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Viertes Buch

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So viel Un­be­quem­lich­keit uns auch die fran­zö­si­sche Ein­quar­tie­rung moch­te ver­ur­sacht ha­ben, so wa­ren wir sie doch zu ge­wohnt ge­wor­den, als dass wir sie nicht hät­ten ver­mis­sen, dass uns Kin­dern das Haus nicht hät­te tot schei­nen sol­len. Auch war es uns nicht be­stimmt, wie­der zur völ­li­gen Fa­mi­li­enein­heit zu ge­lan­gen. Neue Miet­leu­te wa­ren schon be­spro­chen, und nach ei­ni­gem Keh­ren und Scheu­ern, Ho­beln und Boh­nen, Ma­len und An­strei­chen war das Haus völ­lig wie­der her­ge­stellt. Der Kanz­lei­di­rek­tor Mo­ritz mit den Sei­ni­gen, sehr wer­te Freun­de mei­ner El­tern, zo­gen ein. Die­ser, kein ge­bor­ner Frank­fur­ter, aber ein tüch­ti­ger Ju­rist und Ge­schäfts­mann, be­sorg­te die Rechts­an­ge­le­gen­hei­ten meh­re­rer klei­nen Fürs­ten, Gra­fen und Her­ren. Ich habe ihn nie­mals an­ders als hei­ter und ge­fäl­lig und über sei­nen Ak­ten em­sig ge­se­hen. Frau und Kin­der, sanft, still und wohl­wol­lend, ver­mehr­ten zwar nicht die Ge­sel­lig­keit in un­serm Hau­se, denn sie blie­ben für sich; aber es war eine Stil­le, ein Frie­de zu­rück­ge­kehrt, den wir lan­ge Zeit nicht ge­nos­sen hat­ten. Ich be­wohn­te nun wie­der mein Man­sard­zim­mer, in wel­chem die Ge­s­pens­ter der vie­len Ge­mäl­de mir zu­wei­len vor­schweb­ten, die ich denn durch Ar­bei­ten und Stu­di­en zu ver­scheu­chen such­te.

Der Le­ga­ti­ons­rat Mo­ritz, ein Bru­der des Kanz­lei­di­rek­tors, kam von jetzt an auch öf­ters in un­ser Haus. Er war schon mehr Welt­mann, von ei­ner an­sehn­li­chen Ge­stalt und da­bei von be­quem ge­fäl­li­gem Be­tra­gen. Auch er be­sorg­te die An­ge­le­gen­hei­ten ver­schie­de­ner Stan­des­per­so­nen und kam mit mei­nem Va­ter, bei An­lass von Kon­kur­sen und kai­ser­li­chen Kom­mis­sio­nen, mehr­mals in Berüh­rung. Bei­de hiel­ten viel auf ein­an­der und stan­den ge­mei­nig­lich auf der Zei­le der Kre­di­to­ren, muss­ten aber zu ih­rem Ver­druss ge­wöhn­lich er­fah­ren, dass die Mehr­heit der bei sol­cher Ge­le­gen­heit Ab­ge­ord­ne­ten für die Sei­te der De­bi­to­ren ge­won­nen zu wer­den pflegt. Der Le­ga­ti­ons­rat teil­te sei­ne Kennt­nis­se gern mit, war ein Freund der Ma­the­ma­tik, und weil die­se in sei­nem ge­gen­wär­ti­gen Le­bens­gan­ge gar nicht vor­kam, so mach­te er sich ein Ver­gnü­gen dar­aus, mir in die­sen Kennt­nis­sen wei­ter zu hel­fen. Da­durch ward ich in den Stand ge­setzt, mei­ne ar­chi­tek­to­ni­schen Ris­se ge­nau­er als bis­her aus­zu­ar­bei­ten und den Un­ter­richt ei­nes Zei­chen­meis­ters, der uns jetzt auch täg­lich eine Stun­de be­schäf­tig­te, bes­ser zu nut­zen.

Die­ser gute alte Mann war frei­lich nur ein Halb­künst­ler. Wir muss­ten Stri­che ma­chen und sie zu­sam­men­set­zen, wor­aus denn Au­gen und Na­sen, Lip­pen und Ohren, ja zu­letzt gan­ze Ge­sich­ter und Köp­fe ent­ste­hen soll­ten; al­lein es war da­bei we­der an na­tür­li­che noch künst­li­che Form ge­dacht. Wir wur­den eine Zeit lang mit die­sem Qui pro Quo der mensch­li­chen Ge­stalt ge­quält, und man glaub­te uns zu­letzt sehr weit ge­bracht zu ha­ben, als wir die so­ge­nann­ten Af­fek­ten von Le Brun zur Nach­zeich­nung er­hiel­ten. Aber auch die­se Zerr­bil­der för­der­ten uns nicht. Nun schwank­ten wir zu den Land­schaf­ten, zum Baum­schlag und zu al­len den Din­gen, die im ge­wöhn­li­chen Un­ter­richt ohne Fol­ge und ohne Metho­de ge­übt wer­den. Zu­letzt fie­len wir auf die ge­naue Nach­ah­mung und auf die Sau­ber­keit der Stri­che, ohne uns wei­ter um den Wert des Ori­gi­nals oder des­sen Ge­schmack zu be­küm­mern.

In die­sem Be­stre­ben ging uns der Va­ter auf eine mus­ter­haf­te Wei­se vor. Er hat­te nie ge­zeich­net, woll­te nun aber, da sei­ne Kin­der die­se Kunst trie­ben, nicht zu­rück­blei­ben, son­dern ih­nen, selbst in sei­nem Al­ter, ein Bei­spiel ge­ben, wie sie in ih­rer Ju­gend ver­fah­ren soll­ten. Er ko­pier­te also ei­ni­ge Köp­fe des Pi­az­zet­ta, nach des­sen be­kann­ten Blät­tern in klein Ok­tav, mit eng­li­schem Blei­stift auf das feins­te hol­län­di­sche Pa­pier. Er be­ob­ach­te­te da­bei nicht al­lein die größ­te Rein­lich­keit im Um­riss, son­dern ahm­te auch die Schraf­fie­rung des Kup­fer­stichs aufs ge­naus­te nach, mit ei­ner leich­ten Hand, nur all­zu lei­se, da er denn, weil er die Här­te ver­mei­den woll­te, kei­ne Hal­tung in sei­ne Blät­ter brach­te. Doch wa­ren sie durch­aus zart und gleich­för­mig. Sein an­hal­ten­der un­er­müd­li­cher Fleiß ging so weit, dass er die gan­ze an­sehn­li­che Samm­lung nach al­len ih­ren Num­mern durch­zeich­ne­te, in­des­sen wir Kin­der von ei­nem Kopf zum an­de­ren spran­gen und uns nur die aus­wähl­ten, die uns ge­fie­len.

Um die­se Zeit ward auch der schon längst in Be­ra­tung ge­zo­gne Vor­satz, uns in der Mu­sik un­ter­rich­ten zu las­sen, aus­ge­führt; und zwar ver­dient der letz­te An­stoß dazu wohl ei­ni­ge Er­wäh­nung. Dass wir das Kla­vier ler­nen soll­ten, war aus­ge­macht; al­lein über die Wahl des Meis­ters war man im­mer strei­tig ge­we­sen. End­lich kom­me ich ein­mal zu­fäl­li­ger­wei­se in das Zim­mer ei­nes mei­ner Ge­sel­len, der eben Kla­vier­stun­de nimmt, und fin­de den Leh­rer als einen ganz al­ler­liebs­ten Mann. Für je­den Fin­ger der rech­ten und lin­ken Hand hat er einen Spitz­na­men, wo­mit er ihn aufs lus­tigs­te be­zeich­net, wenn er ge­braucht wer­den soll. Die schwar­zen und wei­ßen Tas­ten wer­den gleich­falls bild­lich be­nannt, ja die Tone selbst er­schei­nen un­ter fi­gür­li­chen Na­men. Eine sol­che bun­te Ge­sell­schaft ar­bei­tet nun ganz ver­gnüg­lich durch­ein­an­der. Appli­ka­tor und Takt schei­nen ganz leicht und an­schau­lich zu wer­den, und in­dem der Schü­ler zu dem bes­ten Hu­mor auf­ge­regt wird, geht auch al­les zum schöns­ten von stat­ten.

Kaum war ich nach Hau­se ge­kom­men, als ich den El­tern an­lag, nun­mehr Ernst zu ma­chen und uns die­sen un­ver­gleich­li­chen Mann zum Kla­vier­meis­ter zu ge­ben. Man nahm noch ei­ni­gen An­stand, man er­kun­dig­te sich; man hör­te zwar nichts Übles von dem Leh­rer, aber auch nichts son­der­lich Gu­tes. Ich hat­te in­des­sen mei­ner Schwes­ter alle die lus­ti­gen Be­nen­nun­gen er­zählt, wir konn­ten den Un­ter­richt kaum er­war­ten und setz­ten es durch, dass der Mann an­ge­nom­men wur­de.

Das No­ten­le­sen ging zu­erst an, und als da­bei kein Spaß vor­kom­men woll­te, trös­te­ten wir uns mit der Hoff­nung, dass, wenn es erst ans Kla­vier ge­hen wür­de, wenn es an die Fin­ger käme, das scherz­haf­te We­sen sei­nen An­fang neh­men wür­de. Al­lein we­der Ta­sta­tur noch Fin­ger­set­zung schi­en zu ei­ni­gem Gleich­nis Ge­le­gen­heit zu ge­ben. So tro­cken wie die No­ten mit ih­ren Stri­chen auf und zwi­schen den fünf Li­ni­en blie­ben auch die schwar­zen und wei­ßen Cla­ves, und we­der von ei­nem Däu­mer­ling noch Deu­ter­ling noch Gold­fin­ger war mehr eine Sil­be zu hö­ren; und das Ge­sicht ver­zog der Mann so we­nig beim trock­nen Un­ter­richt, als er es vor­her beim trock­nen Spaß ver­zo­gen hat­te. Mei­ne Schwes­ter mach­te mir die bit­ters­ten Vor­wür­fe, dass ich sie ge­täuscht habe, und glaub­te wirk­lich, es sei nur Er­fin­dung von mir ge­we­sen. Ich war aber selbst be­täubt und lern­te we­nig, ob der Mann gleich or­dent­lich ge­nug zu Wer­ke ging: denn ich war­te­te im­mer noch, die frü­hern Spä­ße soll­ten zum Vor­schein kom­men, und ver­trös­te­te mei­ne Schwes­ter von ei­nem Tage zum an­de­ren. Aber sie blie­ben aus, und ich hät­te mir die­ses Rät­sel nie­mals er­klä­ren kön­nen, wenn es mir nicht gleich­falls ein Zu­fall auf­ge­löst hät­te.

Ei­ner mei­ner Ge­spie­len trat her­ein, mit­ten in der Stun­de, und auf ein­mal er­öff­ne­ten sich die sämt­li­chen Röh­ren des hu­mo­ris­ti­schen Spring­brun­nens; die Däu­mer­lin­ge und Deu­ter­lin­ge, die Kra­bler und Za­bler, wie er die Fin­ger zu be­zeich­nen pfleg­te, die Fak­chen und Gak­chen, wie er z. B. die No­ten f und g, die Fiek­chen und Giek­chen, wie er fis und gis be­nann­te, wa­ren auf ein­mal wie­der vor­han­den und mach­ten die wun­der­sams­ten Män­ner­chen. Mein jun­ger Freund kam nicht aus dem La­chen und freu­te sich, dass man auf eine so lus­ti­ge Wei­se so viel ler­nen kön­ne. Er schwur, dass er sei­nen El­tern kei­ne Ruhe las­sen wür­de, bis sie ihm einen sol­chen vor­treff­li­chen Mann zum Leh­rer ge­ge­ben.

Und so war mir, nach den Grund­sät­zen ei­ner neu­ern Er­zie­hungs­leh­re, der Weg zu zwei Küns­ten früh ge­nug er­öff­net, bloß auf gut Glück, ohne Über­zeu­gung, dass ein an­ge­bor­nes Ta­lent mich dar­in wei­ter för­dern kön­ne. Zeich­nen müs­se je­der­mann ler­nen, be­haup­te­te mein Va­ter und ver­ehr­te des­halb be­son­ders Kai­ser Ma­xi­mi­li­an, wel­cher die­ses aus­drück­lich sol­le be­foh­len ha­ben. Auch hielt er mich ernst­li­cher dazu an, als zur Mu­sik, wel­che er da­ge­gen mei­ner Schwes­ter vor­züg­lich emp­fahl, ja die­sel­be au­ßer ih­ren Lehr­stun­den eine ziem­li­che Zeit des Ta­ges am Kla­vie­re fest­hielt.

Je mehr ich aber auf die­se Wei­se zu trei­ben ver­an­lasst wur­de, de­sto mehr woll­te ich trei­ben, und selbst die Frei­stun­den wur­den zu al­ler­lei wun­der­li­chen Be­schäf­ti­gun­gen ver­wen­det. Schon seit mei­nen frühs­ten Zei­ten fühl­te ich einen Un­ter­su­chungs­trieb ge­gen na­tür­li­che Din­ge. Man legt es manch­mal als eine An­la­ge zur Grau­sam­keit aus, dass Kin­der sol­che Ge­gen­stän­de, mit de­nen sie eine Zeit lang ge­spielt, die sie bald so, bald so ge­hand­habt, end­lich zer­stücken, zer­rei­ßen und zer­fet­zen. Doch pflegt sich auch die Neu­gier­de, das Ver­lan­gen, zu er­fah­ren, wie sol­che Din­ge zu­sam­men­hän­gen, wie sie in­wen­dig aus­se­hen, auf die­se Wei­se an den Tag zu le­gen. Ich er­in­ne­re mich, dass ich als Kind Blu­men zer­pflückt, um zu se­hen, wie die Blät­ter in den Kelch, oder auch Vö­gel be­rupft, um zu be­ob­ach­ten, wie die Fe­dern in die Flü­gel ein­ge­fügt wa­ren. Ist doch Kin­dern die­ses nicht zu ver­den­ken, da ja selbst Na­tur­for­scher öf­ter durch Tren­nen und Son­dern als durch Ve­rei­ni­gen und Ver­knüp­fen, mehr durch Tö­ten als durch Be­le­ben sich zu un­ter­rich­ten glau­ben.

Ein be­waff­ne­ter Ma­gnet­stein, sehr zier­lich in Schar­lach­tuch ein­ge­näht, muss­te auch ei­nes Ta­ges die Wir­kung ei­ner sol­chen For­schungs­lust er­fah­ren. Denn die­se ge­hei­me An­zie­hungs­kraft, die er nicht al­lein ge­gen das ihm an­ge­pass­te Ei­sen­stäb­chen aus­üb­te, son­dern die noch über­dies von der Art war, dass sie sich ver­stär­ken und täg­lich ein größ­res Ge­wicht tra­gen konn­te, die­se ge­heim­nis­vol­le Tu­gend hat­te mich der­ge­stalt zur Be­wun­de­rung hin­ge­ris­sen, dass ich mir lan­ge Zeit bloß im An­stau­nen ih­rer Wir­kung ge­fiel. Zu­letzt aber glaub­te ich doch ei­ni­ge nä­he­re Auf­schlüs­se zu er­lan­gen, wenn ich die äu­ße­re Hül­le weg­trenn­te. Dies ge­sch­ah, ohne dass ich da­durch klü­ger ge­wor­den wäre: denn die nack­te Ar­ma­tur be­lehr­te mich nicht wei­ter. Auch die­se nahm ich her­ab und be­hielt nun den blo­ßen Stein in Hän­den, mit dem ich durch Feil­spä­ne und Nähna­deln man­cher­lei Ver­su­che zu ma­chen nicht er­mü­de­te, aus de­nen je­doch mein ju­gend­li­cher Geist, au­ßer ei­ner man­nig­fal­ti­gen Er­fah­rung, kei­nen wei­tern Vor­teil zog. Ich wuss­te die gan­ze Vor­rich­tung nicht wie­der zu­sam­men­zu­brin­gen, die Tei­le zer­streu­ten sich, und ich ver­lor das emi­nen­te Phä­no­men zu­gleich mit dem Ap­pa­rat.

Nicht glück­li­cher ging es mir mit der Zu­sam­men­set­zung ei­ner Elek­tri­sier­ma­schi­ne. Ein Haus­freund, des­sen Ju­gend in die Zeit ge­fal­len war, in wel­cher die Elek­tri­zi­tät alle Geis­ter be­schäf­tig­te, er­zähl­te uns öf­ter, wie er als Kna­be eine sol­che Ma­schi­ne zu be­sit­zen ge­wünscht, wie er sich die Haupt­be­din­gun­gen ab­ge­se­hen und mit Hil­fe ei­nes al­ten Spinn­ra­des und ei­ni­ger Arz­neiglä­ser ziem­li­che Wir­kun­gen her­vor­ge­bracht. Da er die­ses gern und oft wie­der­hol­te und uns da­bei von der Elek­tri­zi­tät über­haupt un­ter­rich­te­te, so fan­den wir Kin­der die Sa­che sehr plau­si­bel und quäl­ten uns mit ei­nem al­ten Spinn­ra­de und ei­ni­gen Arz­neiglä­sern lan­ge Zeit her­um, ohne auch nur die min­des­te Wir­kung her­vor­brin­gen zu kön­nen. Wir hiel­ten dem un­ge­ach­tet am Glau­ben fest und wa­ren sehr ver­gnügt, als zur Mess­zeit un­ter an­de­ren Ra­ri­tä­ten, Zau­ber- und Ta­schen­spie­ler­küns­ten auch eine Elek­tri­sier­ma­schi­ne ihre Kunst­stücke mach­te, wel­che, so wie die ma­gne­ti­schen, für jene Zeit schon sehr ver­viel­fäl­tigt wa­ren.

Das Miss­trau­en ge­gen den öf­fent­li­chen Un­ter­richt ver­mehr­te sich von Tage zu Tage. Man sah sich nach Haus­leh­rern um, und weil ein­zel­ne Fa­mi­li­en den Auf­wand nicht be­strei­ten konn­ten, so tra­ten meh­re­re zu­sam­men, um eine sol­che Ab­sicht zu er­rei­chen. Al­lein die Kin­der ver­tru­gen sich sel­ten; der jun­ge Mann hat­te nicht Au­to­ri­tät ge­nug, und nach oft wie­der­hol­tem Ver­druss gab es nur ge­häs­si­ge Tren­nun­gen. Kein Wun­der da­her, dass man auf an­de­re An­stal­ten dach­te, wel­che so­wohl be­stän­di­ger als vor­teil­haf­ter sein soll­ten.

Auf den Ge­dan­ken, Pen­sio­nen zu er­rich­ten, war man durch die Not­wen­dig­keit ge­kom­men, wel­che je­der­mann emp­fand, dass die fran­zö­si­sche Spra­che le­ben­dig ge­lehrt und über­lie­fert wer­den müs­se. Mein Va­ter hat­te einen jun­gen Men­schen er­zo­gen, der bei ihm Be­dien­ter, Kam­mer­die­ner, Se­kre­tär, ge­nug, nach und nach al­les in al­lem ge­we­sen war. Die­ser, na­mens Pfeil, sprach gut fran­zö­sisch und ver­stand es gründ­lich. Nach­dem er sich ver­hei­ra­tet hat­te und sei­ne Gön­ner für ihn auf einen Zu­stand den­ken muss­ten, so fie­len sie auf den Ge­dan­ken, ihn eine Pen­si­on er­rich­ten zu las­sen, die sich nach und nach zu ei­ner klei­nen Schul­an­stalt er­wei­ter­te, in der man al­les Not­wen­di­ge, ja zu­letzt so­gar La­tei­nisch und Grie­chisch lehr­te. Die weit­ver­brei­te­ten Kon­ne­xio­nen von Frank­furt ga­ben Ge­le­gen­heit, dass jun­ge Fran­zo­sen und Eng­län­der, um Deutsch zu ler­nen und sonst sich aus­zu­bil­den, die­ser An­stalt an­ver­traut wur­den. Pfeil, der ein Mann in sei­nen bes­ten Jah­ren, von der wun­der­sams­ten Ener­gie und Tä­tig­keit war, stand dem Gan­zen sehr lo­bens­wür­dig vor, und weil er nie ge­nug be­schäf­tigt sein konn­te, so warf er sich bei Ge­le­gen­heit, da er sei­nen Schü­lern Mu­sik­meis­ter hal­ten muss­te, selbst in die Mu­sik und be­trieb das Kla­vier­spie­len mit sol­chem Ei­fer, dass er, der nie­mals vor­her eine Tas­te an­ge­rührt hat­te, sehr bald recht fer­tig und brav spiel­te. Er schi­en die Ma­xi­me mei­nes Va­ters an­ge­nom­men zu ha­ben, dass jun­ge Leu­te nichts mehr auf­mun­tern und an­re­gen kön­ne, als wenn man selbst schon in ge­wis­sen Jah­ren sich wie­der zum Schü­ler er­klär­te und in ei­nem Al­ter, worin man sehr schwer neue Fer­tig­kei­ten er­langt, den­noch durch Ei­fer und An­halt­sam­keit Jün­gern, von der Na­tur mehr Be­güns­tig­ten den Rang ab­zu­lau­fen su­che.

Durch die­se Nei­gung zum Kla­vier­spie­len ward Pfeil auf die In­stru­men­te selbst ge­führt, und in­dem er sich die bes­ten zu ver­schaf­fen hoff­te, kam er in Ver­hält­nis­se mit Frie­de­ri­ci in Gera, des­sen In­stru­men­te weit und breit be­rühmt wa­ren. Er nahm eine An­zahl da­von in Kom­mis­si­on und hat­te nun die Freu­de, nicht nur etwa ei­nen Flü­gel, son­dern meh­re­re in sei­ner Woh­nung auf­ge­stellt zu se­hen, sich dar­auf zu üben und hö­ren zu las­sen.

Auch in un­ser Haus brach­te die Le­ben­dig­keit die­ses Man­nes einen grö­ßern Mu­sik­be­trieb. Mein Va­ter blieb mit ihm, bis auf die strit­ti­gen Punk­te, in ei­nem dau­ern­den gu­ten Ver­hält­nis­se. Auch für uns ward ein großer Frie­de­ri­ci­scher Flü­gel an­ge­schafft, den ich, bei mei­nem Kla­vier ver­wei­lend, we­nig be­rühr­te, der aber mei­ner Schwes­ter zu de­sto grö­ße­rer Qual ge­dieh, weil sie, um das neue In­stru­ment ge­hö­rig zu eh­ren, täg­lich noch ei­ni­ge Zeit mehr auf ihre Übun­gen zu wen­den hat­te; wo­bei mein Va­ter als Auf­se­her, Pfeil aber als Mus­ter­bild und an­trei­ben­der Haus­freund ab­wech­selnd zur Sei­te stan­den.

Eine be­son­de­re Lieb­ha­be­rei mei­nes Va­ters mach­te uns Kin­dern viel Un­be­quem­lich­keit. Es war näm­lich die Sei­den­zucht, von de­ren Vor­teil, wenn sie all­ge­mei­ner ver­brei­tet wür­de, er einen großen Be­griff hat­te. Ei­ni­ge Be­kannt­schaf­ten in Hanau, wo man die Zucht der Wür­mer sehr sorg­fäl­tig be­trieb, ga­ben ihm die nächs­te Ver­an­las­sung. Von dort­her wur­den ihm zu rech­ter Zeit die Eier ge­sen­det; und so­bald die Maul­beer­bäu­me ge­nug­sa­mes Laub zeig­ten, ließ man sie aus­schlüp­fen und war­te­te der kaum sicht­ba­ren Ge­schöp­fe mit großer Sorg­falt. In ei­nem Man­sard­zim­mer wa­ren Ti­sche und Ge­stel­le mit Bret­tern auf­ge­schla­gen, um ih­nen mehr Raum und Un­ter­halt zu be­rei­ten: denn sie wuch­sen schnell und wa­ren nach der letz­ten Häu­tung so heiß­hung­rig, dass man kaum Blät­ter ge­nug her­bei­schaf­fen konn­te, sie zu näh­ren; ja sie muss­ten Tag und Nacht ge­füt­tert wer­den, weil eben al­les dar­auf an­kommt, dass sie der Nah­rung ja nicht zu ei­ner Zeit er­man­geln, wo die große und wun­der­sa­me Ver­än­de­rung in ih­nen vor­ge­hen soll. War die Wit­te­rung güns­tig, so konn­te man frei­lich die­ses Ge­schäft als eine lus­ti­ge Un­ter­hal­tung an­se­hen; trat aber Käl­te ein, dass die Maul­beer­bäu­me lit­ten, so mach­te es große Not. Noch un­an­ge­neh­mer aber war es, wenn in der letz­ten Epo­che Re­gen ein­fiel: denn die­se Ge­schöp­fe kön­nen die Feuch­tig­keit gar nicht ver­tra­gen; und so muss­ten die be­netz­ten Blät­ter sorg­fäl­tig ab­ge­wischt und ge­trock­net wer­den, wel­ches denn doch nicht im­mer so ge­nau ge­sche­hen konn­te, und aus die­ser oder viel­leicht auch ei­ner an­de­ren Ur­sa­che ka­men man­cher­lei Krank­hei­ten un­ter die Her­de, wo­durch die ar­men Krea­tu­ren zu Tau­sen­den hin­ge­rafft wur­den. Die dar­aus ent­ste­hen­de Fäul­nis er­reg­te einen wirk­lich pest­ar­ti­gen Ge­ruch, und da man die to­ten und kran­ken weg­schaf­fen und von den ge­sun­den ab­son­dern muss­te, um nur ei­ni­ge zu ret­ten, so war es in der Tat ein äu­ßerst be­schwer­li­ches und wi­der­li­ches Ge­schäft, das uns Kin­dern man­che böse Stun­de ver­ur­sach­te.

Nach­dem wir nun ei­nes Jahrs die schöns­ten Früh­lings- und Som­mer­wo­chen mit War­tung der Sei­den­wür­mer hin­ge­bracht, muss­ten wir dem Va­ter in ei­nem an­de­ren Ge­schäft bei­ste­hen, das, ob­gleich ein­fa­cher, uns den­noch nicht we­ni­ger be­schwer­lich ward. Die rö­mi­schen Pro­spek­te näm­lich, wel­che in dem al­ten Hau­se, in schwar­ze Stä­be oben und un­ten ein­ge­fasst, an den Wän­den meh­re­re Jah­re ge­han­gen hat­ten, wa­ren durch Licht, Staub und Rauch sehr ver­gilbt und durch die Flie­gen nicht we­nig un­schein­bar ge­wor­den. War nun eine sol­che Un­rein­lich­keit in dem neu­en Hau­se nicht zu­läs­sig, so hat­ten die­se Bil­der für mei­nen Va­ter auch durch sei­ne län­ge­re Ent­fernt­heit von den vor­ge­stell­ten Ge­gen­den an Wert ge­won­nen. Denn im An­fan­ge die­nen uns der­glei­chen Ab­bil­dun­gen, die erst kurz vor­her emp­fan­ge­nen Ein­drücke auf­zu­fri­schen und zu be­le­ben. Sie schei­nen uns ge­ring ge­gen die­se und meis­tens nur ein trau­ri­ges Sur­ro­gat. Ver­lischt hin­ge­gen das An­den­ken der Ur­ge­stal­ten im­mer mehr und mehr, so tre­ten die Nach­bil­dun­gen un­ver­merkt an ihre Stel­le, sie wer­den uns so teu­er, als es jene wa­ren, und was wir an­fangs miss­ge­ach­tet, er­wirbt sich nun­mehr uns­re Schät­zung und Nei­gung. So geht es mit al­len Ab­bil­dun­gen, be­son­ders auch mit Por­trä­ten. Nicht leicht ist je­mand mit dem Kon­ter­fei ei­nes Ge­gen­wär­ti­gen zu­frie­den, und wie er­wünscht ist uns je­der Schat­ten­riss ei­nes Ab­we­sen­den oder gar Ab­ge­schie­de­nen.

Ge­nug, in die­sem Ge­fühl sei­ner bis­he­ri­gen Ver­schwen­dung woll­te mein Va­ter jene Kup­fer­sti­che so viel wie mög­lich wie­der her­ge­stellt wis­sen. Dass die­ses durch Blei­chen mög­lich sei, war be­kannt; und die­se bei großen Blät­tern im­mer be­denk­li­che Ope­ra­ti­on wur­de un­ter ziem­lich un­güns­ti­gen Lo­ka­lum­stän­den vor­ge­nom­men. Denn die großen Bret­ter, wor­auf die an­ge­rauch­ten Kup­fer be­feuch­tet und der Son­ne aus­ge­stellt wur­den, stan­den vor Man­sard­fens­tern in den Dach­rin­nen an das Dach ge­lehnt und wa­ren da­her man­chen Un­fäl­len aus­ge­setzt. Da­bei war die Haupt­sa­che, dass das Pa­pier nie­mals aus­trock­nen durf­te, son­dern im­mer feucht ge­hal­ten wer­den muss­te. Die­se Ob­lie­gen­heit hat­te ich und mei­ne Schwes­ter, wo­bei uns denn we­gen der Lan­gen­wei­le und Un­ge­duld, we­gen der Auf­merk­sam­keit, die uns kei­ne Zer­streu­ung zuließ, ein sonst so sehr er­wünsch­ter Mü­ßig­gang zur höchs­ten Qual ge­reich­te. Die Sa­che ward gleich­wohl durch­ge­setzt, und der Buch­bin­der, der je­des Blatt auf star­kes Pa­pier auf­zog, tat sein Bes­tes, die hier und da durch uns­re Fahr­läs­sig­keit zer­ris­se­nen Rän­der aus­zu­glei­chen und her­zu­stel­len. Die sämt­li­chen Blät­ter wur­den in einen Band zu­sam­men­ge­fasst und wa­ren für dies­mal ge­ret­tet.

Da­mit es uns Kin­dern aber ja nicht an dem Al­ler­lei des Le­bens und Ler­nens feh­len möch­te, so muss­te sich ge­ra­de um die­se Zeit ein eng­li­scher Sprach­meis­ter mel­den, wel­cher sich an­hei­schig mach­te, in­ner­halb vier Wo­chen einen je­den, der nicht ganz roh in Spra­chen sei, die eng­li­sche zu leh­ren und ihn so weit zu brin­gen, dass er sich mit ei­ni­gem Fleiß wei­ter hel­fen kön­ne. Er nahm ein mä­ßi­ges Ho­no­rar; die An­zahl der Schü­ler in ei­ner Stun­de war ihm gleich­gül­tig. Mein Va­ter ent­schloss sich auf der Stel­le, den Ver­such zu ma­chen, und nahm mir und mei­ner Schwes­ter bei dem ex­pe­di­ten Meis­ter Lek­ti­on. Die Stun­den wur­den treu­lich ge­hal­ten, am Re­pe­tie­ren fehl­te es auch nicht: man ließ die vier Wo­chen über eher ei­ni­ge an­de­re Übun­gen lie­gen; der Leh­rer schied von uns und wir von ihm mit Zufrie­den­heit. Da er sich län­ger in der Stadt auf­hielt und vie­le Kun­den fand, so kam er von Zeit zu Zeit, nach­zu­se­hen und nach­zu­hel­fen, dank­bar, dass wir un­ter die ers­ten ge­hör­ten, wel­che Zu­trau­en zu ihm ge­habt, und stolz, uns den üb­ri­gen als Mus­ter an­füh­ren zu kön­nen.

In Ge­folg von die­sem heg­te mein Va­ter eine neue Sorg­falt, dass auch das Eng­li­sche hübsch in der Rei­he der üb­ri­gen Sprach­be­schäf­ti­gun­gen blie­be. Nun be­ken­ne ich, dass es mir im­mer läs­ti­ger wur­de, bald aus die­ser, bald aus je­ner Gram­ma­tik oder Bei­spiel­samm­lung, bald aus die­sem oder je­nem Au­tor den An­lass zu mei­nen Ar­bei­ten zu neh­men und so mei­nen An­teil an den Ge­gen­stän­den zu­gleich mit den Stun­den zu ver­zet­teln. Ich kam da­her auf den Ge­dan­ken, al­les mit ein­mal ab­zu­tun, und er­fand einen Ro­man von sechs bis sie­ben Ge­schwis­tern, die, von­ein­an­der ent­fernt und in der Welt zer­streut, sich wech­sel­sei­tig Nach­richt von ih­ren Zu­stän­den und Emp­fin­dun­gen mit­tei­len. Der äl­tes­te Bru­der gibt in gu­tem Deutsch Be­richt von al­ler­lei Ge­gen­stän­den und Er­eig­nis­sen sei­ner Rei­se. Die Schwes­ter, in ei­nem frau­en­zim­mer­li­chen Stil, mit lau­ter Punk­ten und in kur­z­en Sät­zen, un­ge­fähr wie nach­her »Sieg­wart« ge­schrie­ben wur­de, er­wi­dert bald ihm, bald den an­de­ren Ge­schwis­tern, was sie teils von häus­li­chen Ver­hält­nis­sen, teils von Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten zu er­zäh­len hat. Ein Bru­der stu­diert Theo­lo­gie und schreibt ein sehr förm­li­ches La­tein, dem er manch­mal ein grie­chi­sches Post­skript hin­zu­fügt. Ei­nem fol­gen­den, in Ham­burg als Hand­lungs­die­ner an­ge­stellt, ward na­tür­lich die eng­li­sche Kor­re­spon­denz zu teil, so wie ei­nem jün­gern, der sich in Mar­seil­le auf­hielt, die fran­zö­si­sche. Zum Ita­liä­ni­schen fand sich ein Mu­si­kus auf sei­nem ers­ten Aus­flug in die Welt, und der jüngs­te, eine Art von na­se­wei­sem Nest­qua­ckel­chen, hat­te, da ihm die üb­ri­gen Spra­chen ab­ge­schnit­ten wa­ren, sich aufs Ju­den­deutsch ge­legt und brach­te durch sei­ne schreck­li­chen Chif­fern die üb­ri­gen in Verzweif­lung und die El­tern über den gu­ten Ein­fall zum La­chen.

Für die­se wun­der­li­che Form such­te ich mir ei­ni­gen Ge­halt, in­dem ich die Geo­gra­fie der Ge­gen­den, wo mei­ne Ge­schöp­fe sich auf­hiel­ten, stu­dier­te und zu je­nen tro­ckenen Lo­ka­li­tä­ten al­ler­lei Men­sch­lich­kei­ten hin­zu er­fand, die mit dem Cha­rak­ter der Per­so­nen und ih­rer Be­schäf­ti­gung ei­ni­ge Ver­wandt­schaft hat­ten. Auf die­se Wei­se wur­den mei­ne Ex­er­zi­ti­en­bü­cher viel vo­lu­mi­nöser; der Va­ter war zu­frie­de­ner, und ich ward eher ge­wahr, was mir an ei­ge­nem Vor­rat und an Fer­tig­kei­ten ab­ging.

Wie nun der­glei­chen Din­ge, wenn sie ein­mal im Gang sind, kein Ende und kei­ne Gren­zen ha­ben, so ging es auch hier: denn in­dem ich mir das ba­ro­cke Ju­den­deutsch zu­zu­eig­nen und es eben so gut zu schrei­ben such­te, als ich es le­sen konn­te, fand ich bald, dass mir die Kennt­nis des He­bräi­schen fehl­te, wo­von sich das mo­der­ne ver­dor­be­ne und ver­zerr­te al­lein ab­lei­ten und mit ei­ni­ger Si­cher­heit be­han­deln ließ. Ich er­öff­ne­te da­her mei­nem Va­ter die Not­wen­dig­keit, He­brä­isch zu ler­nen, und be­trieb sehr leb­haft sei­ne Ein­wil­li­gung: denn ich hat­te noch einen hö­hern Zweck. Über­all hör­te ich sa­gen, dass zum Ver­ständ­nis des Al­ten Te­sta­ments so wie des Neu­en die Grund­spra­chen nö­tig wä­ren. Das letz­te las ich ganz be­quem, weil die so­ge­nann­ten Evan­ge­li­en und Epis­teln, da­mit es ja auch Sonn­tags nicht an Übung feh­le, nach der Kir­che re­zi­tiert, über­setzt und ei­ni­ger­ma­ßen er­klärt wer­den muss­ten. Eben so dach­te ich es nun auch mit dem Al­ten Te­sta­men­te zu hal­ten, das mir we­gen sei­ner Ei­gen­tüm­lich­keit ganz be­son­ders von je­her zu­ge­sagt hat­te.

Mein Va­ter, der nicht gern et­was halb tat, be­schloss, den Rek­tor un­se­res Gym­na­si­ums, Dok­tor Al­brecht, um Pri­vat­stun­den zu er­su­chen, die er mir wö­chent­lich so lan­ge ge­ben soll­te, bis ich von ei­ner so ein­fa­chen Spra­che das Nö­tigs­te ge­fasst hät­te; denn er hoff­te, sie wer­de, wo nicht so schnell, doch we­nigs­tens in dop­pel­ter Zeit als die eng­li­sche sich ab­tun las­sen.

Der Rek­tor Al­brecht war eine der ori­gi­nals­ten Fi­gu­ren von der Welt, klein, nicht dick, aber breit, un­förm­lich, ohne ver­wach­sen zu sein, kurz ein Ae­sop mit Chor­rock und Perücke, sein über sieb­zig­jäh­ri­ges Ge­sicht war durch­aus zu ei­nem sar­kas­ti­schen Lä­cheln ver­zo­gen, wo­bei sei­ne Au­gen im­mer groß blie­ben und, ob­gleich rot, doch im­mer leuch­tend und geist­reich wa­ren. Er wohn­te in dem al­ten Klos­ter zu den Bar­fü­ßern, dem Sitz des Gym­na­si­ums. Ich hat­te schon als Kind, mei­ne El­tern be­glei­tend, ihn manch­mal be­sucht und die lan­gen dunklen Gän­ge, die in Vi­si­ten­zim­mer ver­wan­del­ten Ka­pel­len, das un­ter­broch­ne trep­pen- und win­kel­haf­te Lo­kal mit schau­ri­gem Be­ha­gen durch­stri­chen. Ohne mir un­be­quem zu sein, ex­ami­nier­te er mich, so oft er mich sah, und lob­te und er­mun­ter­te mich. Ei­nes Ta­ges, bei der Trans­lo­ka­ti­on nach öf­fent­li­chem Ex­amen, sah er mich als einen aus­wär­ti­gen Zuschau­er, wäh­rend er die sil­ber­nen prae­mia vir­tu­tis et di­li­gen­tiae aus­teil­te, nicht weit von sei­nem Ka­the­der ste­hen. Ich moch­te gar sehn­lich nach dem Beu­tel­chen bli­cken, aus wel­chem er die Schau­mün­zen her­vor­zog; er wink­te mir, trat eine Stu­fe her­un­ter und reich­te mir einen sol­chen Sil­ber­ling. Mei­ne Freu­de war groß, ob­gleich an­de­re die­se ei­nem Nicht-Schul­kna­ben ge­währ­te Gabe au­ßer al­ler Ord­nung fan­den. Al­lein dar­an war dem gu­ten Al­ten we­nig ge­le­gen, der über­haupt den Son­der­ling und zwar in ei­ner auf­fal­len­den Wei­se spiel­te. Er hat­te als Schul­mann einen sehr gu­ten Ruf und ver­stand sein Hand­werk, ob ihm gleich das Al­ter sol­ches aus­zuü­ben nicht mehr ganz ge­stat­te­te. Aber bei­na­he noch mehr als durch ei­ge­ne Ge­brech­lich­keit fühl­te er sich durch äu­ße­re Um­stän­de ge­hin­dert, und wie ich schon frü­her wuss­te, war er we­der mit dem Kon­sis­to­ri­um, noch den Schol­ar­chen, noch den Geist­li­chen, noch auch den Leh­rern zu­frie­den. Sei­nem Na­tu­rell, das sich zum Auf­pas­sen auf Feh­ler und Män­gel und zur Sa­ti­re hin­neig­te, ließ er so­wohl in Pro­gram­men als in öf­fent­li­chen Re­den frei­en Lauf, und wie Lu­ci­an fast der ein­zi­ge Schrift­stel­ler war, den er las und schätz­te, so würz­te er al­les, was er sag­te und schrieb, mit bei­zen­den In­gre­di­en­zi­en.

Glück­li­cher­wei­se für die­je­ni­gen, mit wel­chen er un­zu­frie­den war, ging er nie­mals di­rekt zu Wer­ke, son­dern schraub­te nur mit Be­zü­gen, An­spie­lun­gen, klas­si­schen Stel­len und bib­li­schen Sprü­chen auf die Män­gel hin, die er zu rü­gen ge­dach­te. Da­bei war sein münd­li­cher Vor­trag (er las sei­ne Re­den je­der­zeit ab) un­an­ge­nehm, un­ver­ständ­lich und über al­les die­ses manch­mal durch einen Hus­ten, öf­ters aber durch ein hoh­les bauch­schüt­tern­des La­chen un­ter­bro­chen, wo­mit er die bei­ßen­den Stel­len an­zu­kün­di­gen und zu be­glei­ten pfleg­te. Die­sen selt­sa­men Mann fand ich mild und wil­lig, als ich an­fing, mei­ne Stun­den bei ihm zu neh­men. Ich ging nun täg­lich abends um sechs Uhr zu ihm und fühl­te im­mer ein heim­li­ches Be­ha­gen, wenn sich die Klin­gel­tü­re hin­ter mir schloss und ich nun den lan­gen düs­tern Klos­ter­gang durch­zu­wan­deln hat­te. Wir sa­ßen in sei­ner Biblio­thek an ei­nem mit Wachs­tuch be­schla­ge­nen Ti­sche; ein sehr durch­le­se­ner Lu­ci­an kam nie von sei­ner Sei­te.

Un­ge­ach­tet al­les Wohl­wol­lens ge­lang­te ich doch nicht ohne Ein­stand zur Sa­che: denn mein Leh­rer konn­te ge­wis­se spöt­ti­sche An­mer­kun­gen, und was es denn mit dem He­bräi­schen ei­gent­lich sol­le, nicht un­ter­drücken. Ich ver­schwieg ihm die Ab­sicht auf das Ju­den­deutsch und sprach von bes­se­rem Ver­ständ­nis des Grund­tex­tes. Da­rauf lä­chel­te er und mein­te, ich sol­le schon zu­frie­den sein, wenn ich nur le­sen lern­te. Dies ver­dross mich im Stil­len, und ich nahm alle mei­ne Auf­merk­sam­keit zu­sam­men, als es an die Buch­sta­ben kam. Ich fand ein Al­pha­bet, das un­ge­fähr dem grie­chi­schen zur Sei­te ging, des­sen Ge­stal­ten fass­lich, des­sen Be­nen­nun­gen mir zum größ­ten Teil nicht fremd wa­ren. Ich hat­te dies al­les sehr bald be­grif­fen und be­hal­ten und dach­te, es soll­te nun ans Le­sen ge­hen. Dass die­ses von der rech­ten zur lin­ken Zei­le ge­sch­ehe, war mir wohl be­wusst. Nun aber trat auf ein­mal ein neu­es Heer von klei­nen Buch­stäb­chen und Zei­chen her­vor, von Punk­ten und Stri­chel­chen al­ler Art, wel­che ei­gent­lich die Vo­ka­le vor­stel­len soll­ten, wor­über ich mich umso mehr ver­wun­der­te, als sich in dem grö­ßern Al­pha­be­te of­fen­bar Vo­ka­le be­fan­den und die üb­ri­gen nur un­ter frem­den Be­nen­nun­gen ver­bor­gen zu sein schie­nen. Auch ward ge­lehrt, dass die jü­di­sche Na­ti­on, so lan­ge sie ge­blüht, wirk­lich sich mit je­nen ers­ten Zei­chen be­gnügt und kei­ne an­de­re Art zu schrei­ben und zu le­sen ge­kannt habe. Ich wäre nun gar zu gern auf die­sem al­ter­tüm­li­chen, wie mir schi­en be­que­me­ren Wege ge­gan­gen; al­lein mein Al­ter er­klär­te et­was streng: man müs­se nach der Gram­ma­tik ver­fah­ren, wie sie ein­mal be­liebt und ver­fasst wor­den. Das Le­sen ohne die­se Punk­te und Stri­che sei eine sehr schwe­re Auf­ga­be und kön­ne nur von Ge­lehr­ten und den Ge­üb­tes­ten ge­leis­tet wer­den. Ich muss­te mich also be­que­men, auch die­se klei­nen Merk­zei­chen ken­nen zu ler­nen; aber die Sa­che ward mir im­mer ver­worr­ner. Nun soll­ten ei­ni­ge der ers­ten grö­ßern Ur­zei­chen an ih­rer Stel­le gar nichts gel­ten, da­mit ihre klei­nen Nach­ge­bor­nen doch ja nicht um­sonst da­ste­hen möch­ten. Dann soll­ten sie ein­mal wie­der einen lei­sen Hauch, dann einen mehr oder we­ni­ger har­ten Kehl­laut an­deu­ten, bald gar nur als Stüt­ze und Wi­der­la­ge die­nen. Zu­letzt aber, wenn man sich al­les wohl ge­merkt zu ha­ben glaub­te, wur­den ei­ni­ge der großen so­wohl als der Klei­nen Per­so­na­gen in den Ru­he­stand ver­setzt, so­dass das Auge im­mer sehr viel und die Lip­pe sehr we­nig zu tun hat­te.

In­dem ich nun das­je­ni­ge, was mir dem In­halt nach schon be­kannt war, in ei­nem frem­den kau­der­wel­schen1 Idi­om her­stot­tern soll­te, wo­bei mir denn ein ge­wis­ses Nä­seln und Gur­geln als ein Un­er­reich­ba­res nicht we­nig emp­foh­len wur­de, so kam ich ge­wis­ser­ma­ßen von der Sa­che ganz ab und amü­sier­te mich auf eine kin­di­sche Wei­se an den selt­sa­men Na­men die­ser ge­häuf­ten Zei­chen. Da wa­ren Kai­ser, Kö­ni­ge und Her­zo­ge, die, als Ak­zen­te hie und da do­mi­nie­rend, mich nicht we­nig un­ter­hiel­ten. Aber auch die­se scha­len Spä­ße ver­lo­ren bald ih­ren Reiz. Doch wur­de ich da­durch schad­los ge­hal­ten, dass mir beim Le­sen, Über­set­zen, Wie­der­ho­len, Aus­wen­dig­ler­nen der In­halt des Buchs umso leb­haf­ter ent­ge­gen­trat, und die­ser war es ei­gent­lich, über wel­chen ich von mei­nem al­ten Herrn Auf­klä­rung ver­lang­te. Denn schon vor­her wa­ren mir die Wi­der­sprü­che der Über­lie­fe­rung mit dem Wirk­li­chen und Mög­li­chen sehr auf­fal­lend ge­we­sen, und ich hat­te mei­ne Haus­leh­rer durch die Son­ne, die zu Gi­be­on, und den Mond, der im Tal Aja­lon still­stand, in man­che Not ver­setzt; ge­wis­ser an­de­rer Un­wahr­schein­lich­kei­ten und In­kon­gru­en­zen nicht zu ge­den­ken. Al­les der­glei­chen ward nun auf­ge­regt, in­dem ich mich, um von dem He­bräi­schen Meis­ter zu wer­den, mit dem Al­ten Te­sta­ment aus­schließ­lich be­schäf­tig­te und sol­ches nicht mehr in Luthers Über­set­zung, son­dern in der wört­li­chen bei­ge­druck­ten Ver­si­on des Se­bas­ti­an Schmidt, den mir mein Va­ter so­gleich an­ge­schafft hat­te, durch­stu­dier­te. Hier fin­gen uns­re Stun­den lei­der an, was die Sprach­übun­gen be­trifft, lücken­haft zu wer­den. Le­sen, Ex­po­nie­ren, Gram­ma­tik, Auf­schrei­ben und Her­sa­gen von Wör­tern dau­er­te sel­ten eine völ­li­ge hal­be Stun­de: denn ich fing so­gleich an, auf den Sinn der Sa­che los­zu­ge­hen und, ob wir gleich noch in dem ers­ten Bu­che Mo­sis be­fan­gen wa­ren, man­cher­lei Din­ge zur Spra­che zu brin­gen, wel­che mir aus den spä­tern Bü­chern im Sin­ne la­gen. An­fangs such­te der gute Alte mich von sol­chen Ab­schwei­fun­gen zu­rück­zu­füh­ren; zu­letzt aber schi­en es ihn selbst zu un­ter­hal­ten. Er kam nach sei­ner Art nicht aus dem Hus­ten und La­chen, und wie­wohl er sich sehr hü­te­te, mir eine Aus­kunft zu ge­ben, die ihn hät­te kom­pro­mit­tie­ren kön­nen, so ließ mei­ne Zu­dring­lich­keit doch nicht nach; ja da mir mehr dar­an ge­le­gen war, mei­ne Zwei­fel vor­zu­brin­gen, als die Auf­lö­sung der­sel­ben zu er­fah­ren, so wur­de ich im­mer leb­haf­ter und küh­ner, wozu er mich durch sein Be­tra­gen zu be­rech­ti­gen schi­en. Üb­ri­gens konn­te ich nichts aus ihm brin­gen, als dass er ein über das an­de­re Mal mit sei­nem bauch­schüt­tern­den La­chen aus­rief: »Er när­ri­scher Kerl! Er när­ri­scher Jun­ge!«

In­des­sen moch­te ihm mei­ne, die Bi­bel nach al­len Sei­ten durch­kreu­zen­de kin­di­sche Leb­haf­tig­keit doch ziem­lich ernst­haft und ei­ni­ger Nach­hil­fe wert ge­schie­nen ha­ben. Er ver­wies mich da­her nach ei­ni­ger Zeit auf das große eng­li­sche Bi­bel­werk, wel­ches in sei­ner Biblio­thek be­reit stand und in wel­chem die Aus­le­gung schwe­rer und be­denk­li­cher Stel­len auf eine ver­stän­di­ge und klu­ge Wei­se un­ter­nom­men war. Die Über­set­zung hat­te durch die großen Be­mü­hun­gen deut­scher Got­tes­ge­lehr­ten Vor­zü­ge vor dem Ori­gi­nal er­hal­ten. Die ver­schie­de­nen Mei­nun­gen wa­ren an­ge­führt und zu­letzt eine Art von Ver­mit­te­lung ver­sucht, wo­bei die Wür­de des Buchs, der Grund der Re­li­gi­on und der Men­schen­ver­stand ei­ni­ger­ma­ßen ne­ben ein­an­der be­ste­hen konn­ten. So oft ich nun ge­gen Ende der Stun­de mit her­ge­brach­ten Fra­gen und Zwei­feln auf­trat, so oft deu­te­te er auf das Re­po­si­to­ri­um; ich hol­te mir den Band, er ließ mich le­sen, blät­ter­te in sei­nem Lu­ci­an, und wenn ich über das Buch mei­ne An­mer­kun­gen mach­te, war sein ge­wöhn­li­ches La­chen al­les, wo­durch er mei­nen Scharf­sinn er­wi­der­te. In den lan­gen Som­mer­ta­gen ließ er mich sit­zen, so lan­ge ich le­sen konn­te, manch­mal al­lein; nur dau­er­te es eine Wei­le, bis er mir er­laub­te, einen Band nach dem an­de­ren mit nach Hau­se zu neh­men.

Der Mensch mag sich wen­den, wo­hin er will, er mag un­ter­neh­men, was es auch sei, stets wird er auf je­nen Weg wie­der zu­rück­keh­ren, den ihm die Na­tur ein­mal vor­ge­zeich­net hat. 5o er­ging es auch mir im ge­gen­wär­ti­gen Fal­le. Die Be­mü­hun­gen um die Spra­che, um den In­halt der hei­li­gen Schrif­ten selbst en­dig­ten zu­letzt da­mit, dass von je­nem schö­nen und viel ge­prie­se­nen Lan­de, sei­ner Um­ge­bung und Nach­bar­schaft, so wie von den Völ­kern und Er­eig­nis­sen, wel­che je­nen Fleck der Erde durch Jahr­tau­sen­de hin­durch ver­herr­lich­ten, eine leb­haf­te­re Vor­stel­lung in mei­ner Ein­bil­dungs­kraft her­vor­ging.

Die­ser klei­ne Raum soll­te den Ur­sprung und das Wachs­tum des Men­schen­ge­schlechts se­hen; von dort­her soll­ten die ers­ten und ein­zigs­ten Nach­rich­ten der Ur­ge­schich­te zu uns ge­lan­gen, und ein sol­ches Lo­kal soll­te zu­gleich so ein­fach und fass­lich, als man­nig­fal­tig und zu den wun­der­sams­ten Wan­de­run­gen und An­sie­de­lun­gen ge­eig­net, vor un­se­rer Ein­bil­dungs­kraft lie­gen. Hier, zwi­schen vier be­nann­ten Flüs­sen, war aus der gan­zen zu be­woh­nen­den Erde ein klei­ner, höchst an­mu­ti­ger Raum dem ju­gend­li­chen Men­schen aus­ge­son­dert. Hier soll­te er sei­ne ers­ten Fä­hig­kei­ten ent­wi­ckeln, und hier soll­te ihn zu­gleich das Los tref­fen, das sei­ner gan­zen Nach­kom­men­schaft be­schie­den war, sei­ne Ruhe zu ver­lie­ren, in­dem er nach Er­kennt­nis streb­te. Das Pa­ra­dies war ver­scherzt; die Men­schen mehr­ten und ver­schlim­mer­ten sich; die an die Un­ar­ten die­ses Ge­schlechts noch nicht ge­wohn­ten Elo­him wur­den un­ge­dul­dig und ver­nich­te­ten es von Grund aus. Nur we­ni­ge wur­den aus der all­ge­mei­nen Über­schwem­mung ge­ret­tet; und kaum hat­te sich die­se gräu­li­che Flut ver­lau­fen, als der be­kann­te va­ter­län­di­sche Bo­den schon wie­der vor den Bli­cken der dank­ba­ren Ge­ret­te­ten lag. Zwei Flüs­se von vie­ren, Eu­phrat und Ti­gris, flos­sen noch in ih­ren Bet­ten. Der Name des ers­ten blieb; den an­de­ren schi­en sein Lauf zu be­zeich­nen. Ge­naue­re Spu­ren des Pa­ra­die­ses wä­ren nach ei­ner so großen Um­wäl­zung nicht zu for­dern ge­we­sen. Das er­neu­te Men­schen­ge­schlecht ging von hier zum zwei­ten Mal aus; es fand Ge­le­gen­heit, sich auf alle Ar­ten zu näh­ren und zu be­schäf­ti­gen, am meis­ten aber große Her­den zah­mer Ge­schöp­fe um sich zu ver­sam­meln und mit ih­nen nach al­len Sei­ten hin­zu­zie­hen.

Die­se Le­bens­wei­se, so wie die Ver­meh­rung der Stäm­me, nö­tig­te die Völ­ker bald, sich von­ein­an­der zu ent­fer­nen. Sie konn­ten sich so­gleich nicht ent­schlie­ßen, ihre Ver­wand­ten und Freun­de für im­mer fah­ren zu las­sen; sie ka­men auf den Ge­dan­ken einen ho­hen Turm zu bau­en, der ih­nen aus wei­ter Fer­ne den Weg wie­der zu­rück­wei­sen soll­te. Aber die­ser Ver­such miss­lang wie je­nes ers­te Be­stre­ben. Sie soll­ten nicht so­gleich glück­lich und klug, zahl­reich und ei­nig sein. Die Elo­him ver­wirr­ten sie, der Bau un­ter­blieb, die Men­schen zer­streu­ten sich; die Welt war be­völ­kert, aber ent­zweit.

Un­ser Blick, un­ser An­teil bleibt aber noch im­mer an die­se Ge­gen­den ge­hef­tet. End­lich geht aber­mals ein Stamm­va­ter von hier aus, der so glück­lich ist, sei­nen Nach­kom­men einen ent­schie­de­nen Cha­rak­ter auf­zu­prä­gen und sie da­durch für ewi­ge Zei­ten zu ei­ner großen und bei al­lem Glücks- und Orts­wech­sel zu­sam­men­hal­ten­den Na­ti­on zu ver­ei­ni­gen.

Vom Eu­phrat aus, nicht ohne gött­li­chen Fin­ger­zeig, wan­dert Abra­ham ge­gen Wes­ten. Die Wüs­te setzt sei­nem Zug kein ent­schie­de­nes Hin­der­nis ent­ge­gen; er ge­langt an den Jor­dan, zieht über den Fluss und ver­brei­tet sich in den schö­nen mit­tä­gi­gen Ge­gen­den von Pa­läs­ti­na. Die­ses Land war schon frü­her in Be­sitz ge­nom­men und ziem­lich be­wohnt. Ber­ge, nicht all­zu hoch, aber stei­nig und un­frucht­bar, wa­ren von vie­len be­wäs­ser­ten, dem An­bau güns­ti­gen Tä­lern durch­schnit­ten. Städ­te, Fle­cken, ein­zel­ne An­sie­de­lun­gen la­gen zer­streut auf der Flä­che, auf Ab­hän­gen des großen Tals, des­sen Was­ser sich im Jor­dan sam­meln. So be­wohnt, so be­baut war das Land, aber die Welt noch groß ge­nug und die Men­schen nicht auf den Grad sorg­fäl­tig, be­dürf­nis­voll und tä­tig, um sich gleich al­ler ih­rer Um­ge­bun­gen zu be­mäch­ti­gen. Zwi­schen je­nen Be­sit­zun­gen er­streck­ten sich große Räu­me, in wel­chen wei­den­de Züge sich be­quem hin und her be­we­gen konn­ten. In sol­chen Räu­men hält sich Abra­ham auf, sein Bru­der Lot ist bei ihm; aber sie kön­nen nicht lan­ge an sol­chen Or­ten ver­blei­ben. Eben jene Ver­fas­sung des Lan­des, des­sen Be­völ­ke­rung bald zu- bald ab­nimmt und des­sen Er­zeug­nis­se sich nie­mals mit dem Be­dürf­nis im Gleich­ge­wicht er­hal­ten, bringt un­ver­se­hens eine Hun­gers­not her­vor, und der Ein­ge­wan­der­te lei­det mit dem Ein­hei­mi­schen, dem er durch sei­ne zu­fäl­li­ge Ge­gen­wart die eig­ne Nah­rung ver­küm­mert hat. Die bei­den chal­däi­schen Brü­der zie­hen nach Ägyp­ten, und so ist uns der Schau­platz vor­ge­zeich­net, auf dem ei­ni­ge tau­send Jah­re die be­deu­tends­ten Be­ge­ben­hei­ten der Welt vor­ge­hen soll­ten. Vom Ti­gris zum Eu­phrat, vom Eu­phrat zum Nil se­hen wir die Erde be­völ­kert und in die­sem Rau­me einen be­kann­ten, den Göt­tern ge­lieb­ten, uns schon wert ge­wor­de­nen Mann mit Her­den und Gü­tern hin und wi­der zie­hen und sie in kur­z­er Zeit aufs reich­lichs­te ver­meh­ren. Die Brü­der kom­men zu­rück; al­lein ge­wit­zigt durch die aus­ge­stan­de­ne Not, fas­sen sie den Ent­schluss, sich von­ein­an­der zu tren­nen. Bei­de ver­wei­len zwar im mit­tä­gi­gen Kanaan; aber in­dem Abra­ham zu He­bron ge­gen dem Hain Mam­re bleibt, zieht sich Lot nach dem Tale Sid­dim, das, wenn un­se­re Ein­bil­dungs­kraft kühn ge­nug ist, dem Jor­dan einen un­ter­ir­di­schen Aus­fluss zu ge­ben, um an der Stel­le des ge­gen­wär­ti­gen As­phalt­sees einen trock­nen Bo­den zu ge­win­nen, uns als ein zwei­tes Pa­ra­dies er­schei­nen kann und muss; umso mehr, weil die Be­woh­ner und An­woh­ner des­sel­ben, als Weich­lin­ge und Frev­ler be­rüch­tigt, uns da­durch auf ein be­que­mes und üp­pi­ges Le­ben schlie­ßen las­sen. Lot wohnt un­ter ih­nen, je­doch ab­ge­son­dert.

Aber He­bron und der Hain Mam­re er­schei­nen uns als die wich­ti­ge Stät­te, wo der Herr mit Abra­ham spricht und ihm al­les Land ver­heißt, so weit sein Blick nur in vier Welt­ge­gen­den rei­chen mag. Aus die­sen stil­len Be­zir­ken, von die­sen Hir­ten­völ­kern, die mit den Himm­li­schen um­ge­hen dür­fen, sie als Gäs­te be­wir­ten und man­che Zwie­spra­che mir ih­nen hal­ten, wer­den wir ge­nö­tigt, den Blick aber­mals ge­gen Os­ten zu wen­den und an die Ver­fas­sung der Ne­ben­welt zu den­ken, die im gan­zen wohl der ein­zel­nen Ver­fas­sung von Kanaan glei­chen moch­te.

Fa­mi­li­en hal­ten zu­sam­men; sie ver­ei­ni­gen sich, und die Le­bens­art der Stäm­me wird durch das Lo­kal be­stimmt, das sie sich zu­ge­eig­net ha­ben oder zu­eig­nen. Auf den Ge­bir­gen, die ihr Was­ser nach dem Ti­gris hin­un­ter­sen­den, fin­den wir krie­ge­ri­sche Völ­ker, die schon sehr früh auf jene Wel­tero­be­rer und Welt­be­herr­scher hin­deu­ten und in ei­nem für jene Zei­ten un­ge­heu­ren Feld­zug uns ein Vor­spiel künf­ti­ger Groß­ta­ten ge­ben. Ke­dor Lao­mor, Kö­nig von Elam, wirkt schon mäch­tig auf Ver­bün­de­te. Er herrscht lan­ge Zeit: denn schon zwölf Jah­re vor Abra­hams An­kunft in Kanaan hat­te er bis an den Jor­dan die Völ­ker zins­bar ge­macht. Sie wa­ren end­lich ab­ge­fal­len, und die Ver­bün­de­ten rüs­ten sich zum Krie­ge. Wir fin­den sie un­ver­mu­tet auf ei­nem Wege, auf dem wahr­schein­lich auch Abra­ham nach Kanaan ge­lang­te. Die Völ­ker an der lin­ken und un­tern Sei­te des Jor­dan wer­den be­zwun­gen, Ke­dor Lao­mor rich­tet sei­nen Zug süd­wärts nach den Völ­kern der Wüs­te, so­dann, sich nord­wärts wen­dend, schlägt er die Ama­le­ki­ter, und als er auch die Amo­ri­ter über­wun­den, ge­langt er nach Kanaan, über­fällt die Kö­ni­ge des Tals Sid­dim, schlägt und zer­streut sie und zieht mit großer Beu­te den Jor­dan auf­wärts, um sei­nen Sie­ger­zug bis ge­gen den Li­ba­non aus­zu­deh­nen.

Un­ter den Ge­fan­ge­nen, Beraub­ten, mit ih­rer Habe Fort­ge­schlepp­ten be­fin­det sich auch Lot, der das Schick­sal des Lan­des teilt, worin er als Gast sich be­fin­det. Abra­ham ver­nimmt es, und hier se­hen wir so­gleich den Erz­va­ter als Krie­ger und Hel­den. Er rafft sei­ne Knech­te zu­sam­men, teilt sie in Hau­fen, fällt auf den be­schwer­li­chen Beu­te­tross, ver­wirrt die Sieg­haf­ten, die im Rücken kei­nen Feind mehr ver­mu­ten konn­ten, und bringt sei­nen Bru­der und des­sen Habe nebst man­chem von der Habe der über­wun­de­nen Kö­ni­ge zu­rück. Durch die­sen kur­z­en Kriegs­zug nimmt Abra­ham gleich­sam von dem Lan­de Be­sitz. Den Ein­woh­nern er­scheint er als Be­schüt­zer, als Ret­ter, und durch sei­ne Unei­gen­nüt­zig­keit als Kö­nig. Dank­bar emp­fan­gen ihn die Kö­ni­ge des Tals, seg­nend Mel­chi­se­dek, der Kö­nig und Pries­ter.

Nun wer­den die Weis­sa­gun­gen ei­ner un­end­li­chen Nach­kom­men­schaft er­neut, ja sie ge­hen im­mer mehr ins Wei­te. Vom Was­ser des Eu­phrat bis zum Fluss Ägyp­tens wer­den ihm die sämt­li­chen Land­stre­cken ver­spro­chen; aber noch sieht es mit sei­nen un­mit­tel­ba­ren Lei­be­ser­ben miss­lich aus. Er ist acht­zig Jahr alt und hat kei­nen Sohn. Zara, we­ni­ger den Göt­tern ver­trau­end als er, wird un­ge­dul­dig; sie will nach ori­en­ta­li­scher Sit­te durch ihre Magd einen Nach­kom­men ha­ben. Aber kaum ist Ha­gar dem Haus­herrn ver­traut, kaum ist Hoff­nung zu ei­nem Soh­ne, so zeigt sich der Zwie­spalt im Hau­se. Die Frau be­geg­net ih­rer eig­nen Be­schütz­ten übel ge­nug, und Ha­gar flieht, um bei an­de­ren Hor­den einen bes­sern Zu­stand zu fin­den. Nicht ohne hö­hern Wink kehrt sie zu­rück, und Is­ma­el wird ge­bo­ren.

Abra­ham ist nun neun­und­neun­zig Jah­re alt, und die Ver­hei­ßun­gen ei­ner zahl­rei­chen Nach­kom­men­schaft wer­den noch im­mer wie­der­holt, so­dass am Ende bei­de Gat­ten sie lä­cher­lich fin­den. Und doch wird Zara zu­letzt gu­ter Hoff­nung und bringt einen Sohn, dem der Name Isaak zu teil wird.

Auf ge­setz­mä­ßi­ger Fort­pflan­zung des Men­schen­ge­schlechts ruht größ­ten­teils die Ge­schich­te. Die be­deu­tends­ten Welt­be­ge­ben­hei­ten ist man bis in die Ge­heim­nis­se der Fa­mi­li­en zu ver­fol­gen ge­nö­tigt; und so ge­ben uns auch die Ehen der Erz­vä­ter zu eig­nen Be­trach­tun­gen An­lass. Es ist, als ob die Gott­hei­ten, wel­che das Schick­sal der Men­schen zu lei­ten be­lieb­ten, die ehe­li­chen Er­eig­nis­se je­der Art hier gleich­sam im Vor­bil­de hät­ten dar­stel­len wol­len. Abra­ham, so lan­ge Jah­re mit ei­ner schö­nen, von vie­len um­wor­be­nen Frau in kin­der­lo­ser Ehe, fin­det sich in sei­nem hun­derts­ten als Gat­te zwei­er Frau­en, als Va­ter zwei­er Söh­ne, und in die­sem Au­gen­blick ist sein Haus­frie­de ge­stört. Zwei Frau­en ne­ben ein­an­der, so wie zwei Söh­ne von zwei Müt­tern ge­gen­ein­an­der über, ver­tra­gen sich un­mög­lich. Der­je­ni­ge Teil, der durch Ge­set­ze, Her­kom­men und Mei­nung we­ni­ger be­güns­tigt ist, muss wei­chen. Abra­ham muss die Nei­gung zu Ha­gar, zu Is­ma­el auf­op­fern: bei­de wer­den ent­las­sen und Ha­gar ge­nö­tigt, den Weg, den sie auf ei­ner frei­wil­li­gen Flucht ein­ge­schla­gen, nun­mehr wi­der Wil­len an­zu­tre­ten, an­fangs, wie es scheint, zu des Kin­des und ih­rem Un­ter­gang; aber der En­gel des Herrn, der sie frü­her zu­rück­ge­wie­sen, ret­tet sie auch dies­mal, da­mit Is­ma­el auch zu ei­nem großen Volk wer­de und die un­wahr­schein­lichs­te al­ler Ver­hei­ßun­gen selbst über ihre Gren­zen hin­aus in Er­fül­lung gehe.

Zwei El­tern in Jah­ren und ein ein­zi­ger spät­ge­bor­ner Sohn: hier soll­te man doch end­lich eine häus­li­che Ruhe, ein ir­di­sches Glück er­war­ten! Kei­nes­wegs. Die Himm­li­schen be­rei­ten dem Erz­va­ter noch die schwers­te Prü­fung. Doch von die­ser kön­nen wir nicht re­den, ohne vor­her noch man­cher­lei Be­trach­tun­gen an­zu­stel­len.

Soll­te eine na­tür­li­che, all­ge­mei­ne Re­li­gi­on ent­sprin­gen und sich eine be­son­de­re, geof­fen­bar­te dar­aus ent­wi­ckeln, so wa­ren die Län­der, in de­nen bis­her un­se­re Ein­bil­dungs­kraft ver­weilt, die Le­bens­wei­se, die Men­schen­art wohl am ge­schick­tes­ten dazu; we­nigs­tens fin­den wir nicht, dass in der gan­zen Welt sich et­was ähn­lich Güns­ti­ges und Heitres her­vor­ge­tan hät­te. Schon zur na­tür­li­chen Re­li­gi­on, wenn wir an­neh­men, dass sie frü­her in dem mensch­li­chen Ge­mü­te ent­sprun­gen, ge­hört viel Zart­heit der Ge­sin­nung: denn sie ruht auf der Über­zeu­gung ei­ner all­ge­mei­nen Vor­se­hung, wel­che die Wel­t­ord­nung im gan­zen lei­te. Eine be­sond­re Re­li­gi­on, eine von den Göt­tern die­sem oder je­nem Volk geof­fen­bar­te, führt den Glau­ben an eine be­sond­re Vor­se­hung mit sich, die das gött­li­che We­sen ge­wis­sen be­güns­tig­ten Men­schen, Fa­mi­li­en, Stäm­men und Völ­kern zu­sagt. Die­se scheint sich schwer aus dem In­nern des Men­schen zu ent­wi­ckeln. Sie ver­langt Über­lie­fe­rung, Her­kom­men, Bürg­schaft aus ur­al­ter Zeit.

Schön ist es da­her, dass die is­rae­li­ti­sche Über­lie­fe­rung gleich die ers­ten Män­ner, wel­che die­ser be­son­dern Vor­se­hung ver­trau­en, als Glau­bens­hel­den dar­stellt, wel­che von je­nem ho­hen We­sen, dem sie sich ab­hän­gig er­ken­nen, alle und jede Ge­bo­te eben so blind­lings be­fol­gen, als sie, ohne zu zwei­feln, die spä­ten Er­fül­lun­gen sei­ner Ver­hei­ßun­gen ab­zu­war­ten nicht er­mü­den.

So wie eine be­son­de­re, geof­fen­bar­te Re­li­gi­on den Be­griff zum Grun­de legt, dass ei­ner mehr von den Göt­tern be­güns­tigt sein kön­ne als der an­de­re, so ent­springt sie auch vor­züg­lich aus der Ab­son­de­rung der Zu­stän­de. Nahe ver­wandt schie­nen sich die ers­ten Men­schen, aber ihre Be­schäf­ti­gun­gen trenn­ten sie bald. Der Jä­ger war der frei­es­te von al­len; aus ihm ent­wi­ckel­te sich der Krie­ger und der Herr­scher. Der Teil, der den Acker bau­te, sich der Erde ver­schrieb, Woh­nun­gen und Scheu­ern auf­führ­te, um das Er­wor­be­ne zu er­hal­ten, konn­te sich schon et­was dün­ken, weil sein Zu­stand Dau­er und Si­cher­heit ver­sprach. Dem Hir­ten an sei­ner Stel­le schi­en der un­ge­mes­sens­te Zu­stand so wie ein gren­zen­lo­ser Be­sitz zu teil ge­wor­den. Die Ver­meh­rung der Her­den ging ins Unend­li­che, und der Raum, der sie er­näh­ren soll­te, er­wei­ter­te sich nach al­len Sei­ten. Die­se drei Stän­de schei­nen sich gleich an­fangs mit Ver­druss und Ver­ach­tung an­ge­sehn zu ha­ben; und wie der Hir­te dem Städ­ter ein Gräu­el war, so son­der­te er auch sich wie­der von die­sem ab. Die Jä­ger ver­lie­ren sich aus un­sern Au­gen in die Ge­bir­ge und kom­men nur als Ero­be­rer wie­der zum Vor­schein.

Zum Hir­ten­stan­de ge­hör­ten die Erz­vä­ter. Ihre Le­bens­wei­se auf dem Mee­re der Wüs­ten und Wei­den gab ih­ren Ge­sin­nun­gen Brei­te und Frei­heit, Ge­wöl­be des Him­mels, un­ter dem sie wohn­ten, mit al­len sei­nen nächt­li­chen Ster­nen, ih­ren Ge­füh­len Er­ha­ben­heit, und sie be­durf­ten mehr als der tä­ti­ge, ge­wand­te Jä­ger, mehr als der sich­re, sorg­fäl­ti­ge, haus­be­woh­nen­de Ackers­mann des un­er­schüt­ter­li­chen Glau­bens, dass ein Gott ih­nen zur Sei­te zie­he, dass er sie be­su­che, an ih­nen An­teil neh­me, sie füh­re und ret­te.

Zu noch ei­ner an­de­ren Be­trach­tung wer­den wir ge­nö­tigt, in­dem wir zur Ge­schichts­fol­ge über­ge­hen. So mensch­lich, schön und hei­ter auch die Re­li­gi­on der Erz­vä­ter er­scheint, so ge­hen doch Züge von Wild­heit und Grau­sam­keit hin­durch, aus wel­cher der Mensch her­an­kom­men, oder wor­ein er wie­der ver­sin­ken kann.

Dass der Hass sich durch das Blut, durch den Tod des über­wun­de­nen Fein­des ver­söh­ne, ist na­tür­lich; dass man auf dem Schlacht­fel­de zwi­schen den Rei­hen der Ge­tö­te­ten einen Frie­den schloss, lässt sich wohl den­ken; dass man eben so durch ge­schlach­te­te Tie­re ein Bünd­nis zu be­fes­ti­gen glaub­te, fließt aus dem Vor­her­ge­hen­den; auch dass man die Göt­ter, die man doch im­mer als Par­tei, als Wi­der­sa­cher oder als Bei­stand an­sah, durch Ge­tö­te­tes her­bei­zie­hen, sie ver­söh­nen, sie ge­win­nen kön­ne, über die­se Vor­stel­lung hat man sich gleich­falls nicht zu ver­wun­dern. Blei­ben wir aber bei den Op­fern ste­hen und be­trach­ten die Art, wie sie in je­ner Ur­zeit dar­ge­bracht wur­den, so fin­den wir einen selt­sa­men, für uns ganz wi­der­li­chen Ge­brauch, der wahr­schein­lich auch aus dem Krie­ge her­ge­nom­men, die­sen näm­lich: die ge­op­fer­ten Tie­re je­der Art, und wenn ih­rer noch so viel ge­wid­met wur­den, muss­ten in zwei Hälf­ten zer­hau­en, an zwei Sei­ten ge­legt wer­den, und in der Stra­ße da­zwi­schen be­fan­den sich die­je­ni­gen, die mit der Gott­heit einen Bund schlie­ßen woll­ten.

Wun­der­bar und ahn­dungs­voll geht durch jene schö­ne Welt noch ein an­de­rer schreck­li­cher Zug, dass al­les, was ge­weiht, was ver­lobt war, ster­ben muss­te: wahr­schein­lich auch ein auf den Frie­den über­tra­ge­ner Kriegs­ge­brauch. Den Be­woh­nern ei­ner Stadt, die sich ge­walt­sam wehrt, wird mit ei­nem glei­chen Ge­lüb­de ge­droht; sie geht über durch Sturm oder sonst: man lässt nichts am Le­ben, Män­ner kei­nes­wegs, und manch­mal tei­len auch Frau­en, Kin­der, ja das Vieh ein sol­ches Schick­sal. Übe­reil­ter- und aber­gläu­bi­scher­wei­se wer­den, be­stimm­ter oder un­be­stimm­ter, der­glei­chen Op­fer den Göt­tern ver­spro­chen; und so kom­men die, wel­che man scho­nen möch­te, ja so­gar die nächs­ten, die ei­ge­nen Kin­der, in den Fall, als Sühnop­fer ei­nes sol­chen Wahn­sinns zu blu­ten.

In dem sanf­ten, wahr­haft ur­vä­ter­li­chen Cha­rak­ter Abra­hams konn­te eine so bar­ba­ri­sche An­be­tungs­wei­se nicht ent­sprin­gen; aber die Göt­ter, wel­che manch­mal, um uns zu ver­su­chen, jene Ei­gen­schaf­ten her­vor­zu­keh­ren schei­nen, die der Mensch ih­nen an­zu­dich­ten ge­neigt ist, be­feh­len ihm das Un­ge­heu­re. Er soll sei­nen Sohn op­fern, als Pfand des Neu­en Bun­des, und, wenn es nach dem Her­ge­brach­ten geht, ihn nicht etwa nur schlach­ten und ver­bren­nen, son­dern ihn in zwei Stücke tei­len und zwi­schen sei­nen rau­chen­den Ein­ge­wei­den sich von den gü­ti­gen Göt­tern eine neue Ver­hei­ßung er­war­ten. Ohne Zau­dern und blind­lings schickt Abra­ham sich an, den Be­fehl zu voll­zie­hen: den Göt­tern ist der Wil­le hin­rei­chend. Nun sind Abra­hams Prü­fun­gen vor­über: denn wei­ter konn­ten sie nicht ge­stei­gert wer­den. Aber Sara stirbt, und dies gibt Ge­le­gen­heit, dass Abra­ham von dem Lan­de Kanaan vor­bild­lich Be­sitz nimmt. Er be­darf ei­nes Gra­bes, und dies ist das ers­te Mal, dass er sich nach ei­nem Ei­gen­tum auf die­ser Erde um­sieht. Eine zwei­fa­che Höh­le ge­gen dem Hain Mam­re mag er sich schon frü­her aus­ge­sucht ha­ben. Die­se kauft er mit dem dar­an sto­ßen­den Acker, und die Form Rech­tens, die er da­bei be­ob­ach­tet, zeigt, wie wich­tig ihm die­ser Be­sitz ist. Er war es auch, mehr als er sich viel­leicht selbst den­ken konn­te: denn er, sei­ne Söh­ne und En­kel soll­ten da­selbst ru­hen und der nächs­te An­spruch auf das gan­ze Land, so wie die im­mer­wäh­ren­de Nei­gung sei­ner Nach­kom­men­schaft, sich hier zu ver­sam­meln, da­durch am ei­gent­lichs­ten be­grün­det wer­den.

Von nun an ge­hen die man­nig­fal­ti­gen Fa­mi­li­ens­ze­nen ab­wech­selnd vor sich. Noch im­mer hält sich Abra­ham streng ab­ge­son­dert von den Ein­woh­nern, und wenn Is­ma­el, der Sohn ei­ner Ägyp­te­rin, auch eine Toch­ter die­ses Lan­des ge­hei­ra­tet hat, so soll nun Isaak sich mit ei­ner Bluts­freun­din, ei­ner Eben­bür­ti­gen, ver­mäh­len.

Abra­ham sen­det sei­nen Knecht nach Me­so­po­ta­mi­en zu den Ver­wand­ten, die er dort zu­rück­ge­las­sen. Der klu­ge Elea­sar kommt un­er­kannt an, und um die rech­te Braut nach Hau­se zu brin­gen, prüft er die Dienst­fer­tig­keit der Mäd­chen am Brun­nen. Er ver­langt zu trin­ken für sich, und un­ge­be­ten tränkt Re­bek­ka auch sei­ne Ka­me­le. Er be­schenkt sie, er frei­et um sie, die ihm nicht ver­sagt wird. So führt er sie in das Haus sei­nes Herrn, und sie wird Isaak an­ge­traut. Auch hier muss die Nach­kom­men­schaft lan­ge Zeit er­war­tet wer­den. Erst nach ei­ni­gen Prü­fungs­jah­ren wird Re­bek­ka ge­seg­net, und der­sel­be Zwie­spalt, der in Abra­hams Dop­pel­ehe von zwei Müt­tern ent­stand, ent­springt hier von ei­ner. Zwei Kna­ben von ent­ge­gen­ge­setz­tem Sin­ne bal­gen sich schon un­ter dem Her­zen der Mut­ter. Sie tre­ten ans Licht: der äl­te­re leb­haft und mäch­tig, der jün­ge­re zart und klug; je­ner wird des Va­ters, die­ser der Mut­ter Lieb­ling. Der Streit um den Vor­rang, der schon bei der Ge­burt be­ginnt, setzt sich im­mer fort. Esau ist ru­hig und gleich­gül­tig über die Erst­ge­burt, die ihm das Schick­sal zu­ge­teilt; Ja­kob ver­gisst nicht, dass ihn sein Bru­der zu­rück­ge­drängt. Auf­merk­sam auf jede Ge­le­gen­heit, den er­wünsch­ten Vor­teil zu ge­win­nen, han­delt er sei­nem Bru­der das Recht der Erst­ge­burt ab und be­vor­teilt ihn um des Va­ters Se­gen. Esau er­grimmt und schwört dem Bru­der den Tod, Ja­kob ent­flieht, um in dem Lan­de sei­ner Vor­fah­ren sein Glück zu ver­su­chen.

Nun, zum ers­ten Mal in ei­ner so ed­len Fa­mi­lie, er­scheint ein Glied, das kein Be­den­ken trägt, durch Klug­heit und List die Vor­tei­le zu er­lan­gen, wel­che Na­tur und Zu­stän­de ihm ver­sag­ten. Es ist oft ge­nug be­merkt und aus­ge­spro­chen wor­den, dass die hei­li­gen Schrif­ten uns jene Erz­vä­ter und an­de­re von Gott be­güns­tig­te Män­ner kei­nes­wegs als Tu­gend­bil­der auf­stel­len wol­len. Auch sie sind Men­schen von den ver­schie­dens­ten Cha­rak­tern, mit man­cher­lei Män­geln und Ge­bre­chen; aber eine Haup­tei­gen­schaft darf sol­chen Män­nern nach dem Her­zen Got­tes nicht feh­len: es ist der un­er­schüt­ter­li­che Glau­be, dass Gott sich ih­rer und der Ih­ri­gen be­son­ders an­neh­me.

Die all­ge­mei­ne, die na­tür­li­che Re­li­gi­on be­darf ei­gent­lich kei­nes Glau­bens: denn die Über­zeu­gung, dass ein großes, her­vor­brin­gen­des, ord­nen­des und lei­ten­des We­sen sich gleich­sam hin­ter der Na­tur ver­ber­ge, um sich uns fass­lich zu ma­chen, eine sol­che Über­zeu­gung dringt sich ei­nem je­den auf; ja wenn er auch den Fa­den der­sel­ben, der ihn durchs Le­ben führt, manch­mal fah­ren lie­ße, so wird er ihn doch gleich und über­all wie­der auf­neh­men kön­nen. Ganz an­ders ver­hält sich’s mit der be­son­dern Re­li­gi­on, die uns ver­kün­digt, dass je­nes große We­sen sich ei­nes ein­zel­nen, ei­nes Stam­mes, ei­nes Vol­kes, ei­ner Land­schaft ent­schie­den und vor­züg­lich an­neh­me. Die­se Re­li­gi­on ist auf den Glau­ben ge­grün­det, der un­er­schüt­ter­lich sein muss, wenn er nicht so­gleich von Grund aus zer­stört wer­den soll. Je­der Zwei­fel ge­gen eine sol­che Re­li­gi­on ist ihr töd­lich. Zur Über­zeu­gung kann man zu­rück­keh­ren, aber nicht zum Glau­ben. Da­her die un­end­li­chen Prü­fun­gen, das Zau­dern der Er­fül­lung so wie­der­hol­ter Ver­hei­ßun­gen, wo­durch die Glau­bens­fä­hig­keit je­ner Ahn­her­ren ins hells­te Licht ge­setzt wird.

Auch in die­sem Glau­ben tritt Ja­kob sei­nen Zug an, und wenn er durch List und Be­trug un­se­re Nei­gung nicht er­wor­ben hat, so ge­winnt er sie durch die dau­ern­de und un­ver­brüch­li­che Lie­be zu Ra­hel, um die er selbst aus dem Steg­rei­fe wirbt, wie Elea­sar für sei­nen Va­ter um Re­bek­ka ge­wor­ben hat­te. In ihm soll­te sich die Ver­hei­ßung ei­nes un­er­mess­li­chen Vol­kes zu­erst voll­kom­men ent­fal­ten: er soll­te vie­le Söh­ne um sich se­hen, aber auch durch sie und ihre Müt­ter man­ches Her­ze­leid er­le­ben.

Sie­ben Jah­re dient er um die Ge­lieb­te, ohne Un­ge­duld und ohne Wan­ken. Sein Schwie­ger­va­ter, ihm gleich an List, ge­sinnt wie er, um je­des Mit­tel zum Zweck für recht­mä­ßig zu hal­ten, be­trügt ihn, ver­gilt ihm, was er an sei­nem Bru­der ge­tan: Ja­kob fin­det eine Gat­tin, die er nicht liebt, in sei­nen Ar­men. Zwar, um ihn zu be­sänf­ti­gen, gibt La­ban2 nach kur­z­er Zeit ihm die ge­lieb­te dazu, aber un­ter der Be­din­gung sie­ben neu­er Dienst­jah­re; und so ent­springt nun Ver­druss aus Ver­druss. Die nicht ge­lieb­te Gat­tin ist frucht­bar, die ge­lieb­te bringt kei­ne Kin­der; die­se will wie Sara durch eine Magd Mut­ter wer­den, jene miss­gönnt ihr auch die­sen Vor­teil. Auch sie führt ih­rem Gat­ten eine Magd zu, und nun ist der gute Erz­va­ter der ge­plag­tes­te Mann von der Welt: vier Frau­en, Kin­der von drei­en, und keins von der ge­lieb­ten! End­lich wird auch die­se be­glückt, und Jo­seph kommt zur Welt, ein Spät­ling der lei­den­schaft­lichs­ten Lie­be. Ja­kobs vier­zehn Dienst­jah­re sind um; aber La­ban will in ihm den ers­ten, treus­ten Knecht nicht ent­beh­ren. Sie schlie­ßen neue Be­din­gun­gen und tei­len sich in die Her­den. La­ban be­hält die von wei­ßer Far­be, als die der Mehr­zahl; die sche­cki­gen, gleich­sam nur den Aus­schuss, lässt sich Ja­kob ge­fal­len. Die­ser weiß aber auch hier sei­nen Vor­teil zu wah­ren, und wie er durch ein schlech­tes Ge­richt die Erst­ge­burt und durch eine Ver­mum­mung den vä­ter­li­chen Se­gen ge­won­nen, so ver­steht er nun durch Kunst und Sym­pa­thie den bes­ten und größ­ten Teil der Her­de sich zu­zu­eig­nen und wird auch von die­ser Sei­te der wahr­haft wür­di­ge Stamm­va­ter des Vol­kes Is­rael und ein Mus­ter­bild für sei­ne Nach­kom­men. La­ban und die Sei­ni­gen be­mer­ken, wo nicht das Kunst­stück, doch den Er­folg. Es gibt Ver­druss; Ja­kob flieht mit al­len den Sei­ni­gen, mit al­ler Habe, und ent­kommt dem nach­set­zen­den La­ban teils durch Glück, teils durch List. Nun soll ihm Ra­hel noch einen Sohn schen­ken; sie stirbt aber in der Ge­burt: der Schmer­zen­sohn Ben­ja­min über­lebt sie, aber noch grö­ßern Schmerz soll der Alt­va­ter bei dem an­schei­nen­den Ver­lust sei­nes Soh­nes Jo­seph emp­fin­den.

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Vi­el­leicht möch­te je­mand fra­gen, warum ich die­se all­ge­mein be­kann­ten, so oft wie­der­hol­ten und aus­ge­leg­ten Ge­schich­ten hier aber­mals um­ständ­lich vor­tra­ge. Die­sem dürf­te zur Ant­wort die­nen, dass ich auf kei­ne an­de­re Wei­se dar­zu­stel­len wüss­te, wie ich bei mei­nem zer­streu­ten Le­ben, bei mei­nem zer­stückel­ten Ler­nen den­noch mei­nen Geist, mei­ne Ge­füh­le auf einen Punkt zu ei­ner stil­len Wir­kung ver­sam­mel­te; weil ich auf kei­ne an­de­re Wei­se den Frie­den zu schil­dern ver­möch­te, der mich um­gab, wenn es auch drau­ßen noch so wild und wun­der­lich her­ging. Wenn eine stets ge­schäf­ti­ge Ein­bil­dungs­kraft, wo­von je­nes Mär­chen ein Zeug­nis ab­le­gen mag, mich bald da- bald dort­hin führ­te, wenn das Ge­misch von Fa­bel und Ge­schich­te, My­tho­lo­gie und Re­li­gi­on mich zu ver­wir­ren droh­te, so flüch­te­te ich gern nach je­nen mor­gen­län­di­schen Ge­gen­den, ich ver­senk­te mich in die ers­ten Bü­cher Mo­sis und fand mich dort un­ter den aus­ge­brei­te­ten Hir­ten­stäm­men zu­gleich in der größ­ten Ein­sam­keit und in der größ­ten Ge­sell­schaft.

Die­se Fa­mi­li­en­auf­trit­te, ehe sie sich in eine Ge­schich­te des is­rae­li­ti­schen Volks ver­lie­ren soll­ten, las­sen uns nun zum Schluss noch eine Ge­stalt se­hen, an der sich be­son­ders die Ju­gend mit Hoff­nun­gen und Ein­bil­dun­gen gar ar­tig schmei­cheln kann: Jo­seph, das Kind der lei­den­schaft­lichs­ten ehe­li­chen Lie­be. Ru­hig er­scheint er uns und klar und pro­phe­zeit sich selbst die Vor­zü­ge, die ihn über sei­ne Fa­mi­lie er­he­ben soll­ten. Durch sei­ne Ge­schwis­ter ins Un­glück ge­sto­ßen, bleibt er stand­haft und recht­lich in der Skla­ve­rei, wi­der­steht den ge­fähr­lichs­ten Ver­su­chun­gen, ret­tet sich durch Weis­sa­gung und wird zu ho­hen Ehren nach Ver­dienst er­ho­ben. Erst zeigt er sich ei­nem großen Kö­nig­rei­che, so­dann den Sei­ni­gen hilf­reich und nütz­lich. Er gleicht sei­nem Ur­va­ter Abra­ham an Ruhe und Groß­heit, sei­nem Groß­va­ter Isaak an Stil­le und Er­ge­ben­heit. Den von sei­nem Va­ter ihm an­ge­stamm­ten Ge­werb­sinn übt er im großen: es sind nicht mehr Her­den, die man ei­nem Schwie­ger­va­ter, die man für sich selbst ge­winnt, es sind Völ­ker mit al­len ih­ren Be­sit­zun­gen, die man für einen Kö­nig ein­zu­han­deln ver­steht. Höchst an­mu­tig ist die­se na­tür­li­che Er­zäh­lung, nur er­scheint sie zu kurz, und man fühlt sich be­ru­fen, sie ins Ein­zel­ne aus­zu­ma­len.

Ein sol­ches Aus­ma­len bib­li­scher, nur im Um­riss an­ge­ge­be­ner Cha­rak­tere und Be­ge­ben­hei­ten war den Deut­schen nicht mehr fremd. Die Per­so­nen des Al­ten und Neu­en Te­sta­ments hat­ten durch Klop­stock ein zar­tes und ge­fühl­vol­les We­sen ge­won­nen, das dem Kna­ben so wie vie­len sei­ner Zeit­ge­nos­sen höch­lich zu­sag­te. Von den Bod­me­ri­schen Ar­bei­ten die­ser Art kam we­nig oder nichts zu ihm; aber »Da­niel in der Lö­wen­gru­be« von Mo­ser mach­te große Wir­kung auf das jun­ge Ge­müt. Hier ge­langt ein wohl­den­ken­der Ge­schäfts- und Hof­mann durch man­cher­lei Trüb­sa­le zu ho­hen Ehren, und sei­ne Fröm­mig­keit, durch die man ihn zu ver­der­ben droh­te, ward frü­her und spä­ter sein Schild und sei­ne Waf­fe. Die Ge­schich­te Jo­se­phs zu be­ar­bei­ten, war mir lan­ge schon wün­schens­wert ge­we­sen; al­lein ich konn­te mit der Form nicht zu­recht­kom­men, be­son­ders da mir kei­ne Vers­art ge­läu­fig war, die zu ei­ner sol­chen Ar­beit ge­passt hät­te. Aber nun fand ich eine pro­sa­i­sche Be­hand­lung sehr be­quem und leg­te mich mit al­ler Ge­walt auf die Be­ar­bei­tung. Nun such­te ich die Cha­rak­tere zu son­dern und aus­zu­ma­len und durch Ein­schal­tung von In­ci­den­zi­en und Epi­so­den die alte ein­fa­che Ge­schich­te zu ei­nem neu­en und selbst­stän­di­gen Wer­ke zu ma­chen. Ich be­dach­te nicht, was frei­lich die Ju­gend nicht be­den­ken kann, dass hie­zu ein Ge­halt nö­tig sei und dass die­ser uns nur durch das Ge­wahr­wer­den der Er­fah­rung selbst ent­sprin­gen kön­ne. Ge­nug, ich ver­ge­gen­wär­tig­te mir alle Be­ge­ben­hei­ten bis ins kleins­te De­tail und er­zähl­te sie mir der Rei­he nach auf das ge­naus­te.

Was mir die­se Ar­beit sehr er­leich­ter­te, war ein Um­stand, der die­ses Werk und über­haupt mei­ne Au­tor­schaft höchst vo­lu­mi­nos zu ma­chen droh­te. Ein jun­ger Mann von vie­len Fä­hig­kei­ten, der aber durch An­stren­gung und Dün­kel blöd­sin­nig ge­wor­den war, wohn­te als Mün­del in mei­nes Va­ters Hau­se, leb­te ru­hig mit der Fa­mi­lie und war sehr still und in sich ge­kehrt und, wenn man ihn auf sei­ne ge­wohn­te Wei­se ver­fah­ren ließ, zu­frie­den und ge­fäl­lig. Die­ser hat­te sei­ne aka­de­mi­schen Hef­te mit großer Sorg­falt ge­schrie­ben und sich eine flüch­ti­ge, le­ser­li­che Hand er­wor­ben. Er be­schäf­tig­te sich am liebs­ten mit Schrei­ben und sah es gern, wenn man ihm et­was zu ko­pie­ren gab; noch lie­ber aber, wenn man ihm dik­tier­te, weil er sich als­dann in sei­ne glück­li­chen aka­de­mi­schen Jah­re ver­setzt fühl­te. Mei­nem Va­ter, der kei­ne ex­pe­di­te Hand schrieb und des­sen deut­sche Schrift klein und zitt­rig war, konn­te nichts er­wünsch­ter sein, und er pfleg­te da­her bei Be­sor­gung eig­ner so­wohl als frem­der Ge­schäf­te die­sem jun­gen Man­ne ge­wöhn­lich ei­ni­ge Stun­den des Tags zu dik­tie­ren. Ich fand es nicht min­der be­quem, in der Zwi­schen­zeit al­les, was mir flüch­tig durch den Kopf ging, von ei­ner frem­den Hand auf dem Pa­pier fi­xiert zu se­hen, und mei­ne Er­fin­dungs- und Nach­ah­mungs­ga­be wuchs mit der Leich­tig­keit des Auf­fas­sens und Auf­be­wah­rens.

Ein so großes Werk als je­nes bib­li­sche pro­sa­isch-epi­sche Ge­dicht hat­te ich noch nicht un­ter­nom­men. Es war eben eine ziem­lich ru­hi­ge Zeit, und nichts rief mei­ne Ein­bil­dungs­kraft aus Pa­läs­ti­na und Ägyp­ten zu­rück. So quoll mein Ma­nu­skript täg­lich umso mehr auf, als das Ge­dicht stre­cken­wei­se, wie ich es mir selbst gleich­sam in die Luft er­zähl­te, auf dem Pa­pier stand und nur we­ni­ge Blät­ter von Zeit zu Zeit um­ge­schrie­ben zu wer­den brauch­ten.

Als das Werk fer­tig war, denn es kam zu mei­ner eig­nen Ver­wun­de­rung wirk­lich zu stan­de, be­dach­te ich, dass von den vo­ri­gen Jah­ren man­cher­lei Ge­dich­te vor­han­den sei­en, die mir auch jetzt nicht ver­werf­lich schie­nen, wel­che, in ein For­mat mit »Jo­seph« zu­sam­men­ge­schrie­ben, einen ganz ar­ti­gen Quart­band aus­ma­chen wür­den, dem man den Ti­tel »Ver­misch­te Ge­dich­te« ge­ben könn­te; wel­ches mir sehr wohl ge­fiel, weil ich da­durch im Stil­len be­kann­te und be­rühm­te Au­to­ren nach­zuah­men Ge­le­gen­heit fand. Ich hat­te eine gute An­zahl so­ge­nann­ter Ana­kre­on­ti­scher Ge­dich­te ver­fer­tigt, die mir we­gen der Be­quem­lich­keit des Sil­ben­ma­ßes und der Leich­tig­keit des In­halts sehr wohl von der Hand gin­gen. Al­lein die­se durf­te ich nicht wohl auf­neh­men, weil sie kei­ne Rei­me hat­ten und ich doch vor al­lem mei­nem Va­ter et­was An­ge­neh­mes zu er­zei­gen wünsch­te. De­sto mehr schie­nen mir geist­li­che Oden hier am Platz, der­glei­chen ich zur Nach­ah­mung des »Jüngs­ten Ge­richts« von Eli­as Schle­gel sehr eif­rig ver­sucht hat­te. Eine zur Fei­er der Höl­len­fahrt Chris­ti ge­schrie­be­ne er­hielt von mei­nen El­tern und Freun­den viel Bei­fall, und sie hat­te das Glück, mir selbst noch ei­ni­ge Jah­re zu ge­fal­len. Die so­ge­nann­ten Tex­te der sonn­tä­gi­gen Kir­chen­mu­si­ken, wel­che je­des Mal ge­druckt zu ha­ben wa­ren, stu­dier­te ich flei­ßig. Sie wa­ren frei­lich sehr schwach, und ich durf­te wohl glau­ben, dass die mei­ni­gen, de­ren ich meh­re­re nach der vor­ge­schrie­be­nen Art ver­fer­tigt hat­te, eben so gut ver­dien­ten, kom­po­niert und zur Er­bau­ung der Ge­mein­de vor­ge­tra­gen zu wer­den. Die­se und meh­re­re der­glei­chen hat­te ich seit län­ger als ei­nem Jah­re mit ei­ge­ner Hand ab­ge­schrie­ben, weil ich durch die­se Pri­vat­übung von den Vor­schrif­ten des Schrei­be­meis­ters ent­bun­den wur­de. Nun­mehr aber ward al­les re­di­giert und in gute Ord­nung ge­stellt, und es be­durf­te kei­nes großen Zu­re­dens, um sol­che von je­nem schrei­be­lus­ti­gen jun­gen Man­ne rein­lich ab­ge­schrie­ben zu se­hen. Ich eil­te da­mit zum Buch­bin­der, und als ich gar bald den sau­bern Band mei­nem Va­ter über­reich­te, mun­ter­te er mich mit be­son­derm Wohl­ge­fal­len auf, alle Jah­re einen sol­chen Quar­tan­ten zu lie­fern, wel­ches er mit de­sto grö­ße­rer Über­zeu­gung tat, als ich das al­les nur in so­ge­nann­ten Ne­ben­stun­den ge­leis­tet hat­te.

Noch ein an­de­rer Um­stand ver­mehr­te den Hang zu die­sen theo­lo­gi­schen, oder viel­mehr bib­li­schen Stu­di­en. Der Se­ni­or des Mi­nis­te­ri­ums, Jo­hann Phil­ipp Fre­se­ni­us, ein sanf­ter Mann von schö­nem, ge­fäl­li­gen An­se­hen, wel­cher von sei­ner Ge­mein­de, ja von der gan­zen Stadt als ein ex­em­pla­ri­scher Geist­li­cher und gu­ter Kan­zel­red­ner ver­ehrt ward, der aber, weil er ge­gen die Herrn­hu­ter auf­ge­tre­ten, bei den ab­ge­son­der­ten From­men nicht im bes­ten Ruf stand, vor der Men­ge hin­ge­gen sich durch die Be­keh­rung ei­nes bis zum Tode bles­sier­ten frei­geis­ti­schen Ge­ne­rals be­rühmt und gleich­sam hei­lig ge­macht hat­te, die­ser starb, und sein Nach­fol­ger Plitt, ein großer, schö­ner, wür­di­ger Mann, der je­doch vom Ka­the­der (er war Pro­fes­sor in Mar­burg ge­we­sen) mehr die Gabe zu leh­ren als zu er­bau­en mit­ge­bracht hat­te, kün­dig­te so­gleich eine Art von Re­li­gi­ons­kur­sus an, dem er sei­ne Pre­dig­ten in ei­nem ge­wis­sen me­tho­di­schen Zu­sam­men­hang wid­men wol­le. Schon frü­her, da ich doch ein­mal in die Kir­che ge­hen muss­te, hat­te ich mir die Ein­tei­lung ge­merkt und konn­te dann und wann mit ziem­lich voll­stän­di­ger Re­ci­ta­ti­on ei­ner Pre­digt groß­tun. Da nun über den neu­en Se­ni­or man­ches für und wi­der in der Ge­mei­ne ge­spro­chen wur­de und vie­le kein son­der­li­ches Zu­trau­en in sei­ne an­ge­kün­dig­ten di­dak­ti­schen Pre­dig­ten set­zen woll­ten, so nahm ich mir vor, sorg­fäl­ti­ger nach­zu­schrei­ben, wel­ches mir umso eher ge­lang, als ich auf ei­nem zum Hö­ren sehr be­que­men, üb­ri­gens aber ver­bor­ge­nen Sitz schon ge­rin­ge­re Ver­su­che ge­macht hat­te. Ich war höchst auf­merk­sam und be­händ; in dem Au­gen­blick, dass er Amen sag­te, eil­te ich aus der Kir­che und wen­de­te ein paar Stun­den dar­an, das, was ich auf dem Pa­pier und im Ge­dächt­nis fi­xiert hat­te, ei­lig zu dik­tie­ren, so­dass ich die ge­schrie­be­ne Pre­digt noch vor Ti­sche über­rei­chen konn­te. Mein Va­ter war sehr glo­ri­os über die­ses Ge­lin­gen, und der gute Haus­freund, der eben zu Ti­sche kam, muss­te die Freu­de tei­len. Die­ser war mir oh­ne­hin höchst güns­tig, weil ich mir sei­nen »Mes­si­as« so zu ei­gen ge­macht hat­te, dass ich ihm (bei mei­nen öf­tern Be­su­chen, um Sie­ge­l­ab­drücke für mei­ne Wap­pen­samm­lung zu ho­len) große Stel­len da­von vor­tra­gen konn­te, so­dass ihm die Trä­nen in den Au­gen stan­den.

Den nächs­ten Sonn­tag setz­te ich die Ar­beit mit glei­chem Ei­fer fort, und weil mich der Mecha­nis­mus der­sel­ben so­gar un­ter­hielt, so dach­te ich nicht nach über das, was ich schrieb und auf­be­wahr­te. Das ers­te Vier­tel­jahr moch­ten sich die­se Be­mü­hun­gen ziem­lich gleich blei­ben; als ich aber zu­letzt, nach mei­nem Dün­kel, we­der be­son­de­re Auf­klä­rung über die Bi­bel selbst noch eine freie­re An­sicht des Dog­mas zu fin­den glaub­te, so schi­en mir die klei­ne Ei­tel­keit, die da­bei be­frie­digt wur­de, zu teu­er er­kauft, als dass ich mit glei­chem Ei­fer das Ge­schäft hät­te fort­set­zen sol­len. Die erst so blät­ter­rei­chen Kan­zel­re­den wur­den im­mer ma­ge­rer, und ich hät­te zu­letzt die­se Be­mü­hung ganz ab­ge­bro­chen, wenn nicht mein Va­ter, der ein Freund der Voll­stän­dig­keit war, mich durch gute Wor­te und Ver­spre­chun­gen da­hin ge­bracht, dass ich bis auf den letz­ten Sonn­tag Tri­ni­ta­tis aus­hielt, ob­gleich am Schlus­se kaum et­was mehr als der Text, die Pro­po­si­ti­on und die Ein­tei­lung auf klei­ne Blät­ter ver­zeich­net wur­den.

Was das Voll­brin­gen be­trifft, dar­in hat­te mein Va­ter eine be­son­de­re Hart­nä­ckig­keit. Was ein­mal un­ter­nom­men ward, soll­te aus­ge­führt wer­den, und wenn auch in­zwi­schen das Un­be­que­me, Lang­wei­li­ge, Ver­drieß­li­che, ja Un­nüt­ze des Be­gon­ne­nen sich deut­lich of­fen­bar­te. Es schi­en, als wenn ihm das Voll­brin­gen der ein­zi­ge Zweck, das Be­har­ren die ein­zi­ge Tu­gend deuch­te. Hat­ten wir in lan­gen Win­ter­aben­den im Fa­mi­li­en­krei­se ein Buch an­ge­fan­gen vor­zu­le­sen, so muss­ten wir es auch durch­brin­gen, wenn wir gleich sämt­lich da­bei ver­zwei­fel­ten und er mit­un­ter selbst der ers­te war, der zu gäh­nen an­fing. Ich er­in­ne­re mich noch ei­nes sol­chen Win­ters, wo wir Bo­wers »Ge­schich­te der Päps­te« so durch­zu­ar­bei­ten hat­ten. Es war ein fürch­ter­li­cher Zu­stand, in­dem we­nig oder nichts, was in je­nen kirch­li­chen Ver­hält­nis­sen vor­kommt, Kin­der und jun­ge Leu­te an­spre­chen kann. In­des­sen ist mir bei al­ler Unacht­sam­keit und al­lem Wi­der­wil­len doch von je­ner Vor­le­sung so viel ge­blie­ben, dass ich in spä­te­ren Zei­ten man­ches dar­an zu knüp­fen im stan­de war.

Bei al­len die­sen fremd­ar­ti­gen Be­schäf­ti­gun­gen und Ar­bei­ten, die so schnell auf ein­an­der folg­ten, dass man sich kaum be­sin­nen konn­te, ob sie zu­läs­sig und nütz­lich wä­ren, ver­lor mein Va­ter sei­nen Haupt­zweck nicht aus den Au­gen. Er such­te mein Ge­dächt­nis, mei­ne Gabe, et­was zu fas­sen und zu kom­bi­nie­ren, auf ju­ris­ti­sche Ge­gen­stän­de zu len­ken, und gab mir da­her ein klei­nes Buch, in Ge­stalt ei­nes Ka­te­chis­mus,3 von Hop­pe, nach Form und In­halt der In­sti­tu­tio­nen ge­ar­bei­tet, in die Hän­de. Ich lern­te Fra­gen und Ant­wor­ten bald aus­wen­dig und konn­te so gut den Ka­te­che­ten als den Ka­te­chu­me­nen vor­stel­len; und wie bei dem da­ma­li­gen Re­li­gi­ons­un­ter­richt eine der Haupt­übun­gen war, dass man auf das be­hän­des­te in der Bi­bel auf­schla­gen lern­te, so wur­de auch hier eine glei­che Be­kannt­schaft mit dem Cor­pus Ju­ris für nö­tig be­fun­den, worin ich auch bald auf das voll­kom­mens­te be­wan­dert war. Mein Va­ter woll­te wei­ter ge­hen, und der klei­ne Stru­ve ward vor­ge­nom­men; aber hier ging es nicht so rasch. Die Form des Bu­ches war für den An­fän­ger nicht so güns­tig, dass er sich selbst hät­te aus­hel­fen kön­nen, und mei­nes Va­ters Art zu do­zie­ren nicht so li­be­ral, dass sie mich an­ge­spro­chen hät­te.

Nicht al­lein durch die krie­ge­ri­schen Zu­stän­de, in de­nen wir uns seit ei­ni­gen Jah­ren be­fan­den, son­dern auch durch das bür­ger­li­che Le­ben selbst, durch Le­sen von Ge­schich­ten und Ro­ma­nen, war es uns nur all­zu deut­lich, dass es sehr vie­le Fäl­le gebe, in wel­chen die Ge­set­ze schwei­gen und dem ein­zel­nen nicht zu Hil­fe kom­men, der dann se­hen mag, wie er sich aus der Sa­che zieht. Wir wa­ren nun her­an­ge­wach­sen, und dem Schlen­dria­ne nach soll­ten wir auch ne­ben an­de­ren Din­gen fech­ten und rei­ten ler­nen, um uns ge­le­gent­lich un­se­rer Haut zu weh­ren und zu Pfer­de kein schü­ler­haf­tes An­sehn zu ha­ben. Was den ers­ten Punkt be­trifft, so war uns eine sol­che Übung sehr an­ge­nehm: denn wir hat­ten uns schon längst Hau-Ra­pie­re von Ha­sel­stö­cken, mit Kör­ben von Wei­den sau­ber ge­floch­ten, um die Hand zu schüt­zen, zu ver­schaf­fen ge­wusst. Nun durf­ten wir uns wirk­lich stäh­ler­ne Klin­gen zu­le­gen, und das Geras­sel, was wir da­mit mach­ten, war sehr leb­haft.

Zwei Fecht­meis­ter be­fan­den sich in der Stadt: ein äl­te­rer erns­ter Deut­scher, der auf die stren­ge und tüch­ti­ge Wei­se zu Wer­ke ging, und ein Fran­zo­se, der sei­nen Vor­teil durch Avan­cie­ren und Re­ti­rie­ren, durch leich­te flüch­ti­ge Stö­ße, wel­che stets mit ei­ni­gen Aus­ru­fun­gen be­glei­tet wa­ren, zu er­rei­chen such­te. Die Mei­nun­gen, wel­che Art die bes­te sei, wa­ren ge­teilt. Der klei­nen Ge­sell­schaft, mit wel­cher ich Stun­de neh­men soll­te, gab man den Fran­zo­sen, und wir ge­wöhn­ten uns bald, vor­wärts und rück­wärts zu ge­hen, aus­zu­fal­len und uns zu­rück­zu­zie­hen und da­bei im­mer in die her­kömm­li­chen Schrei­lau­te aus­zu­bre­chen. Meh­re­re von un­sern Be­kann­ten aber hat­ten sich zu dem deut­schen Fecht­meis­ter ge­wen­det und üb­ten ge­ra­de das Ge­gen­teil. Die­se ver­schie­de­nen Ar­ten, eine so wich­ti­ge Übung zu be­han­deln, die Über­zeu­gung ei­nes je­den, dass sein Meis­ter der bes­se­re sei, brach­te wirk­lich eine Spal­tung un­ter die jun­gen Leu­te, die un­ge­fähr von ei­nem Al­ter wa­ren, und es fehl­te we­nig, so hät­ten die Fecht­schu­len ganz ernst­li­che Ge­fech­te ver­an­lasst. Denn fast ward eben so sehr mit Wor­ten ge­strit­ten als mit der Klin­ge ge­foch­ten, und um zu­letzt der Sa­che ein Ende zu ma­chen, ward ein Wett­kampf zwi­schen bei­den Meis­tern ver­an­stal­tet, des­sen Er­folg ich nicht um­ständ­lich zu be­schrei­ben brau­che. Der Deut­sche stand in sei­ner Po­si­tur wie eine Mau­er, pass­te auf sei­nen Vor­teil und wuss­te mit Bat­tie­ren und Li­gie­ren sei­nen Geg­ner ein über das an­de­re Mal zu ent­waff­nen. Die­ser be­haup­te­te, das sei nicht Rai­son, und fuhr mit sei­ner Be­weg­lich­keit fort, den an­de­ren in Atem zu set­zen. Auch brach­te er dem Deut­schen wohl ei­ni­ge Stö­ße bei, die ihn aber selbst, wenn es Ernst ge­we­sen wäre, in die an­de­re Welt ge­schickt hät­ten.

Im gan­zen ward nichts ent­schie­den noch ge­bes­sert, nur wen­de­ten sich ei­ni­ge zu dem Lands­mann, wor­un­ter ich auch ge­hör­te. Al­lein ich hat­te schon zu viel von dem ers­ten Meis­ter an­ge­nom­men, da­her eine ziem­li­che Zeit dar­über hin­ging, bis der neue mir es wie­der ab­ge­wöh­nen konn­te, der über­haupt mit uns Re­ne­ga­ten we­ni­ger als mit sei­nen Ur­schü­lern zu­frie­den war.

Mit dem Rei­ten ging es mir noch schlim­mer. Zu­fäl­li­ger­wei­se schick­te man mich im Herbst auf die Bahn, so­dass ich in der küh­len und feuch­ten Jah­res­zeit mei­nen An­fang mach­te. Die pe­dan­ti­sche Be­hand­lung die­ser schö­nen Kunst war mir höch­lich zu­wi­der. Zum ers­ten und letz­ten war im­mer vom Schlie­ßen die Rede, und es konn­te ei­nem doch nie­mand sa­gen, worin denn ei­gent­lich der Schluss be­ste­he, wor­auf doch al­les an­kom­men sol­le: denn man fuhr ohne Steig­bü­gel auf dem Pfer­de hin und her. Üb­ri­gens schi­en der Un­ter­richt nur auf Prel­le­rei und Be­schä­mung der Schol­a­ren an­ge­legt. Ver­gaß man die Kinn­ket­te ein- oder aus­zu­hän­gen, ließ man die Ger­te fal­len oder wohl gar den Hut, je­des Ver­säum­nis, je­des Un­glück muss­te mit Geld ge­büßt wer­den, und man ward noch oben­ein aus­ge­lacht. Dies gab mir den al­ler­schlimms­ten Hu­mor, be­son­ders da ich den Übungs­ort selbst ganz un­er­träg­lich fand. Der gars­ti­ge, große, ent­we­der feuch­te oder stau­bi­ge Raum, die Käl­te, der Mo­der­ge­ruch, al­les zu­sam­men war mir im höchs­ten Gra­de zu­wi­der; und da der Stall­meis­ter den an­de­ren, weil sie ihn viel­leicht durch Früh­stücke und sons­ti­ge Ga­ben, viel­leicht auch durch ihre Ge­schick­lich­keit be­sta­chen, im­mer die bes­ten Pfer­de, mir aber die schlech­tes­ten zu rei­ten gab, mich auch wohl war­ten ließ und mich, wie es schi­en, hint­an­setz­te, so brach­te ich die al­ler­ver­drieß­lichs­ten Stun­den über ei­nem Ge­schäft hin, das ei­gent­lich das lus­tigs­te von der Welt sein soll­te. Ja der Ein­druck von je­ner Zeit, von je­nen Zu­stän­den ist mir so leb­haft ge­blie­ben, dass, ob ich gleich nach­her lei­den­schaft­lich und ver­we­gen zu rei­ten ge­wohnt war, auch tage- und wo­chen­lang kaum vom Pfer­de kam, dass ich be­deck­te Reit­bah­nen sorg­fäl­tig ver­mied und höchs­tens nur we­nig Au­gen­bli­cke dar­in ver­weil­te. Es kommt üb­ri­gens der Fall oft ge­nug vor, dass, wenn die An­fän­ge ei­ner ab­ge­schlos­se­nen Kunst uns über­lie­fert wer­den sol­len, die­ses auf eine pein­li­che und ab­schre­cken­de Art ge­schieht. Die Über­zeu­gung, wie läs­tig und schäd­lich die­ses sei, hat in spä­tern Zei­ten die Er­zie­hungs­ma­xi­me auf­ge­stellt, dass al­les der Ju­gend auf eine leich­te, lus­ti­ge und be­que­me Art bei­ge­bracht wer­den müs­se; wor­aus denn aber auch wie­der an­de­re Übel und Nach­tei­le ent­sprun­gen sind.

Mit der An­nä­he­rung des Früh­lings ward es bei uns auch wie­der ru­hi­ger, und wenn ich mir frü­her das An­schau­en der Stadt, ih­rer geist­li­chen und welt­li­chen, öf­fent­li­chen und Pri­vat-Ge­bäu­de zu ver­schaf­fen such­te und be­son­ders an dem da­mals noch vor­herr­schen­den Al­ter­tüm­li­chen das größ­te Ver­gnü­gen fand, so war ich nach­her be­müht, durch die Ler­s­ner­sche Chro­nik und durch an­de­re un­ter mei­nes Va­ters Fran­ko­fur­ten­si­en be­find­li­che Bü­cher und Hef­te die Per­so­nen ver­gang­ner Zei­ten mir zu ver­ge­gen­wär­ti­gen; wel­ches mir denn auch durch große Auf­merk­sam­keit auf das Be­son­de­re der Zei­ten und Sit­ten und be­deu­ten­der In­di­vi­dua­li­tä­ten ganz gut zu ge­lin­gen schi­en.

Un­ter den al­ter­tüm­li­chen Res­ten war mir, von Kind­heit an, der auf dem Brück­en­turm auf­ge­steck­te Schä­del ei­nes Staats­ver­bre­chers merk­wür­dig ge­we­sen, der von drei­en oder vie­ren, wie die lee­ren ei­ser­nen Spit­zen aus­wie­sen, seit 1616 sich durch alle Un­bil­den der Zeit und Wit­te­rung er­hal­ten hat­te. So oft man von Sa­chen­hau­sen nach Frank­furt zu­rück­kehr­te, hat­te man den Turm vor sich, und der Schä­del fiel ins Auge. Ich ließ mir als Kna­be schon gern die Ge­schich­te die­ser Auf­rüh­rer, des Fett­milch und sei­ner Ge­nos­sen, er­zäh­len, wie sie mit dem Stadt­re­gi­ment un­zu­frie­den ge­we­sen, sich ge­gen das­sel­be em­pört, Meu­te­rei an­ge­spon­nen, die Ju­den­stadt ge­plün­dert und gräss­li­che Hän­del er­regt, zu­letzt aber ge­fan­gen und von kai­ser­li­chen Ab­ge­ord­ne­ten zum Tode ver­ur­teilt wor­den. Spä­ter­hin lag mir dar­an, die nä­hern Um­stän­de zu er­fah­ren und, was es denn für Leu­te ge­we­sen, zu ver­neh­men. Als ich nun aus ei­nem al­ten, gleich­zei­ti­gen, mit Holz­schnit­ten ver­se­he­nen Bu­che er­fuhr, dass zwar die­se Men­schen zum Tode ver­ur­teilt, aber zu­gleich auch vie­le Rats­herrn ab­ge­setzt wor­den, weil man­cher­lei Un­ord­nung und sehr viel Un­ver­ant­wort­li­ches im Schwan­ge ge­we­sen; da ich nun die nä­hern Um­stän­de ver­nahm, wie al­les her­ge­gan­gen: so be­dau­er­te ich die un­glück­li­chen Men­schen, wel­che man wohl als Op­fer, die ei­ner künf­ti­gen bes­sern Ver­fas­sung ge­bracht wor­den, an­se­hen dür­fe; denn von je­ner Zeit schrieb sich die Ein­rich­tung her, nach wel­cher so­wohl das al­tad­li­ge Haus Lim­purg, das aus ei­nem Klub ent­sprun­ge­ne Haus Frau­en­stein, fer­ner Ju­ris­ten, Kauf­leu­te und Hand­wer­ker an ei­nem Re­gi­men­te teil­neh­men soll­ten, das, durch eine auf ve­ne­zia­ni­sche Wei­se ver­wi­ckel­te Bal­lo­ta­ge er­gänzt, von bür­ger­li­chen Kol­le­gi­en ein­ge­schränkt, das Rech­te zu tun be­ru­fen war, ohne zu dem Un­rech­ten son­der­li­che Frei­heit zu be­hal­ten.

Zu den ahn­dungs­vol­len Din­gen, die den Kna­ben und auch wohl den Jüng­ling be­dräng­ten, ge­hör­te be­son­ders der Zu­stand der Ju­den­stadt, ei­gent­lich die Ju­den­gas­se ge­nannt, weil sie kaum aus et­was mehr als ei­ner ein­zi­gen Stra­ße be­steht, wel­che in frü­hen Zei­ten zwi­schen Stadt­mau­er und Gra­ben wie in einen Zwin­ger moch­te ein­ge­klemmt wor­den sein. Die Enge, der Schmutz, das Ge­wim­mel, der Ak­zent ei­ner un­er­freu­li­chen Spra­che, al­les zu­sam­men mach­te den un­an­ge­nehms­ten Ein­druck, wenn man auch nur am Tore vor­bei­ge­hend hin­einsah. Es dau­er­te lan­ge, bis ich al­lein mich hin­ein­wag­te, und ich kehr­te nicht leicht wie­der da­hin zu­rück, wenn ich ein­mal den Zu­dring­lich­kei­ten so vie­ler, et­was zu scha­chern un­er­mü­det for­dern­der oder an­bie­ten­der Men­schen ent­gan­gen war. Da­bei schweb­ten die al­ten Mär­chen von Grau­sam­keit der Ju­den ge­gen die Chris­ten­kin­der, die wir in Gott­frieds »Chro­nik« gräss­lich ab­ge­bil­det ge­se­hen, düs­ter vor dem jun­gen Ge­müt. Und ob man gleich in der neu­ern Zeit bes­ser von ih­nen dach­te, so zeug­te doch das große Spott- und Schand­ge­mäl­de, wel­ches un­ter dem Brück­en­turm an ei­ner Bo­gen­wand, zu ih­rem Un­glimpf, noch ziem­lich zu se­hen war, au­ßer­or­dent­lich ge­gen sie: denn es war nicht etwa durch einen Pri­vat­mut­wil­len, son­dern aus öf­fent­li­cher An­stalt ver­fer­tigt wor­den.

In­des­sen blie­ben sie doch das aus­er­wähl­te Volk Got­tes und gin­gen, wie es nun moch­te ge­kom­men sein, zum An­den­ken der äl­tes­ten Zei­ten um­her. Au­ßer­dem wa­ren sie ja auch Men­schen, tä­tig, ge­fäl­lig, und selbst dem Ei­gen­sinn, wo­mit sie an ih­ren Ge­bräu­chen hin­gen, konn­te man sei­ne Ach­tung nicht ver­sa­gen. Über­dies wa­ren die Mäd­chen hübsch und moch­ten es wohl lei­den, wenn ein Chris­ten­kna­be, ih­nen am Sab­bat auf dem Fi­scher­fel­de be­geg­nend, sich freund­lich und auf­merk­sam be­wies. Äu­ßerst neu­gie­rig war ich da­her, ihre Ze­re­mo­ni­en ken­nen zu ler­nen. Ich ließ nicht ab, bis ich ihre Schu­le öf­ters be­sucht, ei­ner Be­schnei­dung, ei­ner Hoch­zeit bei­ge­wohnt und von dem Lau­ber­hüt­ten­fest mir ein Bild ge­macht hat­te. Über­all war ich wohl auf­ge­nom­men, gut be­wir­tet und zur Wie­der­kehr ein­ge­la­den: denn es wa­ren Per­so­nen von Ein­fluss, die mich ent­we­der hin­führ­ten oder emp­fah­len.

So wur­de ich denn als ein jun­ger Be­woh­ner ei­ner großen Stadt von ei­nem Ge­gen­stand zum an­de­ren hin und wi­der ge­wor­fen, und es fehl­te mit­ten in der bür­ger­li­chen Ruhe und Si­cher­heit nicht an gräss­li­chen Auf­trit­ten. Bald weck­te ein nä­he­rer oder ent­fern­ter Brand uns aus un­serm häus­li­chen Frie­den, bald setz­te ein ent­deck­tes großes Ver­bre­chen, des­sen Un­ter­su­chung und Be­stra­fung die Stadt auf vie­le Wo­chen in Un­ru­he. Wir muss­ten Zeu­gen von ver­schie­de­nen Exe­ku­tio­nen sein, und es ist wohl wert, zu ge­den­ken, dass ich auch bei Ver­bren­nung ei­nes Buchs ge­gen­wär­tig ge­we­sen bin. Es war der Ver­lag ei­nes fran­zö­si­schen ko­mi­schen Ro­mans, der zwar den Staat, aber nicht Re­li­gi­on und Sit­ten schon­te. Es hat­te wirk­lich et­was Fürch­ter­li­ches, eine Stra­fe an ei­nem leb­lo­sen We­sen aus­ge­übt zu se­hen. Die Bal­len platz­ten im Feu­er und wur­den durch Ofen­ga­beln aus ein­an­der ge­schürt und mit den Flam­men mehr in Berüh­rung ge­bracht. Es dau­er­te nicht lan­ge, so flo­gen die an­ge­brann­ten Blät­ter in der Luft her­um, und die Men­ge hasch­te be­gie­rig da­nach. Auch ruh­ten wir nicht, bis wir ein Exem­plar auf­trie­ben, und es wa­ren nicht we­ni­ge, die sich das ver­bot­ne Ver­gnü­gen gleich­falls zu ver­schaf­fen wuss­ten. Ja, wenn es dem Au­tor um Pub­li­zi­tät zu tun war, so hät­te er selbst nicht bes­ser da­für sor­gen kön­nen.

Je­doch auch fried­li­che­re An­läs­se führ­ten mich in der Stadt hin und wi­der. Mein Va­ter hat­te mich früh ge­wöhnt, klei­ne Ge­schäf­te für ihn zu be­sor­gen. Be­son­ders trug er mir auf, die Hand­wer­ker, die er in Ar­beit setz­te, zu mah­nen, da sie ihn ge­wöhn­lich län­ger als bil­lig auf­hiel­ten, weil er al­les ge­nau woll­te ge­ar­bei­tet ha­ben und zu­letzt bei promp­ter Be­zah­lung die Prei­se zu mä­ßi­gen pfleg­te. Ich ge­lang­te da­durch fast in alle Werk­stät­ten, und da es mir an­ge­bo­ren war, mich in die Zu­stän­de an­de­rer zu fin­den, eine jede be­son­de­re Art des mensch­li­chen Da­seins zu füh­len und mit Ge­fal­len dar­an teil­zu­neh­men, so brach­te ich man­che ver­gnüg­li­che Stun­de durch An­lass sol­cher Auf­trä­ge zu, lern­te ei­nes je­den Ver­fah­rungs­art ken­nen, und was die un­er­läss­li­chen Be­din­gun­gen die­ser und je­ner Le­bens­wei­se für Freu­de, für Leid, Be­schwer­li­ches und Güns­ti­ges mit sich füh­ren. Ich nä­her­te mich da­durch die­ser tä­ti­gen, das Un­te­re und Obe­re ver­bin­den­den Klas­se. Denn wenn an der einen Sei­te die­je­ni­gen ste­hen, die sich mit den ein­fa­chen und ro­hen Er­zeug­nis­sen be­schäf­ti­gen, an der an­de­ren sol­che, die schon et­was Ver­ar­bei­te­tes ge­nie­ßen wol­len, so ver­mit­telt der Ge­wer­ker durch Sinn und Hand, dass jene bei­de et­was von­ein­an­der emp­fan­gen und je­der nach sei­ner Art sei­ner Wün­sche teil­haft wer­den kann. Das Fa­mi­li­en­we­sen ei­nes je­den Hand­werks, das Ge­stalt und Far­be von der Be­schäf­ti­gung er­hielt, war gleich­falls der Ge­gen­stand mei­ner stil­len Auf­merk­sam­keit, und so ent­wi­ckel­te, so be­stärk­te sich in mir das Ge­fühl der Gleich­heit, wo nicht al­ler Men­schen, doch al­ler mensch­li­chen Zu­stän­de, in­dem mir das nack­te Da­sein als die Haupt­be­din­gung, das üb­ri­ge al­les aber als gleich­gül­tig und zu­fäl­lig er­schi­en.

Da mein Va­ter sich nicht leicht eine Aus­ga­be er­laub­te, die durch einen au­gen­blick­li­chen Ge­nuss so­gleich wäre auf­ge­zehrt wor­den – wie ich mich denn kaum er­inn­re, dass wir zu­sam­men spa­zie­ren ge­fah­ren, und auf ei­nem Lu­stor­te et­was ver­zehrt hät­ten – so war er da­ge­gen nicht karg mit An­schaf­fung sol­cher Din­ge, die bei in­nerm Wert auch einen gu­ten äu­ßern Schein ha­ben. Nie­mand konn­te den Frie­den mehr wün­schen als er, ob er gleich in der letz­ten Zeit vom Krie­ge nicht die min­des­te Be­schwer­lich­keit emp­fand. In die­sen Ge­sin­nun­gen hat­te er mei­ner Mut­ter eine gold­ne mit Dia­man­ten be­setz­te Dose ver­spro­chen, wel­che sie er­hal­ten soll­te, so­bald der Frie­de pu­bli­ziert wür­de. In Hoff­nung die­ses glück­li­chen Er­eig­nis­ses ar­bei­te­te man schon ei­ni­ge Jah­re an die­sem Ge­schenk. Die Dose selbst von ziem­li­cher Grö­ße ward in Hanau ver­fer­tigt: denn mit den dor­ti­gen Gold­ar­bei­tern, so wie mit den Vor­ste­hern der Sei­den­an­stalt, stand mein Va­ter in gu­tem Ver­neh­men. Meh­re­re Zeich­nun­gen wur­den dazu ver­fer­tigt; den De­ckel zier­te ein Blu­men­korb, über wel­chem eine Tau­be mit dem Öl­zweig schweb­te. Der Raum für die Ju­we­len war ge­las­sen, die teils an der Tau­be, teils an den Blu­men, teils auch an der Stel­le, wo man die Dose zu öff­nen pflegt, an­ge­bracht wer­den soll­ten. Der Ju­we­lier, dem die völ­li­ge Aus­füh­rung nebst den dazu nö­ti­gen Stei­nen über­ge­ben ward, hieß Lau­ten­sack und war ein ge­schick­ter, mun­t­rer Mann, der, wie meh­re­re geist­rei­che Künst­ler, sel­ten das Not­wen­di­ge, ge­wöhn­lich aber das Will­kür­li­che tat, was ihm Ver­gnü­gen mach­te. Die Ju­we­len, in der Fi­gur, wie sie auf dem Do­sen­de­ckel an­ge­bracht wer­den soll­ten, wa­ren zwar bald auf schwar­zes Wachs ge­setzt und nah­men sich ganz gut aus; al­lein sie woll­ten sich von da gar nicht ab­lö­sen, um aufs Gold zu ge­lan­gen. Im An­fan­ge ließ mein Va­ter die Sa­che noch so an­ste­hen; als aber die Hoff­nung zum Frie­den im­mer leb­haf­ter wur­de, als man zu­letzt schon die Be­din­gun­gen, be­son­ders die Er­he­bung des Erz­her­zogs Jo­seph zum Rö­mi­schen Kö­nig, ge­nau­er wis­sen woll­te, so ward mein Va­ter im­mer un­ge­dul­di­ger, und ich muss­te wö­chent­lich ein paar­mal, ja zu­letzt fast täg­lich den saum­se­li­gen Künst­ler be­su­chen. Durch mein un­abläs­si­ges Quä­len und Zu­re­den rück­te die Ar­beit, wie­wohl lang­sam ge­nug, vor­wärts: denn weil sie von der Art war, dass man sie bald vor­neh­men, bald wie­der aus den Hän­den le­gen konn­te, so fand sich im­mer et­was, wo­durch sie ver­drängt und bei­sei­te ge­scho­ben wur­de.

Die Haup­t­ur­sa­che die­ses Be­neh­mens in­des war eine Ar­beit, die der Künst­ler für ei­ge­ne Rech­nung un­ter­nom­men hat­te. Je­der­mann wuss­te, dass Kai­ser Franz eine große Nei­gung zu Ju­we­len, be­son­ders auch zu far­bi­gen Stei­nen hege. Lau­ten­sack hat­te eine an­sehn­li­che Sum­me (und, wie sich spä­ter fand, grö­ßer als sein Ver­mö­gen) auf der­glei­chen Edel­stei­ne ver­wandt und dar­aus einen Blu­men­strauß zu bil­den an­ge­fan­gen, in wel­chem je­der Stein nach sei­ner Form und Far­be güns­tig her­vor­tre­ten und das Gan­ze ein Kunst­stück ge­ben soll­te, wert, in dem Schatz­ge­wöl­be ei­nes Kai­sers auf­be­wahrt zu ste­hen. Er hat­te nach sei­ner zer­streu­ten Art meh­re­re Jah­re dar­an ge­ar­bei­tet und eil­te nun, weil man nach dem bald zu hof­fen­den Frie­den die An­kunft des Kai­sers zur Krö­nung sei­nes Sohns in Frank­furt er­war­te­te, es voll­stän­dig zu ma­chen und end­lich zu­sam­men­zu­brin­gen. Mei­ne Lust, der­glei­chen Ge­gen­stän­de ken­nen zu ler­nen, be­nutz­te er sehr ge­wandt, um mich als einen Mahn­bo­ten zu zer­streu­en und von mei­nem Vor­satz ab­zu­len­ken. Er such­te mir die Kennt­nis die­ser Stei­ne bei­zu­brin­gen, mach­te mich auf ihre Ei­gen­schaf­ten, ih­ren Wert auf­merk­sam, so­dass ich sein gan­zes Bou­quet zu­letzt aus­wen­dig wuss­te und es eben so gut wie er ei­nem Kun­den hät­te an­prei­send vor­de­mons­trie­ren kön­nen. Es ist mir noch jetzt ge­gen­wär­tig, und ich habe wohl kost­ba­re­re, aber nicht an­mu­ti­ge­re Schau- und Pracht­stücke die­ser Art ge­se­hen. Au­ßer­dem be­saß er noch eine hüb­sche Kup­fer­samm­lung und an­de­re Kunst­wer­ke, über die er sich gern un­ter­hielt, und ich brach­te vie­le Stun­den nicht ohne Nut­zen bei ihm zu. End­lich, als wirk­lich der Kon­gress zu Hu­berts­burg schon fest­ge­setzt war, tat er aus Lie­be zu mir ein üb­ri­ges, und die Tau­be zu­samt den Blu­men ge­lang­te am Frie­dens­fes­te wirk­lich in die Hän­de mei­ner Mut­ter.

Man­chen ähn­li­chen Auf­trag er­hielt ich denn auch, um bei den Ma­lern be­stell­te Bil­der zu be­trei­ben. Mein Va­ter hat­te bei sich den Be­griff fest­ge­setzt, und we­nig Men­schen wa­ren da­von frei, dass ein Bild auf Holz ge­malt einen großen Vor­zug vor ei­nem an­de­ren habe, das nur auf Lein­wand auf­ge­tra­gen sei. Gute ei­che­ne Bret­ter von je­der Form zu be­sit­zen, war des­we­gen mei­nes Va­ters große Sorg­falt, in­dem er wohl wuss­te, dass die leicht­sin­ni­gern Künst­ler sich ge­ra­de in die­ser wich­ti­gen Sa­che auf den Ti­scher ver­lie­ßen. Die äl­tes­ten Boh­len wur­den auf­ge­sucht, der Ti­scher muss­te mit Lei­men, Ho­beln und Zu­rich­ten der­sel­ben aufs ge­naus­te zu Wer­ke ge­hen, und dann blie­ben sie jah­re­lang in ei­nem obe­ren Zim­mer ver­wahrt, wo sie ge­nug­sam aus­trock­nen konn­ten. Ein sol­ches köst­li­ches Brett ward dem Ma­ler Jun­cker an­ver­traut, der einen ver­zier­ten Blu­men­topf mit den be­deu­tends­ten Blu­men nach der Na­tur in sei­ner künst­li­chen und zier­li­chen Wei­se dar­auf dar­stel­len soll­te. Es war ge­ra­de im Früh­ling, und ich ver­säum­te nicht, ihm wö­chent­lich ei­ni­ge Mal die schöns­ten Blu­men zu brin­gen, die mir un­ter die Hand ka­men; wel­che er denn auch so­gleich ein­schal­te­te und das Gan­ze nach und nach aus die­sen Ele­men­ten auf das treu­lichs­te und flei­ßigs­te zu­sam­men­bil­de­te. Ge­le­gent­lich hat­te ich auch wohl ein­mal eine Maus ge­fan­gen, die ich ihm brach­te und die er als ein gar so zier­li­ches Tier nach­zu­bil­den Lust hat­te, auch sie wirk­lich aufs ge­naues­te vor­stell­te, wie sie am Fuße des Blu­men­top­fes eine Kornäh­re be­n­ascht. Mehr der­glei­chen un­schul­di­ge Na­tur­ge­gen­stän­de, als Schmet­ter­lin­ge und Kä­fer, wur­den her­bei­ge­schafft und dar­ge­stellt, so­dass zu­letzt, was Nach­ah­mung und Aus­füh­rung be­traf, ein höchst schätz­ba­res Bild bei­sam­men war.

Ich wun­der­te mich da­her nicht we­nig, als der gute Mann mir ei­nes Ta­ges, da die Ar­beit bald ab­ge­lie­fert wer­den soll­te, um­ständ­lich er­öff­ne­te, wie ihm das Bild nicht mehr ge­fal­le, in­dem es wohl im ein­zel­nen ganz gut ge­ra­ten, im gan­zen aber nicht gut kom­po­niert sei, weil es so nach und nach ent­stan­den und er im An­fan­ge das Ver­se­hen be­gan­gen, sich nicht we­nigs­tens einen all­ge­mei­nen Plan für Licht und Schat­ten so wie für Far­ben zu ent­wer­fen, nach wel­chem man die ein­zel­nen Blu­men hät­te ein­ord­nen kön­nen. Er ging mit mir das wäh­rend ei­nes hal­b­en Jahrs vor mei­nen Au­gen ent­stan­de­ne und mir teil­wei­se ge­fäl­li­ge Bild um­ständ­lich durch und wuss­te mich zu mei­ner Be­trüb­nis voll­kom­men zu über­zeu­gen. Auch hielt er die nach­ge­bil­de­te Maus für einen Miss­griff: »denn«, sag­te er, »sol­che Tie­re ha­ben für vie­le Men­schen et­was Schau­der­haf­tes, und man soll­te sie da nicht an­brin­gen, wo man Ge­fal­len er­re­gen will«. Ich hat­te nun, wie es demje­ni­gen zu ge­hen pflegt, der sich von ei­nem Vor­ur­tei­le ge­heilt sieht und sich viel klü­ger dünkt, als er vor­her ge­we­sen, eine wah­re Ver­ach­tung ge­gen dies Kunst­werk und stimm­te dem Künst­ler völ­lig bei, als er eine an­de­re Ta­fel von glei­cher Grö­ße ver­fer­ti­gen ließ, wor­auf er, nach dem Ge­schmack, den er be­saß, ein bes­ser ge­form­tes Ge­fäß und einen kunst­rei­cher ge­ord­ne­ten Blu­men­strauß an­brach­te, auch die le­ben­di­gen klei­nen Bei­we­sen zier­lich und er­freu­lich so­wohl zu wäh­len als zu ver­tei­len wuss­te. Auch die­se Ta­fel mal­te er mit der größ­ten Sorg­falt, doch frei­lich nur nach je­ner schon ab­ge­bil­de­ten, oder aus dem Ge­dächt­nis, das ihm aber bei ei­ner sehr lan­gen und em­si­gen Pra­xis gar wohl zu Hil­fe kam. Bei­de Ge­mäl­de wa­ren nun fer­tig, und wir hat­ten eine ent­schie­de­ne Freu­de an dem letz­ten, das wirk­lich kunst­rei­cher, und mehr in die Au­gen fiel. Der Va­ter ward an­statt mit ei­nem mit zwei Stücken über­rascht und ihm die Wahl ge­las­sen. Er bil­lig­te un­se­re Mei­nung und die Grün­de der­sel­ben, be­son­ders auch den gu­ten Wil­len und die Tä­tig­keit, ent­schied sich aber, nach­dem er bei­de Bil­der ei­ni­ge Tage be­trach­tet, für das ers­te, ohne über die­se Wahl wei­ter vie­le Wor­te zu ma­chen. Der Künst­ler, är­ger­lich, nahm sein zwei­tes, wohl­ge­mein­tes Bild zu­rück und konn­te sich ge­gen mich der Be­mer­kung nicht ent­hal­ten, dass die gute eich­ne Ta­fel, wor­auf das ers­te ge­malt ste­he, zum Ent­schluss des Va­ters ge­wiss das ih­ri­ge bei­ge­tra­gen habe.

Da ich hier wie­der der Ma­le­rei ge­den­ke, so tritt in mei­ner Erin­ne­rung eine große An­stalt her­vor, in der ich vie­le Zeit zu­brach­te, weil sie und de­ren Vor­ste­her mich be­son­ders an sich zog. Es war die große Wachs­tuch­fa­brik, wel­che der Ma­ler No­th­na­gel er­rich­tet hat­te: ein ge­schick­ter Künst­ler, der aber so­wohl durch sein Ta­lent als durch sei­ne Denk­wei­se mehr zum Fa­brik­we­sen als zur Kunst hin­neig­te. In ei­nem sehr großen Rau­me von Hö­fen und Gär­ten wur­den alle Ar­ten von Wachs­tuch ge­fer­tigt, von dem rohs­ten an, das mit der Spa­tel auf­ge­tra­gen wird und das man zu Rüst­wa­gen und ähn­li­chem Ge­brauch be­nutz­te, durch die Ta­pe­ten hin­durch, wel­che mit For­men ab­ge­druckt wur­den, bis zu den fei­ne­ren und feins­ten, auf wel­chen bald chi­ne­si­sche und fan­tas­ti­sche, bald na­tür­li­che Blu­men ab­ge­bil­det, bald Fi­gu­ren, bald Land­schaf­ten durch den Pin­sel ge­schick­ter Ar­bei­ter dar­ge­stellt wur­den. Die­se Man­nig­fal­tig­keit, die ins Unend­li­che ging, er­getz­te mich sehr. Die Be­schäf­ti­gung so vie­ler Men­schen von der ge­meins­ten Ar­beit bis zu sol­chen, de­nen man einen ge­wis­sen Kunst­wert kaum ver­sa­gen konn­te, war für mich höchst an­zie­hend. Ich mach­te Be­kannt­schaft mit die­ser Men­ge in vie­len Zim­mern hin­ter ein­an­der ar­bei­ten­den jün­gern und äl­te­ren Män­nern und leg­te auch wohl selbst mit­un­ter Hand an. Der Ver­trieb die­ser Ware ging au­ßer­or­dent­lich stark. Wer da­mals bau­te oder ein Ge­bäu­de mö­blier­te, woll­te für sei­ne Le­bens­zeit ver­sorgt sein, und die­se Wachs­tuchta­pe­ten wa­ren al­ler­dings un­ver­wüst­lich. No­th­na­gel selbst hat­te ge­nug mit Lei­tung des Gan­zen zu tun und saß in sei­nem Comp­toir,4 um­ge­ben von Fak­to­ren und Hand­lungs­die­nern. Die Zeit, die ihm üb­rig blieb, be­schäf­tig­te er sich mit sei­ner Kunst­samm­lung, die vor­züg­lich aus Kup­fer­sti­chen be­stand, mit de­nen er, so wie mit Ge­mäl­den, die er be­saß, auch wohl ge­le­gent­lich Han­del trieb. Zu­gleich hat­te er das Ra­die­ren lieb ge­won­nen; er ätz­te ver­schie­de­ne Blät­ter und setz­te die­sen Kunstzweig bis in sei­ne spä­tes­ten Jah­re fort.

Da sei­ne Woh­nung nahe am Eschen­hei­mer Tore lag, so führ­te mich, wenn ich ihn be­sucht hat­te, mein Weg ge­wöhn­lich zur Stadt hin­aus und zu den Grund­stücken, wel­che mein Va­ter vor den To­ren be­saß. Das eine war ein großer Baum­gar­ten, des­sen Bo­den als Wie­se be­nutzt wur­de und worin mein Va­ter das Nach­pflan­zen der Bäu­me, und was sonst zur Er­hal­tung diente, sorg­fäl­tig be­ob­ach­te­te, ob­gleich das Grund­stück ver­pach­tet war. Noch mehr Be­schäf­ti­gung gab ihm ein sehr gut un­ter­hal­te­ner Wein­berg vor dem Fried­ber­ger Tore, wo­selbst zwi­schen den Rei­hen der Wein­stö­cke Spar­gel­rei­hen mit großer Sorg­falt ge­pflanzt und ge­war­tet wur­den. Es ver­ging in der gu­ten Jahrs­zeit fast kein Tag, dass nicht mein Va­ter sich hin­aus be­gab, da wir ihn denn meist be­glei­ten durf­ten und so von den ers­ten Er­zeug­nis­sen des Früh­lings bis zu den letz­ten des Herbs­tes Ge­nuss und Freu­de hat­ten. Wir lern­ten nun auch mit den Gar­ten­ge­schäf­ten um­ge­hen, die, weil sie sich jähr­lich wie­der­hol­ten, uns end­lich ganz be­kannt und ge­läu­fig wur­den. Nach man­cher­lei Früch­ten des Som­mers und Herbs­tes war aber doch zu­letzt die Wein­le­se das Lus­tigs­te und am meis­ten Er­wünsch­te: ja es ist kei­ne Fra­ge, dass, wie der Wein selbst den Or­ten und Ge­gen­den, wo er wächst und ge­trun­ken wird, einen freie­ren Cha­rak­ter gibt, so auch die­se Tage der Wein­le­se, in­dem sie den Som­mer schlie­ßen und zu­gleich den Win­ter er­öff­nen, eine un­glaub­li­che Hei­ter­keit ver­brei­ten. Lust und Ju­bel er­streckt sich über eine gan­ze Ge­gend. Des Ta­ges hört man von al­len Ecken und En­den Jauch­zen und Schie­ßen, und des Nachts ver­kün­den bald da bald dort Ra­ke­ten und Leucht­ku­geln, dass man noch über­all wach und mun­ter die­se Fei­er gern so lan­ge als mög­lich aus­deh­nen möch­te. Die nach­he­ri­gen Be­mü­hun­gen beim Kel­tern und wäh­rend der Gä­rung im Kel­ler ga­ben uns auch zu Hau­se eine hei­te­re Be­schäf­ti­gung, und so ka­men wir ge­wöhn­lich in den Win­ter hin­ein, ohne es recht ge­wahr zu wer­den.

Die­ser länd­li­chen Be­sit­zun­gen er­freu­ten wir uns im Früh­ling 1763 umso mehr, als uns der 15te Fe­bru­ar die­ses Jahrs durch den Ab­schluss des Hu­berts­bur­ger Frie­dens zum fest­li­chen Tage ge­wor­den, un­ter des­sen glück­li­chen Fol­gen der größ­te Teil mei­nes Le­bens ver­flie­ßen soll­te. Ehe ich je­doch wei­ter schrei­te, hal­te ich es für mei­ne Schul­dig­keit, ei­ni­ger Män­ner zu ge­den­ken, wel­che einen be­deu­ten­den Ein­fluss auf mei­ne Ju­gend aus­ge­übt.

Von Olen­schla­ger, Mit­glied des Hau­ses Frau­en­stein, Schöff und Schwie­ger­sohn des oben er­wähn­ten Dok­tor Orth, ein schö­ner, be­hag­li­cher, san­gui­ni­scher Mann. Er hät­te in sei­ner bur­ge­meis­ter­li­chen Fest­tracht gar wohl den an­ge­se­hens­ten fran­zö­si­schen Präla­ten vor­stel­len kön­nen. Nach sei­nen aka­de­mi­schen Stu­di­en hat­te er sich in Hof- und Staats­ge­schäf­ten um­ge­tan und sei­ne Rei­sen auch zu die­sen Zwe­cken ein­ge­lei­tet. Er hielt mich be­son­ders wert und sprach oft mit mir von den Din­gen, die ihn vor­züg­lich in­ter­es­sier­ten. Ich war um ihn, als er eben sei­ne »Er­läu­te­rung der Güld­nen Bul­le« schrieb; da er mir denn den Wert und die Wür­de die­ses Do­ku­ments sehr deut­lich her­aus­zu­set­zen wuss­te. Auch da­durch wur­de mei­ne Ein­bil­dungs­kraft in jene wil­den und un­ru­hi­gen Zei­ten zu­rück­ge­führt, dass ich nicht un­ter­las­sen konn­te, das­je­ni­ge, was er mir ge­schicht­lich er­zähl­te, gleich­sam als ge­gen­wär­tig, mit Aus­ma­lung der Cha­rak­tere und Um­stän­de und manch­mal so­gar mi­misch dar­zu­stel­len; wor­an er denn große Freu­de hat­te und durch sei­nen Bei­fall mich zur Wie­der­ho­lung auf­reg­te.

Ich hat­te von Kind­heit auf die wun­der­li­che Ge­wohn­heit, im­mer die An­fän­ge der Bü­cher und Ab­tei­lun­gen ei­nes Werks aus­wen­dig zu ler­nen, zu­erst der fünf Bü­cher Mo­sis, so­dann der »Ae­nei­de« und der »Me­ta­mor­pho­sen«. So mach­te ich es nun auch mit der gol­de­nen Bul­le und reiz­te mei­nen Gön­ner oft zum Lä­cheln, wenn ich ganz ernst­haft un­ver­se­hens aus­rief: Om­ne reg­num in se di­vi­sum de­so­la­bi­tur: nam prin­ci­pes ejus fac­ti sunt so­cii fu­rum. Der klu­ge Mann schüt­tel­te lä­chelnd den Kopf und sag­te be­denk­lich: »Was müs­sen das für Zei­ten ge­we­sen sein, in wel­chen der Kai­ser auf ei­ner großen Reichs­ver­samm­lung sei­nen Fürs­ten der­glei­chen Wor­te ins Ge­sicht pu­bli­zie­ren ließ.«

Von Olen­schla­ger hat­te viel An­mut im Um­gang. Man sah we­nig Ge­sell­schaft bei ihm, aber zu ei­ner geist­rei­chen Un­ter­hal­tung war er sehr ge­neigt, und er ver­an­lass­te uns jun­ge Leu­te, von Zeit zu Zeit ein Schau­spiel auf­zu­füh­ren: denn man hielt da­für, dass eine sol­che Übung der Ju­gend be­son­ders nütz­lich sei. Wir ga­ben den »Ka­nut« von Schle­gel, worin mir die Rol­le des Kö­nigs, mei­ner Schwes­ter die Estri­the, und Alfo dem jün­gern Sohn des Hau­ses zu­ge­teilt wur­de. So­dann wag­ten wir uns an den »Bri­tan­ni­cus«, denn wir soll­ten nebst dem Schau­spie­ler­ta­lent auch die Spra­che zur Übung brin­gen. Ich er­hielt den Nero, mei­ne Schwes­ter die Agrip­pi­ne und der jün­ge­re Sohn den Bri­tan­ni­cus. Wir wur­den mehr ge­lobt, als wir ver­dien­ten, und glaub­ten es noch bes­ser ge­macht zu ha­ben, als wie wir ge­lobt wur­den. So stand ich mit die­ser Fa­mi­lie in dem bes­ten Ver­hält­nis und bin ihr man­ches Ver­gnü­gen und eine schnel­le­re Ent­wick­lung schul­dig ge­wor­den.

Von Rei­neck, aus ei­nem al­tad­li­gen Hau­se, tüch­tig, recht­schaf­fen, aber starr­sin­nig, ein ha­g­rer, schwarz­brau­ner Mann, den ich nie­mals lä­cheln ge­se­hen. Ihm be­geg­ne­te das Un­glück, dass sei­ne ein­zi­ge Toch­ter durch einen Haus­freund ent­führt wur­de. Er ver­folg­te sei­nen Schwie­ger­sohn mit dem hef­tigs­ten Pro­zess, und weil die Ge­rich­te, in ih­rer Förm­lich­keit, sei­ner Rach­sucht we­der schnell noch stark ge­nug will­fah­ren woll­ten, über­warf er sich mit die­sen, und es ent­stan­den Hän­del aus Hän­deln, Pro­zes­se aus Pro­zes­sen. Er zog sich ganz in sein Haus und einen dar­an­sto­ßen­den Gar­ten zu­rück, leb­te in ei­ner weit­läu­fi­gen, aber trau­ri­gen Un­ter­stu­be, in die seit vie­len Jah­ren kein Pin­sel ei­nes Tün­chers, viel­leicht kaum der Kehr­be­sen ei­ner Magd ge­kom­men war. Mich konn­te er gar gern lei­den und hat­te mir sei­nen jün­gern Sohn be­son­ders emp­foh­len. Sei­ne äl­tes­ten Freun­de, die sich nach ihm zu rich­ten wuss­ten, sei­ne Ge­schäfts­leu­te, sei­ne Sach­wal­ter sah er manch­mal bei Ti­sche und un­ter­ließ dann nie­mals, auch mich ein­zu­la­den. Man aß sehr gut bei ihm und trank noch bes­ser. Den Gäs­ten er­reg­te je­doch ein großer, aus vie­len Rit­zen rau­chen­der Ofen die ärgs­te Pein. Ei­ner der ver­trau­tes­ten wag­te ein­mal, dies zu be­mer­ken, in­dem er den Haus­herrn frag­te: ob er denn so eine Un­be­quem­lich­keit den gan­zen Win­ter aus­hal­ten kön­ne. Er ant­wor­te­te dar­auf, als ein zwei­ter Ti­mon und He­au­ton­ti­moru­me­nos: »Woll­te Gott, dies wäre das größ­te Übel von de­nen, die mich pla­gen!« Nur spät ließ er sich be­re­den, Toch­ter und En­kel wie­der­zu­se­hen. Der Schwie­ger­sohn durf­te ihm nicht wie­der vor Au­gen.

Auf die­sen so bra­ven als un­glück­li­chen Mann wirk­te mei­ne Ge­gen­wart sehr güns­tig: denn in­dem er sich gern mit mir un­ter­hielt und mich be­son­ders von Welt- und Staats­ver­hält­nis­sen be­lehr­te, schi­en er selbst sich er­leich­tert und er­hei­tert zu füh­len. Die we­ni­gen al­ten Freun­de, die sich noch um ihn ver­sam­mel­ten, ge­brauch­ten mich da­her oft, wenn sie sei­nen ver­drieß­li­chen Sinn zu mil­dern und ihn zu ir­gend ei­ner Zer­streu­ung zu be­re­den wünsch­ten. Wirk­lich fuhr er nun­mehr manch­mal mit uns aus und be­sah sich die Ge­gend wie­der, auf die er so vie­le Jah­re kei­nen Blick ge­wor­fen hat­te. Er ge­dach­te der al­ten Be­sit­zer, er­zähl­te von ih­ren Cha­rak­teren und Be­ge­ben­hei­ten, wo er sich denn im­mer streng, aber doch öf­ters hei­ter und geist­reich er­wies. Wir such­ten ihn nun auch wie­der un­ter an­de­re Men­schen zu brin­gen, wel­ches uns aber bei­nah übel ge­ra­ten wäre.

Von glei­chem, wenn nicht noch von hö­he­rem Al­ter als er war ein Herr von Mala­part, ein rei­cher Mann, der ein sehr schö­nes Haus am Ross­markt be­saß und gute Ein­künf­te von Sa­li­nen zog. Auch er leb­te sehr ab­ge­son­dert; doch war er Som­mers viel in sei­nem Gar­ten vor dem Bo­cken­hei­mer Tore, wo er einen sehr schö­nen Nel­ken­flor war­te­te und pfleg­te.

Von Rei­neck war auch ein Nel­ken­freund; die Zeit des Flors war da, und es ge­sch­a­hen ei­ni­ge An­re­gun­gen, ob man sich nicht wech­sel­sei­tig be­su­chen woll­te. Wir lei­te­ten die Sa­che ein und trie­ben es so lan­ge, bis end­lich von Rei­neck sich ent­schloss, mit uns einen Sonn­tag Nach­mit­tag hin­aus zu fah­ren. Die Be­grü­ßung der bei­den al­ten Her­ren war sehr la­ko­nisch, ja bloß pan­to­mi­misch, und man ging mit wahr­haft di­plo­ma­ti­schem Schritt an den lan­gen Nel­ken­ge­rüs­ten hin und her. Der Flor war wirk­lich au­ßer­or­dent­lich schön, und die be­son­dern For­men und Far­ben der ver­schie­de­nen Blu­men, die Vor­zü­ge der einen vor der an­de­ren und ihre Sel­ten­heit mach­ten denn doch zu­letzt eine Art von Ge­spräch aus, wel­ches ganz freund­lich zu wer­den schi­en; wor­über wir an­de­ren uns umso mehr freu­ten, als wir in ei­ner be­nach­bar­ten Lau­be den kost­bars­ten al­ten Rhein­wein in ge­schlif­fe­nen Fla­schen, schö­nes Obst und an­de­re gute Din­ge auf­ge­tischt sa­hen. Lei­der aber soll­ten wir sie nicht ge­nie­ßen. Denn un­glück­li­cher­wei­se sah von Rei­neck eine sehr schö­ne Nel­ke vor sich, die aber den Kopf et­was nie­der­senk­te; er griff da­her sehr zier­lich mit dem Zei­ge- und Mit­tel­fin­ger vom Sten­gel her­auf ge­gen den Kelch und hob die Blu­me von hin­ten in die Höhe, so­dass er sie wohl be­trach­ten konn­te. Aber auch die­se zar­te Berüh­rung ver­dross den Be­sit­zer: von Mala­part er­in­ner­te, zwar höf­lich, aber doch steif ge­nug und eher et­was selbst­ge­fäl­lig an das o­cu­lis, non ma­ni­bus. Von Rei­neck hat­te die Blu­me schon los­ge­las­sen, fing aber auf je­nes Wort gleich Feu­er und sag­te mit sei­ner ge­wöhn­li­chen Tro­cken­heit und Ernst: es sei ei­nem Ken­ner und Lieb­ha­ber wohl ge­mäß, eine Blu­me auf die Wei­se zu be­rüh­ren und zu be­trach­ten; wor­auf er denn je­nen Gest wie­der­hol­te und sie noch ein­mal zwi­schen die Fin­ger nahm. Die bei­der­sei­ti­gen Haus­freun­de – denn auch von Mala­part hat­te einen bei sich – wa­ren nun in der größ­ten Ver­le­gen­heit. Sie lie­ßen einen Ha­sen nach dem an­de­ren lau­fen (dies war uns­re sprüchwört­li­che Re­dens­art, wenn ein Ge­spräch soll­te un­ter­bro­chen und auf einen an­de­ren Ge­gen­stand ge­lenkt wer­den); al­lein es woll­te nichts ver­fan­gen: die al­ten Her­ren wa­ren ganz stumm ge­wor­den, und wir fürch­te­ten je­den Au­gen­blick, von Rei­neck möch­te je­nen Akt wie­der­ho­len; da wäre es denn um uns alle ge­schehn ge­we­sen. Die bei­den Haus­freun­de hiel­ten ihre Her­ren aus ein­an­der, in­dem sie sel­bi­ge bald da bald dort be­schäf­tig­ten, und das klügs­te war, dass wir end­lich auf­zu­bre­chen An­stalt mach­ten; und so muss­ten wir lei­der den rei­zen­den Kre­denz­tisch un­ge­nos­sen mit dem Rücken an­se­hen.

Ho­frat Hüs­gen, nicht von Frank­furt ge­bür­tig, re­for­mier­ter Re­li­gi­on und des­we­gen kei­ner öf­fent­li­chen Stel­le noch auch der Ad­vo­ka­tur fä­hig, die er je­doch, weil man ihm als vor­treff­li­chem Ju­ris­ten viel Ver­trau­en schenk­te, un­ter frem­der Si­gna­tur ganz ge­las­sen so­wohl in Frank­furt als bei den Reichs­ge­rich­ten zu füh­ren wuss­te, war wohl schon sech­zig Jahr alt, als ich mit sei­nem Soh­ne Schreib­stun­de hat­te und da­durch ins Haus kam. Sei­ne Ge­stalt war groß, lang, ohne ha­ger, breit, ohne be­leibt zu sein. Sein Ge­sicht, nicht al­lein von den Blat­tern ent­stellt, son­dern auch des einen Au­ges be­raubt, sah man die ers­te Zeit nur mit Appre­hen­si­on. Er trug auf ei­nem kah­len Haup­te im­mer eine ganz wei­ße Glo­cken­müt­ze, oben mit ei­nem Ban­de ge­bun­den. Sei­ne Schlafrö­cke von Kal­mank oder Da­mast wa­ren durch­aus sehr sau­ber. Er be­wohn­te eine gar heitre Zim­mer­flucht auf glei­cher Erde an der Al­lee, und die Rein­lich­keit sei­ner Um­ge­bung ent­sprach die­ser Hei­ter­keit. Die größ­te Ord­nung sei­ner Pa­pie­re, Bü­cher, Land­kar­ten mach­te einen an­ge­neh­men Ein­druck. Sein Sohn, Hein­rich Se­bas­ti­an, der sich durch ver­schie­de­ne Schrif­ten im Kunst­fach be­kannt ge­macht, ver­sprach in sei­ner Ju­gend we­nig. Gut­mü­tig, aber täp­pisch, nicht roh, aber doch ge­ra­de­zu und ohne be­sond­re Nei­gung, sich zu un­ter­rich­ten, such­te er lie­ber die Ge­gen­wart des Va­ters zu ver­mei­den, in­dem er von der Mut­ter al­les, was er wünsch­te, er­hal­ten konn­te. Ich hin­ge­gen nä­her­te mich dem Al­ten im­mer mehr, je mehr ich ihn ken­nen lern­te. Da er sich nur be­deu­ten­der Rechts­fäl­le an­nahm, so hat­te er Zeit ge­nug, sich auf an­de­re Wei­se zu be­schäf­ti­gen und zu un­ter­hal­ten. Ich hat­te nicht lan­ge um ihn ge­lebt und sei­ne Leh­ren ver­nom­men, als ich wohl mer­ken konn­te, dass er mit Gott und der Welt in Op­po­si­ti­on ste­he. Eins sei­ner Lieb­lings­bü­cher war A­grip­pa de va­ni­ta­te scien­tia­rum, das er mir be­son­ders emp­fahl und mein jun­ges Ge­hirn da­durch eine Zeit lang in ziem­li­che Ver­wir­rung setz­te. Ich war im Be­ha­gen der Ju­gend zu ei­ner Art von Op­ti­mis­mus ge­neigt und hat­te mich mit Gott oder den Göt­tern ziem­lich wie­der aus­ge­söhnt: denn durch eine Rei­he von Jah­ren war ich zu der Er­fah­rung ge­kom­men, dass es ge­gen das Böse man­ches Gleich­ge­wicht gebe, dass man sich von den Übeln wohl wie­der her­stel­le und dass man sich aus Ge­fah­ren ret­te und nicht im­mer den Hals bre­che. Auch was die Men­schen ta­ten und trie­ben, sah ich läss­lich an und fand man­ches Lo­bens­wür­di­ge, wo­mit mein al­ter Herr kei­nes­wegs zu­frie­den sein woll­te. Ja, als er ein­mal mir die Welt ziem­lich von ih­rer frat­zen­haf­ten Sei­te ge­schil­dert hat­te, merk­te ich ihm an, dass er noch mit ei­nem be­deu­ten­den Trump­fe zu schlie­ßen ge­den­ke. Er drück­te, wie in sol­chen Fäl­len sei­ne Art war, das blin­de lin­ke Auge stark zu, blick­te mit dem an­de­ren scharf her­vor und sag­te mit ei­ner nä­seln­den Stim­me: »Auch in Gott ent­deck’ ich Feh­ler.«

Mein Ti­mo­ni­scher Men­tor war auch Ma­the­ma­ti­ker; aber sei­ne prak­ti­sche Na­tur trieb ihn zur Mecha­nik, ob er gleich nicht selbst ar­bei­te­te. Eine für da­ma­li­ge Zei­ten we­nigs­tens wun­der­sa­me Uhr, wel­che ne­ben den Stun­den und Ta­gen auch die Be­we­gun­gen von Son­ne und Mond an­zeig­te, ließ er nach sei­ner An­ga­be ver­fer­ti­gen. Sonn­tags früh um Zehn zog er sie je­des Mal selbst auf, wel­ches er umso ge­wis­ser tun konn­te, als er nie­mals in die Kir­che ging. Ge­sell­schaft oder Gäs­te habe ich nie bei ihm ge­se­hen. An­ge­zo­gen und aus dem Hau­se ge­hend er­in­ne­re ich mir ihn in zehn Jah­ren kaum zwei­mal.

Die ver­schie­de­nen Un­ter­hal­tun­gen mit die­sen Män­nern wa­ren nicht un­be­deu­tend, und je­der wirk­te auf mich nach sei­ner Wei­se. Für einen je­den hat­te ich so viel, oft noch mehr Auf­merk­sam­keit als die ei­ge­nen Kin­der, und je­der such­te an mir, als an ei­nem ge­lieb­ten Soh­ne, sein Wohl­ge­fal­len zu ver­meh­ren, in­dem er an mir sein mo­ra­li­sches Eben­bild her­zu­stel­len trach­te­te. Olen­schla­ger woll­te mich zum Hof­mann, Rei­neck zum di­plo­ma­ti­schen Ge­schäfts­mann bil­den; bei­de, be­son­ders letz­te­rer, such­ten mir Poe­sie und Schrift­stel­le­rei zu ver­lei­den. Hüs­gen woll­te mich zum Ti­mon sei­ner Art, da­bei aber zum tüch­ti­gen Rechts­ge­lehr­ten ha­ben: ein not­wen­di­ges Hand­werk, wie er mein­te, da­mit man sich und das Sei­ni­ge ge­gen das Lum­pen­pack von Men­schen re­gel­mä­ßig ver­tei­di­gen, ei­nem Un­ter­drück­ten bei­ste­hen und al­len­falls ei­nem Schel­men et­was am Zeu­ge fli­cken kön­ne; letz­te­res je­doch sei we­der be­son­ders tun­lich noch rat­sam.

Hielt ich mich gern an der Sei­te je­ner Män­ner, um ih­ren Rat, ih­ren Fin­ger­zeig zu be­nut­zen, so for­der­ten jün­ge­re, an Al­ter mir nur we­nig vor­aus­ge­schrit­te­ne mich auf zum un­mit­tel­ba­ren Nach­ei­fern. Ich nen­ne hier vor al­len an­de­ren die Ge­brü­der Schlos­ser, und Gries­bach. Da ich je­doch mit die­sen in der Fol­ge in ge­naue­re Ver­bin­dung trat, wel­che vie­le Jah­re un­un­ter­bro­chen dau­er­te, so sage ich ge­gen­wär­tig nur so viel, dass sie uns da­mals als aus­ge­zeich­net in Spra­chen und an­de­ren, die aka­de­mi­sche Lauf­bahn er­öff­nen­den Stu­di­en ge­prie­sen und zum Mus­ter auf­ge­stellt wur­den und dass je­der­mann die ge­wis­se Er­war­tung heg­te, sie wür­den einst im Staat und in der Kir­che et­was Un­ge­mei­nes leis­ten.

Was mich be­trifft, so hat­te ich auch wohl im Sin­ne, et­was Au­ßer­or­dent­li­ches her­vor­zu­brin­gen; worin es aber be­ste­hen kön­ne, woll­te mir nicht deut­lich wer­den. Wie man je­doch eher an den Lohn denkt, den man er­hal­ten möch­te, als an das Ver­dienst, das man sich er­wer­ben soll­te, so leug­ne ich nicht, dass, wenn ich an ein wün­schens­wer­tes Glück dach­te, die­ses mir am rei­zends­ten in der Ge­stalt des Lor­beer­kran­zes er­schi­en, der den Dich­ter zu zie­ren ge­floch­ten ist.

1 fremd­län­disch, be­son­ders ro­ma­nisch, süd­län­disch <<<

2 schlak­si­ger, hoch auf­ge­schos­se­ner (jun­ger) Mann <<<

3 Der Ka­te­chis­mus, Hand­buch der Un­ter­wei­sung in den Grund­fra­gen des christ­li­chen Glau­bens. <<<

4 Kon­tor, Nie­der­las­sung ei­nes Han­dels­un­ter­neh­mens <<<

Dichtung und Wahrheit

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