Читать книгу Homilien über den zweiten Brief an die Korinther - Johannes Chrysostomos - Страница 9

Fünfte Homilie.

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I.

12. 13. Als ich aber nach Troas kam um des Evangeliums Christi willen und eine Thüre mir geöffnet war in dem Herrn, da hatte ich keine Ruhe in meinem Geiste, weil ich Titus, meinen Bruder, nicht fand.

Diese Worte scheinen eines Paulus unwürdig zu sein, wenn er sich wegen der Abwesenheit eines Bruders eine so günstige Gelegenheit zu evangelischer Wirksamkeit hat entgehen lassen; und ausserdem scheinen sie nicht in den Zusammenhang zu passen. Wie nun? Soll ich zuerst beweisen, daß sie ganz gut an das Vorausgehende sich anschließen, oder daß Paulus Nichts seiner Unwürdiges gesagt hat? Ich denke, wir suchen zuerst den Zusammenhang, dann wird sich uns auch die Frage von der Angemessenheit leichter erledigen. Wie hängen nun diese Worte mit dem Vorhergehenden zusammen? Rufen wir uns Dieses in’s Gedächtniß zurück, so wird es sich uns von selbst ergeben. Was ist denn vorausgegangen? Das, was Paulus Eingangs behandelt hat, indem er schrieb. „Ich will nicht, daß euch unbekannt sei die Drangsal, die wir in Asien hatten, wie wir über die Maßen beschwert wurden, über Vermögen.“ Dann hatte er gezeigt, wie er gerettet worden; und nachdem er Das, was weiter folgt, eingeschaltet, so kommt er jetzt folgerichtig auf eine neue Art von Bedrängniß zu sprechen. Und worin besteht diese? Darin, daß er den Titus nicht fand. Denn schwer genug ist es schon und wohl hinreichend, eine Seele niederzubeugen, wenn man überhaupt Drangsale ertragen muß; wenn aber erst noch Niemand da ist, der trösten und die Last mittragen könnte, so wird der Aufruhr um so größer. Titus aber ist es eben, den Paulus nach Korinth gesendet hatte, von dem er weiter unten sagt, er sei wieder zurückgekehrt, und dem er so hohe Lobsprüche spendet. Und so will denn Paulus mit diesen Worten zeigen, daß auch diese innere Beklommenheit in der Liebe und Sorge für die Korinther ihren Grund gehabt habe.

Hiemit haben wir nun den Zusammenhang deutlich genug gezeigt. Daß aber diese Worte auch Nichts enthalten, was eines Paulus unwürdig wäre, Das will ich jetzt versuchen, euch klar zu machen. Der Apostel sagt ja nicht, daß die Abwesenheit des Titus für Diejenigen, die sich dem Heile zuwenden wollten, ein Hinderniß der Bekehrung gewesen, oder daß er aus diesem Grunde eine Pflicht gegen die bereits gläubig Gewordenen verabsäumt habe, sondern nur, daß er keine Ruhe gefunden, daß nämlich das Ausbleiben des Bruders ihm Kummer und Schmerz gemacht habe. Damit läßt er uns erkennen, was es um das Fernsein eines Bruders ist; und aus dieser Ursache ging er von Troas wieder fort. — Was heißt denn aber: „Als ich nach Troas kam um des Evangeliums willen?“ Ich bin nicht zwecklos, will er sagen, dorthin gegangen, sondern um das Wort Gottes zu verkünden. In dieser Absicht war ich gekommen und hatte ein reiches Feld gefunden; denn „eine Thüre war mir geöffnet in dem Herrn“ aber gleichwohl, versichert er, „hatte ich in meinem Geiste.“ Doch hemmte Das nicht den Fortgang des Heilswerkes. Wie kann er nun sagen: „Ich verabschiedete mich von ihnen und zog weiter?“ Das heißt nur: Ich habe nicht allzu lange dort mich aufgehalten, aus Beängstigung und peinlicher Unruhe. Möglicher Weise erlitt freilich auch das Heilswerk durch die Abwesenheit des Titus einige Beeinträchtigung. Aber gerade Das mußte den Korinthern zu nicht geringer Beruhigung dienen. Denn Paulus war um des Evangeliums willen nach Troas gekommen und fand dort ein reiches Arbeitsfeld; weil er aber den Bruder nicht traf, so ging er rasch wieder fort. Um so mehr, will er sagen, müßt ihr Korinther mir verzeihen, wenn der Drang der Verhältnisse mich gehindert hat, zu euch zu kommen; denn dieser Macht unterliegen alle meine apostolischen Wanderungen, und es ist mir nicht gestattet, hinzugehen, wohin ich will, oder da länger zu verweilen, wo ich es gerne wünschte. Darum bezeichnet er auch wie vorher den Geist so jetzt Gott als den Urheber seiner Wanderungen und sagt:

14. Gott aber sei Dank, der immerdar uns zum Triumphe führt in Christus und den Geruch seiner Erkenntniß durch uns offenbart an jedem Orte.

Es könnte scheinen, als wolle Paulus seine Lage bejammern und beklagen; darum dieses Dankgebet zu Gott. Seine vorigen Worte drücken ungefähr aus: Überall Bedrängniß, überall Beängstigung. Ich kam nach Kleinasien und ward über die Maßen beschwert; ich kam nach Troas und fand den Bruder nicht; ich konnte nicht nach Korinth gehen; und auch Das drückte mich schmerzlich, weil Manche bei euch gesündigt hatten und ich euch aus diesem Grunde nicht besuchen konnte. Denn „aus Schonung für euch bin ich nicht nach Korinth gekommen,“ versichert er. Das konnte aber als Klage aufgefaßt werden; darum fügt Paulus bei: Nicht zur Trauer stimmen uns die gegenwärtigen Trübsale, sondern sogar zur Freude, und zwar, was noch mehr sagen will, nicht bloß wegen der Erwartung der künftigen Belohnungen, sondern sogar auch wegen ihrer Wirkung für das gegenwärtige Leben; denn schon hier auf Erden verschaffen sie uns Glanz und Ruhm. Statt darum zu klagen, reden wir sogar vom Triumphe und rühmen uns dessen, was uns begegnet. Das will Paulus ausdrücken, wenn er sagt: „Gott sei Dank, der uns immerdar zum Triumphe führt,“ der uns nämlich vor allen Menschen berühmt macht. Sonst mag es für eine Schande gelten, von einem Orte zum anderen getrieben zu werden, an uns erweist es sich als die größte Ehre. Darum heißt es nicht: Gott macht uns Allen offenkundig, sondern: „Gott führt uns zum Triumphe,“ welches so viel bedeutet, als daß diese Verfolgungen überall in der Welt ununterbrochene Siegeszeichen über den Satan aufrichten. Und weiters gibt Paulus auch den Grund an, warum ihn Gott zum Triumphe führt, um auch so die Gemüther zu erheben. Wir werden, sagt er, von Gott zum Triumphe geführt „in Christus“, das ist wegen Christus und der Predigt. Denn wenn es sich einmal um den Triumphzug handelt, so müssen nothwendig auch wir, die wir das Siegeszeichen tragen, Allen bemerklich sein. Dadurch wenden sich Aller Augen auf uns und es verbreitet sich unser Ruhm. — „Und den Geruch seiner Erkenntniß durch uns offenbart an jedem Orte.“


II.

Vorher hat Paulus gesagt: „Gott führt uns immerdar zum Triumphe;“ hier sagt er: „An jedem Orte,“ weil ja jeder Ort und jede Zeit voll ist von den apostolischen Kämpfen und Siegen. Hier nun gebraucht der Apostel wieder ein anderes Bild, das vom Wohlgeruche. Gleich Denen, welche Salben tragen, sagt er, machen auch wir uns Allen bemerklich. Denn mit einer kostbaren Salbe vergleicht er die „Erkenntniß“. Doch sagt er nicht „Erkenntniß“, sondern: „Geruch der Erkenntniß“; denn so verhält es sich mit der gegenwärtigen Erkenntniß: sie ist nicht völlig deutlich und enthüllt. Darum heißt es auch im ersten Briefe: „Wir schauen jetzt durch einen Spiegel im Räthsel,“80 und hier ist vom Geruche der Erkenntniß die Rede. Wer einen Geruch wahrnimmt, der weiß wohl, daß irgendwo Salbe verborgen ist, aber ihre Beschaffenheit kennt er nicht, wenn er die Salbe nicht vorher sieht. So ist es auch mit uns. Wir wissen zum Beispiel, daß ein Gott ist, aber seine Wesenheit kennen wir nicht. Wir gleichen einem königlichen Rauchgefäße und verbreiten, wohin wir uns wenden, den Duft himmlischer Salbe und geistigen Wohlgeruchs. Dieses sagt Paulus, um die Kraft zu kennzeichnen, die in der apostolischen Lehre liegt, indem gerade die Verfolger beitragen müssen, um den Glanz ihrer Verkündiger zu erhöhen und ihre Trophäen und ihren Wohlgeruch über die ganze Welt zu verbreiten. Und zugleich will er die Korinther trösten wegen der Trübsale und Verfolgungen und sie zu muthigem Ausharren ermuntern im Hinblick auf den herrlichen Ruhm, den sie schon vor der jenseitigen Vergeltung ärnten.

15. Denn Christi Wohlgeruch sind wir für Gott in Denen, die gerettet werden, und in Denen, die verloren gehen.

Das Evangelium behält seine eigenthümliche Kraft, mag es nun für Jemand zum Heile oder zum Verderben sein. Es gleicht dem Lichte, das immer Licht bleibt, wenn es auch schwache Augen blendet; es ist ähnlich dem Honig, der seinem Wesen nach süß ist, wenn er auch manchen Kranken bitter schmeckt. So behält das Evangelium seinen lieblichen Geruch, wenn auch Manche nicht glauben und so verloren gehen. Denn an ihrem Verderben ist nicht das Evangelium Schuld, sondern ihre eigene Verkehrtheit. Und gerade dadurch tritt der evangelische Wohlgeruch am kräftigsten hervor, daß die Verdorbenen und Gottlosen zu Grunde gehen; seine Kraft erweist sich am Verderben der Bösen nicht minder wie am Heile der Guten. Ein Bild ist die Sonne, die dem kranken Auge gerade dadurch, daß sie so hell strahlt, schädlich ist. Und der Heiland selbst ist „zum Falle und zur Auferstehung Vieler“ und bleibt dennoch Heiland, mögen auch Unzählige fallen; sein Erscheinen auf Erden vermehrt die Strafe Derer, die nicht glauben und bleibt trotzdem heilbringend. Darum sagt auch Paulus: „Für Gott sind wir ein Wohlgeruch,“ das heißt, mögen auch Manche verloren gehen, wir bleiben, was wir sind. Er fügt ausdrücklich „für Gott“ hinzu. Sind wir aber ein „Wohlgeruch für Gott“ und anerkennt Gott Dieses durch sein Urtheil, wer wagt es dann ferner, zu widersprechen? — Der Ausdruck: „Christi Wohlgeruch sind wir“ ist, wie mir dünkt, einer doppelten Auslegung fähig. Entweder meint Paulus: Wir bringen uns täglich sterbend selbst zum Opfer dar; oder: Wir sind der liebliche Geruch vom Opfertode Christi, wie man etwa sagt: Von diesem Opfer ist jenes Rauchwerk der Wohlgeruch. Entweder denkt also Paulus mit dem Ausdruck „Wohlgeruch“ an das Letztere, oder er will, wie schon bemerkt, damit sagen, daß die Apostel Tag für Tag um Christi willen geopfert werden. Hier sehen wir nun, auf welche Stufe Paulus die Trübsale erhoben hat, indem er sie Triumph und Wohlgeruch nennt und ein Opfer, das Gott dargebracht wird. Dann weil er gesagt hat: „Ein Wohlgeruch sind wir auch in Denen, die verloren gehen,“ so könnte man wähnen, es seien auch diese Gott wohlgefällig; darum heißt es weiter:

16. Den Einen Geruch des Todes zum Tode, den Anderen Geruch des Lebens zum Leben.

Diesen Wohlgeruch athmen die Einen mit der Wirkung ein, daß sie gerettet werden, die Anderen, daß sie verloren gehen. Wenn also auch Mancher verloren geht, so ist es seine eigene Schuld; man sagt ja auch von der Salbe, daß an ihr die Schweine ersticken, man weiß auch vom Lichte, daß es schwache Augen blendet. So ist überhaupt das Wesen des Guten; es kräftigt und stärkt Das, was ihm gleichartig ist, während es das Ungleichartige vernichtet; und gerade dadurch zeigt sich am meisten die Kraft des Guten. Es ist wie bei dem Feuer, das ebenfalls seine innere Kraft nicht bloß dann entwickelt und sich als Feuer erweist, wenn es leuchtet und das Gold läutert, sondern auch wenn es das Dorngesträuch verbrennt. So ist es bei Christus selbst; er zeigt auch dann seine Macht und Größe, wenn er den Antichrist mit dem Hauche seines Mundes verzehrt und durch den Glanz seiner Wiederkunft vernichtet. — „Und wer ist hiezu so geeignet?“ Paulus hat voll hohen Rühmens gesprochen: Wir sind Opfer und Wohlgeruch Christi und werden überall zum Triumphe geführt; jetzt fügt er in bescheidener Demuth hinzu, daß Alles Werk Gottes sei. Darum sagt er: „Und wer ist hiezu so geeignet?“ Alles, will er sagen, ist Christi, Nichts unser Werk. Wie verschieden ist doch sein Rühmen von dem der angeblichen Apostel. Denn während diese sich rühmen, daß sie aus sich zur Unterstützung der Lehre Manches beitrügen, so will Paulus im Gegentheile seinen Ruhm darin suchen, daß gar Nichts von ihm selbst komme. „Denn unser Rühmen,“ sagt er, „ist dieses: das Zeugniß unseres Gewissens, daß wir nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in Gnade Gottes gewandelt sind in der Welt.“ Und wenn Jene den Besitz der irdischen Weisheit für einen Gegenstand des Rühmens hielten, so Paulus gerade den Verzicht auf diese Weisheit. Darum sagt er eben: „Und wer ist hiezu geeignet?“ Sind wir aber nicht befähigt, so ist Alles Werk der Gnade.


III.

17. Denn wir sind nicht wie gar Viele Fälscher des Wortes Gottes.

Reden wir auch mit hohem Bewußtsein von uns, so nehmen wir doch für uns selbst gar kein Verdienst in Anspruch, sondern verweisen Alles auf den Beistand Christi; denn wir wollen nicht den falschen Aposteln nachahmen, die da vorgeben, es sei das Meiste ihr eigenes Werk. Das heißt fälschen, wie etwa wenn man zum Weine Wasser mischt oder um Geld verkauft, was man umsonst geben sollte. Es scheint mir nämlich, es wolle Paulus hiemit zugleich ihre Gewinnsucht tadeln und, wie schon bemerkt, zu erkennen geben, daß Jene eigene Erfindungen unter die göttliche Lehre mischten. Das hat schon Isaias gerügt mit den Worten: „Deine Wirthe mischen den Wein mit Wasser.“81 Ist auch hier zunächst vom Wein die Rede, so geht man doch kaum irre, wenn man dieses Wort auch auf die Lehre bezieht. Aber nicht so wir, versichert Paulus, sondern was uns anvertraut worden, Das geben wir, ohne Mischung reichen wir den Wein der Lehre. Darum fährt er fort: „Sondern wie aus Lauterkeit, wie aus Gott, vor den Augen Gottes in Christus reden wir.“ Wir predigen nicht, um euch zu täuschen, wie es der Fall wäre, wenn wir zu Gefallen redeten oder aus uns Etwas hinzufügten und beimischten; sondern „wie aus Gott,“ d. h. wir versichern, daß wir Nichts nach eigenem Gutdünken beifügen, sondern daß Alles Gott gegeben hat. Das heißt nämlich: „aus Gott reden wir,“ daß wir uns nicht rühmen, als hätten wir Etwas von uns, sondern daß wir Alles als von Gott kommend betrachten. — „In Christo reden wir;“ uns erleuchtet nicht die eigene Weisheit, sondern Christus in seiner Kraft. Anders dagegen die Ruhmsüchtigen; sie halten ein gut Theil für ihr eigenes Werk. Dagegen erhebt sich Paulus auch an einer anderen Stelle, wenn er sagt: „Was hast du denn, das du nicht empfangen hättest? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“82

Das ist überhaupt die höchste Tugend, Alles Gott zuzuschreiben, Nichts als eigenes Verdienst zu betrachten und bei Allem, was wir thun, das Wohlgefallen Gottes, nicht aber die Ehre vor den Menschen im Auge zu haben; denn Gott ist es, dem wir Rechenschaft geben müssen. Bei uns aber ist die Ordnung umgekehrt: Den, der auf dem Richterstuhle sitzen und uns zur Verantwortung ziehen wird, fürchten wir gar wenig; aber vor Denen beben wir, die einst beim Gerichte neben uns stehen werden. Woher nun diese Krankheit? Wie hat sie Eingang in unsere Herzen gefunden? Sie kommt daher, weil wir so wenig an’s Jenseits denken, weil wir zu sehr am Irdischen hängen. Daher fallen wir so leicht in Sünden, und thun wir auch einmal etwas Gutes, so geschieht es zum Scheine, so daß auch daraus uns noch Schaden erwächst. So sieht vielleicht Mancher mit zügellosem Auge auf ein Weib, ohne daß das Weib selbst, oder wer sonst auf dem Wege ist, es merkt; aber dem Auge, das nimmer schläft, ist es nicht entgangen. Denn bevor die Sünde wirklich geschieht, sieht Gott schon die Unlauterkeit der Seele, die Leidenschaft des Herzens, den Sturm und Aufruhr der Gedanken. Und Der, welcher Alles weiß, bedarf keiner Zeugen und keiner Beweise. Schaue darum nicht auf deine Mitknechte. Denn mag auch ein Mensch dich loben, was hast du davon, wenn es Gott nicht anerkennt? Und wenn ein Mensch dich verurtheilt, was schadet dir Das, wenn nur Gott dich nicht verurtheilt? Erzürne nur deinen Richter nicht dadurch, daß du auf die Mitmenschen so große Rücksicht nimmst, ohne vor seinem Zürnen Furcht und Angst zu haben!

Verachten wir also das Lob der Menschen. Wie lange noch werden wir durch niedrige Gesinnung uns selbst entehren? Wie lange noch werden wir uns eigenwillig auf dem Boden hinschleppen, während Gott uns zum Himmel erheben will? Nehmen wir uns eine Warnung an den Brüdern Josephs! Hätten diese die Furcht Gottes, wie sich’s geziemte, vor Augen gehabt, so hätten sie den Bruder nicht auf freiem Felde ergriffen, um ihn zu tödten. Und hätte Kain Gottes Gericht gefürchtet, wie sich’s gebührte, so hätte er nicht zum Bruder gesprochen: „Komm, laß uns auf das Feld hinausgehen!“ Warum denn, Unglückseliger, Bejammernswerther, warum reissest du ihn weg von der Seite des Vaters und führst ihn auf’s einsame Feld hinaus? Sieht denn Gott nicht auch auf dem Felde deine ruchlose That? Hast du aus den Schicksalen deines Vaters nicht gelernt, daß Gott Alles weiß, daß er bei Allem, was geschieht, zugegen ist? Aber warum hat denn Gott, als Kain leugnete, nicht so zu ihm gesprochen: Mir willst du es verbergen, der ich bei Allem zugegen bin und alle Geheimnisse weiß? Der Grund ist der, weil Kain solche Gedanken noch nicht gehörig zu erfassen wußte. Aber was sagt denn Gott? „Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir.“ So spricht Gott, nicht als hätte das Blut wirklich eine Stimme gehabt, sondern es ist ähnlich, wie auch wir von schreiender Thatsache reden, wenn es sich um allbekannte und offenkundige Dinge handelt. Daher sollen wir uns Gottes Gericht immer vor Augen halten, und alles Böse hat ein Ende.

Aus diese Weise werden wir auch beim Gebete gesammelt sein können, wenn wir erwägen, zu wem wir reden, wenn wir uns vorstellen, daß wir dem Herrn ein Opfer bringen und das Schwert in der Hand und Feuer und Holz bereit halten, wenn wir im Geiste die Thore des Himmels aufschließen und dorthin uns versetzen, und wenn wir dann mit dem Schwerte des Geistes das Opfer schlachten und Gott die Sammlung der Seele als Brandopfer und Thränen als Trankopfer bringen. Denn solcher Art ist das Blut dieses geistigen Opfers; solcher Art ist das Schlachten, von dem jener Altar geröthet wird. Gestatte darum nicht, daß beim Gebete irgend ein irdischer Gedanke deine Seele erfülle!


IV.

Nimm dir Abraham zum Muster, der bei seinem Opfer weder Weib noch Diener noch sonst Jemand zugegen sein ließ. Weise darum auch du alle niedrigen und unedlen Regungen von dir; steige allein auf den Berg, auf den Abraham gestiegen, und auf den sonst Niemand folgen darf! Und versuchen es einige dieser irdischen Gedanken mitzugehen, so ertheile ihnen gemessenen Befehl und sprich: Setzet euch hier; ich aber und der Knabe werden oben anbeten und dann zurückkehren. Und die Eselin und die Knechte laß unten, und was sonst noch ohne Vernunft und Einsicht ist; was aber verständig ist, Das nimm mit dir, wie Abraham den Isaak! Und auch den Altar baue so wie Abraham, als wärest du frei von menschlicher Schwäche und über die Schranken der Natur getreten! Denn hätte Abraham sich nicht über die Natur erhoben, so hatte er nicht seinen Sohn geopfert. Nichts störe dich beim Gebete, sondern über den Höhen der Himmel soll dein Geist schweben; seufze bitter und bringe zum Opfer ein reuiges Bekenntniß! Denn „bekenne du zuerst deine Sünden,“ mahnt der Prophet, „damit du gerechtfertigt werdest!“83 Opfere Zerknirschung des Herzens! Ein solches Opfer endet nicht mit einem Häufchen Asche und zergeht nicht in Rauch; es bedarf zu demselben weder des Holzes noch des Feuers, sondern nur eines zerknirschten Geistes; das ist Holz, das Feuer, von welchem das Holz brennt, aber nicht verzehrt wird. Denn wer mit Inbrunst betet, der brennt, ohne verzehrt zu werden, und wie beim Golde, das vom Feuer geläutert wird, vermehrt sich sein Glanz.

Ausserdem mußt du dich in Acht nehmen, daß du beim Gebete nicht Etwas sagst, was deinen Herrn erzürnen könnte, und daß du ja nicht um Strafe für deine Feinde betest. Es gereicht dir Das schon zu geringer Ehre, wenn du überhaupt Feinde hast; wie schlimm muß dann erst das Übel werden, wenn du gegen deine Feinde noch betest! Du solltest vielmehr darob um Vergebung bitten, weil du Feinde hast; statt dessen aber trittst du als ihr Ankläger auf. Was sollst du für eine Verzeihung finden, wenn du gegen Andere deine Stimme erhebst, und Das noch zu einer Zeit, wo du selbst so großes Erbarmen nöthig hast? Du bist vor Gott hingetreten, um für deine eigenen Sünden Abbitte zu leisten; darum denke nicht an die Sünden Anderer, sonst könntest du Gott auch an die deinen erinnern! Denn wenn du sagst: „Schlage, o Herr, den Feind!“ so hast du dir selbst den Mund geschlossen und die Zunge gebunden, für’s erste, weil du schon von vornherein den Richter erzürnt hast, für’s zweite, weil du um Etwas bittest, was sich mit dem Wesen des Gebetes durchaus nicht verträgt. Du trittst vor Gott hin, um Vergebung der Sünden zu erlangen; wie kommst du nun dazu, von Strafe zu reden? Ganz im Gegentheile sollten wir beten, es möge Gott unseren Feinden verzeihen, damit wir vertrauensvoll auch für uns um die gleiche Gnade bitten könnten. So aber greifst du durch dein Urtheil der Entscheidung des Richters vor, indem du verlangst, er solle die Schuldigen strafen; und Das raubt dir alle Aussicht auf Vergebung. Betest du aber für deine Feinde, so hast du Alles erreicht, selbst wenn du für dich kein Wort gesprochen hättest.

Erwäge, wie viele Opfer sich im alten Gesetze finden! Opfer des Lobes, der Sühne, des Dankes, der Reinigung und unzählige andere; aber von einem Opfer wider die Feinde ist nirgends die Rede; es sind lauter Opfer der Sühne für die begangenen Sünden oder des Dankes für erlangte Gnaden. Ist denn nun der Gott, zu dem du betest, ein anderer? Trittst du nicht vor denselben Gott, der gesprochen hat: „Betet für euere Feinde?“84 Warum schreist du nun gegen sie? Warum verlangst du von Gott, daß er sein eigenes Gesetz umstoße? Das ist nicht die Weise, wie sie für einen Flehenden sich ziemt; Niemand fleht um das Verderben des Andern, sondern Jeder um sein eigenes Heil. Wie magst du dich nun mit dem Scheine eines Bittenden umgeben, wenn deine Worte den Ankläger verrathen? Und merkwürdig! Wenn wir für uns selbst beten, da krauen und gähnen wir und verfallen in tausenderlei Zerstreuungen; beten wir aber wider die Feinde, so thun wir es mit Aufmerksamkeit und Sammlung. Denn der Satan weiß, daß wir jetzt das Schwert gegen uns selbst richten; darum hütet er sich, uns zu stören und abzulenken, um uns desto gründlicher zu schädigen.

„Aber mir ist Unrecht geschehen, sagst du, und Das schmerzt mich.“ Warum betest du dann nicht gegen den Satan, der uns doch entschieden das meiste Unrecht thut? Und Das solltest du nach dem Gebote thun und sprechen: „Erlöse uns von dem Bösen!“85 Der Satan ist unser unversöhnlicher Feind; der Mensch aber bleibt Freund und Bruder, was er auch immer thut. Gegen den Satan sollen wir demnach alle unseren Zorn richten, gegen ihn zu Gott flehen und sprechen: Schmettere den Satan unter unsere Füße! Denn er ist es, der uns auch Andere zu Feinden macht. Betest du nun wider die Feinde, so verrichtest du das Gebet, das der Satan wünscht; betest du aber für die Feinde, so ist dein Gebet auch gegen ihn gerichtet. Warum läßt du also den wirklichen Feind gehen und zernagst deine eigenen Glieder und zeigst dich grausamer als ein reissendes Thier? „Aber er hat mich beschimpft, sagst du, und Hab und Gut mir geraubt.“ Wer, frage ich, ist denn mehr zu beklagen, Der, welcher Unrecht leidet, oder Der, welcher es thut? Wer Geld und Gut gewonnen, aber Gottes Wohlgefallen verloren hat, bei dem ist der Verlust größer als der Gewinn; er ist es daher, welcher zu Schaden gekommen ist. Darum solltest du offenbar statt gegen ihn, lieber für ihn beten, damit ihm Gott wieder gnädig werde.


V.

Was haben nicht jene drei Jünglinge Alles erduldet, und zwar ohne etwas Böses gethan zu haben! Sie hatten Vaterland und Freiheit verloren, waren als Kriegsgefangene in ein fernes fremdes Land geführt und zu Sklaven gemacht worden, und jetzt sollten sie um eines Traumes willen86 ohne Grund und Zweck hingeschlachtet werden. Um was nun beteten diese, als sie mit Daniel in’s Haus getreten waren? Was sprachen sie? Etwa: Zerschmettere den Nabuchodonosor! Reisse ihm die Krone vom Haupte! Stürz’ ihn vom königlichen Throne? Weit entfernt! sie flehten vielmehr um Barmherzigkeit bei Gott. Und ebenso nachher, als sie im Feuerofen waren. Ganz anders ihr! Bei viel geringeren Übeln, die euch widerfahren und die oft dazu noch redlich verdient sind, ist der Verwünschungen kein Ende. Der Eine ruft: Schmettere den Feind zu Boden, wie du Pharao’s Wagen in die Tiefe gestürzt hast! der Andere: Schlage ihm den Leib! der Dritte: Vergilt’s ihm an seinen Kindern! Ihr kennt sie ja doch, diese Sprüche.

Woher nun dieses euer Lachen? Da seht ihr selbst, wie lächerlich solche Reden sind, wenn man sie ausser der Leidenschaft spricht. So ist es überhaupt mit jeder Sünde; sie zeigt ihre volle Häßlichkeit erst dann, wenn man sie loslöst von der jeweiligen Verfassung Dessen, der sie begeht. Rufst du einem Zornigen nachher die Worte in’s Gedächtniß, die er in der Aufregung gesprochen hat, so wird er sich schämen und über sich selbst lachen, und er möchte lieber Alles erdulden, als daß er wirklich so gesprochen habe. Und führst du einen Unzüchtigen nach der Sünde zu dem Weibe, mit dem er gesündigt, so wird er von ihr wie vor einem Gräuel sich abwenden. Es sind solche Sprüche wie die obigen auch wirklich lächerlich; sie schicken sich eher für betrunkene alte Weiber und verrathen eine kleinliche, zänkische Seele. Joseph wurde verkauft, zum Sklaven gemacht und in’s Gefängniß geworfen; gleichwohl entfuhr ihm kein bitteres Wort gegen seine Beleidiger. Was sagt er denn? „Heimlich ward ich weggestohlen aus dem Lande der Hebräer.“87 Er fügt nicht hinzu, von wem; denn er schämt sich der Übeltbat seiner Brüder mehr als diese selbst, die sie begangen hatten. So muß auch deine Gesinnung sein; du mußt dich über Jene, die dir Unrecht zufügen, mehr betrüben, als diese selbst es thun. Wenn Einer auf spitzige Nägel stampft und darob noch stolz ist, so verdient er um solchen Wahnsinns willen Mitleid und Bedauern; ebenso muß man Den, der seinen Nebenmenschen, von dem er nichts Böses erfahren, beleidigt, eher beklagen und beweinen, als ihn verwünschen; denn er verwundet seine eigene Seele. Nichts ist abscheulicher als eine verwünschende Seele, Nichts unreiner als eine Zunge, die solche Opfer bringt. Ein Mensch bist du; so speie nicht Natterngift; ein Mensch bist du, so werde nicht zum wilden Thiere! Darum ist dir ein Mund geworden, nicht um zu verwunden, sondern um die Wunden Anderer zu heilen. Gedenke, was ich dir geboten, spricht Gott, nämlich zu verzeihen und zu vergeben! Du aber forderst sogar mich auf, daß ich dir helfe zum Umsturze meiner eigenen Gebote; du zernagst deinen Bruder und röthest mit seinem Blute deine Zunge, ähnlich den Wahnsinnigen, die ihre eigenen Glieder zerfleischen. Wie muß wohl der Teufel sich freuen, wie muß er lachen, wenn er ein solches Gebet hört? Und wie muß Gott zürnen und mit Unwillen und Entrüstung sich abwenden, wenn du ihn um solche Dinge bittest? Was könntest du Ärgeres thun als Dieses? Wenn schon Der, welcher Feinde hat, nicht den heiligen Geheimnissen sich nahen darf, verdienst dann du, der nicht bloß Feinde hat, sondern sie auch noch verwünscht, nicht schon von der Schwelle des Heiligthums weggewiesen zu werden? Indem wir nun Dieses erwägen und den Grund wissen, warum Christus ist geopfert worden, nämlich für die Feinde, so wollen wir für’s Erste alle Feindschaft vermeiden; und können wir Das nicht, so wollen wir dann für die Feinde beten, damit auch wir Verzeihung unserer Sünden erlangen und so einst mit Zuversicht vor dem Richterstuhle Christi erscheinen können, welchem der Ruhm, die Macht und Ehre jetzt und immer und für ewige Zeiten. Amen.

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

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