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Erste Homilie.

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I.

Paulus, Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, an die Kirche Gottes in Korinth und an die Heiligen alle in ganz Achaja. Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes, der uns tröstet in all unserer Drangsal: auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängnis sind, durch die Ermunterung, mit welcher wir selbst aufgerichtet werden von Gott.

Zuerst ziemt sich die Frage nach den Gründen, aus welchen der Apostel einen zweiten Brief an die Korinther zu dem ersten fügt, und was ihn bewegt, den Ausgang zu nehmen von den Erbarmungen Gottes und dem Troste. Was ist also die Veranlassung des zweiten Schreibens? Im ersten Briefe hatte Paulus angekündigt: “Ich werde zu euch kommen und kennen lernen nicht das Wort der Aufgeblasenen, sondern die Kraft.” Und am Ende des Schreibens hatte er das Versprechen wiederholt mit den milderen Worten: “Ich werde zu euch kommen, wenn ich Macedonien durchwandert habe; denn über Macedonien will ich gehen; bei euch aber werde ich vielleicht verweilen oder sogar den Winter zubringen.” Inzwischen war nun eine lange Zeit vergangen, ohne daß der Apostel gekommen war; ja trotz des Umflusses der bestimmten zeit ließ er noch immer auf sich warten; denn der göttliche Geist hielt ihn bei andern Arbeiten zurück, die noch weit dringender waren. Daher die Notwendigkeit eines zweiten Schreibens, dessen es bei nur geringer Verspätung nicht bedurft hätte. Doch ist das nicht der einzige Grund. Der erste Brief hatte bessernd auf die Korinther gewirkt. Sie hatten nämlich jenen Unzüchtigen, der vorher in Zunft und Ehre bei ihnen stand, aus Verkehr und Gemeinskchaft gänzlich ausgeschlossen. Das sagen uns die Worte: “Wenn jemand betrübt hat, so hat er nicht mich (allein) betrübt, sondern einigermaßen, damit ich (ihn) nicht beschwere, euch alle. Genug ist für den Mann diese Strafe, die von der Mehrheit ist auferlegt.” Und im Verlauf des Schreibens kommt er nochmals auf diesen Gegenstand zurück. “Denn siehe,” sagt er, “gerade Dieses, daß ihr gottgemäß betrübt wurdet, welche Regsamkeit hat es in euch bewirkt, welche Entschuldigung, welchen Unwillen, ja Furcht und Sehnsucht, ja Eifer und Strafnahme! In Allem habt ihr euch ausgewiesen, daß ihr rein seid in dieser Sache.” Auch waren sie an die anbefohlene Sammlung milder Gaben mit großem Eifer gegangen. Das heben rühmend die Worte hervor: “Ich kenne eure Bereitwilligkeit, wegen deren ich mich eurer rühme bei den Macedoniern, daß nemlich Achaja mit den Gaben schon in Bereitschaft ist seit dem vorigen Jahre.” Endlich hatte Titus, vom Apostel gesendet, in Korinth die herzlichste Aufnahme gefunden. Das anerkennt der Apostel, wenn er sagt: “Sein Innerstes ist euch jetzt noch mehr zugethan, da er sich vergegenwärtigt die Willfähigkeit von euch allen, wie mit Furcht und Zittern ihr ihn habt aufgenommen.”


II.

So war denn Timotheus wieder zu seinem Lehrer gekommen und hatte in Gemeinschaft mit ihm die Angelegenheiten in Asien geordnet: denn „ich werde in Ephesus bleiben bis Pfingsten“1 hatte Paulus geschrieben. Dann waren sie mit einander nach Macedonien gegangen, und so finden wir jetzt diese Zusammenstellung leicht begreiflich. Denn dieser zweite Brief ist aus Macedonien, während der erste aus Asien kam. Diese Gleichstellung ist eine hohe Ehre für den Jünger und zeigt die tiefe Demuth des Meisters. Wohl war zwischen Beiden ein großer Abstand, aber die Liebe verbindet Alles. Und so stellt er überall den Timotheus als sich ebenbürtig dar. Bald sagt er: „Wie dem Vater das Kind, so hat er mit mir gedient,“2 und bald: „Das Werk des Herrn wirkt er wie auch ich.“3 Hier nennt er ihn auch „Bruder“, um ihn auf alle Weise den Korinthern ehrwürdig zu machen. Denn derselbe war bereits, wie bemerkt, in Korinth gewesen und hatte Proben seiner Tüchtigkeit gegeben. — „An die Kirche Gottes in Korinth.“ Wiederum (wie im ersten Briefe) nennt er sie Kirche, gläubige Gemeinde, denn er will Alle zusammenschließen und zur Einheit verbinden. Denn wo Spaltung und Zwietracht unter den Gliedern herrscht, da kann nicht von einer Gemeinde die Rede sein. — „Sammt den Heiligen allen in ganz Achaja.“ Damit ehrt er zugleich die Korinther, indem er im Briefe an sie Alle grüßt, und umschließt das ganze Volk mit einem gemeinsamen Bande. „Heilige“ nennt er sie zum Zeichen, daß, wer etwa unrein ist, keinen Theil hat an diesem Gruße. Was mag ihn aber veranlassen, gegen die sonst übliche Weise den Brief an die Mutterkirche für Alle in Achaja gelten zu lassen? Es gilt ja der Brief an die Thessaloniker nicht auch für Macedonien, das Schreiben an die Ephesier schließt nicht das gesammte Asien ein, der Brief an die Römer ist nicht auch an die Bewohner Italiens gerichtet. Nur hier finden wir diese allgemeine Geltung und im Briefe an die Galater; denn auch der wendet sich nicht an die eine oder andere Stadt, sondern an die Gläubigen alle in jenem Lande. So lautet nämlich der Eingang: „Paulus, Apostel nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, und die bei mir sind alle die Brüder, an die Kirchen Galatiens. Gnade euch und Friede!“4 Und auch an die Hebräer in ihrer Gesammtheit richtete er einen Brief, ohne sie nach Städten zu unterscheiden. Warum nun bei diesen eine Ausnahme? Ich glaube, der Grund liegt in der Allgemeinheit der Gebrechen; der Brief gilt darum für Alle, weil Alle der Belehrung bedurften. So zeigten sich bei allen Galatern die gleichen Schäden, so bei allen Hebräern, so wohl auch bei den Bewohnern Achajas. Darum wendet sich der Apostel an das ganze Volk und begrüßt sie alle mit dem üblichen Segenswunsche: „Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus!“ Und jetzt höre, wie prächtig zu dem Gegenstande, den er behandeln will, der Eingang paßt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes.“ Aber wie, sagst du, soll denn Das gar so gut passen? Ganz vortrefflich, sage ich. Erwäge nur! Es betrübte und beunruhigte die Korinther in hohem Grade das lange Fernbleiben des Apostels. Er hatte ja versprochen, zu kommen, und jetzt hatte er die ganze Zeit in Macedonien hingebracht. Andere, mußten sie glauben, gelten mehr als wir. Um nun dieser Unruhe zu begegnen, will er den Grund angeben, warum er nicht kommen konnte. Doch legt er den Grund nicht einfach dar, er sagt nicht etwa: Ich weiß, daß ich versprochen habe, zu kommen, aber schwere Drangsale haben mich gehindert; so seid denn nachsichtig und zeihet mich nicht eines stolzen oder wandelbaren Sinnes! Die Weise, wie er es angeht, hat etwas mehr Feierliches und Überzeugendes. Denn der Hinweis auf den göttlichen Trost verlegt die Sache auf ein höheres Gebiet und schneidet jede weitere Frage nach der Ursache der Verspätung ab. Der Apostel macht es wie etwa ein Freund, der versprochen hat, zum Freunde zu kommen, und endlich nach einer Unzahl von Gefahren wirklich kommt und also anfängt: Dank sei dir, o Gott, daß ich das liebe Antlitz noch einmal schaue; gepriesen seist du, Gott, der aus solchen Gefahren mir herausgeholfen! Eine solche Lobpreisung wird zur Rechtfertigung und verschließt jedem Tadel über das lange Säumen den Mund. Denn schämen müßte sich ja der Freund, mit dem Freunde, der für die Rettung aus so großen Übeln Gott dankt, zu rechten und Antwort für das späte Kommen zu verlangen. Darum beginnt auch Paulus also: „Gepriesen sei der Gott der Erbarmungen,“ um mit diesen Worten die schweren Gefahren anzudeuten, in die er hineingerathen, und aus denen Gott ihm herausgeholfen. So wählt auch David für den Herrn nach der Verschiedenheit der Gnadenerweisungen verschiedene Benennungen. Spricht er von Kampf und Sieg, so sagt er: „Herzlich lieb’ ich dich, du meine Stärke; der Herr ist mein Schirmer.“5 Redet er von der Befreiung aus Drangsal und aus dem Dunkel, das ihn umfangen, so heißt es: „Der Herr ist mein Licht und mein Retter.“6 Und so wählt er die Bezeichnung bald von der Güte und Milde Gottes, bald von der Heiligkeit, bald von der unbestechlichen Gerechtigkeit, entsprechend der Lage, in der er eben betet. So nimmt denn auch Paulus hier die Benennung von der erbarmenden Güte. „Der Gott der Erbarmungen“ sagt er, der Gott, welcher gegen uns solches Erbarmen erwiesen, daß er hart von den Schwellen des Todes weg uns heraufgeführt hat zu neuem Leben.


III.

Solches Erbarmen ist eine ganz besondere und ausnehmende Eigenschaft Gottes, mit seinem Wesen unzertrennlich verbunden. Darum nennt er ihn: „Gott der Erbarmungen.“ Und wie groß steht wieder vor uns die Demuth des Apostels! Denn obschon seine Gefahren im Dienste des Evangeliums waren, so schreibt er doch die Rettung nicht der eigenen Würdigkeit zu, sondern den Erbarmungen Gottes. Doch darüber ausführlicher in der Folge. Für jetzt fährt er fort: „der uns tröstet in all unserer Drangsal.“ Es heißt nicht: der uns vor Bedrängniß bewahrt, sondern: „der in der Drangsal uns tröstet.“ Auf diese Weise offenbart sich die göttliche Macht und mehrt sich in den Bedrängten die Geduld. Denn „die Bedrängniß wirkt Geduld“.7 So sagt auch der Prophet: „In der Drangsal hast du Weite mir gemacht.“8 Er sagt nicht: Du hast mich nicht in Drangsal gerathen lassen; nicht: Du hast die Drangsal schnell vorübergehen lassen; sondern: Während der Dauer der Drangsal hast du Weite mir gemacht, das heißt weiten Raum mir bereitet und große Erquickung. So sehen wir es auch bei den drei Jünglingen. Gott ließ es zu, daß sie in den Feuerofen sanken; es loderten die Flammen; aber mitten in den Gluten hat er kühle Stätte ihnen bereitet.

So pflegt Gott immer zu verfahren. Das meint Paulus, wenn er sagt: „Der uns tröstet in jeglicher Drangsal.“ Aber noch etwas Anderes will er mit diesen Worten zeigen. Und was ist Dieses? Daß nämlich Gott nicht das eine oder andere Mal, sondern immerfort tröstet. Denn nicht gewährt Gott bald Trost und läßt er bald (ohne Trost) gehen, sondern immer und ohne Unterbrechung währt der Trost. Darum sagt Paulus: „der uns tröstet,“ nicht: der uns getröstet hat; darum sagt er: „in jeglicher Drangsal,“ nicht: in der einen oder andern. — „Auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängniß sind, durch die Ermunterung, mit welcher wir selbst aufgerichtet werden von Gott.“ Siehst du, wie er seine Rechtfertigung einleitet und dem Hörer den Gedanken an eine große Drangsal nahe legt? Und wie bescheiden weiß er wieder sich auszudrücken! Diese Erbarmung, sagt er, ist uns geworden, nicht weil wir es verdient haben, sondern zum Heil und Segen für Andere. Gott hat uns getröstet, damit wir Andere trösten. Wie groß steht doch das Bild der Apostel vor unseren Augen! Da sehen wir nach Trost und Linderung kein schlaffes Hinsinken wie bei uns, sondern alsbald neues Erheben, um in Anderen Kraft und Muth zu stärken. — Manche erklären diese Stelle auch so: In unserem Troste fühlen sich auch Andere getröstet. — Dieser Eingang hat, wie mir dünkt, auch den Nebenzweck, die falschen Apostel zu treffen mit ihrem nichtigen Rühmen und ihrem gemächlichen, genußsüchtigen Leben. Doch bleibt die eigentliche Absicht die Rechtfertigung wegen der langen Verzögerung. Denn wenn wir, sagt er, aus dem Grunde getröstet werden, um wieder Andere zu trösten, was wollt ihr mein Ausbleiben tadeln? Die ganze Zeit mußte ich ja damit hinbringen, mich der Nachstellungen, der Angriffe, der Schrecken zu erwehren, die auf mich eindrangen.

5. Denn so, wie überreichlich sind die Leiden Christi in uns, so ist auch überreichlich durch Christus unser Trost.

Das starke Hervorheben der widrigen Begegnisse konnte vielleicht entmuthigend auf die Schüler wirken. Darum sucht Paulus ihre Herzen wieder aufzurichten durch den Hinweis auf die Fülle des Trostes und noch mehr durch die Erinnerung an Christus und die Bezeichnung der eigenen Leiden als Christi Leiden. Damit nennt er eine Quelle des Trostes, die in den Leiden selbst ihren Ursprung hat, noch vor der Tröstung durch Gott. Denn was kann süßer, was trostreicher sein als der Gedanke, Christo im Leiden gleichförmig zu werden, um Christi willen alles Schwere zu erdulden? Und noch ein besonderes Wort ist gar geeignet, ein freudiges Bewußtsein in den Bedrängten zu erwecken. Und welches ist dieses? Das Wort „überreichlich“. Denn er sagt nicht: Sowie auf uns eindringen die Leiden Christi, sondern: „Sowie überreichlich sind.“ Unsere Leiden, will er sagen, sind groß gleich den Leiden Christi, ja sie sind größer. Erwäge nur! Bedrängt und verfolgt wurde Christus, Geißlung und Tod hat er gelitten. Wir aber, sagt Paulus, mehr als Dieses: ein Gedanke, der allein schon genugsam trösten könnte. Und dieses Wort möge Niemand vermessen finden! Denn auch an einer anderen Stelle sagt Paulus: „Jetzt freue ich mich in meinen Leiden und mache voll, was noch übrigt an den Bedrängnissen Christi, an meinem Fleische.“9 Aber keine dieser beiden Stellen verräth eine Spur von Überschätzung oder Vermessenheit. Die Apostel haben größere Zeichen gewirkt als Christus, gemäß der Vorhersagung: „Wer an mich glaubt, wird größere Zeichen als diese thun;“10 aber Alles geht zurück auf Christus, der in ihnen wirksam ist. Und so haben sie auch mehr ausgestanden als Christus, aber wieder ist Alles Werk Christi, der ihnen Trost und Kraft verleiht, alle Schrecknisse zu überwinden.


IV.

Doch fühlt Paulus, er habe ein großes Wort ausgesprochen, und einschränkend fügt er bei: „So ist auch durch Christus überreichlich unser Trost.“ Alles führt er auf Christus zurück, von Allem nimmt er Anlaß, die Güte Christi zu preisen. Hoch über dem Maße des Leidens, sagt er, steht das Maß des Trostes. Denn es heißt nicht: Trost und Leiden stehen im Gleichgewicht, sondern: „Überreichlich ist der Trost.“ Was kann es auch Herrlicheres geben, als um Christi willen mit Ruthen gepeitscht zu werden, dagegen mit Gott zu verkehren, gegen alle Feinde Stand zu halten, über alle Dränger zu obsiegen, einer ganzen Welt unbezwinglich zu sein und vom Himmel eine Seligkeit zu erwarten, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, die in keines Menschen Herz gekommen! Was kann wünschenswerther sein, als um der Frömmigkeit willen Verfolgung zu leiden, dagegen von allen Sünden gereinigt, des heiligen Geistes, der Heiligung und Rechtfertigung theilhaftig zu werden, vor Niemand zu fürchten und zu zittern und erhaben über Alle dazustehen mitten in der Gefahr! Lassen wir darum in den Prüfungen den Muth nicht sinken! Denn Keiner hat Antheil an Christus, der das Vergnügen, den Schlaf und die Gemächlichkeit liebt, der ein weichliches, gemüthliches Leben führt. Aber wem Leid und Trübsal das tägliche Brod ist, der steht dem Herrn nahe. Das ist der Weg, den auch Christus gegangen. Denn „der Sohn des Menschen hat nicht, wohin er das Haupt legen soll.“11

Darum laß dir deine Trübsale nicht nahe gehen! Bedenke, wer Der ist, dem du gleichförmig wirst; erwäge, welche Kraft der Reinigung in den Prüfungen liegt und wie groß der Gewinn ist! Eine eigentliche Qual liegt einzig in der Beleidigung Gottes. Ausser der Sünde aber kann Nichts, weder Drangsal und Verfolgung noch irgend ein Mißgeschick die weise Seele betrüben. Wie ein kleiner Funke in ein großes Wasser geworfen augenblicklich erlischt, so verweht auch alsbald selbst die schwerste Trübsal, wenn sie ein reines Gewissen findet. Darum lebte Paulus immer in Freude. Denn bei Gott wußte er sich in Gnade, und die schweren Leiden achtete er kaum. Wenn er auch als Mensch den Schmerz fühlte, so konnte ihm doch kein Leid jemals den Muth beugen. So war auch der Patriarch Abraham immer voll Freude. Und was kam nicht Alles über ihn! Höre nur! Aus seinem Lande mußte er ziehen, lange und beschwerliche Wanderungen bestehen; und angekommen im fremden Lande wußte er nicht, wohin er den Fuß setzen sollte. Dann kam die Hungersnoth und zwang ihn wieder zum Wanderstabe. Dem Hunger folgte die Wegnahme der Gattin und die Furcht vor dem Tode; die Kinderlosigkeit, Krieg, Gefahren und Überfälle, und zuletzt setzte eine Prüfung allen die Krone auf, die Opferung des einzigen, geliebten Sohnes, so voll bitteren, unheilbaren Schmerzes. Wohl hat er willig gehorcht; aber darum darfst du nicht glauben, es sei ihm all Das so leicht geworden. Denn mochte seine Gerechtigkeit noch so groß sein, wie sie es wirklich war, so blieb er doch ein Mensch, und das Gefühl machte seine Rechte geltend. Aber sein Muth blieb stets ungebeugt. Gleich einem edlen Wettkämpfer stand er aufrecht da, und jeder neue Kampf brachte ihm neue Kronen. So sah auch der selige Paulus Tag für Tag Wolken von Drangsalen auf sich eindringen, aber in seiner Seele war Freude und Frohlocken, als genöße er die Wonnen des Paradieses. Ja, wer diese geistige Freude im Herzen trägt, den bewahrt sie vor jedem Kleinmuth; wer sie nicht hat, den beugt Alles nieder; er gleicht einem Kämpfer in schlechter Rüstung, dem der erste beste Hieb eine Wunde schlägt. Wer aber ringsum fest umschirmt ist, an dem prallt jedes andringende Geschoß machtlos ab. Stärker als jede Rüstung ist die Freude in Gott; wer sie besitzt, der kann Alles ertragen, Nichts kann ihn verzagt und traurig stimmen. Was ist wohl schlimmer denn Feuer, was quälender als andauernde Folter? Für die Empfindung ist das ein größerer Schmerz als der Verlust der Habe, der Kinder, als die Einbuße von Allem, was lieb und werth ist. Denn „Haut um Haut und Alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben.“12

Die körperliche Qual ist von allen die schwerste. Aber was für das bloße Hören schon unerträglich ist, das wird leicht und lieb durch die Freude in Gott. Nimmst du einen Märtyrer, der kaum noch athmet, vom Pfahle oder aus der Glutpfanne weg, so wirst du eine Freude in ihm finden, die sich gar nicht aussprechen läßt. — Aber was soll ich denn leiden? sagst du; zum Marterthum ist ja jetzt nicht die Zeit. Wie meinst du? Zum Marterthum ist immer Gelegenheit, sie liegt, wenn wir’s verstehen, beständig vor unsern Augen. Denn nicht das Hängen am Pfahle allein macht den Märtyrer, sonst müßte selbst ein Job auf diesen Ruhm verzichten. Denn er hat kein Richthaus betreten, keines Richters Drohen gehört, keinen Henker gesehen; es wurde ihm nicht, während er hoch am Pfahle hing, von den Seiten das Fleisch gerissen. Aber doch haben so Arges wie er viele Märtyrer zusammen nicht ausgestanden. Denn die Worte der sich auf dem Fuße folgenden Boten verwundeten und zerrissen sein Inneres schmerzlicher als irgend eine Wunde, und qualvoller als tausend Henker zernagten ihm die gefräßigen Würmer ringsum den Leib.


V.

Welchem Märtyrer nun kann sich Job nicht würdig an die Seite stellen? Gewiß unzähligen! Denn Alles, Habe und Kinder, der eigene Leib, die Gattin, Freunde und Feinde, die Hausgenossen (denn auch diese spieen ihm in’s Angesicht), Hunger und Träume, Schmerzen und Pestgeruch. Alles zwang ihn zum Kampfe, und in jedem Kampf ward er Sieger. Darum sage ich, daß er nicht einem oder zwei oder drei, sondern unzähligen Märtyrern sich gleich stellen kann. Denn ausser dem Gesagten erhöht auch die Zeit, in der er lebte, den Glanz seiner Siege. Seine Leiden fielen ja in die Zeit vor dem Gesetze und vor der Gnade, sie dauerten viele Monate lang und überstiegen alles Maß, und zu gleicher Zeit drangen die Schrecken alle auf ihn ein. Jeder einzelne der Schläge, die ihn trafen, wäre kaum zum Aushalten, selbst der, welcher noch am erträglichsten erscheint, der Verlust des Vermögens. Viele wenigstens gibt es, die lieber Wunden ertragen als den Verlust der Habe, die lieber Streiche aushalten und Alles, was hart ist, als eine Einbuße am Vermögen. So ist nun das wieder ein Marterthum in anderer Form, solchen Verlust starkmüthig zu ertragen. Aber wie bringe ich Das zu Stande? frägst du. Wenn du lernst, daß du durch ein ewiges Wort mehr gewinnst, als du verloren hast, durch das Wort der Danksagung. Wenn wir nämlich bei der Nachricht vom Verluste nicht ausser Fassung kommen, sondern sprechen: Gepriesen sei Gott! so haben wir größeren Reichthum gefunden. Denn du magst all deinen Reichthum für die Dürftigen verwenden, du magst selbst umhergehen und die Armen aussuchen und an die Hungernden deine ganze Habe vertheilen, so reiche Frucht wie aus diesem einen Worte wirst du nicht ärnten. Auch den Job bewundere ich weniger darum, weil er den Nothleidenden sein Haus geöffnet, als ich ihn anstaune und preise, weil Der den Raub seiner Habe mit Danksagung hingenommen. Das Gleiche gilt vom Verluste der Kinder. Auch da wirst du keinen geringeren Lohn empfangen als der Patriarch, der seinen Sohn zur Opferung führte, wenn du dein Kind am Sterben siehst und dem gütigen Gotte dankst. Denn in was sollte ein solcher Vater dem Abraham nachstehen? Dieser sah den Sohn nicht todt zu seinen Füßen, es blieb bei der Erwartung. Wenn er Das voraus hat, daß er entschlossen war, den Sohn zu opfern, so steht er darin nach, daß hier das Kind wirklich todt ist. Dem Abraham brachte Trost der Gedanke, daß er Großes vollbringe, und daß die hochherzige That das Werk seines eigenen Heldenmuthes sei. Hier aber fällt all Dieses weg. Wahrlich eine Seele von Erz gehört dazu, den einzigen Sohn, der im Überflusse ausgewachsen, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, vor dem offenen Grabe hingestreckt zu sehen und den Gleichmuth zu bewahren. Wenn ein solcher Vater den ersten Aufruhr seines Innern beschwichtigt hat und dann ohne Thräne im Auge das Wort des Job wiederholt: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen,“ so verdient er um dieses einen Wortes willen neben Abraham gestellt und wie Job gepriesen zu werden. Und wenn er noch dem Wehklagen der Frauen wehrt und die Reihen der Klageweiber löst und zu gemeinsamer Lobpreisung Alle hinreißt, so wird er vom Himmel und von der Erde den ersten Kranz empfangen: es bewundern ihn die Menschen, die Engel jauchzen Beifall, und Gott reicht die Krone.


VI.

Aber wie kann ich, sagst du, mich der Trauer erwehren und Mensch bleiben? Wenn du bedenkst, wie weder der Patriarch gewehklagt hat noch Job; und sie waren doch auch Menschen; und sie lebten vor dem Gesetze und vor der Gnade und den großen Lehren der Weisheit, die aus diesen Quellen fließen. Wenn du ferner beherzigst, wie dein Kind in ein besseres Land gegangen und zu einem edleren Loose sich aufgeschwungen, wie du den Sohn nicht verloren, sondern an sicherer Stätte geborgen hast. Sage darum nicht: Jetzt heiß’ ich nimmer Vater. Warum denn nimmer Vater, wenn dein Sohn lebt? Du hast ja dein Kind nicht verloren, den Sohn nicht eingebüßt. Eher hast du ihn bekommen, und um so sicherer gehört er dir an. Vater heissest du nicht mehr bloß auf Erden, sondern auch im Himmel. Den Namen Vater hast du nicht verloren, sondern in höherem Grade gewonnen. Denn Vater wirst du fernerhin genannt werden nicht eines sterblichen, sondern eines unsterblichen Sohnes, eines edlen Kämpfers, der für immer vor dem Könige steht. Und wähne nicht, der Sohn sei für dich verloren, weil du ihn nicht mehr siehst! Denn wäre er etwa in ein fremdes Land gegangen, so hätte ja auch die leibliche Trennung die Bande des Blutes nicht zerrissen. Schaue darum nicht auf’s erstorbene Antlitz, sonst wird neu der Schmerz; sondern von der todten Hülle erhebe zum Himmel deine Gedanken. Nicht dieser entseelte Leib ist dein Sohn, sondern Der, welcher wie mit Flügeln sich emporgeschwungen hat zu unermeßlicher Höhe. Und wenn du das erloschene Auge siehst und den entstellten Mund und den regungslosen Leib, so denke nicht bei dir selbst: Jetzt redet nimmer dieser Mund, nimmer schauen diese Augen, nimmer wandeln diese Füße; Alles verfällt rasch der Auflösung. Sage lieber: Dieser Mund wird besser reden, diese Augen Größeres schauen, diese Füße über Wolken schreiten, der verwesliche Leib wird mit Unsterblichkeit sich umkleiden, und herrlicher bekomme ich den Sohn wieder. Und wenn Das, was das Auge schaut, dich zur Trauer stimmt, so sprich zu dir selbst: Ein Gewand ist es, das er abgelegt hat, um es kostbarer zurückzuerhalten; ein Haus ist es, das abgebrochen wurde, um glänzender wieder zu erstehen. Es ist, wie wenn wir ein Haus abbrechen wollen. Da lassen wir die Inwohner auf einige Zeit ausziehen, damit Staub und Lärm ihnen nicht lästig werde. Ist aber das Gebäude wieder fest hergestellt, so führen wir sie zuversichtlich zurück. Ebenso hat Gott das gebrechliche Zelt niedergelegt und für diese Zeit den Sohn zu sich in’s väterliche Haus genommen; er wird die abgebrochene Hütte einst wieder aufrichten und prachtvoller zurückgeben. Sage darum nicht: Jetzt ist es aus mit dem Sohne für immer! So mögen Ungläubige reden. Du sollst also sprechen: Er schläft und steht einst wieder auf, er ist in ein fernes Land gegangen und kehrt einst wieder mit dem himmlischen Könige. Und wer sagt uns Das? Der, aus dessen Munde Christus spricht. Dieser sagt: „Wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und wieder auferstanden ist zum Leben, ebenso wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus herbeiführen mit ihm.“13 Wenn du darum den Sohn suchst, so suche ihn dort, wo der König, wo die Schaaren der Engel; nicht im Grabe, nicht auf Erden; du möchtest sonst, während der Sohn so hoch erhoben ist, dich hinschleppen auf der niedrigen Erde. —

Wenn nun das unsere Gedanken sind, so werden wir leicht über jeden derartigen Schmerz hinwegkommen. Der Vater der Erbarmungen aber und der Gott alles Trostes wird trösten unser aller Herzen, Derer, die von solcher Trauer, und Derer, die von anderem Kummer gebeugt werden. Er möge uns gewähren, frei von allem Kleinmuth geistige Freude zu genießen und einst der himmlischen Seligkeit theilhaftig zu werden, zu welcher wir alle gelangen mögen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und für ewige Zeiten. Amen.

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

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