Читать книгу EIS - Johanna Ehrke - Страница 3
Kara
ОглавлениеDer Wind blies durch meine Haare. Es war eiskalt. „Warum müssen wir diesen verdammten Ausflug machen? Wen interessiert es schon, wie es hinter der Mauer aussieht?“, maulte Xenia, meine beste Freundin.
„Die Lehrer sind der Meinung, dass es für uns wichtig ist. Meine Eltern waren zu ihrer Schulzeit auch hier.“, antwortete ich.
Xenia rümpfte ihre kleine Stupsnase. „Dass du immer auf alles eine Antwort hast! Du kannst mich mal!“, rief sie und boxte mir leicht an die Schulter.
„Kinder, hier seht ihr die Ruinen einer früheren Stadt. Sie wurde vor etwa zweihundert Jahren verlassen, als es zu schneien begann.“, erzählte der Lehrer grade. Wir alle hatten Schneeanzüge an und sahen damit ein wenig aus wie Yetis. Doch der Wind blies sogar durch den Anzug.
„So Leute. Noch irgendwelche Fragen? Sonst fahren wir jetzt wieder zurück.“, rief Mr. Bolton. Alle schüttelten den Kopf. Mr. Bolton nickte und wir machten uns auf den Rückweg zu den Schneemobilen.
Als die Klasse sich auf die drei Fahrzeuge verteilt hatte wurden die Türen verriegelt und die Heizung angeschaltet.
„Endlich.“, murmelte ich und meine Freundin nickte zustimmend. Ich nahm als erstes die Schneebrille ab, dann die Kapuze und dann pellte ich mich auch aus dem restlichen Anzug. Durch den Sturm draußen hatte sich eine dünne Schneeschicht auf den Anzügen gebildet die jetzt abbröckelte, schmolz und eine riesige Pfütze auf dem Boden des Schneemobils hinterließ.
„Hast du heute Abend was vor?“, fragte Xenia mich. Ich schüttelte den Kopf.
„Gut. Dann kommst du zu mir und wir sehen fern. Heute kommt irgend so eine Quizsendung mit den Töchtern der Präsidenten.“, bestimmte sie. Ich nickte nur. Ich interessierte mich eigentlich nicht so für die arroganten, schwerreichen Töchter von unseren drei ehrwürdigen Präsidenten. Aber Xenia liebte die drei Mädchen und ebenfalls liebte sie den neusten Klatsch und Tratsch. Durch sie erfuhr ich immer, wer grade mit wem ging und wer grade Stress mit wem hatte. Sie war immer top gestylt und hatte meistens die neusten Klamotten, und sie konnte auch ziemlich nerven. Aber ich liebte sie.
„Wusstest du eigentlich, das dieser Typ, Bob heißt der glaube ich, dass der zum Rektor musste?“, flüsterte sie mir zu.
Ich horchte auf. Bob war ein ziemlich gut aussehender, aber düsterer Junge, der die Parallelklasse besuchte.
„Wieso?“, fragte ich. Nun war sie völlig in ihrem Element.
„Drogen und Diebstahl glaube ich. Und Einbruch. Ich glaube er hat einige Lehrer – und Schülerspinte aufgebrochen.“, erzählte sie.
Den Rest des Weges fuhren wir schweigend, ich sprach erst wieder ein Wort, als wir die Mauer erreicht hatten. Dort erwartete uns die Kontrolle, wie jeden anderen auch, der von außerhalb in die Stadt wollte. Jeder von uns musste durch einen Scanner gehen, und die Fahrzeuge fuhren ebenfalls durch einen. Die Kontrolle diente dazu, dass niemand Gegenstände von draußen mit in die Stadt schleusen konnte, die eventuell verseucht sein könnten. Denn vor dem Schnee wüteten große Kriege auf der Erde, die das Land größtenteils zerstört hatten. Man beschoss sich mit Nuklearwaffen und anderen Dingen, die hochgefährlich waren.
Ich wurde als eine der ersten gescannt und wartete in einem kleinen Raum hinter den Scannern auf Xenia. Sie verdrehte die Augen und hakte sich bei mir unter. Zusammen verließen wir das Gebäude und traten durch eine dicke Glastür in das Innere der Mauer. Die Mauer war eigentlich nicht mal eine richtige Mauer, sondern eher eine dicke Glaskuppel. In ihrem Inneren war, dank einer künstlichen Atmosphäre ein normales Leben möglich.
Schließlich kam auch Mr. Bolton aus dem Sicherheitsgebäude und wir machten uns zu Fuß auf den Weg zur Schule. Ich blickte hinauf zum Himmel. Er war wie immer dunkel. Die Wissenschaftler der Präsidenten arbeiteten an einer Methode es so aussehen zu lassen, als ob die Sonne scheinen würde, hatten sie uns in der Schule erzählt. Aber so ganz war ihnen das wohl noch nicht gelungen. „Endlich wieder ein gutes Klima.“, seufzte Xenia. Ich nickte zustimmend. Meine Freundin runzelte die Stirn.
„Stell dir mal vor, du würdest da draußen leben. Da kriegt man ja Frostbeulen! Dann sieht man doch nicht mehr schön aus!“, sagte sie. Ich grinste. Das war typisch Xenia. Immer auf das gute Aussehen bedacht.
„Als hätte man da draußen nicht andere Probleme, als sich zu überlegen, wie man aussieht.“, sagte eine tiefe Stimme hinter uns.
Ich wendete meinen Kopf. Es war Murin, der Sohn von Mr. Bolton. Er hatte kurze, schwarze Haare und so dunkle Augen, dass sie fast schwarz wirkten.
Um ehrlich zu sein, fand ich ihn ziemlich gruselig.
„Tja, bei dir kann man sowieso nichts mehr retten, Bolton. Also kannst du dich um andere Dinge kümmern.“, erwiderte Xenia. Murin murmelte etwas und ging an uns vorbei zu seinen Kumpels.
Wir kamen kurze Zeit später an der Schule an. Im Klassensaal setzten wir uns alle an unsere Plätze und Mr. Bolten stellte sich hinter sein Pult.
„Wie ihr alle wisst findet in drei Tagen der große Test statt.“, begann er. „Deshalb werden wir den morgigen Tag dazu nutzen, euch vorzubereiten. Ich werde euch genau erzählen, um was es in diesem Test geht. Obwohl viele von euch es vermutlich schon wissen.“
Ich wusste es. Mein großer Bruder hatte den Test vor zwei Jahren hinter sich gebracht. Dabei ging es um die Gruppierung. In unserer Kuppel gab es zwei wesentliche Gruppen. Die Beschützer, also die, die zu Soldaten und Cops ausgebildet wurden, und die Arbeiter, die alles das abdeckten, was die Beschützer nicht waren. Wie der Test genau ablief wusste ich nicht, aber das würde Mr. Bolten uns morgen ja sicherlich erläutern.
„So. Dann bis morgen. Kommt gut nach Hause.“, verabschiedete sich unser Lehrer gerade und die Klasse bewegte sich in Richtung Ausgang.
Draußen umarmte ich Xenia und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich hatte zum Glück keinen sehr weiten Weg, denn in der Kuppel durften wegen der Luftverschmutzung keine normalen Autos, Busse oder Züge fahren. Doch vor einigen Jahren hatten Wissenschaftler die Technik der Fahrzeuge so verändert, dass sie deutlich weniger schadhafte Abgase ausstießen. Allerdings hatten nur wenige Menschen das Glück ein Auto besitzen zu dürfen. Mit dem Blick nach unten auf mein Buch gerichtet bog ich um die nächste Straßenecke und knallte gegen ein graues T-Shirt, oder eher gesagt gegen seinen Träger.
„Pass doch auf, verdammt noch mal!“, knurrte eine tiefe Stimme. Ich bückte mich, um mein Buch wieder aufzuheben, das mir beim Aufprall runtergefallen war. „Entschuldigung.“, murmelte ich. Ich blickte den Träger des grauen Shirts an. Er hatte haselnussbraune Locken, dunkelbraune Augen, die mich ziemlich grimmig anschauten, und olivfarbene Haut.
„Und jetzt geh mir aus dem Weg. Vergiss am besten dass du mich gesehen hast.“, brummte er und drängte sich an mir vorbei. Als ich mich umdrehte, um ihm nachzusehen war er verschwunden.
Ich runzelte die Stirn, drückte mein Buch an mich und setzte meinen Weg eilig fort. „Ist das grade wirklich passiert, oder hab ich mir das nur eingebildet?“, fragte ich mich leise. Was hatte er gesagt? Vergiss am besten dass du mich gesehen hast. Aber ich hatte jetzt auch nicht die Zeit darüber nachzudenken.
Ich ging noch schneller und da tauchte auch schon das kleine Haus auf, in dem ich wohnte. Meine Eltern gehörten beide zu den Akademikern. Mein Vater war Wissenschaftler in einem großen Konzern, DomeTec, der sich mit dem Bereich Nanotechnik befasste, meine Mutter arbeitete ebenfalls in diesem Konzern, nur in einem anderen Bereich.
Ich kramte in meiner Tasche nach der Karte für das Haus und wollte sie gerade durch den Scanner ziehen als die Tür aufgerissen wurde. „Mum, was…“, weiter kam ich nicht. „Schätzchen, ich muss noch mal los. Der Sicherheitsalarm in der Firma wurde ausgelöst und alle Mitarbeiter dorthin beordert. Es könnte spät werden. Zaubere dir was Schönes zu essen, Süße“, erklärte sie mir im Vorbeigehen und hastete zu ihrem Wagen. Meine Mutter war ein höheres Tier im Konzern und durfte so ihr eigenes Auto besitzen. Nur wir durften nicht damit fahren. Es war, ganz davon abgesehen, auch viel zu klein.
Ich betrat das Haus und schloss die Tür hinter mir. Meine Eltern verdienten ganz gut, aber das Haus war trotzdem klein. Ich eilte durch die kleine Eingangshalle und sprintete dann die Treppe hoch. Im Obergeschoss befanden sich drei Zimmer. Das meiner Eltern, das alte Zimmer von meinem Bruder Jamie und schließlich meins.
Meine Tasche schmiss ich in die Ecke meines Zimmers und warf die Jacke auf mein Bett. Anschließend schnappte ich mir mein Buch, welches wir für den Geschichtsunterricht lesen mussten, und setzte mich hinunter ins Wohnzimmer. Wenn meine Eltern nicht da waren, war es im Haus immer schrecklich ruhig. Das lag vor allem daran, dass mein Bruder Jamie nach der sechzehnten Klasse seinen Wohnort wechseln musste, so wie jeder der einer Sektion zugeteilt wurde.
Nach dem Test ging man dort noch zwei weitere Jahre zur Schule. Man lernte nun aber hauptsächlich Dinge die mit der Sektion zusammenhingen und wurde auf seine späteren Aufgaben vorbereitet. Mein Bruder wurde in die Beschützersektion gewählt. Ich hatte ihn seit seinem Umzug nur zwei Mal gesehen und vermisste ihn schrecklich.
Nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass ich mich auf das Buch nicht richtig konzentrieren konnte. Als ich mich grade daran machen wollte, etwas zu Essen zu zubereiten, ertönte ein schriller Ton. Ich folgte dem Geräusch und fand den Pager meiner Mutter in der Jackentasche ihres Jacketts. Ich blickte auf das Display, auf dem in leuchtend roten Buchtstaben stand: Code Rot!!! Die Pläne wurden gestohlen!!! Versammlung im Konferenzraum!!!
Was für Pläne? Und wer hatte sie gestohlen? War das der Grund, weshalb Mum wieder in die Firma musste?
Ich stecke den Pager in die Tasche zurück und hastete die Treppe hoch in mein Zimmer. Dort schnappte ich mir mein Handy und rief Xenia an.
„Hey Süße!“, meldete sie sich.
„Xeni, du glaubst nicht was grade passiert ist. Kannst du rüberkommen?“, fragte ich. An ihrem kurzen Schweigen vermutete ich, dass sie überlegte.
„Ja, klar. Ich bin schon unterwegs.“, antwortete sie. Ich legte auf.
Kurze Zeit später klingelte es an der Tür. Ohne ein Wort zeigte ich Xenia die Worte auf dem Pager.
„Was für Pläne?“, fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern.
„Na dann. Ich würde sagen, wir schauen bei dir fern wenn ich schon mal hier bin. Wo sind eigentlich deine Eltern?“, fragte sie. Das war typisch für sie. Sie verbannte Dinge, die ihr zu kompliziert waren, ganz schnell aus ihrem Gedächtnis. „Sie sind in der Firma. Wegen den Plänen, nehme ich an.“, erwiderte ich.
„Ok. Gehen wir ins Wohnzimmer?“ fragte sie. Ich nickte.