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1425 Neckargemünd, September
ОглавлениеWie in den Städtchen nahe Heidelberg wurde auch in Neckargemünd die Geburt des dritten Kindes von Kurfürst Ludwig und seiner zweiten Gattin Matilda von Savoyen ausgelassen gefeiert. Einen kräftigen Jungen, der auf den Namen Friedrich getauft worden war, hatte die schöne Matilde, wie sie hierzulande genannt wurde, am ersten August geboren. Die stolze Mutter hatte darauf bestanden, auch das Volk an dem freudigen Ereignis teilhaben zu lassen, und so fuhr die kurfürstliche Familie in prächtigen offenen Kutschen durch die Straßen der Stadt, die gesäumt waren von jubelnden Menschen. Hüte und Kappen flogen in die Luft, und das Volk rief seiner Herrschaft Segenswünsche zu. In der ersten Kutsche saßen Ludwig und seine Frau, die den kleinen Friedrich auf dem Schoß hielt. In der zweiten Karosse befanden sich die erstgeborene Tochter Mechthild und ihr jüngerer Bruder Ludwig, mit dem die Amme alle Mühe hatte, weil er wie ein Fisch in ihren Armen zappelte. Eskortiert wurden die kurfürstlichen Kutschen von Rittern und Wachsoldaten, deren Uniformknöpfe mit den blitzenden Kandaren ihrer auf Hochglanz gestriegelten Pferde in der Septembersonne um die Wette blinkten. Knappen und Bedienstete folgten dem Zug zu Fuß.
Staunend und mit offenem Mund betrachtete die zehnjährige Helena den Prunk. Noch nie hatte sie so viel Gold und solch schöne bunte Kleider gesehen, geschweige denn einmal einen Blick auf die kurfürstliche Familie geworfen. Sie stand in vorderster Reihe, konnte den Schweiß der Pferde riechen, die an ihr vorbeischritten, vermischt mit dem Geruch des Leders der silberbeschlagenen Zäumungen. Schon seit Stunden harrte sie hier aus. Sie hatte sich einfach von zu Hause davongeschlichen und nahm die Ohrfeige, die ihr deswegen wahrscheinlich bevorstand, billigend in Kauf. Endlich näherte sich ihr der prachtvolle Zug. Aufgeregt hüpfte sie auf und ab. Ihre dunkelroten Haare umspielten ihr hübsches Gesicht. Als die Kutsche auf ihrer Höhe war, trafen sich ihre Blicke mit jenen der Kurfürstentochter Mechthild. Die Sechsjährige stand plötzlich von ihrem Platz in der Kutsche auf und warf Helena etwas zu, das diese geschickt auffing.
Verblüfft starrte Helena die Prinzessin an, die sich schon wieder hingesetzt hatte und ihr, den Kopf über die Schulter gewandt, zuwinkte. Bevor Helena noch ein ›Danke‹ zu rufen vermochte, war die Karosse längst vorüber, und sie konnte gerade noch einen Arm in die Höhe recken, um Mechthild hinterherzuwinken.
»Prinzessin Mechthild, warum habt Ihr das getan?«, wollte eine der Hofdamen, die mit in der Kutsche saßen, naserümpfend wissen.
»Habt Ihr nicht die Haare des Mädchens gesehen? Genau so rot wie die Haare einer meiner Puppen. Ich musste ihr einfach eine davon schenken«, plapperte Mechthild aufgeregt.
Seit Pfalzgraf Otto von Mosbach seiner Nichte die beiden kleinen Puppen im März zum Geburtstag geschenkt hatte, schleppte Mechthild sie nahezu überall mithin. Otto hatte Schweifhaare seines Dunkelfuchshengstes geopfert, um einem Püppchen zu einer auffälligen Haarpracht zu verhelfen, das andere besaß dunkelblondes Haar. Dafür hatte er einer seiner Mätressen, während sie schlief, eine Strähne abgeschnitten. Die beiden Figürchen hatten in einer kleinen, gepolsterten Schachtel Platz gefunden, die gerade in Mechthilds Handteller passte. Fasziniert von den winzigen, fast identisch aussehenden Püppchen hatte sie ihre anderen Spielzeuge kaum mehr beachtet. Es war ein spontaner Einfall gewesen, das Rothaarige dem Mädchen in der Menge zuzuwerfen, und es tat ihr keinen Augenblick leid.
Helena drängelte sich durch die Menschenmenge und lief nach Hause, um sich in Ruhe anzuschauen, was die Prinzessin ihr zugeworfen hatte. Vorsichtig öffnete sie ihre linke Faust, die das kleine Geschenk den ganzen Heimweg über fest umschlossen gehalten hatte. Ein aus Holz geschnitztes winziges Püppchen lag darin, das ein Brokatkleidchen trug und dunkelrote Zöpfchen besaß. Noch nie hatte Helena etwas derart Schönes geschenkt bekommen. Fest drückte sie die kleine Puppe an ihre Brust.
»Meine kleine Prinzessin, ich werde immer schön auf dich aufpassen«, sprach sie leise zu der kleinen Figur. Aus ihrem einfachen Schuh löste sie eines der dünnen Lederbändchen, knüpfte eine kleine Schlinge, die sie der Puppe um die Körpermitte band und noch einmal fest verknotete. Dann legte sie sich ihr Geschenk um den Hals und ließ den Anhänger unter ihrem derben braunen Kittel verschwinden.