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Einführung

An den Universitäten war die Erforschung der Antike und des Orients bereits etabliert, als der Gedanke zur Diskussion gestellt wurde, das Judentum gesondert zum Gegenstand einer akademischen Disziplin zu machen. Die Voraussetzungen dafür waren wissenschaftsgeschichtlich so ungünstig nicht, denn Reformation und Humanismus hatten eine intensive, auf die Kenntnis der biblischen Sprachen gestützte Beschäftigung mit der jüdischen Tradition bewirkt. Darüber hinaus blieben jedoch christliche polemische Werke für lange Zeit die einzigen Informationsquellen über jüdische Religion.1 Aufmerksamkeit schenkte man am ehesten dem biblisch-jüdischen Recht, der Kabbalah und dem Brauchtum.2 Rühmliche Ausnahmen waren die Werke von Autoren wie Joh. F. Buddaeus (1667–1729)3 und Jacques Basagne sieur de Beauval (1653–1723),4 die sich durch Sachlichkeit und Fairness auszeichnen. Im 19. Jh. wurde das Judentum vorrangig ein Thema der neutestamentlichen Zeitgeschichte. Auf diesem Gebiet wurden auch große Standardwerke geschaffen, aber die Geschichte der nachtalmudischen Religion blieb bis auf Ausnahmen (wie Franz Delitzsch) weitgehend unbekannt.

Auf der jüdischen Seite war im 19. Jh. mit der Wissenschaft des Judentums (eine neutralere Formulierung lautet: Wissenschaft vom Judentum) und durch die staatlich forcierte Modernisierung der Rabbinerausbildung ein wissenschaftliches Potential herangewachsen, das sehr wohl in der Lage war, die Lücke in der Kenntnis des mittelalterlichen und neuzeitlichen Judentums zu füllen, doch innerhalb der Universitäten bot sich dazu keine Möglichkeit. Zunächst war man bestrebt, die Quellen zu sichten und bibliographisch zu erschließen. So kamen erste Übersichtdarstellungen der hebräischen und darüber hinaus der jüdischen Literaturgeschichte zustande, wobei Moritz Steinschneider bahnbrechend wirkte, und Gustav Karpeles das erste Standardwerk auf diesem Gebiet schuf.5 Eine monumentalere Präsentation, eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Gelehrter, aber mit zahlreichen Übersetzungen, haben danach Jacob Winter und August Wünsche herausgegeben.6 In den 30er Jahren des 20. Jh. publizierte Meir Waxman ein Werk, das in diesem Umfang bis heute unersetzt geblieben ist.7 Etwa zugleich begann Israel Zinberg eine zwar noch umfassendere, aber unvollendet gebliebene Darstellung in jiddischer Sprache.8 Sie wurde in Israel ins Hebräische übersetzt und ergänzt,9 und erschien schließlich in einer aktualisierten englischen Übersetzung.10 Für die erste Information liegen auch einige kleinere Überblicksdarstellungen vor.11

Im Gegenzug zur Behauptung eines geschichtslosen, versteinerten Judentums wurden nun der Reichtum und die Vielfalt der jüdischen Geschichte und Kultur dokumentiert. Die religiöse Vorstellungswelt des Judentums hingegen behandelte man mit einer gewissen Zurückhaltung, denn in der Konfrontation mit dem Christentum hatte man stets betont, dass das Judentum keine Dogmatik kennt. Meist zog man es vor, religiöse Vorstellungen unter dem Titel Religionsphilosophie oder Philosophie zu abzuhandeln, doch sah man sich letztlich genötigt, das Judentum für sich selbst und der Umwelt gegenüber auf der Basis der Aufklärung plausibel darzustellen, vor allem im Rahmen der geforderten modernen Religionslehrbücher, und auf biblischer Grundlage. Eingehendere Darstellungen spiegeln die Sicht der einzelnen jüdischen Denominationen, der Orthodoxie, des Reformjudentums, und des Konservativen Judentums. Ebenfalls durch die christlich-jüdische Auseinandersetzung und überdies durch die Konfrontation mit antisemitischen Vorwürfen geprägt, wurde die jüdische Ethik dargestellt,12 am gründlichsten durch M. Lazarus.13

Die Geschichte der Religion kam am ehesten im Rahmen großer Darstellungen der jüdischen Geschichte berücksichtigt. Den ersten Versuch unternahm der böhmisch-jüdische Aufklärer und Pädagoge Peter Beer,14 gefolgt vom Historiker Isaak Markus Jost (1793–1860).15 Beider Werke waren bald überholt, denn der konservative, aber rationalistische Historiker Heinrich Graetz (1817–1891) beherrschte lange Zeit die Szene und ließ an mystisch-esoterischen Traditionen kein gutes Haar.16 Für Simon Dubnow (1880–1941) galt das osteuropäische Judentum als Inbegriff der »Jiddischkeit«.17 Benzion Dinur schrieb hingegen ganz aus zionistischer Perspektive,18 eine Tendenz, die auch ein verbreitetes israelisches Gemeinschaftswerk kennzeichnet. Eine ausgewogenere Darstellung schuf Salo W. Baron (1895–1989), zurzeit das Standardwerk schlechthin.19

Gegen Ende des 19. Jh. und Anfang des 20. Jh. hatten die Wissenschaft des Judentums und die moderne Rabbinerausbildung in Europa und in Übersee (USA) ein hohes wissenschaftliches Niveau erreicht, und die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin wollte zudem trotz deutlicher Nähe zum Reformjudentum religiös möglichst neutral sein. Gleichwohl blieben Versuche zur Integration dieser Wissenschaft als einer akademischen Disziplin innerhalb philosophischer Fakultäten ergebnislos. Seit der NS-Herrschaft befinden sich die großen Zentren jüdischer Bildung im Staat Israel und in den USA. Die rabbinischen Bildungseinrichtungen in England und Frankreich haben ihre Tätigkeit allerdings kontinuierlich fortgesetzt, auch in Deutschland gibt es wieder Einrichtungen jüdischer Bildung, und derzeit setzt in Osteuropa eine Welle von Neugründungen ein. In fast allen Ländern sind inzwischen darüber hinaus an Universitäten Lehrstühle und Institute eingerichtet worden, die Judaistik bzw. Jüdische Studien als eine Disziplin unter den anderen vertreten und in die religiös unabhängige akademische Ausbildung einbringen.20

Der moderne Wissensstand hat sich mehrmals in imponierenden Nachschlagewerken niedergeschlagen, die in manchen Teilen noch heute wertvolle Informationen bieten, am umfangreichsten die neue Auflage der Encyclopedia Judaica; handlichere neuere Publikationen vermitteln eine raschere, vorläufige Orientierung (s. Literatur).

Einführungen in die jüdische Religion sind zurzeit mehrere im Handel, manche von ihnen sind inzwischen auch sehr verbreitet,21 sollten aber wegen der unterschiedlichen innerjüdischen Gesichtswinkel möglichst vergleichend gelesen werden. Sie ersetzen nicht eine Darstellung der Geschichte der jüdischen Religion. Andere neuere, weniger populäre Darstellungen führen in dieser Hinsicht weiter (s. Literatur). Ein Überblick in konziser Form war das Ziel der Geschichte der jüdischen Religion von J. Maier (Berlin 1972), deren zweite, überarbeitete Auflage (Freiburg i. Br. 1992) im Vergleich zur ersten den enormen Fortschritt des Wissensstandes nach zwei Jahrzehnten vor Augen führt. Sie wird für die folgende Beschreibung der jüdischen Religion als Leitfaden vorausgesetzt.

1 Bis ins 20. Jh. nachgewirkt hat EISENMENGER, JOH.A. (1654–1704), Entdecktes Judentum, gedruckt in Frankfurt a. M. 1700; Königsberg 1711; Frankfurt a. M. 1741.

2 SIMON, R., Comparaison des cérémonies des Juifs et de la discipline de l’Église, Paris 1681/Den Haag 1682; DA MODENA, J. Cérémonies et coûtumes qui observent aujourd’hui parmi les Juifs, Paris 1674; Neudruck Paris 1929; dazu kontroverstheologisch MEDICI, P., Ritie costumi degli ebrei confutati, Madrid 1737. SCHUDT, J.J., Jüdische Merkwürdigkeiten, 4 Bd., 1714; Nachdruck Berlin 1922; KIRCHNER, P.CHR., Jüdisches Ceremoniel, Nürnberg 1734, Nachdruck Leipzig 1998.

3 Introductio ad Historiam Philosophiae Ebraeorum, Halle 1701; 1720 Nachdruck Hildesheim 2004.

4 L’histoire et la religion des Juifs, depuis Jesus-Christ jusqu’ä present, Rotterdam 1706/7; 1710 durch ELLIS DU PINT unautorisiert in Paris herausgebracht, von BASNAGE DE BEAUVAL, J. mit der Ausgabe Rotterdam 1711 gekontert; zuletzt: La Haye 1716.

5 KARPELES, G., Geschichte der jüdischen Literatur, 2 Bd., Berlin 21909 (1886); Neudruck Hildesheim 1963.

6 WINTER, J./WÜNSCHE, A., Die jüdische Literatur seit dem Abschluß des Kanons, 3 Bd., Trier 1894-96; Nachdruck Hildesheim 1965.

7 WAXMAN, M., A History of Jewish Literature, 4 (5) Bd., New York 1930/36; 21960.

8 ZINBERG, I., Di geshikhte fun der literatur bej Jiden, 8 Bd., Wilna 1929/37.

9 ZINBERG, I., T6led6t sifrüt Jisra’el, Tel Aviv 1958/60.

10 ZINBERG I., A History of Jewish Literature, 12 Bd., New York 1968/1972.

11 HALPER, B., Postbiblical Jewish Literature, Philadelphia 1921; FEUER, L.I., Jewish Literature since the Bible, 2 Bd., Cincinnati 91963; STEMBERGER, G., Geschichte der jüdischen Literatur, München 1977.

12 Vgl. GRÜNEBAUM, E., Die Sittenlehre des Judenthums andern Bekenntnissen gegenüber, Mannheim 1868 (Straßburg 21878); WEILL, A., La morale du Judäisme, 3 Bd., Paris 1875/1877 (1814–1889, orthod.); KATZ, A., Der wahre Talmud-Jude, Berlin 41928 (1893).

13 LAZARUS, M., Die Ethik des Judentums, 2 Bd., Frankfurt a.M. 1899 (51904)/1911; The Ethics of Judaism, 2 Bd., Philadelphia 1900.

14 BEER, P., Geschichte, Lehren und Meinungen aller religiösen Sekten der Juden und der Geheimlehre der Kabbalah, 2 Bd., Brünn 1822/23.

15 JOST, I.M., Geschichte des Judenthums und seiner Sekten, Leipzig 1857/59.

16 GRAETZ, H., Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten, 11 Bd. (in 13 Teilen), Berlin 1890–1909; Darmstadt 1997

17 DUBNOW, S., Weltgeschichte des jüdischen Volkes, 10 Bd., Berlin 1928–1930.

18 DINUR, B.-Z., T6led6t Jisra’el, 10 Bd., Jerusalem 1961/72. Ebenfalls zionistisch ausgerichtet: BEN SASSON, H.H. (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes., 3 Bd., München 21992.

19 BARON, S.W., A Social and Religious History of the Jews, 18 Bd., New York 21952–1983.

20 STEMBERGER, G., Einführung in die Judaistik, München 2002. Einen weltweiten Überblick vermittelt das Academic Jewish Studies Internet Directory, http://www.jewish-studies.com/.

21 S. Literatur; weitere Angaben im Teil IV. Praktische Religion.

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