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Dritte Homilie.
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12. Denn unser Rühmen ist dieses: das Zeugniß unseres Gewissens, daß wir in Einfalt und Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in Gnade Gottes gewandelt sind in der Welt.
Hier enthüllt uns der Apostel wieder Grund und Anlaß zu einer neuen Art des Trostes, und zwar eines Trostes von so wirksamer Kraft, daß an ihm allein schon die unter der Last der Trübsale versinkende Seele sich wieder aufrichten könnte. Weil er nämlich gesagt hat: „Gott hat uns errettet,“ weil er seine Erhaltung ausschließlich den Erbarmungen Gottes und den Gebeten der Korinther zugeschrieben, so befürchtet er auf diesem Wege die Hörer lässig und sorglos zu machen, da sie sich ganz auf Gottes Barmherzigkeit und fremde Fürbitte verlassen könnten. Darum geht er jetzt daran, zu zeigen, wie auch er das Seinige redlich beigetragen. Theilweise hat er Dieses schon nahe gelegt, indem er sprach: „Gleichwie überreichlich sind die Leiden Christi, so ist auch überreichlich unser Trost.“ Hier aber führt er noch ein weiteres Verdienst an, das er sein eigen nennen darf. Und worin besteht dieses? In einem reinen, arglosen Gewissen, sagt er, wandeln überall in der Welt; das ist für uns keine kleine Ermuthigung, kein geringer Trost, ja noch mehr als Das, sogar Anlaß zum Rühmen. Es liegt in diesen Worten einerseits eine Ermunterung an die Korinther, in den Bedrängnissen muthig auszuharren, ja sich ihrer zu rühmen, wenn sie anders ein gutes Gewissen hätten, und andererseits ein strafender Fingerzeig auf die falschen Apostel. Und gleichwie er im ersten Briefe gesagt hat: „Christus hat mich gesendet, das Evangelium zu verkünden, nicht in Weisheit des Wortes, damit nicht entkräftet werde das Kreuz Christi;“37 und wiederum: „Damit euer Glaube nicht beruhe auf Weisheit von Menschen, sondern auf Kraft Gottes,“38 so versichert er auch hier: „Nicht in Weisheit, sondern in Gnade Gottes sind wir gewandelt.“ Aber noch etwas Anderes hat er im Auge, wenn er sagt. „Nicht in Weisheit,“ das ist nicht in Trug und Täuschung; es sind nämlich diese Worte zugleich ein Schlag auf die Weisheit dieser Welt. „Denn unser Rühmen,“ sagt er, „ist dieses: das Zeugniß unseres Gewissens,“ jenes Gewissens, das uns nicht zur Last legen kann, als hätten wir unsere Verfolgungen durch schlechte Handlungen verdient. Mögen darum auch die Schläge, die uns treffen, noch so schwer und zahlreich sein, mögen Angriffe und Gefahren von allen Seiten über uns kommen, für uns liegt genug des Trostes, ja nicht allein Trost, sondern eine wahre Krone in unserem eigenen Gewissen; denn dieses ist rein und gibt uns das Zeugniß, daß unsere Leiden nicht etwa eine verdiente Strafe sind, sondern daß sie im gnädigen Willen Gottes, in der Tugend und Weisheit und im Heile Vieler ihren Grund haben. — So haben wir denn zwei Arten des Trostes, die eine früher genannte kommt von Gott; die andere, von der jetzt die Rede, hat ihren Ursprung im eigenen Innern und in der Reinheit des Lebens. Darum nennt Paulus diese zweite Art auch Gegenstand des Rühmens, weil sie das Werk der eigenen Tugend ist.
Was ist nun aber das für ein Rühmen, und was bezeugt uns unser Gewissen? „Daß wir in Einfachheit und Lauterkeit gewandelt sind,“ das ist: fern allem arglistigen, heuchlerischen, doppelsinnigen Wesen, fern allem Schmeicheln, Ueberlisten und Hintergehen, fern Allem, was zu diesem Gebiete gehört; sondern in Ehrlichkeit und Offenheit und Aufrichtigkeit sind wir gewandelt, mit reinem biederen Sinne und arglosem Herzen, nicht in gleissender Aussenseite bei verborgener Tücke. Derartige Künste waren der Stolz der Gegner; aber Paulus verschmäh solche Mittel; sie sind in seinen Augen, wie er Das ausführlich zeigt, unwerth des Rühmens, und weit entfernt, sie zu suchen, weist er sie vielmehr als schimpflich von sich. „Sondern in Gnade Gottes sind wir gewandelt in der Welt.“ Was heißt denn „in Gnade Gottes“? Das will sagen, von der Weisheit und Macht, die Gott uns verliehen, geben wir offenkundige Erweise durch Wunderwerke, durch Ueberwindung von Weisen, Rednern und Philosophen, von Königen und Völkern, und zwar ohne daß wir gelehrt sind oder menschliche Weisheit zu Hilfe nehmen. Das ist in der That kein gewöhnlicher Trost, kein geringes Rühmen, daß Paulus sich bewußt ist, bei seinem gesammten Wirken nicht auf menschliche Kraft, sondern einzig auf Gottes Gnade sich zu stützen. — „In der Welt.“ So nämlich nicht in Korinth allein, sondern überall in der Welt. — „Mit Vorzug aber bei euch.“ Was denn „mit Vorzug?“ sind wir nämlich in Gottes Gnade gewandelt. Denn Zeichen und Wunder haben wir unter euch gewirkt, noch größer war unsere Achtsamkeit und tadellos unser Leben. Denn auch das Letztere nennt Paulus Gnade von Gott; der Gnade schreibt er überhaupt Alles zu, auch was er selbst Gutes thut. Bei den Korinthern nämlich war er noch über die Schranken hinausgegangen, indem er ohne Entgelt das Evangelium verkündete, um ihrer Schwäche zu schonen.
13. Denn nicht Anderes schreiben wir, als was ihr leset oder auch sonst erkennet.
Der Apostel hat Großes von sich gesagt und schien in eigener Sache Zeugniß zu geben. Das pflegt man aber unlieb aufzunehmen. Darum ruft er wieder die Korinther selbst zu Zeugen auf für die Wahrheit seiner Worte. Es wähne Niemand, sagt er, meine Rede sei eitel Rühmen; ich erwähne ja nur Dinge, die ihr alle wißt; und mehr als Andere könnt gerade ihr die Richtigkeit meiner Aussage bezeugen. Denn während des Lesens erkennet ihr, daß ich im Schreiben Nichts sage, als was euch ebenso gut wie mir aus Thatsachen bekannt ist; und das Zeugniß, das mir geben müßt, steht nicht im Widerspruche mit dem Inhalte meiner Briefe, sondern im Einklang mit Dem, was ihr leset, ist die Ueberzeugung, die ihr schon vorher von von mir hattet. — „Gleichwie ihr auch zum Theil uns habt kennen lernen.“ Denn nicht vom Hörensagen, sondern aus eigener Anschauung kennt ihr mein ganzes Thun und Lassen. Das „zum Theil“ fügt Paulus aus Bescheidenheit hinzu, denn es ist so seine Art, wenn er einmal aus zwingenden Gründen — denn anders thut er es nicht — von sich Rühmliches gesprochen, dann schnell die hohen Worte wieder demüthig zu beschränken.
II.
14. Ich hoffe aber, daß ihr auch bis an’s Ende erkennen werdet.
Siehst du wieder, wie der Apostel die Vergangenheit als Pfand für die Zukunft setzt, und nicht die Vergangenheit allein, sondern auch die Macht Gottes? Denn seine Versicherung ist keine unbedingte, sondern er verweist Alles auf Gott und seine Hoffnung zu Gott. — „Daß wir euer Ruhm sind, sowie auch ihr der unsrige, am Tage unsers Herrn Jesus Christus.“ Hier will Paulus dem unlieben Eindrucke, den jenes Rühmen vielleicht gemacht hatte, begegnen, und zwar dadurch, daß er die Korinther zu Theilnehmern und Genossen des Ruhmes seines apostolischen Wirkens macht. Nicht auf mich allein, sagt er, beschränkt sich der Ruhm, sondern von mir geht er über auf euch und von euch wieder auf mich. Weil er nämlich sich selbst hervorgehoben, weil er auf seine Vergangenheit sich berufen und für die Zukunft sich verbürgt hat, so befürchtet er, es möchten etwa die Zuhörer ob des anscheinend hohen Rühmens ungehalten und gegen ihn eingenommen werden. Darum erklärt er ihnen, auch sie hatten Anlaß zum Rühmen und dürften gleiches Lob für sich in Anspruch nehmen. Denn wenn wir, sagt er, so rühmenswerth uns zeigen, so gereicht unser Lob auch euch zum Ruhme, gleichwie auch wir uns freuen, frohlocken und triumphiren, wenn ihr mit Ehren dastehet. — Hier erkennen wir wieder die tiefe Demuth des Apostels. Denn die ganze Rede ist so gehalten, als spräche nicht der Lehrer zu Schülern, sondern ein Schüler zu Seinesgleichen. Und wie weiß er die Korinther zu erheben und ihren Blick zu erweitern, indem er sie in Gedanken an jenen Tag versetzt! So redet mir denn nicht mehr, will er sagen, von der Gegenwart, das ist von Schimpf, Schmach und Spott des großen Haufens; denn Nichts ist groß hier auf Erden, weder Freude noch Leid, weder Spott noch Ehre vor den Menschen; sondern jenes Tages gedenket mir, des furchtbaren, schauerlichen, an dem Alles an’s Licht kommt! Da werden wir uns gegenseitig Anlaß zu freudigem Rühmen sein; denn da wird es zu Tage treten, daß ihr Lehrer gehabt, deren Lehre rein, deren Inneres lauter, deren Wandel untadelig gewesen, und wir Schüler, die ohne Schwäche und ohne Wanken, die unser Wort mit Freuden aufgenommen und gegen alle Verlockungen bewahrt haben. Jetzt freilich ist Das nur den Einsichtsvollen klar, dann aber allen Menschen. Leiden wir darum gegenwärtig auch Bedrängniß, so haben wir doch einen zweifachen, nicht geringen Trost: den einen gewährt uns schon jetzt das eigene Bewußtsein, der andere ist uns aufbewahrt für den Tag der allgemeinen Offenbarung. Jetzt weiß es zwar nur unser eigenes Innere, daß die Gnade Gottes die Seele unseres ganzen Wirkens ist, und auch ihr wißt es, für Gegenwart und Zukunft; dann aber werden alle Menschen unser und euer Wollen und Streben klar erkennen, und Alle werden sehen, wie wir uns gegenseitig zur Verherrlichung dienen. Es sollte nämlich nicht scheinen, als wolle Paulus an jenem Tage allein im Glanze des Ruhmes ob solcher Schüler strahlen; darum räumt er gerne auch den Schülern das Recht ein, sich ihres Lehrers zu rühmen, und lenkt so ihr Auge weg von den Trübsalen der Zeit. Und wie er es beim Troste gemacht, indem er sprach: „Um euretwillen werden wir getröstet;“ so macht er es hier auch mit dem Ruhme, indem er sagt: „Ihr seid uns, und wir sind euch Anlaß zum Rühmen.“ Und so läßt er sie Theil nehmen an Allem, am Troste, an den Leiden, an seiner Rettung; denn auch seine Erhaltung schreibt er ihren Gebeten zu, wenn er sagt: „Da auch ihr mithalfet im Gebete für uns, hat Gott uns errettet.“ So macht er denn hier auch das Rühmen gemeinsam. Denn gleichwie er dort sagt: „Wir wissen, daß, wie ihr Gefährten der Leiden seid, so auch des Trostes,“ so auch hier: „Wir sind euer Ruhm, gleichwie ihr der unsrige.“
15. Und in diesem Vertrauen wollte ich früher zu euch kommen, damit ihr eine zweite Gnade hättet.
Was ist denn das für ein „Vertrauen?“ Es ist, meint er, meine feste Zuversicht zu euch, meine sichere Hoffnung, daß wir uns gegenseitig zum Ruhme gereichen; es ist meine innige Liebe zu euch, mein reines Bewußtsein, meine innerste Ueberzeugung, daß an mir Alles dem Geiste gemäß ist, und daß ihr selbst mir Dieses bezeugen müßt. — „Ich beabsichtigte zu euch zu kommen und bei euch durchzureisen nach Macedonien.“ Aber wie? Im ersten Briefe hatte ja Paulus das Gegentheil versprochen, indem er schrieb: „Ich werde zu euch kommen, wenn ich Macedonien durchwandert habe; denn über Macedonien will ich gehen.“39 Und hier nun gerade umgekehrt; wie erklärt sich Das? Er sagt nicht das Gegentheil, durchaus nicht; denn was er hier sagt, steht wohl im Gegensatze zu Dem, was er geschrieben, aber nicht zu Dem, was er im Sinne hatte. Daher sagt er auch nicht: Ich habe geschrieben, bei euch durchzureisen nach Macedonien, sondern: Ich beabsichtigte es. Denn obgleich ich anders geschrieben, so war es doch mein Wunsch und Wille, sogar vor der Zeit zu euch zu kommen; so ferne lag mir die Absicht, später, als bestimmt war, einzutreffen, daß ich meinem Versprechen sogar voraneilen wollte. — „Damit ihr eine zweite Gnade hättet,“ das ist eine zweimalige Gnade, die eine aus meinem Schreiben, die andere in Folge meiner Anwesenheit. Denn unter „Gnade“ versteht er hier die Freude.
III.
16. Und bei euch durchzureisen nach Macedonien und von Macedonien zu euch zurückzukehren und mich von euch nach Judäa geleiten zu lassen; indem ich nun Dieses beabsichtigte, bin ich etwa mit Leichtsinn verfahren?
Hier nun weist Paulus geradenwegs den Vorwurf des Säumens und Ausbleibens zurück. Er will ungefähr sagen: Ich hatte im Sinne, zu euch zu kommen; warum bin ich nun nicht gekommen? Bin ich etwa unüberlegt und wandelbar? Denn Das bedeutet: „Bin ich etwa mit Leichtsinn verfahren?“ Durchaus nicht. Aber was ist dann der Grund?
17. Weil, was ich beschließe, ich nicht dem Fleische gemäß beschließe.
Was heißt denn: „Nicht dem Fleische gemäß“? Das ist: nicht nach Art des Fleisches. „So daß bei mir (unter allen Umständen) das Ja ja bliebe und das Nein nein.“ Aber auch Das ist noch unklar. Was will er denn eigentlich sagen? Der fleischliche Mensch, das heißt der Mensch, der ganz am Irdischen hängt und immer in diesem Kreise sich bewegt, der ausserhalb der Einwirkung des göttlichen Geistes steht, der kann hingehen, wohin er will, und umherschweifen, wo es ihm beliebt. Wer aber Diener des Geistes ist, wer vom Geiste geleitet und geführt wird, der kann nicht jedes Mal Herr seines Entschlusses sein, weil er seinen Willen gebunden hat an das Wohlgefallen des Geistes. Es geht ihm wie etwa einem wackeren Diener, den dahin und dorthin die Aufträge seines Herrn rufen, der nicht über sich selbst verfügen kann und kaum einen Augenblick sich Ruhe gönnen darf; wenn nun dieser seinen Mitknechten Etwas verspräche und hernach, weil es seinem Herrn anders beliebte das Versprechen nicht halten könnte, so wäre es das gleiche Verhältniß. Das ist es , was Paulus sagen will mit den Worten: „Ich beschließe nicht dem Fleische gemäß;“ ich stehe nämlich nicht ausserhalb der Leitung des Geistes, ich habe nicht die Freiheit, hinzugehen, wohin ich will; ich bin der Herrschaft und den Befehlen des Geistes unterstellt und gehe und komme, wie diese Stimme mich ruft. Das ist also der Grund, warum ich nicht gekommen bin; es gefiel nicht dem Geiste. Ähnliche Fälle finden wir mehrere in der Apostelgeschichte.40 Denn manchmal hatte Paulus sich vorgenommen, dahin zu gehen, und dorthin rief ihn der Befehl des Geistes. Also nicht Leichtsinn, nicht Wankelmuth meinerseits ist die Ursache meines Ausbleibens, sondern der Wille des Geistes, dem ich verbunden bin zu folgen. — Hier sehen wir wieder recht deutlich das gewohnte Beweisverfahren des Apostels. Denn während seine Gegner in der Nichterfüllung seines Versprechens den Beweis finden wollten, daß er seine Entschlüsse nach den Eingebungen des Fleisches fasse, zeigt er ihnen gerade daraus, daß sein Entschluß ganz dem Geiste gemäß gewesen, und daß es im Gegentheil nach der Weise des Fleisches entscheiden hieße, wenn er bei seinem Willen geblieben wäre. Aber wie, könnte man fragen, hat denn nicht der Geist auch mitgewirkt, als Paulus das Versprechen machte? Keineswegs. Denn wie bemerkt, Alles wußte Paulus nicht voraus, was die Zukunft bringen und was zum Nutzen sein werde. Darum sagt er eben im ersten Schreiben: „Damit ihr mich geleitet, wohin ich etwa gehen werde.“41 Er fürchtet gerade Das, wenn er etwa Judäa nenne, seinen Weg anderswohin nehmen zu müssen. Nachdem aber die Sache anders gekommen, so sagt er hier ausdrücklich: „Ich beabsichtigte, mich von euch nach Judäa geleiten zu lassen.“ Was nämlich zur Kundgebung seiner Liebe diente, das Kommen, das drückt er bestimmt aus; was aber für die Korinther weniger Bedeutung hatte, sein Weggehen, ob etwa nach Judäa, Das läßt er noch unbestimmt. Nachdem aber inzwischen die Lage sich geändert, so sagt er hier mit Entschiedenheit: „Ich beabsichtige, mich nach Judäa geleiten zu lassen.“ Und solche Änderungen hatten auch ihr Gutes; sie wehrten den übertriebenen Vorstellungen der Leute. Denn wenn so schon das Volk den Aposteln Stiere opfern wollte, wo hätte erst die mißverstandene Verehrung ihr Ziel gefunden, wenn die Apostel nicht manche Beweise menschlicher Einschränkung gegeben hätten? Und was nimmt es dich Wunder, wenn Paulus nicht alles Zukünftige weiß, da es ihm ja selbst beim Gebete manchmal verborgen blieb, was zum Frommen sei? Denn „um was wir beten sollen, sagt er, wie es sich geziemt, wissen wir nicht.“42 Und das ist nicht bloßer Ausdruck der Demuth; denn er führt auch ein Beispiel an, wo er beim Gebete nicht gewußt, was zum Heile diene. Und wo hat er es nicht gewußt? Es war damals, als er flehte, aus den Bedrängnissen erlöst zu werden, worüber er sagt: „Gegeben wurde mir ein Stachel in mein Fleisch, ein Engel des Satans, daß er mir Faustschläge gebe; um dessen willen habe ich dreimal den Herrn gebeten, daß er weiche von mir. Und er sprach: Es genügt dir meine Gnade; denn meine Kraft zeigt ihre volle Wirksamkeit in der Schwachheit.“43 Du siehst also, wie er nicht um das Rechte zu beten wußte; darum fand er auch nicht Gewährung trotz oftmaligen Bittens.
18. Getreu aber ist Gott, daß unser Wort an euch nicht wurde Ja und Nein.
Weislich beugt hier Paulus einem auftauchenden Einwande vor. Es könnte nämlich Jemand sagen: Wenn du ungeachtet deiner Zusage vergeblich auf dich hast warten lassen, wenn also bei dir das Ja nicht ja bleibt und das Nein nicht nein, sondern wenn du heute Etwas sagst und morgen wieder aufhebst, wie du es mit deinem Kommen gemacht hast, dann wehe uns! Am Ende steht es gerade so auch mit deiner Predigt. Mit solchen Gedanken sollte sich Niemand quälen; darum sagt er: „Getreu ist Gott, daß unser Wort an euch nicht wurde Ja und Nein!“ In der Predigt, will er sagen, findet solche Änderung nicht statt; sie kann nur eintreten, wo es sich um Wege und Wanderungen handelt. In der Predigt aber, denn unter dem „Worte“ ist hier die Predigt zu verstehen, bleibt Alles fest und unverrückt, was wir einmal gesagt haben. Und seine Versicherung beweist er sofort unwiderleglich, indem er die ganze Angelegenheit auf Gott zurückführt. Er sagt ungefähr: Das Versprechen, zu kommen, war meine Sache; aus mir habe ich die Zusage gemacht. Aber die Predigt ist nicht meine, ist überhaupt keines Menschen, sondern Gottes Sache; was aber von Gott ausgeht, kann niemals trügen; denn getreu, d. h. zuverlässig, ist Gott. Darum laßt die Bedenken über Das, was von Gott kommt, denn hierin ist Nichts wandelbar. — Und weil er nun vom „Worte“ gesprochen, so erklärt er jetzt weiter, was er sich unter diesem „Worte“ denkt.
IV.
19. Denn Gottes Sohn, der unter euch durch uns ist verkündet worden, durch mich und Silvanus und Timotheus, ward nicht Ja und Nein.
Paulus führt die Reihe der Lehrer auf, um auch von dieser Seite her seine Betheuerung zu beglaubigen, so daß neben den Schülern auch die Lehrer Zeugniß geben. Es waren jene Beiden wohl auch Schüler; aber die Demuth des Apostels versetzt sie in den Rang der Lehrer. Was heißt denn aber: „Der unter euch verkündigte Sohn Gottes ward nicht Ja und Nein“? Ich habe, will Paulus sagen, Nichts geändert von Dem, was ich früher in der Predigt gesagt; ich habe nicht bald so und bald anders vor euch gesprochen; denn so mag ein flatterhafter Sinn es machen, aber nicht der feste Glaube. — „Sondern das Ja ist in ihm,“ das heißt fest und unerschütterlich bleibt die Lehre.
* 20. Denn so viele Verheissungen Gottes sind, in ihm ist das Ja und in ihm das Amen (derselben), Gott zur Verherrlichung durch uns.*
Was ist wohl unter diesen „Verheissungen Gottes“ zu verstehen? Große Verheissungen lagen im Schooße des Evangeliums, und die Apostel waren die Träger und Verkündiger dieser Verheissungen. Sie sprachen von Auferstehung und Aufnahme in den Himmel, von Unverweslichkeit, vom herrlichen Lohne und der unaussprechlichen Seligkeit. Diese Verheissungen nun, versichert Paulus, bleiben unerschüttert, in ihnen „ward nicht das Ja und Nein“, oder mit andern Worten: Was einmal gesagt ist, bleibt immer wahr, es hat nicht wie etwa mein Kommen jetzt Geltung und dann nicht mehr. Und so tritt Paulus zuerst für die Sätze des Glaubens ein und für die Lehre von Christus, indem er sagt: „Mein Wort und meine Predigt ward nicht Ja und Nein;“ dann auch für die Verheissungen, indem er spricht: „So viele Verheissungen Gottes sind, in ihm ist das Ja.“ Sind aber Gottes Verheißungen zuverlässig und harren der unbedingten Erfüllung, so ist um so mehr Gott selbst und die Lehre von Gott zuverlässig, und man kann nicht sagen, daß Gott jetzt ist und jetzt nicht mehr, sondern er bleibt immer, und immer Derselbe.
Was sagen aber die Worte: „In ihm ist das Ja und das Amen“? Sie verkünden die zweifellose Erfüllung. Denn in Gott selbst, nicht in einem Menschen haben diese Verheissungen ihre Verwirklichung und Erfüllung. Darum laß die Furcht; nicht ein Mensch ist es, so daß du Bedenken haben könntest, sondern Gott selbst ist es, der wohl verheißt als erfüllt! — Was bedeutet denn: „Gott zur Verherrlichung durch uns“? Gott erfüllt seine Verheissungen durch uns, das ist durch die Gnaden und Wohlthaten, die er uns zum Zwecke seiner Verherrlichung erweist. Denn Das heißt: „Gott zur Verherrlichung durch uns.“ Wenn aber zu Gottes Verherrlichung, dann ist die Erfüllung gewiß. Denn seine eigene Verherrlichung wird Gott nicht ausser Acht lassen, selbst wenn er über unser Heil hinwegsehen könnte; und auch daran hindert ihn seine große Liebe zu uns. Und zu diesem Ziele ist unser Heil mit der Verherrlichung verbunden, die Gott selbst aus unserer Beseligung erwächst. Wenn daher die Erfüllung der Verheissungen Gott zur Verherrlichung gereicht, so ist unser Heil die unbedingte Folge: ein Gedanke, der den Apostel auch im Ephesierbriefe vielfach beschäftigt, wenn er sagt: „Zum Erwerbnisse seiner Verherrlichung“44 hat Gott uns berufen. Und so hebt er überall dieses Verhältniß hervor, um unsere Seligkeit als nothwendiges Ergebniß darzustellen. So thut er es denn auch hier, indem er versichert, daß Gottes Verheissungen nicht trügen. Schaue darum, sagt er, nicht etwa mit Besorgniß auf den Umstand, daß die Verheissungen durch uns verkündet wurden; denn erfüllt werden sie nicht durch uns, sondern durch Gott; aber auch verkündet werden sie durch Gott; denn nicht unser, sondern Gottes Wort haben wir zu euch geredet.
21. 22. Der uns aber befestigt sammt euch auf Christus hin, und der uns gesalbt hat, ist Gott; der uns auch besiegelt und das Pfand des Geeistes gegeben hat in unsere Herzen.
Wiederum setzt Paulus die Vergangenheit als Bürgschaft für die Zukunft. Denn wenn Gott es ist, der uns befestigt auf Christus hin, das heißt der uns nicht wanken läßt im Glauben an Christus; wenn Gott es ist, der uns gesalbt und den heiligen Geist in unsere Herzen gegeben hat, wie sollte er dann wohl die künftigen Güter uns vorenthalten? Wenn er Anfänge und Grundlagen, wenn er Wurzel und Quelle gegeben, wie könnte er uns wohl Das, was daraus von selbst folgt, versagen? Denn wenn die gegenwärtigen Gnadengeschenke die Grundlage der zukünftigen bilden, wie sollte uns Gott, der uns die einen gegeben, die anderen verweigern? Und wenn er die bereits empfangenen Gaben uns gewährt hat, als wir noch Feinde waren, wie sollte er nicht um so lieber die künftigen uns gnadenvoll schenken, nachdem wir Freunde geworden? Darum sagt auch Paulus nicht einfach „Geist“, sondern „Pfand des Geistes“, damit du im Besitze des Pfandes den Empfang des Ganzen zuversichtlich erwartest. Denn wollte uns Gott nicht das Ganze geben, so hätte er uns gewiß auch das Pfand nicht gegeben, um es ohne Zweck und Ziel zu verlieren. — Und betrachten wir, mit welcher Einsicht Paulus zu Werke geht! Wozu lange Worte, sagt er, daß die Verlässigkeit der Verheissungen nicht auf uns beruht? Auch dieses euer unverrückbares Feststehen im Glauben ist ebenfalls nicht unser, sondern Gottes Werk; denn „der euch befestigt, ist Gott.“ Also nicht wir sind es, die euch befestigen; denn wir bedürfen selbst der Stütze durch Gott. So wähne denn Niemand, das Evangelium sei darum weniger verlässig, weil unser Mund es verkündet; denn Gott selbst hat das ganze Heilswerk auf sich genommen, er selbst läßt das Ganze sich angelegen sein.
V.
Was heißt denn: „der uns gesalbt und besiegelt hat“? Es heißt: der uns den Geist gegeben und durch diesen Beides gewirkt hat, indem er uns zugleich zu Propheten und Priestern und Königen gemacht. Denn diese drei Würden empfingen in der alten Zeit die Salbung. Wir aber besitzen jetzt nicht die eine oder andere dieser Würden, sondern alle drei zusammen, und zwar in ausnehmendem Grade. Denn unser wartet eine königliche Herrschaft; und Priester werden wir, indem wir den eigenen Leib zum Opfer bringen gemäß dem Worte: „Bringet dar eure Glieder als ein lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer!“45 Und ausserdem werden wir auch zu Propheten gemacht; denn „was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört, was in keines Menschen Herz gekommen, Das ist uns aufgeschlossen worden.“46 Und Könige werden wir auch noch auf andere Weise, wenn wir nämlich die unbotmäßige Gedankenwelt beherrschen wollen. Denn daß Der, welcher Dieses thut, im eigentlichen Sinne ein König ist, sogar mehr als Jener, den der goldene Reif schmückt, Das will ich euch jetzt klärlich beweisen.
Zahlreiche Heerhaufen hat ein König, aber noch zahlreicher sind die Gedanken in uns; denn die unermeßliche Schaar unserer Vorstellungen kann Niemand zählen. Und nicht bloß die große Menge ist es, auf die wir sehen mögen, sondern es finden sich in dieser Menge auch viele Feldherren, Oberste, Hauptleute, Bogenschützen und Schleuderer. Was gehört denn sonst noch zum Könige? Etwa das Prachtgewand? Aber auch unser König ist mit einem Gewande umkleidet, das noch kostbarer und herrlicher ist, mit einem Gewande, das weder die Motte zernagt noch die Zeit abnützt. Und auch eine Krone trägt er, eine strahlenprächtige; es ist die Krone der Herrlichkeit und der Erbarmungen Gottes. Denn so sagt der Prophet: „Lobpreise, meine Seele, den Herrn, der dich krönt mit Gnade und Erbarmung!“47 Es ist die Krone der Herrlichkeit gemäß dem Worte: „Mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt.“48 Es ist die Krone der Huld, wenn es heißt: „Mit Huld wie mit einem Helme hast du uns bekränzt.“49 Es ist die Krone des Schmuckes, wie geschrieben steht: „Eine Krone des Schmuckes wirst du empfangen für dein Haupt.“50 Siehst du, wie reich gewunden, wie lieblich dieses Diadem ist? Doch gehen wir tiefer ein in die Vergleichung der beiden Könige! Der irdische König gebietet über seine Leibwache und ertheilt Allen Befehle, und Alle gehorchen und dienen ihm. Ich aber will dir zeigen, daß die Herrschaft des geistigen Königs sich weiter erstreckt. Denn die Menge, über welche er gebietet, ist gleich groß oder vielmehr größer; weiters aber müssen wir die Weise, wie beiden gehorcht wird, in’s Auge fassen. Und rede mir nur nicht von Königen, die von ihrer eigenen Leibwache vom Throne gestürzt und erschlagen wurden! Von solchen wollen wir ganz absehen und nur auf Jene den Blick richten, die mit ihrer Herrschaft in jeder Beziehung glücklich gewesen sind. Du magst mir Namen nennen, welche du willst, ich stelle dir den Patriarchen Abraham Allen gegenüber.
Denn als Abraham den Befehl erhielt, seinen Sohn zu schlachten, welche Fluth von Gedanken mochte damals auf ihn eindringen! Aber er wußte sie alle niederzuhalten, vor ihm zitterten sie mehr als vor dem Könige seine Leibwächter; ein Wink mit dem Auge genügte, sie alle in ihre Schranken zu treiben, keiner wagte mehr einen Laut, keiner einen Blick, so furchtbar aufgeregt und ungestüm sie auch waren. Denn die Spitzen der Lanzen, die ein ganzes Heer emporstreckt, sind weniger furchtbar, als damals jene Gedanken waren. Oder waren etwa die Empfindungen des väterlichen Herzens nicht schrecklicher als ragende Speere? Darum konnten sie auch grausamer als die schärfste Spitze dem Patriarchen das Herz zerreissen. Denn so scharf kann gewiß nie ein irdischer Speer sein, als jene geistigen Stacheln waren, die geschärft und aufwärts getrieben aus der tiefsten Tiefe des Herzens Abrahams Denken und Fühlen durchdrangen. Wenn es sich um einen Angriff handelt, so hat man zuerst Zeit, sich gefaßt zu machen, dann folgt etwa Wunde und Schmerz, dann kommt der Tod. Aber bei Abraham war von keiner Aufeinanderfolge die Rede; so plötzlich kamen die Wunden, so bitterlich schmerzten sie. Aber trotzdem herrschte im ganzen Heere der Gedanken, das sich gegen Abraham gewaffnet, die tiefste Ruhe, alle standen in bester Ordnung; man hätte sie mehr für ein Ehrengeleite denn für ein feindliches Heer halten können.
Und jetzt stelle dir den Patriarchen vor, wie er ausholt mit dem Schwerte, — und du magst Könige nennen, so viele du willst, Auguste und Cäsaren, aber einen zweiten Abraham wirst du nicht finden; eine Gestalt so großartig, so himmlisch erhaben, wirst du keine weitere zeigen. Denn über die gewaltigste Macht hat dieser Gerechte damals den Sieg errungen; die Natur ist und bleibt ja das Unbezwinglichste, was es gibt. Mörder von Zwingherren magst du vielleicht Tausende mir nennen; aber einen Helden, der gleich Abraham sich selbst bezwungen, kannst du keinen mehr aufweisen; denn so wie er können nur Engel siegen, nicht Menschen. Erwäge nur! Die Natur liegt zu Boden gestreckt mit ihrer ganzen Rüstung, mit ihrem gesammten Heere; der Held aber steht ausrecht, den Arm erhoben und in der Hand nicht den Siegeskranz, sondern das Schwert, das heller strahlt als der schönste Kranz. Und die Welt der Engel jauchzt Beifall, und aus den Höhen der Himmel verkündet Gott selbst den Sieg. Denn weil Sinn und Wandel dieses Heiligen im Himmel waren, so kam auch vom Himmel herab die Verkündigung des Sieges. Was kann, frage ich, solchen Preis an Herrlichkeit übertreffen, was kann ihm gleichkommen? Denken wir, ein Wettkämpfer hat gesiegt, und statt des Herolds unten erhebt sich der König selbst und verkündet von hoher Bühne herab den Sieg! Würde nicht eine solche Auszeichnung dem Sieger ruhmvoller erscheinen als der Sieg selbst, würde sie nicht die Augen Aller auf ihn lenken? Wenn nun erst nicht ein irdischer König, sondern Gott selbst, nicht auf gewöhnlicher Schaubühne, sondern vor dem Angesichte der ganzen Welt, vor der Versammlung der Engel und Erzengel den Patriarchen mit lautem Rufe als Sieger verkündet, auf welche Stufe werden wir dann, sage mir, diesen Heiligen stellen? Und wenn es gefällt, so hören wir auch die Stimme selbst! Was ruft sie denn? „Abraham, Abraham, lege deine Hand nicht an Isaak und thue ihm Nichts; denn jetzt habe ich erkannt, daß du Gott fürchtest, weil du nicht geschont hast deines Sohnes, des geliebten, um meinetwillen!“51 Aber wie? Derjenige soll jetzt erkannt haben, der Alles weiß, bevor es geschieht? Abrahams Gottesfurcht war sogar offenkundig vor den Menschen; es lagen ja Erweise genug von seiner Liebe zu Gott vor Augen, die er gegeben z. B. damals, als Gott zu ihm sprach: „Ziehe hinweg aus deinem Lande und von deiner Verwandtschaft;“52 damals, als er um der Liebe und Ehre Gottes willen dem Sohne des Bruders den Vorrang eingeräumt und aus schweren Gefahren ihn befreit; damals, als er auf Gottes Befehl nach Ägypten zog und die Wegnahme der Gattin ohne Klage ertrug, und so bei vielen anderen Gelegenheiten. Aus solchen Erweisen konnten, wie bemerkt, sogar die Menschen Abrahams Gottesfurcht ersehen, geschweige denn Gott, der nicht zu warten braucht, bis er das Werk sieht, um die Gesinnung zu erkennen. Und wie hätte ihn Gott für gerecht erklären können, wenn er ihn nicht kannte? Denn „es glaubte Abraham,“ heißt es, „und Das wurde ihm angerechnet zur Gerechtigkeit.“53
VI.
Wie ist nun Das zu verstehen: „Jetzt habe ich erkannt“? In der syrischen Lesart heißt es: „Jetzt hast du zu erkennen gegeben,“ nämlich den Menschen. Denn ich wußte es von Anfang und vor all jenen Befehlen. Warum aber jetzt auch „den Menschen“? Waren denn jene früheren Erweise nicht hinreichend, um seine Liebe zu Gott offenbar zu machen? Hinreichend wohl; aber dieser letztere Erweis überragt alle bisherigen in dem Grade, daß sie vor ihm wie Nichts erscheinen. Um also die Größe dieser That recht hervorzuheben, um ihre Erhabenheit vor allen übrigen darzulegen, hat Gott sich dieser Worte bedient. So pflegen auch die Menschen zu sprechen, wenn sie von einem ganz ausserordentlichen Erweise der Zuneigung überrascht werden; wenn etwa Jemand ein Geschenk empfängt, das größer ist als alle früheren, so kann man oft hören: Jetzt habe ich erkannt, daß Der und Der mich liebt. Damit will er nicht sagen: Vorher habe ich es nicht gewußt, sondern nur ausdrücken, daß die gegenwärtige Gabe die früheren übertrifft. Wenn nun auch Gott in der Weise der Menschen hier also spricht: „Jetzt habe ich erkannt,“ so will er damit nur hervorheben, daß der Kampf über die Maßen schwer gewesen, nicht als hätte er jetzt erst Abrahams Gottesfurcht oder deren Größe erkannt. So auch, wenn Gott spricht: „Auf, laßt uns niedersteigen und sehen,“54 so ist damit nicht gesagt, als ob es bei Gott des Niedersteigens bedurft hätte; denn er erfüllt ja Alles und weiß Alles genau; sondern wir sollen daraus lernen, nicht ohne Prüfung unsere Urtheile auszusprechen. Und ebenso, wenn die Schrift sagt: „Vom Himmel späht der Ewige,“55 so trägt sie den Ausdruck „Spähen“ von den Menschen auf Gott über, um die Genauigkeit der Beobachtung zu bezeichnen. So ist es auch hier, wenn Gott sagt: „Jetzt habe ich erkannt;“ damit will Gott nur zu erkennen geben, daß dieser letzte Erweis über allen früheren steht. Das ersehen wir klar aus den weiteren Worten, wenn Gott spricht: „Weil du nicht geschont hast deines Sohnes, des geliebten, um meinetwillen.“ Es heißt nicht bloß „des Sohnes“, sondern auch „des geliebten“. Denn nicht allein gegen die Gefühle der Natur bestand Abraham den Kampf, sondern auch gegen die Liebe des Herzens, die ihren unerschöpflichen Born in des Vaters eigenem milden Wesen und in der hohen Tugend des Sohnes hatte. Wir sehen schon, wie selbst über den Verlust ungerathener Söhne die Väter nicht leicht hinwegkommen, ohne auch diese zu betrauern. Wenn nun erst der Sohn das ächte Bild des Vaters, wenn es der einzige, der geliebte, wenn es ein Isaak ist, wenn des Vaters eigene Hand ihn schlachten soll, wer vermag auszusprechen, welche Kraft und Stärke dazu gehört? Darum strahlt denn auch Abrahams Sieg heller als alle Diademe und Siegeskronen. Den Glanz einer irdischen Krone bleicht oft rasch der Tod oder auch vor dem Tode einer der unzähligen Anschläge, wie sie gegen die Throne sich richten; aber wer mit solch einem geistigen Diademe geschmückt ist, dem kann es auch nach dem Tode Niemand weder aus eigenem noch aus fremdem Volke entreissen.
Und betrachten wir auch den werthvollsten Stein in diesem Diademe! Denn gleich einem kostbaren Edelsteine hält ein Wort am Schlusse die ganze Krone zusammen. Was heißt denn Das: „Um meinetwillen“? Nicht so fast darin liegt das Bewundernswerthe, daß Abraham des Sohnes nicht geschont, sondern daß er seiner nicht geschont hat um Gottes willen. O glückselige Hand, die ein solches Schwert ergreifen, o wundersames Schwert, das eine solche Rechte waffnen durfte! Ja des wundersamen Schwertes. Zu welchem Gebrauche ward es bereitet, welchen Dienst hat es geleistet, zu welchem Vorbilde hat es mitgewirkt! O Schwert mit Blut überströmt und doch unbenetzt! Denn ich weiß nicht, was ich sagen soll; so schauervoll war jenes Geheimniß. Das Schwert berührt nicht den Leib des Knaben, durchbohrt nicht die Kehle des Heiligen, wird nicht geröthet vom Blute des Gerechten; und doch hat es berührt und durchbohrt, und doch ist es in’s Blut getaucht und purpurn gefärbt — und wieder ungeröthet. Es kommt euch wohl vor, ich sei ausser mir, weil ich so Widersprechendes sage. Ausser mir bin ich wohl, wenn ich das Wunderbare an dem Gerechten betrachte; aber Widersprechendes sage ich nicht. Denn die Hand des Gerechten stieß das Schwert wirklich dem Knaben in die Kehle, aber die Hand Gottes ließ das hineingestoßene nicht befleckt werden vom Blute des Sohnes. Denn nicht bloß Abraham hielt das Schwert, sondern auch Gott; und der Patriarch stieß vermöge des Willens, Gott aber hielt zurück mittels des Rufes. Denn es ist ein und dieselbe Stimme, welche Abrahams Rechte waffnet und hemmt; und wie von Gott selbst geführt thut die Hand Alles nach dem Winke Gottes, und Alles ist nach der göttlichen Stimme ausgeführt worden. Betrachte nur! Die Stimme ruft: Schlachte! und es waffnet sich die Hand; die Stimme ruft: Schlachte nicht! und die Rechte läßt das Schwert sinken; denn es war schon Alles bereit. Und jetzt zeigt Gott der Welt und der Versammlung der Engel den Kämpfer und Feldherrn, den ruhmgekrönten Sieger, den Priester, den König, dem sein Schwert ein größerer Schmuck ist als die kostbarste Krone, den triumphirenden Helden, der ohne Blutvergießen den Sieg errungen. Denn gleichwie ein Feldherr, der wackere Krieger hat, schon durch die geübte Führung der Waffen, durch die drohliche Stellung und den entschlossenen Muth seiner Leute den Gegner in Schrecken setzt, so hat auch für Gott die Entschlossenheit dieses Gerechten, seine Haltung, sein Auftreten allein hingereicht, um den gemeinsamen Feind unser Aller, den Satan, zu schrecken und zu verjagen. Denn auch der, glaube ich, ist damals voll Angst und Beben geflohen.
Aber warum, könnte man fragen, hat denn Gott den Abraham nicht die Hand wirklich in’s Blut tauchen lassen und dann unverzüglich den geschlachteten Sohn wiederum in’s Leben gerufen? Weil Gott ein solches Blut nicht annehmen darf; für unholde Geister wäre das ein Mahl. So aber trat Beides hier zu Tage, des Herrn Güte und Milde und die treue Ergebenheit des Knechtes. Früher war Abraham ausgezogen aus seinem Lande, jetzt hatte er auch die Natur hinter sich gelassen. Darum bekam er auch mit Zinsen das Geliehene zurück. Denn er wollte lieber aufhören, Vater zu heissen, nur um als treuen Diener sich zu bewähren; daher wurde er nicht bloß Vater, sondern auch Priester. Und weil er aus Liebe zu Gott hingegeben, was sein war, so schenkte Gott ihm Alles wieder, zugleich mit Dem, was Gott selbst gehörte. So sehen wir nun, wenn Gottes Feinde Anschläge gegen die Gerechten machen, so läßt es Gott bis zum Werke kommen und hilft dann durch Wunder; so bei den Jünglingen im Feuerofen, so bei Daniel in der Löwengrube; wenn aber Gott selbst es ist, der durch seine Befehle prüfen will, so ist dem Auftrage mit dem bereitwilligen Gehorsame genügt.
VII.
Was läßt sich denn, sage mir, an Abrahams Heldenmuth noch vermissen? Er konnte doch die Zukunft nicht vorauswissen, nicht schon im voraus auf die göttliche Großmuth rechnen! Wenn er auch ein Prophet war, so weiß doch auch der Prophet nicht Alles. Denn sonst wäre ja das ganze Opfer überflüssig und Gottes unwürdig gewesen. Und sollte Abraham daraus lernen, daß Gott die Macht habe, vom Tode zu erwecken, so hatte er gerade davon einen weit stärkeren Beweis in der wunderbaren Mutterschaft seiner Gattin gesehen; und auch vor diesem Erweise wußte er es schon, denn er war ja gläubig. — Du aber bewundere nicht bloß diesen Gerechten, sondern suche ihn auch nachzuahmen; und wenn du siehst, wie er in solchem Auffuhr und Gebrause der Wogen wie über spiegelklare Fläche ruhig dahinfährt, so greife auch du nach dem Steuer des Gehorsams und des männlichen Muthes. Denn nicht Das allein mußt du mir sagen, er habe nur einen Altar hergerichtet und das Holz, sondern gedenke auch der Stimme des Knaben und erwäge, welch’ zahllose Heerhaufen wohl mit furchtbarem Ungestüm auf ihn eindrangen, als er die Worte des Sohnes hörte: „Das Opferthier, wo ist es?“ Welch ein Gewühle von Gedanken mochte da aufgeregt werden, und alle bewaffnet nicht mit Schwertern, sondern mit glühenden Speeren, die von allen Seiten dem Vater in’s Herz sich bohrten und es zerrissen. Wenn es so schon Manchen, auch Solchen, die nicht Väter sind, zu Herzen geht und sie weinen würden, wenn sie nicht den Ausgang wüßten — ja Manche sehe ich wirklich weinen, obschon sie ihn wissen — wer vermag erst den Schmerz des Vaters zu ermessen, des Vaters, der den Knaben erzeugt und aufgezogen, der selbst schon hochbejahrt war, der nur diesen einen Sohn, den herrlichen hatte, der ihn sah und hörte und jetzt schlachten sollte!
Und von welcher Einsicht zeugen Isaaks Worte, von welcher Sanftmuth seine Frage! Aber wer hat ihm denn diese Worte eingegeben? Etwa der Satan, um die väterlichen Gefühle in Brand zu setzen? Das sei ferne! Es war im Gegentheile Gott selbst, um die Seele des Gerechten, schon lauter wie Gold, noch mehr zu läutern. Wenn das Weib des Job den Mund öffnet, so ist es auf Antrieb des Teufels; denn solcher Art ist ihr Rath. Aber aus Isaaks Munde kommt kein frevelnd Wort; an ihm ist Alles fromm und sinnig. Und welche Lieblichkeit liegt über seine Reden gebreitet, wie strömen sie so süß wie Honig aus dem Innern einer sonnigklaren und sanften Seele! Wahrlich ein Herz von Stein hätten solche Worte erweichen mögen; aber Abrahams eherne Seele konnten sie nicht bezwingen, nicht wankend machen. Er spricht nicht etwa, Was nennst du mich Vater? Noch eine kurze Zeit, und ich bin nicht mehr dein Vater, ja diesen Ehrennamen habe ich jetzt schon eingebüßt! — Aber was bewegt denn auch den Knaben zu fragen? Es war durchaus nicht die Begierde, auszuforschen, was ihn nicht anging, sondern die Angst, was da kommen würde. Denn er dachte bei sich: Wollte der Vater mich bei Dem, was er thun will, nicht zum Theilnehmer haben, so hätte er nicht die beiden Knechte unten gelassen und mich allein mitgenommen. Darum frägt er auch jetzt erst, nachdem sie allein waren und sonst Niemand das Gesagte vernehmen konnte; so einsichtsvoll war dieser Knabe. Fühlt ihr euch nicht alle im Innersten ergriffen, Männer wie Frauen? Umarmt nicht ein Jedes von euch und küßt im Geiste diesen Knaben und bewundert seine Einsicht und schaut mit Ehrfurcht auf den kindlich frommen Sinn, mit dem er sich binden und auf’s Holz legen läßt, ohne ausser sich zu gerathen, ohne aufzuspringen und den Vater des Wahnsinns zu zeihen? Ja er läßt sich binden und emporheben und auf’s Holz legen, geduldig und schweigsam wie ein Lamm, oder vielmehr wie unser aller Herr. Denn Isaaks Sanftmuth war das Vorbild der Sanftmuth Christi, von dem geschrieben steht: „Wie ein Schaf zur Schlachtbank läßt er sich führen, und dem Lamme gleich vor seinem Scheerer ist er stumm.“56 Aber Isaak hat doch geredet, und auch sein Herr hat geredet. Woher nun „stumm“? Das will sagen, Isaak sprach kein erzürntes, kein rauhes Wort, sondern nur Sanftes und Liebliches, und mehr als das Schweigen offenbarte gerade sein Reden die Milde seines Herzens. So sprach auch Christus: „Habe ich unrecht geredet, so erweise das Unrecht, wenn aber recht, warum schlägst du mich?“57 Und Das gibt deutlicher von seiner Sanftmuth Zeugniß, als wenn er ganz geschwiegen hätte. Und wie Isaak zum Vater vom Opferaltare, so spricht auch Christus vom Kreuze herab; „Vater,“ sagt er, „verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“58 Was antwortet nun der Patriarch? „Gott wird sich ersehen ein Thier zum Brandopfer, mein Sohn.“ Beide nennen die Namen der innigsten Beziehung, der Sohn spricht „Vater“ und der Vater „Sohn“; und in beider Herzen schwerer Kampf und gewaltiger Sturm, aber nirgends Schiffbruch; denn die Stärke der Seele überwindet Alles. Und wie Isaak den Namen Gottes gehört, da frägt und forscht er nicht weiter, eine solche Reise war schon in ihm in der ersten Blüthe der Jahre.
Siehst du also den König? Siehst du die Heere, die er überwunden, die Schlachten, aus denen er siegreich hervorgegangen? Denn so fürchterlich waren nachmals nicht die Barbaren für die Stadt Jerusalem, als sie Sturm auf Sturm folgen ließen, wie diese Gedanken damals den Patriarchen von allen Seiten umlagert hielten; und doch hat er sie alle bezwungen ! Willst du auch den Priester sehen? Du brauchst nicht lang zu suchen. Wenn du ihn mit dem Feuer und dem Schwerte vor dem Opferaltare stehen siehst, was zweifelst du noch weiter über sein Priesterthum? Und willst du auch das Opfer sehen, so ist es ein zweifaches: Er opfert den Sohn, er opfert das Lamm und vor beiden seinen eigenen Willen. Und mit dem Blute des Thieres weiht er seine Hand, mit dem Opfer des Sohnes sein Herz. Und so wird er zum Priester geweiht durch das Blut des Eingebornen und das Opfer des Lammes. Denn auch die Priester wurden einst geheiligt mittels des Blutes, nämlich des Blutes der Gott dargebrachten Opferthiere. Willst du endlich auch den Propheten sehen? Christus sagt: „Abraham, euer Vater, hat frohlockt, meinen Tag zu schauen; er hat ihn gesehen und hat sich gefreut.“59 Und so bist auch du König, Priester und Prophet im Taufbade geworden: König, indem du die schlechten Handlungen zu Boden geschmettert und die Sünden ertödtet hast; Priester, indem du dich selbst Gott dargebracht und deinen eigenen Leib geopfert hast und selbst zum Opfer geworden bist; denn „wenn wir mit ihm sterben,“ heißt es, „so werden wir auch mit ihm leben.“60 Prophet endlich, indem du die Geheimnisse der Zukunft weißt und von Gottes Geist durchweht und mit dem Merkmal des Geistes bezeichnet bist. Denn wie den Kriegern ein Mal, so wird den Gläubigen der heilige Geist eingeprägt; und würdest du ausreissen, so bist du Allen erkennbar. Wie nämlich die Juden einst als Siegel die Beschneidung, so haben wir das Pfand des Geistes.
Indem wir nun Dieses wissen und unsere hohe Würde erwägen, so wollen wir auch ein Leben führen würdig der Gnade, damit wir einst des himmlischen Reiches theilhaftig werden; zu welchem wir alle gelangen mögen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und für ewige Zeiten. Amen.