühnerei gedient?

Gaddo. Das wäre zu viele Güte.

Anselmo. Ei ja, nimm ein Hühnerei.

Gaddo. Ich danke.

Anselmo. Es ist ein frisches Ei, eins von den besten, die ich in meinem Stall habe. He?

Gaddo. Weil es von deiner Hand kömmt, will ich's nicht ausschlagen.

Anselmo. Ich dacht es. (Faßt ihn an die Kehle) Räuber, bekenne mir, wie lange hast du diesen heillosen Frevel verübt?

Gaddo. O mir!

Anselmo. Wie viele Eier hast du mir ausgetrunken? Sieh, dein Leben ist in meiner Hand. Bekenne, wie viel?

Gaddo. Ah! du wirst mich nicht umbringen, Anselmo?

Anselmo. Ich, Marder! ich! ich! umbringen, Marder! dich, Marder! gib acht, Marder!

Gaddo. Hülfe! Hülfe!

Francesco. (springt zu und befreit Gaddo) Entsetzlich! Anselmo schlägt seinen Bruder Gaddo?

Gaddo. Ah! ah!

Francesco. Seinen kranken, gelähmten, verschmachtenden Bruder schlägt Anselmo?

(Anselmo gibt Francesco unvermutet einen Stoß, um sich loszureißen)

Gaddo. Halt ihn! ach halt ihn!

Francesco. Eine eiserne Hand!

Gaddo. Nach mir sieht er hin. Trauter Francesco, halt ihn!

Francesco. Ein Luchs blickt nicht wilder. Der Apfel quer, flammigt der Stern. Und es ist Tücke darin. Wie kann Tücke in ein Auge kommen, wo das Herz so gut, so brüderlich gut ist? O mein Anselmo! Er schweigt hartnäckigt.

Gaddo. Ich aber sollte singen!

Francesco. Unser Vater wird gleich hier sein. Er muß dich nicht sehn. Ich beschwöre dich, Anselmo, laß mich dich entfernen, daß unser Vater dich itzt nicht sehe. Es würd ihn töten!

Gaddo. Schone seiner, Francesco. Ein Marder hatt ihn wider mich aufgebracht; ich weiß selbst nicht, wie. Ah! nun schaut er schon wieder um sich!

Francesco. Er erschrickt. Es dämmert in seinem Auge. O Anselmo! wo bist du gewesen, Anselmo?

Gaddo. Das ging ihm ans Herz!

Francesco. Eine mildere Röte umzieht seinen Blick. Seine Wangen glühn. Er schmilzt, er schmilzt wirklich. Fürchte dich nicht, mein Bruder Anselmo. Sein Auge weinet. Gottlob! da stürzt die Träne! da stürzt die Träne!

Anselmo. Ach Heerscharen des Himmels! Welcher Segenvolleste unter euch stellt sich zwischen mein Herz und die umspannende Kralle?

Francesco. Erbärmlicher Anblick!

Anselmo. Läuft die Natur im Kreise vor mir herum? Wohin, mein Bruder?

Francesco. Dir schwindelt, armer Anselmo. Es ist alles unbeweglich um dich her. Unser Vater kömmt. Um Gottes willen, teuerster Anselmo, mäßige dich itzt, da unser Vater kömmt!

Anselmo. Wie könnt er kommen? Er lebt ja nicht mehr!

Ugolino. (sehr freundlich) Ihr guten Kinder!

Anselmo. (fällt ihm um den Hals und schluchzt)

Ugolino. (ihn küssend) So lieb ich euch, meine Kinder. Euch in dieser reizenden Vertraulichkeit beisammen sehn, ist Erquickung zum Leben! Warum stutzt mein Anselmo? betrachtet mich so aufmerksam?

Francesco. Das Vergnügen, mein Vater, dich so heiter zu finden –

Ugolino. Wir wollen recht heiter sein, meine Kinder. Es ist eine heitre Stunde. (Er nimmt einen Stuhl und setzt sich) Setze dich neben mich, Francesco, und du, Anselmo. Will Gaddo auf seines Vaters Schoß sitzen?

Gaddo. Ob ich will? (Bewegt sich, um hinzukommen)

(Francesco bringt ihn seinem Vater)

Ugolino. Wir haben viel fröhliche Tage gelebt, meine Söhne. Wollen wir nachrechnen? Es wird uns schwerfallen, sie alle zusammenzurechnen.

Francesco. Das war ein schöner fröhlicher Tag, da Anselmo geboren ward. Ich erinnere mich's recht genau. Ich war damals sieben Jahre alt.

Ugolino. Ein schöner Tag; du hast recht, Francesco. Ganz Pisa nahm daran teil. Die Freudenfeier und die festlichen Tänze dauerten drei Tage, und darüber.

Gaddo. Da wird was Rechts geschmaust sein, mein Vater! War ich auch dabei?

Francesco. Du warst noch nicht geboren, Gaddo.

Gaddo. Schade!

Ugolino. Wie so still, Anselmo?

Anselmo. (nachdem er ihn starr angesehn hat) So bist du's denn wirklich? Nun (Blickt zum Himmel) ich danke dir!

Francesco. Anselmo wähnte, daß dir nicht wohl sei. Auch das war ein schöner Tag, mein Vater, da die Mütter, Jungfrauen und Jünglinge dir nach dem großen Siege vor die Stadt entgegenkamen.

Ugolino. Ganz recht. Ihr Zuruf im Klange der Klappererze und Trompeten machte mir warm. Aber ich wollte, daß ihr mir auch einige von euren fröhlichen Tagen herrechnetet.

Anselmo. War das nicht ein schöner und ein fröhlicher Tag, ihr Brüder, da mich Ruggieri meinem Vater nachschickte? und –

Francesco. Und da wir, auf dem goldnen Kahne, unsrer Mutter entgegensegelten, als die dankbaren Pisaner sie im Triumphe den Arno hinaufführten bis zur Villa Gherardesca.

Ugolino. Du warst auch zugegen, Gaddo: was sagst du dazu?

Gaddo. Mir wird ganz trübe vor den Augen!

Ugolino. Genug, meine Kinder; wir haben alle viel fröhliche Tage gelebt. Zu bedauern ist's, daß dies Leben nicht immer fortwährt. Man ist auf der Welt so glücklich.

Gaddo. (seufzend) Ach ja! das Leben ist so was Süßes!

Francesco. Das dächt ich nicht, mein Vater. Wenn man beim Tausch verlöre, da ließ ich's gelten. So aber gewinnt man ja in jeder Absicht.

Ugolino. Du hast's getroffen, Francesco. Das menschliche Leben ist zwar sehr glücklich; aber das höhere Leben nach dem Tode ist doch viel glücklicher: es hat keine Abwandlungen, es ist ein höheres Leben. Ach! von Vaterhuld floß das Herz unsers Schöpfers, da er Menschen schuf. Er setzte sie in einen irdischen Garten, und bereitete ihnen den Übergang in einen Garten des Himmels.

Francesco. Mir fällt dabei das Sterbelied unsers Schutzheiligen, Sankt Stephans, ein, wie ich's ein mal von einer sehr angenehmen Stimme gehört habe.

Ugolino. Sing es.

Francesco. (singt)

Ich soll den Lichtquell trinken

Am himmlischen Gestad!

Ach! wo das Lied der Sterne strömt,

Am himmlischen Gestad,

Da strömt ihr Silberstrom

Unsterblichkeit!

Ihn soll ich schaun! Gedank!

Unauszudenkender Gedank!

Ach! ich verstumme dir!

Ugolino. Du hast's gut gesungen. (Beiseite) Herunter, mein Herz! So weit war's wohlgetan, Ugolino!

Anselmo. (steht vom Stuhl auf) O Licht! Licht! o Salamis, heiliger Vaterlandsboden! Herd meiner Väter! und du, ruhmvolles Athen! und du, mit mir auferzognes Geschlecht! ihr Quellen, ihr Flüsse, ihr trojanischen Felder! euch ruf ich! seid mir gesegnet, o ihr meine Pflegerinnen! Dies letzte Wort ruft Ajax euch zu: das übrige will ich im Elysium den Schatten erzählen.

Ugolino. Was sagst du?

Francesco. Er hat die Rolle des Ajax Telamonius im Augustinerkloster gespielt. Dies ist nichts, als eine plötzliche Regung seines Herzens.

Ugolino. Gut; ich verlasse euch, meine Kinder. Der Morgen naht heran, und keins von euch hat noch den balsamischen Schlaf genossen. Schlaft nun wohl, ihr Geliebten. (Legt Gaddo wieder hin) Wenn wir uns wiedersehn, so – (Geht eilig ab)

Anselmo. Schläfert dich?

Francesco. Freilich! aber ohne meines Vaters Segen will ich nicht einschlummern! O mein Schlaf wird ein herzerquickender Schlaf sein!

Anselmo. Mein Vater soll mich auch segnen. (gehen ab)

Gaddo. Mich hat er gesegnet. Dennoch könnt ich itzt nicht einschlummern.

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang

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