Читать книгу Stille Nacht - Johann Widmer - Страница 6

Ein Stern leuchtet über Betlehem

Оглавление

Dezember 1999

Ahmed, mein lieber Bruder!

Möge Allah auch weiterhin seine schützende Hand über dich halten und dir Gesundheit und Frieden geben. Assalamaleiki!

Dein Brief aus dem fernen Deutschland hat uns viel Freude verursacht und ein warmes Licht in unser dunkles Dasein gebracht. Die Oma, Umm‘ Mohammed liess sich deinen Brief schon dreimal vorlesen und hat dazu immer weinend Segenswünsche geflüstert.

Sicher hast du im Traum ihr «Barakaloufiq» gehört.

Du weisst ja, wie schwer sie es hat, sie, die einst stolze und freie Bäuerin auf eigenem Land war und nun hier wie eine Gefangene in dieser schrecklichen Stadtwohnung eingesperrt ist.

Sie wurde übrigens letzte Woche von israelischen Soldaten arg verprügelt, weil sie, zusammen mit ein paar andern Alten gegen die neuste Landnahme der Siedler protestiert hatte.

All‘ hamd ul Illah, wurde sie dabei äusserlich nicht ernsthaft verletzt, aber ihre innere Wut bekam neue Nahrung. Es ist schrecklich zu sehen, wie sie sich von Hass und verletztem Stolz verzehren lässt. Aber bei alledem, was sie in ihrem schweren Leben an Leid und Ungerechtigkeit erdulden musste, ist dies nicht weiter verwunderlich.

Möge Allah ihren Wunsch erfüllen, dass sie irgendwann in der Zukunft wieder auf ihre geliebte Erde zurückkehren kann, in schah‘ Allah.

Viel Zeit bleibt ihr nicht mehr.

Unsere Familie ist sehr stolz auf dich, mein lieber Bruder und wir sind sicher, dass du an der dortigen Universität ebenso glanzvoll abschliessen wirst, wie einst unser Papa in Beirut.

Der gute Abschluss ist wichtig, wie du weisst, denn wir Palästinenser haben unsern Stolz, wir wollen der Welt zeigen, wer wir in Wirklichkeit sind. Denk daran!

Wir wollen ein gebildetes, intellektuelles Volk sein und nicht mehr die schmutzigen unrasierten Terroristen von einst.

Wegen des bevorstehenden Besuches des Papstes wurde unsere Stadt festlich geschmückt, du würdest dein Bethlehem kaum mehr wieder erkennen. Über der Geburtsstätte von Aissa prangt ein riesiger Stern, sieht ganz hübsch aus.

Viele Palästinenser hoffen, dass der Papst uns dem Frieden ein Stück näherbringen werde, Allah möge ihm beistehen…

Ich persönlich aber bezweifle sehr, dass sich irgendwas bewegen werde, wir kennen dieses heuchlerische Spiel nur allzu gut.

Der reiselustige alte Herr aller Christen will doch nur die heiligen Orte seiner Religion besuchen, Bethlehem, El Quds und was weiss ich was noch, und dann heisst es wieder „Addio, liebe Freunde, tut mir leid, dass ich nicht mehr für euch tun kann, als euch meinen Segen spenden“ und dann fliegt er wieder weg.

Und das wär’s dann gewesen.

Und die Israeli bedrohen uns weiterhin mit ihren Panzern und ihren Kampfbombern und ihre Geheimpolizei und ihre Armee wütet mit der alten Brutalität weiter, sogar Frauen und Kinder fallen ihren Kugeln zum Opfer, die Siedler halten weiterhin ihr gestohlenes Land fest in ihren Händen, man stiehlt uns weiterhin unser Wasser, man hält uns weiterhin wie Tiere gefangen und weiterhin sieht die ganze Welt ihrem Treiben tatenlos zu.

Mit Hilfsgeldern will man uns den Mund stopfen, aber mit dem Geld geht es hier wie mit dem Wasser: eine Hälfte verdunstet unter der Sonne, die andere versickert im trockenen Boden und dann weiss niemand, wo es geblieben ist.

Helfen?

Weder Papst noch amerikanischer Präsident noch irgendwer wird uns je helfen. Alles Heuchelei und leere Worte.

Almosen.

Wir wollen keine mitleidige, heuchlerische und erniedrigende Hilfe, wir wollen unser Land zurück, wir wollen eine Heimat, wir wollen Gerechtigkeit, wir wollen…

…der Glaube an Gerechtigkeit ist uns verloren gegangen, das Unrecht regiert hier schon viel zu lange

Unsere einzige Hoffnung ist Allah, ist unser Glaube, der wahre Glaube, der uns unsere Situation ertragen lässt.

Mit eigener Kraft werden wir nie aus diesem Elend herauskommen.

Wenn wir uns wehren und Steine werfen, Steine gegen Panzer, wird scharf geschossen, wenn die Hamas in Gaza selbst gebaute Raketen abfeuert, voller Wut, ins Nichts hinaus, kommen Kampfhelikopter und jagen unsere Jungen wie Hasen, wenn ein Attentäter eine Bombe zündet, so wird sein Haus gesprengt, seine Familie vertrieben …

Wir sind ohnmächtig, wehrlos, dem Feind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wir liegen am Boden und die Welt schaut weg. Ob auch Allah wegschaut?

In scha’Allah

Aissa, ein Jude und der Prophet der Christen soll gesagt haben: «Liebet eure Feinde». Das klingt so schön und verdammt edel aber nicht einmal die Christen können es. Da sind die Juden mit ihrem «Auge um Auge …»der Wirklichkeit näher.

Oh Ahmed, mein liebster Bruder, könnte ich doch nur hier weg, hinaus aus diesem Elend und dieser demütigenden Situation. Was würde ich nicht alles tun, um zu dir zu fliegen, in jenes ferne Land Deutschland, das du uns in so vielen schönen Farben schilderst.

Aber ich weiss, dass ich, unfreie Palästinenserin, von den Israeli keine Ausreiseerlaubnis bekommen würde.

Und die Deutschen sind ja wohl auch nicht bereit uns alle aufzunehmen. Vielleicht befürchten sie, dass wir mit ihnen umgehen würden wie die Israelis mit uns.

Lustiger Gedanke!

Lassen wir ihn.

Es könnte auch das Gegenteil eintreten.

Wie schön du über das bevorstehende grosse Fest der Christen berichtest, welches hier leider nicht nur Freude für uns bedeutet, wie du dir ja vorstellen kannst.

Mein lieber Bruder, versuche bitte das, was ich dir nun hier schreibe, mit Ruhe aufzunehmen, spare deinen Hass für unsere wirklichen Feinde.

Ich muss dir nämlich leider die traurige Nachricht übermitteln, dass unsere beiden Brüder gestern bei einer Razzia der Juden verhaftet und in Sicherheitshaft genommen wurden, Es sei nur aus Gründen der Sicherheit, bis der ganze Spektakel des Papstbesuches vorüber sei, behaupten die Israeli, aber du weisst ja, was ihr Wort uns Arabern gegenüber gilt.

Allah möge ihnen helfen, dass sie je wieder freikommen!

Mein lieber Bruder, bitte, vergiss uns nicht.

Allah sei bei dir.

Ich schicke dir die liebsten Grüsse und Segenswünsche deiner ganzen Familie, der Oma Umm’ Mohammed, deiner Mutter Leila, deiner Tante …


Stille Nacht

Подняться наверх