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DRITTE HOMILIE. * Kap. I, V. 8—17. *

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1.

Kap. I, V. 8—17.

V.8: „Vor allem danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, daß euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird.“

Diese Einleitung entspricht der heiligen Seele und ist darnach angetan, alle zu lehren, zu Beginn guter Worte und Taten Gott zu huldigen und ihm nicht bloß für die eigenen guten Werke zu danken, sondern auch für die anderer. Das macht die Seele rein von Neid und Mißgunst und macht Gott den Dankbaren noch geneigter. Darum sagt der Apostel anderswo: „Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen“ 44. Dank sagen sollen nicht bloß die Reichen, sondern auch die Armen; nicht bloß die Gesunden, sondern auch die Kranken; nicht bloß die vom Glück Begünstigten, sondern auch die von Unglück Heimgesuchten. Denn Gott zu danken, wenn alles gut geht, ist nichts Besonderes; wenn aber ein widriger Wind weht, wenn der Nachen schwankt und umkippen will — dann noch danksagen, das ist ein vollgiltiges Zeugnis von Ausdauer und Dankbarkeit. Darum ist auch Job gekrönt worden; er hat dem Teufel das unverschämte Maul gestopft und klar erwiesen, daß er, als es ihm wohl erging, nicht des irdischen Besitzes wegen dankbar war, sondern aus reiner Liebe zu Gott. — Beachte weiter, wofür Paulus danksagt: Nicht für irdische und vergängliche Dinge, wie für Herrschaft, Macht und Ruhm — denn die sind nicht der Rede wert —, sondern für wirkliche Güter, den Glauben und das Freisein von Menschenfurcht. Und mit welch tiefem Empfinden dankt er! Er spricht nicht einfach: „Gott“, sondern: „meinem Gott“. Auch die Propheten tun das; sie beziehen das allen Gemeinsame auf sich allein. Kein Wunder, daß sie es tun. Geht ihnen ja Gott selbst mit seinem Beispiele voran, wenn er von sich seinen Dienern gegenüber spricht. So nennt er sich immer Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. „Daß euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird.“ — Was? Die ganze Welt hat vernommen vom Glauben der Römer? Jawohl, und das ist nichts Unwahrscheinliches. Die Stadt war ja nicht verborgen, sondern wie auf einem Berggipfel gelegen und allseits sichtbar. Du aber beachte einmal die Kraft der Missionspredigt, wie sie in kurzer Zeit durch Zöllner und Fischer bis selbst in die Hauptstadt gedrungen ist, und wie Syrer die Lehrer und Führer von Römern geworden sind! Zwei Dinge bezeugt der Apostel von seinen Zuhörern als recht getan: daß sie geglaubt haben und daß sie frei waren von Menschenfurcht, und zwar so frei, daß der Ruf davon in die ganze Welt gedrungen ist. Denn euer Glaube, spricht er, wird in der ganzen Welt verkündet. „Der Glaube“, nicht Wortgezänke, nicht Silbenstechereien, nicht Vernünfteln. Und doch gab es dort viele Hindernisse für die Lehre. Die Römer, eben erst Herren des Erdkreises geworden, bildeten sich viel ein und lebten in Reichtum und Genuß dahin. Da brachten Fischer die Botschaft vom Evangelium, Juden, Stämmlinge von Juden, einem verhaßten und von allen verabscheuten Volke. Dazu geboten sie die Anbetung des Gekreuzigten, der im Judenlande erzogen war. Und mit dieser Glaubenslehre verkündeten ihre Lehrer ein strenges Leben und das Leuten, die nur nach Genuß lechzten und nur das Gegenwärtige schätzten. Und die, welche es verkündeten, waren arme Leute ohne Bildung und ohne Geburtsadel. Aber nichts von dem hielt das Wort in seinem Laufe auf. So groß war die Kraft des Gekreuzigten, daß er überall das Wort verbreitete.

„Er wird verkündet“, sagt er, „in der ganzen Welt.“ Er sagt nicht: „Er wird offenbart“, sondern: „Er wird verkündet“, gleichsam als ob ihn alle im Munde trügen. Wo er dasselbe den Thessalonichern bezeugt, fügt er noch etwas anderes bei. Nachdem er nämlich gesagt hat: „Von euch aus erscholl das Wort Gottes“, fügt er hinzu: „so daß wir nicht nötig haben, etwas davon zu sagen“ 45. Die Schüler nämlich waren in den Rang der Lehrer getreten, indem sie durch ihr freimütiges Bekenntnis alle im Glauben unterwiesen und sie an sich zogen. Nirgends machte die Missionspredigt halt, sondern verbreitete sich rascher als Feuer über den Erdkreis. An dieser Stelle aber heißt es bloß, daß der Glaube verkündigt wird. Ganz gut sagt er, daß er verkündigt wird; er deutet damit nämlich an, daß den Worten nichts hinzugefügt und nichts weggenommen werden darf. Aufgabe des Überbringers einer Kunde ist es ja, daß er das meldet, was ihm gesagt worden ist. Darum wird auch der Priester „Engel“, das ist Überbringer einer Kunde, oder „Bote“ genannt, weil er nicht sein eigenes verkündet, sondern das, was er von dem hat, der ihn schickt. Dort (in Rom) hatte ja auch Petrus gepredigt; aber das Werk dieses gilt dem Paulus wie sein eigenes, so frei ist er, wie ich oben sagte, von aller Mißgunst.

V. 9: „Denn mein Zeuge ist Gott dem ich diene in meinem Geiste im Evangelium seines Sohnes.“

2.

Aus einem apostolischen Herzen kommen diese Worte, sie bekunden väterliche Fürsorge. Was will der Apostel damit sagen, und weswegen ruft er Gott zum Zeugen an? Von seiner Zuneigung (zu den Römern) war soeben die Rede. Da er sie aber noch niemals gesehen hatte, darum ruft er keinen Menschen zum Zeugen an, sondern den, der in das Innerste des Herzens schaut. Er hatte gesagt, daß er sie liebe, und als Zeichen davon angeführt, daß er beständig für sie beten und daß er zu ihnen kommen wolle; da aber das nicht äußerlich sichtbar war, so nimmt er seine Zuflucht zu einer ganz glaubwürdigen Zeugenschaft. Kann sich wohl einer von uns rühmen, daß er bei seinen Gebeten daheim der vielen gedenke, welche die Kirche bilden. Ich glaube nicht. Aber Paulus betete zu Gott nicht für eine einzige Stadt, sondern für den gesamten Erdkreis, und das nicht einmal oder zweimal oder dreimal, sondern beständig. Jemanden nur beständig im Gedächtnisse haben, kann nicht geschehen ohne große Liebe zu ihm; seiner aber noch im Gebete eingedenk sein und beständig eingedenk sein, bedenke, eine wie große Zuneigung und Liebe dies verrät! Wenn er aber sagt: „Dem ich diene in meinem Geiste, in dem Evangelium seines Sohnes“, so offenbart er uns damit Gottes Gnade und zugleich seine eigene Demut: Gottes Gnade, daß er ihn mit einem so großen Werke betraut hat; seine eigene Demut, weil er nicht seinem Eifer, sondern dem Beistand des Geistes alles zuschreibt. Der Zusatz „in dem Evangelium“ bezeichnet die Art des Dienstes. Es gibt nämlich viele und verschiedene Arten des Dienstes im allgemeinen und des Gottesdienstes im besonderen. Wie bei den Königen zwar alle dem einen Herrscher unterstehen, aber nicht alle denselben Dienst leisten — der eine dient als Heerführer, der andere als Städteverwalter, wieder ein anderer als Schatzmeister —, so ist es auch in geistlichen Dingen: der eine verehrt Gott und dient ihm damit, daß er glaubt und sein Leben gut einrichtet, der andere damit, daß er Fremde gastfreundlich aufnimmt, ein dritter damit, daß er der Armenpflege obliegt. So war es auch bei den Aposteln selbst: Stephanus und die mit ihm waren, dienten Gott durch Witwenfürsorge, ein anderer durch Wortverkündigung. Zu diesen gehörte Paulus, der Gott durch die Missionspredigt verehrte. Bas war seine Art des Dienstes, dazu war er bestellt. Darum ruft er nicht allein Gott zum Zeugen an, sondern er sagt auch, daß er von ihm mit einem Amte betraut worden sei. Darin liegt ein Hinweis, daß er, durch so großes Vertrauen ausgezeichnet, doch nicht den zum Zeugen von Lügen anrufen werde, der ihn mit dem Amte betraut hat. Daneben will er auch anzeigen, daß die Liebe und Sorge für sie seine Pflicht sei. Damit sie nicht sagen können: Wer und woher bist du, daß du sagst, du hättest für eine so große Kaiserstadt Sorge zu tragen? weist er darauf hin, daß diese Sorge für ihn Pflicht sei, da ihm diese Art des Dienstes, das Evangelium zu predigen, aufgetragen sei. Wer einen solchen Beruf hat, der hat die Pflicht, derer zu gedenken, die sein Wort einmal annehmen sollen. Auch deutet er noch etwas anderes an mit den Worten: „in meinem Geiste“; daß nämlich diese Religion viel erhabener sei als die hellenische und die jüdische. Die hellenische ist falsch und sinnlich; die jüdische ist zwar wahr, aber auch sinnlich; die Religion der Kirche aber steht im Gegensatz zur hellenischen und auf einer viel höheren Stufe als die jüdische. Denn nicht durch Schafe und Kälber und Opferrauch und Opferduft geschieht unsere Gottesverehrung, sondern durch die Seele, die ein Geist ist. Das wollte auch Christus ausdrücken, wenn er sprach: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten“ 46.

„In dem Evangelium seines Sohnes.“ Oben hat er gesagt, das Evangelium sei das des Vaters, hier nennt er es das des Sohnes; so nennt er es ohne Unterschied bald des Vaters, bald des Sohnes. Er kannte ja jenes heilige Wort, daß das, was des Vaters ist, auch dem Sohne gehört, und das, was des Sohnes ist, auch dem Vater gehört: „Alles“, heißt es, „was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ 47.

„Daß ich ohne Unterlaß eurer gedenke in meinen Gebeten.“ — Das ist echte Liebe. Eines sagt er scheinbar, und vier Dinge legt er hinein: daß er ihrer gedenkt, daß er ihrer ohne Unterlaß gedenkt, daß er ihrer im Gebete gedenkt, und daß es sich dabei um wichtige Dinge handelt.

V. 10: „Und ich bitte, daß ich doch einmal so glücklich sein möge mit Gottes Willen, zu euch zu kommen; denn ich sehne mich, euch zu sehen.“

Siehst du, wie sehr er wünscht, sie zu sehen, und sie doch nicht gegen das Wohlgefallen Gottes sehen will, sondern wie seine Sehnsucht mit Gottesfurcht verbunden ist? Er liebt sie und fühlt sich zu ihnen hingetrieben; und doch, so sehr er sie liebt, will er sie nicht sehen gegen das Wohlgefallen Gottes. Das ist echte Liebe, nicht wie wir lieben, die wir auf beiden Seiten die Schranken der Liebe zu überschreiten pflegen. Denn entweder lieben wir niemanden, oder wenn wir etwa jemanden lieben, so lieben wir dem Wohlgefallen Gottes zuwider und handeln so in beiden Fällen gegen das göttliche Gesetz. Wenn es mißlich ist, das zu sagen, so ist es noch mißlicher, daß es geschieht.

3.

Und wie lieben wir dann dem Wohlgefallen Gottes zuwider? fragt man. — Wenn wir Christus, wie er Hunger leidet, nicht beachten, dagegen übersehen, Kindern, Freunden und Verwandten mehr als nötig verabreichen. Brauche ich mehr davon zu sagen? Wenn jeder sein Gewissen erforscht, wird er auf vielerlei derartige Handlungen stoßen. Aber jener heilige Mann war nicht so; er verstand es sowohl zu lieben, als auch zu lieben, wie es recht ist und wie es sich ziemt; er übertraf alle im Lieben und überschritt doch nicht die Grenzen der Liebe. Sieh, wie beides überschwenglich in ihm glüht, Furcht Gottes und Sehnsucht nach den Römern. Sein beständiges Beten, mit dem er nicht aussetzte, auch wenn er nicht erhört wurde, war ein Beweis seiner heißen Liebe; sein Bleiben trotz all seiner Liebe, gehorsam dem Winke Gottes, ein Beweis seiner überaus großen Frömmigkeit. Ein andermal, als er dreimal den Herrn um etwas gebeten und es nicht nur nicht empfangen hatte, sondern sogar das Gegenteil, sagte er doch großen Dank dafür, daß er nicht war erhört worden. So war sein Auge in allen Dingen auf Gott gerichtet. Hier jedoch empfing er zwar, aber nicht wann er es haben wollte, sondern später, und er murrte nicht darob. Das sage ich, damit wir nicht mißmutig werden, wenn wir gar nicht Erhörung finden oder erst später. Sind wir ja doch nicht besser als Paulus, der für beides Dank sagt, und das mit Fug und Recht. Nachdem er sich nämlich einmal der alles leitenden Hand übergeben und sich ihrer Fügung unterworfen hatte, wie der Ton dem Töpfer, folgte er Gottes Führung, wohin immer es gehen mochte. Er hat gesagt, daß er sich sehne, die Römer zu sehen, und spricht nun auch den Grund seines Verlangens aus. Welcher ist dies?

V. 11: „Damit ich euch etwas geistige Gabe mitteile zu eurer Stärkung.“

Nicht ohne Zweck, wie heutzutage viele unnötige und zwecklose Reisen machen, wollte er reisen, sondern notwendiger und sehr dringlicher Dinge halber. Ganz ausdrücklich will er aber das nicht sagen, sondern nur andeutungsweise. Er sagt nämlich nicht: Damit ich euch lehre, damit ich euch unterweise, damit ich das noch Fehlende vervollständige, sondern: „Damit ich euch etwas mitteile.“ Er will damit andeuten, daß er ihnen nicht sein Eigenes geben, sondern das mitteilen werde, was er empfangen habe. Und hier wählt er noch einen einschränkenden Ausdruck, indem er spricht: „etwas“. Etwas Weniges, heißt das, und nach dem geringen Maß meiner Kraft. Und was ist denn dieses Wenige, das du nun mitteilen willst? Das ist, spricht er, „zu eurer Stärkung“.

Also auch das ist Gnade, nicht zu wanken, sondern festzustehen. Wenn du jedoch von „Gnade“ hörst, so meine nicht, daß damit der Lohn der freien Willensentschließung aufgegeben werde. Denn den Ausdruck „Gnade“ gebraucht Paulus nicht, um die Tat der freien Willensentschließung zu mißachten, sondern um dem Stolz auf die eigene Tat einen Riegel vorzuschieben. Werde darum auch nicht kleinmütig, wenn Paulus sie eine Gnadengabe nennt. Denn aus übergroßer Dankbarkeit pflegt er auch die guten Werke „Gnadengaben“ zu nennen, weil uns dazu denn doch auch ein gut Teil Anregung von oben kommt. Durch die Worte: „zu eurer Stärkung“ deutet er versteckt an, daß sie einer starken Zurechtrichtung bedürfen. Was er nämlich sagen will, ist das: Seit langer Zeit schon hatte ich das Verlangen und den Wunsch, euch zu sehen aus keinem anderen Grunde, als um euch fest zu machen, zu stärken und in der Furcht Gottes zu kräftigen, damit ihr nicht immerfort hin und her schwanket. Aber so sagte er es nicht; denn er hätte sie damit zu hart angefaßt. Er gibt es ihnen darum durch eine andere gelindere Wendung zu verstehen; indem er nämlich sagt: „zu eurer Stärkung“ deutet er darauf hin. Weil aber auch das noch schwer erträglich war, mildert er es durch einen Zusatz. Damit sie nämlich nicht sagen könnten: Was? schwanken wir denn, lassen wir uns denn hin und her treiben und bedürfen wir denn deines Zuspruches, um fest zu stehen? nimmt er einen solchen Einwand vorweg, indem er sagt:

V. 12: „Das ist, um in eurer Mitte uns mitsammen zu ermuntern durch unsern wechselseitigen Glauben, den euren und den meinen.“

Wie wenn er sagen wollte: Argwöhnt nicht, als sagte ich das, um gegen euch eine Anklage zu erheben. Nicht so war jenes Wort gemeint; sondern was wollte ich sagen? Ihr habt viele Drangsale auszustehen gehabt von euren Verfolgern; es verlangte mich darum, euch zu sehen, um euch zu trösten, vielmehr nicht bloß um euch zu trösten, sondern um auch selbst Trost zu schöpfen.

4.

Sieh da die Weisheit des Lehrers! Er sagt: Zu eurer Stärkung; er weiß, daß dieses Wort von den Schülern hart und lästig empfunden wird und sagt: „um euch zu ermuntern“. Aber auch das klingt noch etwas hart, wenn auch nicht so hart wie das frühere. Er schleift darum nochmals die Härte davon ab und mildert den Ausdruck nach jeder Richtung, um ihn annehmbar zu machen. Er sagt nicht einfach: „zu ermuntern“, sondern: „uns zusammen zu ermuntern“; aber auch damit begnügt er sich noch nicht, sondern er macht noch einen andern mildernden Zusatz, indem er sagt: „durch unsern wechselseitigen Glauben, den euren und den meinen“. O, welche Demut! Er tut so, als ob er selbst ihrer bedürfe und nicht nur sie seiner; er erhebt die Schüler in den Rang von Lehrern und beansprucht für sich gar keinen Vorrang, sondern stellt sich auf den Standpunkt völliger Gleichheit. Der Gewinn liegt auf beiden Seiten, sagt er; ich bedarf der Ermunterung durch euch und ihr durch mich. Und wie soll sie uns werden? „Durch unsern wechselseitigen Glauben, den euren und den meinen.“ Es ist wie mit dem Feuer: Wenn jemand viele Lampen zusammen anzündet, bringt er eine starke Beleuchtung hervor; so geht es gewöhnlich auch bei den Gläubigen. Wenn wir jeder für sich und voneinander getrennt sind, so sind wir etwas kleinmütig; wenn wir uns aber mit Gleichgesinnten vereint sehen, so schöpfen wir daraus große Ermunterung, Du darfst nämlich nicht die jetzige Zeit zum Vergleich heranziehen, wo mit Gottes Gnade in Stadt und Land, ja selbst in der Einöde, sich zahlreiche Gemeinden von Gläubigen finden, und wo der Unglaube selten geworden ist, sondern du mußt an die damalige Zeit denken, wo es ein Glück war, wenn ein Lehrer seine Schüler zu sehen bekam oder wenn Brüder aus der einen Stadt solche aus einer andern zu sich kommen sahen. Um aber das Gesagte deutlicher zu machen, wollen wir uns eines Beispiels bedienen: Wenn es einmal geschehen sollte, was Gott verhüte, daß wir in das Land der Perser oder der Skythen oder anderer Barbaren abgeführt würden und in den dortigen Städten zu zweit oder dritt zerstreut lebten, und wir würden auf einmal jemanden von hier kommen sehen, stelle dir vor, was das für uns für ein Trost wäre! Seht ist nicht, wie Eingekerkerte vor Freude aufspringen wenn sie einen ihrer Bekannten sehen? Wundere dich nicht, wenn ich jene Zeiten mit Kriegsgefangenschaft und Kerkerhaft vergleiche. Denn noch viel schwereres Ungemach erlitten jene: Zerstreut und verbannt, in Hungersnot und Krieg, in täglicher Todesfurcht, nicht sicher vor ihren eigenen Freunden, Hausgenossen und Verwandten, lebten sie auf der ganzen Erde wie in einem fremden Lande und hatten es viel schlechter als die, welche in der Fremde leben müssen. Darum sagt der Apostel: „Zu eurer Stärkung und um uns mitsammen zu ermuntern durch unsern wechselseitigen Glauben.“ Das sagte er, nicht als ob er ihre Hilfe nötig hätte; das sei ferne! Denn wie sollte diese Säule der Kirche, stärker als Eisen und Stein, dieser geistige Diamant, der für unzählige Städte ausreichte, Hilfe nötig haben? Nein, sondern nur, damit sein Wort nicht lästig empfunden werde und seine Zurechtweisung nicht zu scharf ausfalle, sagte er, daß er ihrer Ermunterung bedürfe. Wenn übrigens jemand die Stelle so erklären wollte, daß Paulus den Trost und die Freude über das Wachstum des Glaubens meine, so dürfte diese Deutung auch nicht unrichtig sein. Wenn du nun, hätten sie sagen können, das Verlangen, den Wunsch und die Absicht hast, Ermunterung zu empfangen und Ermunterung zu spenden, was hält dich dann ab, zu kommen? Um diesem Einwurf zu begegnen, fährt er fort:

V. 13: * „Ich will aber nicht, daß euch unbekannt bleibe, meine Brüder, daß ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, bis jetzt jedoch ward ich verhindert.“ *

Sieh da, ein hohes Maß von Knechtsgehorsam und einen Beweis großer Dankbarkeit! Daß er verhindert wurde, sagt er; warum, sagt er aber nicht. Er untersucht nicht das Gebot des Herrn, sondern folgt ihm nur, obgleich es nahe lag, sich Gedanken darüber zu machen, warum wohl Gott einer so glänzenden und großen Stadt, auf welche der ganze Erdkreis seine Blicke richtete, so lange den Genuß vorenthielt, einen so großen Lehrer zu hören. Denn wer es über die Hauptstadt gewinnt, dem fallen die unter ihr stehenden Städte leicht zu; wer dagegen an der Residenzstadt vorbeigeht und sich auf die untergeordneten Städte wirft, der läßt die Hauptsache außer acht. Aber Paulus zerbricht sich darüber nicht den Kopf, sondern unterwirft sich dem Ratschlüsse der Vorsehung. Er bekundet dadurch seine eigene seelische Zucht und lehrt uns alle, niemals von Gott Rechenschaft zu fordern über das, was geschieht, wenn auch seine Fügungen vielen unbegreiflich vorkommen. Sache des Herrn allein ist es, anzubefehlen, Sache der Knechte, zu gehorchen. Darum sagt er zwar, daß er folgt, nicht aber, warum. Auch ich weiß es nicht, will er sagen. Frag’ mich darum nicht nach dem Willen und der Absicht Gottes. Spricht ja auch nicht das Werk zum Meister: „Warum hast du mich so gemacht?“ 48 Warum, sage mir, willst du das ergründen? Weißt du nicht, daß er Sorge trägt um alles, daß er weise ist, daß er nicht grundlos handelt und blindlings? Daß er dich mehr liebt als deine Eltern, daß er an Fürsorglichkeit einen Vater übertrifft und an Zärtlichkeit eine Mutter? Frage also nicht mehr, dringe nicht weiter ein; laß dir das zum Trost genügen; auch die Sache der Römer war damals weise geführt. Ist dir das Wie unbekannt, so laß dich das nicht verdrießen. Das ist ja dem Glauben eigen, das Wie nicht zu kennen und doch das Daß der Vorsehung gelten zu lassen.

5.

Paulus hat also richtig erreicht, was ihm am Herzen lag. Und das war? Zu beweisen, daß er nicht aus Mißachtung gegen die Römer nicht zu ihnen gekommen war, sondern daß er trotz seines heftigen Verlangens darnach daran gehindert war. Nachdem er sich von dem Vorwurf der Trägheit rein gewaschen und sie überzeugt hat, daß sein Verlangen, sie zu sehen, nicht geringer war als das ihrige, führt er ihnen wieder einen andern Beweis seiner Liebe an. Wenn auch gehindert, sagt er, stand ich doch nicht davon ab, den Versuch zu erneuern; aber so oft ich es versuchte, immer ward ich wieder gehindert. Ich habe aber den Versuch nie aufgegeben; so habe ich mich zwar dem Willen Gottes nicht widersetzt, aber auch die Liebe zu euch immer bewahrt. Denn daß er es sich vornahm, (zu ihnen zu kommen,) und nicht davon abließ, war ein Beweis seiner Zuneigung zu ihnen; daß er aber, als immer ein Hindernis eintrat, sich nicht widersetzte, war ein schöner Beweis seiner Liebe zu Gott.

„Um auch bei euch einige Frucht zu gewinnen.“

— Obzwar er schon oben die Ursache seines Verlangens ausgesprochen und ihre Berechtigung gezeigt hat, so führt er sie doch hier nochmals an, um einer falschen Meinung bei ihnen kräftig entgegen zu wirken. Rom war nämlich eine berühmte Stadt, die nicht ihresgleichen hatte auf der ganzen Welt. Für viele war darum einzig das Verlangen, sie zu sehen, der Beweggrund ihrer Reise dahin. Damit nun die Römer nicht denselben Beweggrund bei Paulus vermuteten oder damit sie nicht argwöhnten, er wolle nur deshalb zu ihnen kommen, um sich seiner Bekanntschaft mit ihnen rühmen zu können, führt er zu wiederholten Malen die Ursache seines Verlangens an. Früher hatte er gesagt: „Damit ich euch etwas geistige Gabe mitteile, sehnte ich mich, euch zu sehen.“ Hier wird er noch deutlicher: „Um einige Frucht auch bei euch zu gewinnen wie auch bei den übrigen Völkern.“ Sie, das Herrschervolk, nennt er in demselben Atem mit den von ihnen beherrschten Völkern. Trotz ihrer unzähligen Trophäen und Siege, trotz ihrer glanzvollen Konsuln setzt er sie auf die gleiche Stufe mit den Barbaren. Und das mit vollem Recht; denn da, wo der Adel des Glaubens gilt, gibt es keinen Unterschied zwischen Barbaren und Hellenen, zwischen Fremdlingen und Bürgern, sondern alle stehen an Würde auf gleich hoher Stufe. Beachte, wie der Apostel auch hier einen bescheidenen Ausdruck wählt! Er sagt nicht: Um zu lehren und in der Religion zu unterweisen, sondern was? „Um einige Frucht zu gewinnen“; und nicht einfach „Frucht“, sondern „einige Frucht“; wieder drückt er herab, was durch ihn geschieht, wie er oben gesagt hat: „Um etwas mitzuteilen.“ Dann demütigt er auch sie einigermaßen, wie oben gesagt, indem er hinzusetzt: „Wie auch bei den übrigen Völkern.“ Nicht weil ihr reich seid und mehr besitzt als die andern, trage ich weniger Sorge um die übrigen; denn nicht Reiche suchen wir, sondern Gläubige. Wo sind nun die Weisen der Griechen mit ihren langen Bärten, ihren Philosophenmänteln und ihrer Einbildung? Griechenland und die ganze Barbarenwelt hat der Zeltmacher umgewandelt. Dagegen hat der von ihnen so hoch gerühmte und gefeierte Plato, der dreimal die Reise nach Sizilien machte, mit all seinem Wortgepränge und seinem glänzenden Rufe es nicht über einen einzigen Fürsten vermocht, sondern mußte kläglich abziehen, nachdem er sogar (vorübergehend) die Freiheit eingebüßt hatte. Dieser Zeltmacher aber hat nicht bloß Sizilien und nicht bloß Italien, sondern den ganzen Erdkreis durchmessen. Bei seinem Predigen ließ er nicht ab von seinem Handwerk, sondern nähte auch da Felle zusammen und stand einer Werkstätte vor. Und daran stießen sich auch die Vornehmen nicht, wie billig; denn nicht Handwerk und ehrliche Arbeit macht einen Lehrer verächtlich, sondern Trug und Irrlehre. Darum verlachten jene Philosophen schon die Athener, auf diesen dagegen horchen auch die Barbaren, ungebildete und gemeine Leute. Denn das Evangelium ist Gemeingut aller; es kennt weder Standesunterschied noch nationalen Vorrang noch sonst etwas dergleichen. Nur Glauben gehört dazu, nicht philosophisches Wissen. Darum verdient es auch die höchste Bewunderung, nicht bloß weil es Segen und Heil bringt, sondern auch weil es bequem und leicht zugänglich und für alle leicht faßlich ist. Das ist ja überhaupt der Vorsehung Gottes eigen, daß sie ihre Schöpfungen allen als Gemeingut darbietet. So macht sie es mit der Sonne, dem Monde, der Erde, dem Meere und allen andern Geschöpfen. Sie teilt von ihren Segnungen nicht den Reichen und den Weisen mehr mit und den Armen weniger, sondern bietet allen den gleichen Genuß davon dar. Gerade so machte sie es mit dem Evangelium, und das um so mehr, weil es noch notwendiger ist als jene andern natürlichen Gaben. Darum sagt auch Paulus öfter: „Allen Völkern“. Hierauf will er ihnen zeigen, daß nicht er ihnen eine Gnade erweise, sondern daß er einen Auftrag des Herrn erfülle. Er weist sie daher zur Dankbarkeit gegen Gott, den Geber von allem, an, indem er spricht:

V. 14: * „Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Ungebildeten bin ich verpflichtet.“ *

Das sagte er auch im Briefe an die Korinther. Er sagt es, um damit alles Gott zuzuschreiben.

V. 15: * „So bin ich, was an mir liegt, bereit, auch euch, die ihr zu Rom seid, das Evangelium zu verkünden.“ *

6.

O hochherzige Seele! Ein Werk voller Gefahren nimmt er auf sich, eine Seereise, Widerwärtigkeiten, Nachstellungen, Empörungen. Denn wenn er einer so großen Stadt predigen wollte, die von der Gottlosigkeit ganz beherrscht war, mußte er sich wohl auf einen Hagel von Widerwärtigkeiten gefaßt machen, wie er denn auch in dieser Stadt sein Leben ließ, enthauptet auf Befehl des damaligen Herrschers. Wiewohl er nun so Schweres für sich voraussah, lähmte ihn das doch nicht, sondern er fühlte sich eher angespornt, sehnte sich mit Schmerzen darnach und war bereit dazu. Darum sagt er: „So bin ich, was an mir liegt, bereit, auch euch, die ihr zu Rom seid, das Evangelium zu verkünden.“

V. 16: „Denn ich schäme mich nicht des Evangeliums.“

Was sagst du, Paulus? Du solltest sagen: Ich rühme mich, ich schätze mich glücklich, ich bin stolz darauf; das sagst du nicht, sondern, was minder ist, daß du dich nicht schämst, ein Ausdruck, dessen wir uns von erhabenen Dingen nicht zu bedienen pflegen. Was will er also damit gesagt haben und warum wählt er diesen Ausdruck, obzwar er doch sonst in Freudentönen vom Evangelium spricht, höher als vom Himmel? Im Briefe an die Galater sagt er ja: „Ferne sei es von mir, mich zu rühmen, außer im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus.“ 49 Warum sagt er also hier nicht: „Ich rühme mich“, sondern: „Ich schäme mich nicht“? Die Römer waren stark eingenommen für irdische Größe; sie waren stolz auf ihren Reichtum, ihre Weltherrschaft, ihre Siege und ihre Kaiser. Diese letzteren setzten sie den Göttern gleich und legten ihnen auch die Namen von solchen bei; sie erwiesen ihnen auch göttliche Ehren, indem sie ihnen Tempel und Altäre errichteten und Opfer darbrachten. Diesen von Stolz so aufgeblasenen Leuten sollte Paulus Jesus verkündigen, den vermeintlichen Sohn eines Zimmermanns, aufgezogen im Judenlande im Hause eines armen Weibes, einen Mann ohne Trabanten, ohne Schätze, der sogar als Verurteilter zwischen Räubern gestorben war und viel sonstige Schmach gelitten hatte. Es war anzunehmen, daß sie sich von Scham würden übermannen lassen, da sie noch nichts wußten von den sonstigen erhabenen Geheimnissen des Christentums. Darum sagt er: „Ich schäme mich nicht“, und will damit jene lehren, sich zunächst nur nicht zu schämen. Er wußte wohl, daß sie bald, wenn sie nur einmal auf den rechten Weg gebracht wären, dazu kommen würden, sich sogar zu rühmen. — Auch du schäme dich nicht, wenn du jemanden sagen hörst: Den Gekreuzigten betest du an? Schlage nicht die Augen nieder, sondern rühme dich freudig und lege das Bekenntnis ab mit freiem Blick und offener Stirn. Er, wenn er wieder fragt: Den Gekreuzigten betest du an? so antworte ihm: Ja, aber doch keinen Ehebrecher, doch keinen Vatermörder, doch keinen Kindesmörder — denn das sind ihre Götter alle —, sondern den, der durch das Kreuz die Dämonen verstummen und ihre tausenderlei Blendwerke zunichte gemacht hat. Das Kreuz, um unseretwillen getragen, ist ja ein Werk der unaussprechlichen Liebe Gottes zu uns Menschen, ein Zeichen seiner überschwenglichen Erbarmung. Zu denen, die mit ihrer Wortkunst prahlen und mit ihrer Weltweisheit groß tun, spricht Paulus: Ich habe es längst aufgegeben, Schlüsse zu künsteln, ich predige fortan das Kreuz und schäme mich dessen nicht. Denn.

„eine Kraft Gottes ist es zum Heile.“

— Es gibt nämlich auch eine Kraft Gottes zur Strafe; diese ist gemeint, wenn es von der Bestrafung der Ägypter heißt: „Das ist meine gewaltige Kraft.“ Auch eine Kraft Gottes zum Verderben gibt es; von dieser heißt es: „Fürchtet den, der Leib und Seele ins Verderben stürzen kann“ 50. Darum sagt er: Nicht dergleichen bringe ich, nichts von Strafe und nichts von Rache, sondern nur Heil. Doch was? Kündigt denn das Evangelium nicht auch solche Dinge an? Ist nicht darin auch die Rede von der „Hölle“ 51, der „äußersten Finsternis“ 52, dem „giftigen Wurm“? 53) Denn nirgend anderswoher als aus dem Evangelium haben wir Kenntnis davon. Wie kann er also sagen, er sei eine Kraft Gottes zum Heile? Doch höre, was folgt:

„Für einen jeden, der daran glaubt, für den Juden zuerst und dann für den Griechen.“

— Also nicht für alle einfachhin, sondern für alle, die es einnehmen. Du magst deshalb ein Heide gewesen sein, voll jeglicher Bosheit, du magst ein Skythe, ein Barbar, ja du magst wie ein wildes Tier gewesen sein, so ganz ohne Vernunft und voller Laster, hast du einmal das Wort vom Kreuze angenommen und bist du getauft worden, so hast du das alles ausgelöscht. — Warum heißt es hier aber: „Für den Juden zuerst und dann für den Griechen“? Was soll diese Unterscheidung? Sonst hat er ja öfter gesagt, daß weder Vorhaut noch Beschneidung etwas gilt. Warum macht er hier einen Unterschied und setzt den Juden vor den Griechen? Was soll das heißen? Jedenfalls nicht, daß der Jude, weil er voran steht, mehr Gnade empfängt; denn diese wird dem einen wie dem andern in gleichem Maße zuteil. Das „Zuerst“ besagt nur einen Vorzug in der Aufeinanderfolge. Nicht ein größeres Maß von Gerechtigkeit empfängt der, von dem es heißt, daß er „zuerst“ empfängt, sondern seine Auszeichnung besteht darin, daß er als erster der Reihenfolge nach empfängt. So ist es ja auch bei den „zu Erleuchtenden“ 54 — ihr Eingeweihten wißt, was das heißt —; sie eilen alle der Taufe zu, aber nicht alle kommen in derselben Stunde daran, sondern der eine als erster, der andere als zweiter. Der als erster daran kommt, empfängt nicht mehr als der zweite, und dieser nicht mehr als der, welcher nach ihm kommt, sondern alle genießen dasselbe. Das „Zuerst“ besagt also hier nur ein Voraussein im Genanntwerden, nicht aber ein Mehr an Gnade!

Nachdem er gesagt hat: „zum Heile“, hebt er den Wert des Geschenkes noch mehr hervor, indem er zeigt, daß es sich nicht bloß auf die Gegenwart beziehe, sondern es noch weiter reiche. Dies drückt er aus, indem er sagt:

V. 17: „Denn Gerechtigkeit Gottes offenbart sich darin aus dem Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: Der Gerechte wird leben aus dem Glauben.“

Wer gerechtfertigt ist, wird nämlich nicht bloß im Diesseits leben, sondern auch im Jenseits. Doch nicht allein das, sondern noch etwas anderes deutet er damit an, nämlich den Glanz und die Herrlichkeit eines solchen Lebens. Es gibt auch ein Heilbleiben, das mit Schande verbunden ist, so z. B. bleiben manche heil, weil ihnen durch die Gnade des Königs ihre Strafe nachgesehen wird. Damit nun niemand so etwas vermute, wenn er von Heil hört, fügt der Apostel hinzu: „Gerechtigkeit“, und zwar nicht deine Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit Gottes; er deutet zugleich damit an, daß diese reich bemessen und leicht erteilt werde. Du brauchst sie nicht durch Schweiß und Anstrengung zu erwerben, sondern als Geschenk von oben wird sie dir zuteil, wenn du nur eines mitbringst: den Glauben. Weil aber eine solche Lehre kaum glaublich erscheint, nämlich daß auch der Ehebrecher und Wollüstige, der Grabschänder und Zauberer mit einem Male nicht bloß seiner Strafe ledig, sondern auch ein Gerechter wird, und zwar ein Gerechter im höchsten Sinne des Wortes, so bekräftigt er seine Lehre mit einem Hinweis auf den Alten Bund. Durch eine kurze Andeutung breitet er vor dem geistigen Auge dessen, der zu schauen vermag 55, ein unermeßliches Meer von Beispielen aus. Nachdem er nämlich gesagt hat: „Aus dem Glauben zum Glauben“, verweist er die Zuhörer zurück auf jene Beispiele von Menschen im Alten Testamente, die Gott zum Heile geführt hat, wie im Hebräerbriefe mit großer Weisheit ausgeführt ist, und zeigt, daß auch damals Gerechte und Sünder ohne Unterschied gerechtfertigt worden seien. Dort hat der Apostel Rahab und Abraham nebeneinander genannt. Hier begnügt er sich aber mit einem kurzen Verweis darauf, um raschen Schrittes zu einem andern Thema überzugehen. Wieder bekräftigt er seine Rede durch das Zeugnis der Propheten. Er führt Habakuk an, der uns zuruft, wer da leben wolle, könne dies nicht anders als durch den Glauben. Denn „der Gerechte“, sagt er, „wird leben aus dem Glauben“; er meint das zukünftige Leben im Jenseits. Da die Gnadengeschenke Gottes alle unsere Begriffe übersteigen, bedürfen wir freilich dazu des Glaubens 56. Aber der stolze und eingebildete Mensch, der Dünkelhafte wird niemals dazu gelangen. Die Ketzer sollen nur auf die Stimme des Geistes hören. Das Um und Auf ihrer kunstgerechten Schlüsse ist das: Sie gleichen Irrgängen und Rätseln, sie haben nirgends einen Ausgang, sie bieten dem Denken keinen festen Untergrund und haben ihren Ursprung im Dünkel. Den Glauben mögen solche Weltweise nicht annehmen, damit sie sich nicht den Anschein geben, als hätten sie kein Wissen von himmlischen Dingen, und dabei verlieren sie sich in tausenderlei Vernünfteleien. Du Armer, Unglücklicher und tausendmal Beweinenswerter! Wenn dich jemand fragt, wie Himmel und Erde geworden sind — doch was sag’ ich Himmel und Erde —, wie du selbst geworden bist, wie du aufgewachsen und groß geworden bist, da schämst du dich nicht, nichts darüber zu wissen? Wenn aber vom Eingeborenen die Rede ist, stürzest du dich in den Abgrund des Verderbens, bloß deswegen, weil es deiner unwürdig zu sein scheint, nicht alles über ihn zu wissen. Unwürdig ist vielmehr deine Disputiersucht, deine unangebrachte Wißbegierde. Doch was spreche ich von übersinnlichen Lehren? Auch von den Übeln des irdischen Lebens werden wir nicht anders befreit als durch den Glauben. Dadurch leuchteten alle jene Männer der Vorzeit hervor, ein Abraham, ein Isaak, ein Jakob. Dadurch ist auch die Hure gerettet worden, die im Alten und die im Neuen Testamente. „Durch den Glauben“, heißt es, „ging Rahab, die Hure, nicht zugrunde zugleich mit den Ungläubigen, da sie die Kundschafter aufgenommen hatte“ 57. Sie sprach nicht etwa bei sich selbst: Wie können diese der Gefangenschaft eben Entronnenen, diese herumziehenden Nomaden uns besiegen, die wir im Besitz einer Stadt mit Mauern und Türmen sind? Hätte sie so bei sich gesprochen, so hätte sie sich selbst und jene andern ins Verderben gestürzt, ein Schicksal, welches die Voreltern derer erlitten hatten, die damals durch sie gerettet wurden. Denn jene hatten, als sie riesenhaft große Männer erblickten, ungläubig gefragt, wie es möglich sein werde, diese zu besiegen, und sie kamen dafür um ohne Krieg und ohne Schlacht. Siehst du daraus, was für ein Abgrund der Unglaube und was für eine Schutzwehr der Glaube ist? Jener hat Hunderttausende ins Verderben gestürzt, dieser hat ein Hurenweib nicht bloß selbst gerettet, sondern auch zur Retterin eines großen Volkes gemacht.

Da wir nun dieses und noch mehr als dieses wissen, so laßt uns niemals von Gott Rechenschaft verlangen für das, was er geschehen läßt, sondern annehmen, was immer er anordnet. Laßt uns auch dann nicht herumklügeln und viel hin und her überlegen, wenn sein Befehl dem menschlichen Denken nicht am Platz zu sein scheint. Was scheint weniger am Platz zu sein, als daß ein Vater seinen einzigen rechtbürtigen Sohn schlachten soll? Und doch klügelte der Gerechte, dem dies befohlen wurde, nicht an dem Befehl herum, sondern nahm ihn an im Vertrauen auf die hohe Würde dessen, der ihn gegeben hatte, und gehorchte ihm. Ein andermal ward einem von Gott befohlen, einen Propheten zu schlagen. Weil es ihm vorkam, als sei so etwas nicht am Platze, klügelte er daran herum, anstatt einfach zu gehorchen, und erlitt dafür die schwerste Strafe 58, der andere aber, der ihn schlug, machte sich Gott gefällig. Und Saul, der dem Willen Gottes entgegen Menschen das Leben rettete, kam um den Thron und erlitt unerträgliches Leid. So ließen sich noch mehr Beispiele auffinden, die alle die Lehre enthalten, daß man bei den Anordnungen Gottes nicht nach dem Grund fragen dürfe, sondern sich ihnen einzig und allein fügen und gehorchen müsse. Wenn es aber schon gefährlich ist, an Befehlen Gottes herumzuklügeln, und es denen, die sie hin- und herüberlegen, die schwerste Strafe zuzieht, was werden die für eine Entschuldigung haben, welche sich über viel geheimnisvollere und mit heiliger Scheu zu behandelnde Dinge den Kopf zerbrechen, z. B. wie Gott Vater den Sohn gezeugt habe, auf welche Weise, was seine Wesenheit sei?

Mit diesem Wissen bereichert, laßt uns denn den Glauben, diese Wurzel alles Guten, bereitwillig annehmen, damit wir wie in einem windstillen Hafen dahinsegeln, uns die richtigen Glaubenslehren bewahren, den Lauf unseres Lebens dahin richten, wo uns keine Gefahr droht, sondern ewige Güter erwarten durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater sei Ruhm, Herrschaft, Ehre und Anbetung zugleich mit dem Hl. Geiste von Ewigkeit zu Ewigkeit Amen.

Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer

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