Читать книгу Der Talisman. Posse mit Gesang in drei Akten - Johann Nestroy - Страница 14
Achte Szene
ОглавлениеTitus. Salome von rechts auftretend, ohne Titus zu bemerken, hat einen großen halben Laib Brot und ein Messer in der Hand.
SALOME. Ich muss trinken, mi druckt’s im Magen. (Sie geht zum Brunnen und trinkt.)
TITUS (für sich). Die druckt’s im Magen! Oh, könnt ich dieses selige Gefühl mit ihr teilen!
SALOME (ihn bemerkend, für sich). Ein fremder junger Mensch – und die schönen Haar’, grad wie ich!
TITUS (für sich). Bin neugierig, ob die auch »rote Rub’n!« sagt. (Laut.) Grüß dich Gott, wahlverwandtes Wesen!
SALOME. Gehorsamste Dienerin, schöner Herr!
[17]TITUS (halb für sich). Die find’t, dass ich schön bin, das ist die Erste unter allen –
SALOME. Oh, hören S’ auf, ich bin die Letzte hier im Ort, ich bin die Ganselhüterin, die arme Salome.
TITUS. Arm? Ich bedaure dich, sorgsame Erzieherin junger Gänse! Deine Kolleginnen in der Stadt sind viel besser daran, und doch erteilen sie häufig ihren Zöglingen in einer Reihe von Jahren eine nur mangelhafte Bildung, während du die deinigen alle Martini vollkommen ausgebildet für ihren schönen Beruf der Menschheit überlieferst.
SALOME. Ich versteh Ihnen nit, aber Sie reden so schön daher – wer is denn Ihr Vater?
TITUS. Er ist gegenwärtig ein verstorbener Schulmeister.
SALOME. Das ist schön! Und Ihre Frau Mutter?
TITUS. War vor ihrem Tod längere Zeit verehelichte Gattin ihres angetrauten Gemahls.
SALOME. Ah, das is schön!
TITUS (für sich). Die find’t alles schön, ich kann so dumm daherreden, als ich will.
SALOME. Und darf man Ihren Namen wissen – wenigstens den Taufnamen?
TITUS. Ich heiß Titus.
SALOME. Das is ein schöner Nam’.
TITUS. Passt nur für einen Mann von Kopf.
SALOME. Aber so selten is der Nam’!
TITUS. Ja, und ich hör, er wird bald ganz abkommen. Die Eltern fürchten alle, sich in Zukunft zu blamieren, wenn sie die Kinder so taufen lassen.
SALOME. Und lebendige Verwandte haben Sie gar keine?
TITUS. O ja! Außer den erwähnten Verstorbenen zeigen [18]sich an meinem Stammbaum noch deutliche Spuren eines Herrn Vetters, aber der tut nix für mich.
SALOME. Vielleicht hat er nix.
TITUS. Kind, frevele nicht, er ist Bierversilberer, die haben alle was! Das sein gar fleißige Leut; die versilbern nicht nur das Bier, sie vergolden auch ihre Kassa.
SALOME. Haben Sie ihm vielleicht was getan, dass er Ihnen nit mag?
TITUS. Sehr viel, ich hab ihn auf der empfindlichsten Seite angegriffen. Das Aug ist der heiklichste Teil am Menschen, und ich beleidige sein Aug, sooft er mich anschaut, denn er kann die roten Haar’ nit leiden.
SALOME. Der garstige Ding!
TITUS. Er schließt von meiner Frisur auf einen falschen, heimtückischen Charakter, und wegen diesem Schluss verschließt er mir sein Herz und seine Kassa.
SALOME. Das ist abscheulich!
TITUS. Mehr dumm als abscheulich. Die Natur gibt uns hierüber die zarteste Andeutung. Werfen wir einen Blick auf das liebe Tierreich, so werden wir finden, dass die Ochsen einen Abscheu vor der roten Farb haben, und unter diesen wieder zeigen die totalen Büffeln die heftigste Antipathie – welch ungeheuere Blöße also gibt sich der Mensch, wenn er rote Vorurteile gegen die rote Farb zeigt!
SALOME. Nein, wie Sie g’scheit daherreden! Das sähet man Ihnen gar nit an.
TITUS. Schmeichlerin! Dass ich dir also weiter erzähl über mein Schicksal! Die Zurückstoßung meines Herrn Vetters war nicht das einzige Bittere, was ich hab schlucken müssen. Ich hab in dem Heiligtum der Lieb mein Glück [19]suchen wollen, aber die Grazien haben mich für geschmackswidrig erklärt. Ich hab in den Tempel der Freundschaft geguckt, aber die Freund sind alle so witzig, da hat’s Bonmots g’regnet auf mein’ Kopf, bis ich ihn auf ewige Zeiten zurückgezogen hab. So ist mir ohne Geld, ohne Lieb, ohne Freundschaft meine Umgebung unerträglich word’n; da hab ich alle Verhältnisse abg’streift, wie man einen wattierten Kaput auszieht in der Hitz, und jetzt steh ich in den Hemdärmeln der Freiheit da.
SALOME. Und g’fallt’s Ihnen jetzt?
TITUS. Wenn ich einen Versorgungsmantel hätt, der mich vor dem Sturm der Nahrungssorgen schützet –
SALOME. Also handelt es sich um ein Brot? Na, wenn der Herr arbeiten will, da lasst sich Rat schaffen. Mein Bruder is Jodel hier, sein Herr, der Bäck, hat eine große Wirtschaft, und da brauchen s’ ein’ Knecht –
TITUS. Was? Ich soll Knecht werden? Ich? Der ich bereits Subjekt gewesen bin?
SALOME. Subjekt? Da hab’n wir auch ein’ g’habt, der das war, der is aber aufm Schub fort’kommen.
TITUS. Warum?
SALOME. Weil er ein schlechtes Subjekt war, hat der Richter g’sagt.
TITUS. Ah, das is ja nit so. Um aber wieder auf deinen Brudern zu kommen – (auf den Brotlaib, den Salome trägt, deutend) hat er dieses Brot verfasst?
SALOME. G’wiss war er auch dabei, wie der Laib – natürlich als Jodel.
TITUS. Ich möcht doch sehen, wie weit es dein Bruder in dem Studium der Brotwissenschaft gebracht hat.
SALOME. Na, kosten Sie’s! Es wird Ihnen aber nicht [20]behagen. (Sie schneidet ein sehr kleines Stück Brot ab und gibt es ihm.)
TITUS (essend). Hm – es ist –
SALOME. Mein’ Ganseln schmeckt’s wohl, natürlich, ’s Vieh hat keine Vernunft.
TITUS (für sich). Der Stich tut weh: Mir schmeckt’s auch.
SALOME. Na, was sagen S’? Nit wahr, ’s is schlecht?
TITUS. Hm! Ich will deinen Brudern nicht so voreilig verdammen. Um ein Werk zu beurteilen, muss man tiefer eindringen. (Nimmt den Brotlaib und schneidet ein sehr großes Stück ab.) Ich werde prüfen und dir gelegentlich meine Ansichten mitteilen. (Steckt das Stück Brot in die Tasche.)
SALOME. Also bleiben S’ doch noch ein’ Zeit da bei uns? Das is recht! Den Stolz muss man ablegen, wenn man nix hat! Und ’s wird Ihnen recht gutgehn da, wenn Ihnen nur der Bäck aufnimmt.
TITUS. Ich hoffe alles vom Jodel seiner Protektion.
SALOME. Es wird schon gehn. (Nach links in den Hintergrund sehend und erschreckend.) Sie, da schaun S’ hin!
TITUS (hinsehend). Das Pirutsch? – ’s Ross lauft dem Wasser zu – Million, alles is hin! (Rennt im Hintergrund links ab.)