Читать книгу Homilien über den zweiten Brief an die Korinther - Johannes Chrysostomos - Страница 8
Vierte Homilie.
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23. Ich aber rufe Gott zum Zeugen an über meine Seele, daß ich aus Schonung für euch nicht wieder nach Korinth gekommen bin.
Was sagst du, heiliger Paulus? Aus „Schonung“ willst du nicht nach Korinth gekommen sein? Das steht doch zum Vorhergehenden in offenem Widerspruche. Denn vorher hast du versichert: Ich bin darum nicht gekommen, weil ich meine Entschlüsse nicht nach dem Fleische fasse, weil ich nicht frei über mich verfügen kann, sondern lediglich vom heiligen Geiste bestimmen lasse, wohin ich gehen soll; und auch die Drangsale hast du als Grund angegeben. Hier aber sagst du, aus eigenem Ermessen, nicht auf Antrieb des Geistes seiest du nicht gekommen. Denn „aus Schonung für euch,“ heißt es, „bin ich nicht nach Korinth gekommen.“ Was ist nun da zu erwidern? Entweder kam auch eben dieser Gedanke vom Geiste, so daß Paulus für seine Person zwar kommen wollte, aber der heilige Geist ihm eingab, nicht hinzugehen, eben aus Schonung für die Korinther; oder der Apostel hat hier einen anderen Besuch im Auge, vielleicht daß er vor Abfassung des ersten Briefes nach Korinth kommen wollte, aber aus Liebe sich zurückgehalten habe, um sie nicht ungebessert zu überraschen. Doch bleibt es wahrscheinlich, daß Paulus nach dem zweiten Briefe auch dann noch, als der Geist ihn nicht mehr abhielt, aus diesem Grunde freiwillig mit dem Kommen gezögert habe. Und diese letztere Annahme empfiehlt sich am meisten, nämlich daß Anfangs zwar der heilige Geist ihm hinderlich gewesen, hernach aber auch die eigene Erwägung ein längeres Fernbleiben habe räthlich erscheinen lassen.
Sehen wir nun wieder die Art und Weise, wie Paulus von sich selbst Erwähnung thut, wie er nämlich — und Dieses werde ich immer wieder hervorheben — Das, was dem Anscheine nach gegen ihn spricht, zu seinen Gunsten zu wenden weiß. Denn die Korinther mochten wohl bei sich denken: Darum hast du nicht kommen wollen, weil du uns nicht lieb hast. Paulus dagegen zeigt ihnen, es sei gerade die Liebe gewesen, die ihn gehindert habe, zu kommen. — Was meint er denn aber unter dieser „Schonung“? Ich hatte gehört, will er sagen, daß Einige von euch in die Sünde der Unzucht gefallen sind; ich wollte also nicht kommen und euch betrüben. Denn einmal anwesend hätte ich die Sache untersuchen, mit Strafen vorgehen und von Vielen Genugthuung verlangen müssen. Da hielt ich es nun für gerathener, fern zu bleiben und Zeit zur Buße zu lassen, als sogleich zu kommen und strafend einzuschreiten und so meine eigene Bitterkeit zu vermehren. Daß Paulus Das wirklich meint, Das ersehen wir deutlich aus der Stelle am Ende dieses Briefes, wo er sagt: „Ich fürchte, es möchte etwa, wenn ich komme, Gott mich demüthigen vor euch und ich Solche viele betrauern müssen, die vorher gesündigt und nicht Buße gethan haben wegen der Unlauterkeit und Unzucht, die sie begangen haben.“61 Das will er ihnen nun auch hier zu bedenken geben, und so hat seine Rede zwar den Schein der eigenen Rechtfertigung, im Grunde aber ist sie für die Korinther ein herber Tadel und eine nachdrückliche Drohung. Denn Paulus läßt durchblicken, daß sie Strafe verdient hätten und ihr auch sicherlich nicht entgehen würden, wenn sie sich nicht ungesäumt besserten. Auch Das finden wir ausgesprochen am Schlusse des Schreibens, wenn es heißt: „Sobald ich wieder komme, werde ich nicht schonen.“62 Der Unterschied ist nur, daß dort die Sprache entschiedener, hier aber, weil noch am Anfange des Briefes, mehr zurückhaltend ist. Aber auch so, wie er es sagt, ist es ihm noch zu hart, darum sucht er es durch nähere Erklärung wieder zu mildern. Denn weil seine Sprache als die eines Mannes erscheinen mochte, dem große Macht zur Verfügung steht — man redet ja füglich nur dann von Schonung, wenn man die Macht hat, zu strafen — so bestrebt er sich, die Härte wieder zu mildern und die rauhe Seite zu verhüllen, indem er fortfährt: „Nicht als wollten wir eine Herrschaft über euren Glauben üben;“ das heißt: Nicht darum habe ich gesagt, ich sei aus Schonung für euch nicht gekommen, als wollte ich eine herrische Gewalt über euch üben. Doch heißt es nicht: Über euch, sondern: „Über euren Glauben,“ was den Vorzug größerer Milde und Genauigkeit hat; denn wer vermag Den zu zwingen, der nicht glauben will? — „Sondern wir wollen beitragen zu eurer Freude.“ Weil ja eure Freude, will er sagen, auch die meinige ist, so habe ich nicht kommen wollen, um euch nicht wehethun zu müssen und so meine eigene Betrübniß zu vermehren. Ich hielt mich lieber ferne, damit ihr einstweilen in Folge meiner Drohung euch bessern und dann über meine Ankunft euch aufrichtig freuen möget. Denn Alles thue ich, um euch Freude zu machen; dieses Ziel schwebt mir immer vor Augen , weil ja auch ich an dieser Freude Antheil habe. — „Denn im Glauben steht ihr fest.“ Beachten wir wieder die schonende Zurückhaltung. Paulus nimmt Anstand, sie von neuem zu tadeln, nachdem er sie schon im vorigen Briefe so hart angelassen und sie einige Besserung gezeigt hatten. Denn Das hätte sie ja vom rechten Wege abbringen können, wenn sie trotz der Besserung wieder den gleichen Tadel hinnehmen müßten. Daher die weit mildere Sprache dieses zweiten Briefes.
Kap. II.
1. Beschlossen aber habe ich für mich selbst, nicht wieder in Trauer zu euch zu kommen.
Das „wieder“ läßt erkennen, daß ihm von ihrer Seite schon einmal Betrübniß war verursacht worden. Und so gestaltet sich die anscheinende Rechtfertigung zu einer unvermerkten Anklage. Denn wenn ihn die Korinther schon einmal betrübt hatten und nun künftig wieder betrüben sollten, wie groß mußte dann nicht die Bitterniß in seinem Innern werden? Zwar sagt er nicht geradezu: Ihr habt mich betrübt; aber die Wendung, die er der Rede gibt, drückt Dasselbe aus. Er sagt nämlich: Ich bin aus dem Grunde nicht gekommen, weil ich euch nicht betrüben wollte. Das hat aber genau den gleichen Sinn, nur hört es sich leichter.
2. Denn wenn ich euch betrübe, wer ist es dann, der mich erfreute, ausser Der, welcher von mir betrübt wird?
Wie stimmt nun Das zum Vorhergehenden? Ganz genau. Denn erwäge nur! Ich wollte nicht zu euch kommen, sagt er, um euch nicht durch Äusserungen des Tadels, des Zürnens und Unwillens allzusehr zu betrüben. Aber auch Das klingt noch zu hart und schließt einen Vorwurf ein, wenn ja ihr Leben der Art war, daß sie den Paulus betrübten. Darum sucht er sich sogleich wieder zu verbessern, indem er sagt: „Denn wenn ich euch betrübe, wer ist es dann, der mich erfreute, ausser wer von mir betrübt wird?“ Diese Worte drücken ungefähr aus: Würde es mir bei meiner Ankunft auch Kummer verursachen, wenn ich gezwungen wäre, euch zu tadeln und betrübt zu sehen, so würde doch diese eure Betrübniß mir wieder Freude machen. Denn Das würde mir der stärkste Beweis eurer Liebe sein, wenn ich wahrnähme, daß ich bei euch so hoch stehe, daß mein Zürnen euch bis in’s Innerste betrübt.
II.
Übersehen wir nicht, mit welcher Einsicht Paulus zu Werke geht! Denn was sich bei Schülern von selbst versteht, daß sie den Tadel des Lehrers schmerzlich empfinden, Das weiß er so zu wenden, als würden ihm die Schüler damit eine Gnade erweisen. Denn Der, sagt er, macht nur die größte Freude, welcher sich meine Worte recht zu Herzen nimmt und sich grämt, wenn er mich zürnen sieht. Die genaue Folge hätte nun zwar verlangt, zu sagen: Wenn ich euch betrübe, wer ist es dann, der euch erfreut? Aber aus herablassender Güte gebt er wieder von dieser Folge ab und sagt: Wenn ich euch betrübe, so erweist ihr mir gerade dadurch die größte Gnade, daß euch meine Worte recht schmerzlich berühren.
3. Denn eben Dieses habe ich euch auch geschrieben.
Was denn? Daß ich aus Schonung für euch nicht kommen wollte. Und wann schrieb er Das? Etwa im ersten Briefe, als er sagte: „Ich will euch dießmal nicht im Vorbeigehen sehen“?63 Das meine ich nicht; es ist vielmehr in diesem zweiten Schreiben, wenn er sagt: „Ich fürchte, es möchte mich, wenn ich komme, mein Gott wieder demüthigen vor euch.“ Ich habe nun eben Dieses, will er sagen, geschrieben am Ende dieses Briefes mit den Worten: „Ich fürchte, es möchte mich, wenn ich komme, mein Gott wieder demüthigen vor euch und ich Viele betrauern müssen, die vorher gesündigt haben.“64 Und warum hast du Das geschrieben? „Damit ich nicht, wenn ich gekommen bin, Betrübniß habe von Denen, über die ich mich freuen sollte, indem ich zu euch allen das Vertrauen habe, daß meine Freude die von euch allen ist.“ Er hat nämlich vorher gesagt: Über euere Betrübniß freue ich mich. Das erscheint ihm aber zu bitter und rauh. Darum gibt er seiner Rede in Dem, was er hier folgen läßt, eine andere, mildere Wendung. Ich habe euch, sagt er, in der Absicht vorher geschrieben, damit ich nicht zu meinem Schmerze euch ungebessert überrasche. Darum habe ich gesagt: „Damit ich nicht, wenn ich gekommen bin, Betrübniß habe,“ indem ich nicht auf mich schaue, sondern auf euch. Denn ich weiß ja, daß ihr euch freut, wenn ihr mich freudig seht, daß ihr euch betrübt, wenn ihr mich traurig seht.
Betrachten wir nun noch einmal den ganzen Zusammenhang; denn so wird uns die Rede leichter verständlich. Paulus sagt: Ich wollte nicht nach Korinth gehen, um euch nicht betrüben zu müssen, wenn ich euch im sündhaften Zustande träfe. Dabei leitete mich die Rücksicht auf euch, nicht auf mich. Denn mir persönlich würde euere Betrübniß nicht geringe Freude machen, indem ich daraus abnehmen könnte, wie ich bei euch so hoch in Ansehen stehe, daß mein Zürnen euch betrübt und schmerzt. „Denn ist es, der mich erfreut, ausser Der, welcher sich von mir betrüben läßt?“ Aber trotz dieser meiner günstigen Lage habe ich doch, einzig auf euren Vortheil bedacht, euch eben Dieses geschrieben, damit ich nicht bei meiner Ankunft Betrübniß habe; und auch das Letztere möchte ich wieder ausschließlich euch zuliebe vermieden sehen. Denn ich weiß ja, daß der Anblick meines Schmerzes euch betrüben würde, wie umgekehrt die Wahrnehmung meiner Freude euch erfreut. Bemerken wir nun die hohe Einsicht! Er hat gesagt: Ich bin nicht gekommen, um euch nicht betrüben zu müssen, obschon diese Betrübniß mich erfreuen würde. Aber so könnte es scheinen, als ob er Freude an ihrem Schmerze hätte; darum fügt er bei: Von einer Freude ist nur insofern die Rede, als ich die Wirkung meiner Rüge sehe; auf der anderen Seite schmerzt es mich selbst, wenn ich Solche, die mich so lieben, betrüben muß; und nicht bloß das Tadeln fällt mir schwer, sondern auch der Umstand, daß mein eigener Kummer wieder erschwerend auf euere Betrübniß zurückwirkt.
Beachten wir auch, wie Paulus sogar mit einigem Rühmen bemerkt: „Über die ich mich freuen sollte.“ Damit drückt er die Gefühle seiner väterlichen, innigen Zuneigung aus. Denn so spricht man etwa von Söhnen, denen man große Wohlthaten erwiesen, auf die man viele Mühe verwendet hat. Wenn nun das der Grund ist, will er sagen, warum ich schreibe und nicht selbst komme, so verfolge ich damit einen wichtigen Zweck, und es bestimmt mich nicht etwa die Abneigung oder Geringschätzung gegen euch, sondern die Innigkeit meiner Liebe. Dann weil er gesagt hat: Wer mich betrübt, erfreut mich, so fürchtet er, sie möchten vielleicht erwidern: Darauf geht also dein Streben hin, daß du für dich Freude habest und uns allen deine Macht fühlen lassest? Darum fährt er fort:
* 4. Denn aus vieler Bedrängniß und Angst des Herzens habe ich euch geschrieben, unter vielen Thränen, nicht damit ihr betrübt, sondern damit ihr die Liebe inne würdet, die ich über die Maßen zu euch hege.*
Diese Worte gebend uns einen tiefen Einblick in das liebeerfüllte Herz des Paulus. Denn sein eigener Schmerz war nach dieser Darstellung nicht geringer, ja noch weit größer als die Betrübniß Derjenigen, die wirklich gesündigt hatten. Denn aus vieler Bedrängniß, versichert er, unter vielen Thränen und in Angst des Herzens habe ich euch geschrieben. Und Das, „nicht damit ihr betrübt, sondern damit ihr inne würdet die Liebe, die ich in besonderem Grade zu euch hege.“ Die genaue Folge wäre nun zwar gewesen: „Nicht damit ihr betrübt, sondern damit ihr gebessert würdet.“ Denn das war der Zweck des Schreibens. Aber um seiner Rede ein recht liebliches Gewand zu geben und umsomehr die Herzen zu gewinnen, geht Paulus von der genauen Folge ab und bringt so zum Ausdrucke, daß ihn bei Allem die Liebe leite. Er sagt auch nicht einfach. Damit ihr inne würdet meine Liebe, sondern: „Die Liebe, die ich in besonderem Grade zu euch hege.“ Auch das ist ihm ein Mittel, die Gemüther an sich zu ziehen, daß er ihnen zu erkennen gibt, er sei ihnen mehr als allen Anderen zugethan und betrachte sie als seine auserwählten Schüler, ähnlich drückt er sich auch an anderen Stellen aus, wenn er sagt: „Bin ich auch Anderen nicht Apostel, so bin ich es doch euch;“65 und wieder: „Wenn ihr viele Erzieher hättet, so doch nicht viele Väter;“66 und ferner: „In Gnade Gottes sind wir gewandelt in der Welt, mit Vorzug aber bei euch.“ Und weiter unten sagt er: „Obwohl ich, je mehr ich euch liebe, desto weniger Gegenliebe finde.“67 Und hier versichert er: „Damit ihr inne würdet die Liebe, die ich in besonderem Grade zu euch hege.“
III.
So war denn die Sprache des ersten Briefes zwar zürnend, aber doch der Ausfluß einer liebevollen schmerzlich bewegten Seele. Denn während des Schreibens, sagt er, schnürte mir Leid und Betrübniß das Herz zusammen, nicht bloß wegen euerer Verirrung, sondern auch wegen der Nothwendigkeit, euch wehe thun zu müssen. Es ging mir wie etwa einem Vater mit dem geliebten Sohne, der ein böses Geschwür am Leibe hat, welches Schneiden und Brennen nothwendig macht. Dem Vater geht da Beides nahe, sowohl die Krankheit des Sohnes als auch das schmerzliche Heilverfahren. Was euch darum als Zeichen der Abneigung erscheinen mochte, das war ein Merkmal einer ganz besonderen Liebe. Wenn es aber schon Antrieb der Liebe war, daß ich euch betrübte, so hat noch um viel mehr meine Freude über euere Betrübniß ihren Ursprung in der Liebe.
Hiemit schließt nun Paulus seine Vertheidigung; er nimmt nämlich nicht Anstand, bei manchen Gelegenheiten sein eigenes Verhalten zu rechtfertigen; denn wenn Gott selbst Dieses thut und beim Propheten sagt: „Mein Volk, was habe ich dir gethan?“68 warum denn nicht auch Paulus? Nachdem er nun seine eigene Rechtfertigung beendet hat, so geht er jetzt daran, zu Gunsten jenes „Unzüchtigen“ ein Wort zu sprechen. Damit aber der scheinbare Widerspruch in den Anordnungen die Korinther nicht verwirre oder dem Eigenwillen zur Stütze diene, weil ja ein und derselbe Paulus es war, der zuerst so gezürnt hat und jetzt zur Nachsicht mahnt, so sucht er dieser Möglichkeit weise vorzubauen, theils durch Das, was er schon gesagt hat, theils durch Das, was er jetzt sagen will. Was sagt er denn weiter?
5. Wenn aber Jemand betrübt hat, so hat er nicht mich betrübt.
Nachdem er zuerst die Korinther gelobt, daß sie Freude und Leid mit ihm theilen, nachdem er von ihnen gesagt hat, „Ich habe das Vertrauen, daß meine Freude die von euch allen ist,“ so kommt er nun jetzt auf jenen Sünder zu sprechen. Wenn aber meine Freude, will er sagen, die Freude von euch allen ist, so müßt ihr jetzt mit mir euch freuen, gleichwie ihr vorher mit mir euch betrübt habt. Und wie euere damalige Betrübniß mich erfreut hat, so wird auch euere gegenwärtige Freude, wenn ihr anders sie empfindet, dieselbe Wirkung auf mich haben. Und Paulus sagt nicht: Mein Schmerz ist der von euch allen; bei anderen Gelegenheiten hebt er auch Das hervor, hier aber redet er nur von Dem, worauf es zunächst ankam, von der Freude, indem er sagt: „Meine Freude ist euer aller Freude.“ Dann berührt er auch die früheren Vorkommnisse und spricht: „Wenn aber Jemand betrübt hat, so hat er nicht mich betrübt, sondern einigermaßen, damit ich nicht beschwere, euch alle.“ Ich weiß, will er sagen, ihr habt mit mir gezürnt und meine Entrüstung über jenen Frevel getheilt, und einigermaßen hat der Fall euch alle betrübt. Ich sage absichtlich „einigermaßen“, nicht als wollte ich damit ausdrücken, es sei euer Schmerz geringer als der meinige gewesen, sondern um Den, der gesündigt, nicht allzu sehr niederzubeugen. Nicht ich allein bin es demnach, den er betrübt hat, auch ihr seid es in gleichem Grade, und nur aus Schonung für den Mann habe ich von einem theilweisen Betrüben gesprochen. So weiß Paulus ihre Erregung rasch zu beschwichtigen, indem er anerkennend hervorhebt, daß sie vorher auch seinen Unwillen über den Frevel getheilt haben.
* 6. Genug ist für den so Beschaffenen diese Züchtigung, die von der Mehrheit ist auferlegt.*
Wie im ersten Briefe, so sagt Paulus auch hier: „Für den so Beschaffenen,“ nicht. Für jenen Unzüchtigen; aber der Grund dieser unbestimmten Ausdrucksweise ist beidesmal ein anderer; dort war es der Abscheu, hier ist es die Schonung. Darum gedenkt er auch sonst nicht weiter der Versündigung, denn es handelt sich ja hier um die Fürsprache.
7. So daß ihr im Gegentheile lieber verzeihen und trösten sollt, damit der so Geartete nicht etwa von der übermäßigen Traurigkeit verschlungen werde.
Die Korinther sollen nicht bloß die Strafe erlassen, sondern auch das frühere gute Einvernehmen wieder herstellen. Aber auch Jener darf nicht das Haupt erheben und nicht etwa in Folge der Nachsicht schlimmer werden. Denn wenn er auch seine Sünde bekannt und bereut hat, so ist doch die Nachlassung mehr ein Geschenk der Gnade als eine Folge seiner Buße. Darum sagt Paulus: „Ihr sollt im Gegentheile lieber verzeihen und trösten.“ Und in Dem, was er weiter sagt, liegt derselbe Gedanke. Nicht weil der Mann es verdient, nicht weil die Buße, die er gewirkt hat, völlig ausreichend ist, sondern weil er so schwach ist, darum sagt Paulus: „Ich ermahne, zu verzeihen und zu trösten;“ darum fährt er auch fort. „Damit der so Geartete von der übermäßigen Trauer nicht verschlungen werde.“ Diese Worte bezeugen jenem Manne eine große Reue und wollen der Möglichkeit der Verzweiflung vorbeugen. Was heißt denn aber: „Damit er nicht verschlungen werde“? Daß er nicht etwa wie Judas seinem Leben ein Ende mache oder, wenn nicht Das, in einen noch schlechteren Lebenswandel sich stürze. Denn wenn er unvermögend, den Schmerz der langen und schweren Züchtigung länger auszuhalten, mit einem Male das Joch abwirft, so könnte er leicht in der Verzweiflung entweder zum Stricke laufen oder schlimmer denn vorher werden. Darum müssen wir Vorsorge treffen, daß wir nicht, was wir bereits gewonnen, durch das Übermaß wieder verlieren.
IV.
Dieses sagt Paulus, um, wie schon bemerkt, jenen Büßer in der Demuth zu erhalten und ihn zu warnen, sich nach erlangter Verzeihung nicht allzu sorglos gehen zu lassen. Ich habe ihn wieder aufgenommen, sagt er, nicht als hätte er sich von seinen Flecken völlig rein gewaschen, sondern weil man sich sonst eines Schlimmeren von ihm versehen müßte. Daraus lernen wir denn, daß wir nicht bloß nach der Beschaffenheit der Versündigung, sondern auch nach der geistigen Verfassung des Sünders Maß und Grenze der Buße bestimmen sollen. So hat es damals auch Paulus gemacht. Er fürchtet die Schwäche des Büßers; darum sagt er: „Damit er nicht verschlungen werde,“ wie man etwa von einem wilden Thiere, von Sturm und Woge verschlungen wird.
8. Deßhalb bitte und mahne ich euch.
Der Apostel befiehlt nicht mehr, sondern bittet und mahnt; er spricht nicht in seiner Eigenschaft als Lehrer, sondern wie einer aus ihrer Mitte. Die Korinther setzt er auf den Richterstuhl, er selbst stellt sich auf den Platz des Vertheidigers. Er sieht ja an dem Büßer seine Absicht erreicht, darum findet er vor Freude kaum die rechte Grenze in der Fürsprache. Und was ist denn wohl Das, zu was du sie mahnst? „Daß ihr in Bezug auf ihn die Liebe feierlich beschließet,“ das ist, sie öffentlich bekräftigt, nicht etwa kalt und gleichgiltig ihn aufnehmet. Mit diesen Worten gibt Paulus den Korinthern das Zeugniß einer hohen Tugend. Denn während vorher jener Mann so hoch in Gunst und Ansehen bei ihnen stand, daß sie sogar stolz auf ihn waren, so hatten sie jetzt sich so entschieden von ihm abgewandt, daß Paulus große Mühe hat, sie zu bewegen, der Liebe wieder offenen Ausdruck zu geben. So ist es recht bei Schülern, so steht es gut mit den Lehrern, wenn die Schüler so bereitwillig gehorchen und der Lehrer ihrem Eifer das Maß bestimmt. Würde Das auch bei uns so sein, so würden nicht die Sünder ohne Scheu im Bösen fortfahren. Denn weder darf man Jemand blind zugethan sein, noch auch ohne guten Grund sich von Jemand abwenden.
9. Denn zu dem Zwecke habe ich euch auch geschrieben, damit ich die Echtheit euerer Gesinnung kennen lerne, ob ihr in Allem gehorsam seid.
„In Allem,“ sagt Paulus; also nicht bloß, wenn es sich um das Ausschließen, sondern, auch wenn es sich um die Wiederaufnahme handelt. Siehst du, wie er ihnen auch hier wieder Besorgniß einflößt? Damals, als der Frevel stattfand, machte er ihnen Angst, wenn sie den Sünder nicht ausschließen würden, indem er schrieb: „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.“69 Und jetzt erweckt er ihnen wieder Furcht vor den Folgen des Ungehorsams, indem er ungefähr sagt: Wie ihr damals nicht bloß über jenen Sünder, sondern auch über euch selbst zu Gericht gesessen, so müßt ihr auch gegenwärtig sogar mehr mit Rücksicht auf euch als auf jenen Mann die Entscheidung treffen, sonst könntet ihr als allzu eigenwillig und unbarmherzig erscheinen und nicht in allen Stücken gehorsam. Darum heißt es: „Zu dem Zwecke habe ich euch auch geschrieben, damit ich die Ächtheit euerer Gesinnung kennenlerne, ob ihr in Allem gehorsam seid.“ Bei der Ausschließung konnte vielleicht Mißgunst und Übelwollen mitgewirkt haben, aber in der Wiederaufnahme zeigt sich der ächte und volle Gehorsam, und ob ihr auch den Gefühlen der Milde zugänglich seid. — So steht es braven Schülern zu, dem Lehrer in Allem zu gehorchen, mag er nun so oder anders verordnen. Darum sagt Paulus: „in Allem“ und gibt damit den Korinthern zu verstehen, daß ein etwaiger Ungehorsam nicht so fast dem Büßer als ihnen selbst zur Schande gereichen würde, weil sie in den Ruf eigensinnigen Festhaltens kämen. Und Dieses thut er, um Nichts unbenützt zu lassen, was sie zum Gehorsame bewegen kann. Darum sagt er auch: „In der Absicht habe ich euch geschrieben.“ Es war das freilich nicht der vornehmste Zweck des Schreibens, aber Paulus hebt ihn hier eigens hervor, um sich die Gemüther geneigt zu machen. Die Hauptabsicht war das Heil jenes Schuldigen gewesen. Aber wo es weiter keinen Nachtheil bringt, da thut Paulus auch gerne Etwas den Schülern zu Liebe. In den Worten: „Gehorsam in Allem“ liegt wieder eine Anerkennung; Paulus erinnert sie damit an den früheren Gehorsam und stellt ihnen diesen als Muster auf.
10. Wem aber ihr Etwas vergebet, dem auch ich.
Wiederum wählt er für sich die zweite Stelle, so daß jene vorangehen und er ihnen folgt. Das ist geeignet, ein aufgeregtes Gemüth zu besänftigen und blindem Eifern ein Ende zu machen. Aber die Korinther dürfen nicht hochmüthig werden, als waren sie die unumschränkten Herren und dürften über den Apostel hinwegsehen. Darum weist er sie sogleich wieder in die Schranken, indem er hervorhebt, daß auch er vergeben habe. „Denn auch ich habe,“ sagt er, „wenn ich Etwas verziehen, was ich verziehen, um euretwillen vergeben.“ Auch Dieses habe ich euch zulieb gethan. Es wiederholt sich hier wieder dasselbe Verfahren wie bei der Ausschließung des Sünders. Damals gab Paulus den Korinthern nicht die Befugniß, Gnade ergehen zu lassen, indem er schrieb. „Ich habe schon entschieden, den so Beschaffenen zu übergeben dem Satan.“ Aber er hatte auch die Korinther an der Entscheidung Antheil nehmen lassen, indem er sprach: „Da ihr versammelt seid, ihn zu übergeben.“ Und damit hatte er die zwei wichtigsten Zwecke erreicht: Für’s Erste wurde das Urtheil wirklich gefällt, für’s Zweite wirkten zur Vermeidung allen Anstoßes die Korinther mit; und Paulus hatte weder die Entscheidung allein getroffen, um sich nicht in den Ruf eines stolzen herrischen Auftretens zu setzen, noch hatte er sie ganz in die Hände der Korinther gelegt, damit sie nicht etwa im Besitze dieser Macht durch unzeitige Gnade den Sünder vollends verderben. So finden wir es ähnlich bei der Wiederaufnahme. Paulus sagt: "Ich habe bereits verziehen,“ wie ich damals bereits entschieden hatte. Und „vergeben euch zuliebe,“ versichert er, damit sie nicht etwa wegen Mangels an Rücksicht sich verletzt fühlten. Aber wie? Hat Paulus Menschen zulieb verziehen? Nein; darum fügt er bei: „Im Angesichte Christi.“ Das will sagen entweder mit Gutheissung Gottes oder zur Verherrlichung Christi.
11. Damit wir nicht übervortheilt würden vom Satan; denn dessen Gedanken sind uns nicht unbekannt.
So sehen wir, wie Paulus auf der einen Seite die Entscheidung den Korinthern anheimstellt, und auf der anderen Seite sie ihnen wieder entzieht, das eine, um sie zur Milde geneigt zu machen, das andere, um keine Überhebung aufkommen zu lassen. Und für diesen Zweck dient ihm nicht bloß Das, was er bereits bemerkt hat, sondern auch der weitere Hinweis, daß der Schaden des Ungehorsams ein gemeinsamer sein würde. Und wie er im ersten Briefe gesagt hat: „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig,“ so hebt er auch hier hervor: „Damit wir nicht übervortheilt werden vom Satan.“ So stellt er überall die Vergebung als eine gemeinschaftliche Angelegenheit von ihm und von ihnen dar.
V.
Gehen wir nun noch einmal die Gedanken durch! „Wenn Jemand betrübt hat,“ heißt es , „so hat er nicht mich (allein) betrübt, sondern einigermaßen, damit ich (ihn) nicht beschwere, euch alle; genug ist für den Mann die Strafe, die von der Mehrheit ist auferlegt.“ Das ist sein richterliches Gutachten. Aber die eigentliche Entscheidung trifft nicht er allein, sondern er zieht auch die Korinther bei, indem er sagt: „Ihr sollt im Gegentheil lieber verzeihen und trösten; darum mahne ich, ihm feierlich Liebe zu bezeigen.“ Damit überläßt er die ganze Entscheidung den Korinthern; dann geht er wieder zu seiner eigenen Machtvollkommenheit über, indem er spricht: „Denn in der Absicht habe ich euch auch geschrieben, damit ich kennen lerne euere ächte Gesinnung, ob ihr nämlich in Allem gehorsam seid.“ Dann stellt er wiederum die Gnade abwechselnd bald als Werk der Korinther dar, wenn er sagt: „Wem aber ihr Etwas vergebet, dem auch ich;“ bald als sein eigenes Werk, wenn er hervorhebt: „Denn auch ich habe, wenn ich Etwas verziehen, um euretwillen vergeben;“ bald endlich als gemeinschaftliches Geschenk beider Theile, wenn es heißt: „Auch ich habe, wenn ich Etwas verziehen, um euretwillen vergeben im Angesichte Christi,“ das ist zur Verherrlichung oder im Auftrage Christi. Und das Letzte mußte auf die Korinther den größten Eindruck machen. Sie mußten jetzt fürchten eine Gnade zu verweigern, die zur Ehre und nach dem Wohlgefallen Christi war. Endlich hebt Paulus auch den gemeinsamen Schaden hervor, den der Ungehorsam bringen würde, indem er sagt: „Damit wir nicht übervortheilt werden vom Satan.“ Passend gebraucht er das Wort „Übervortheilung“. Denn der Satan begnügt sich nicht mit Dem, was er schon hat, sondern sucht auch noch Das, was uns gehört, an sich zu reissen. Und sage mir nicht: Nur jener eine wird die Beute des Ungethüms; du mußt auch daran denken, daß die Heerde Christi verringert wird, und das gerade jetzt, wo sie das Verlorene wieder gewinnen könnte.
„Denn seine Gedanken sind uns nicht unbekannt,“ wie der Satan nämlich auch unter der Vorspiegelung der Frömmigkeit zu verderben weiß. Denn er versteht es, nicht bloß durch Verleitung zur Unzucht, sondern auch auf entgegengesetztem Wege, durch übermäßige Trauer ob der strengen Buße zu Grunde zu richten. Wenn er nun zu Denen, die ihm schon gehören, auch noch die Unsrigen nimmt, wenn er nicht allein durch Verlockung zur Sünde in’s Verderben stürzt, sondern sich auch der Buße, die wir auferlegen, als Mittel bedient, um Beute zu machen, heißt dann Das nicht im eigentlichen Sinne „übervortheilen“? Durch die Sünde zum Fall zu bringen ist ihm nicht genug; wenn wir nicht weise vorsehen, so thut er es auch durch die Buße. Darum redet Paulus ganz passend von Übervorteilung, wenn ja der Satan sogar mit unsern eigenen Waffen uns besiegt. Die Opfer, welche die Sünde ihm zuführt, muß man ihm lassen; denn sie gehören ihm; was er aber auf dem Wege der Buße erhascht, Das gehört ihm nicht; denn die Buße ist eine Waffe in unserer, nicht in seiner Hand. Wenn er nun auch auf diesem Wege Beute macht, wie schimpflich ist dann für uns die Niederlage, wie wird er nicht unserer Schwäche und Armseligkeit spotten und höhnen, da er ja mit unsern eigenen Waffen uns überwältigen kann! Es verdiente Das auch wahrlich den äussersten Schimpf und Hohn, wenn er sich unserer Heilmittel bediente, um uns Wunden zu schlagen. Darum sagt Paulus: „Seine Gedanken sind uns nicht unbekannt,“ das ist sein verschlagenes, tückisches Wesen, das immer Arges sinnt und Arges anthut, das uns den Schein der Frömmigkeit vorhält und uns dabei beeinträchtigt und schädigt.
Das wollen denn auch wir beherzigen und nie auf Jemand stolz herabsehen und nie in der Sünde verzweifeln; aber andererseits wollen wir auch nicht unbekümmert in der Sünde fortleben, sondern das Herz zerknirschen, nicht leere Worte im Munde führen. Denn mir sind gar Manche bekannt, die da angeblich ihre Sünden beweinen, die aber wenig damit erreichen. Sie fasten wohl und tragen rauhes Gewand, aber auf Geld sind sie mehr erpicht denn Krämer und Wirthe, vor Zorn wallen sie auf gleich wilden Thieren, und dem Nächsten Übles nachzureden macht ihnen mehr Freude als Anderen das Loben. Das ist keine wahre Buße; Das schaut wie Buße her, ist aber leerer Schatten, keine Wirklichkeit. Auf Solche findet Anwendung das Wort: „Sehet zu, daß wir nicht übervortheilt werden vom Satan; denn seine Gedanken sind uns nicht unbekannt.“ Die Einen führt er nämlich durch die Sünde in’s Verderben, die Anderen durch die Buße; bei Diesen aber geht er wieder einen anderen Weg: er läßt sie von ihrer Buße keine Frucht gewinnen. Weil er ihnen auf geradem Wege nicht beikommen kann, so wählt er den krummen: die Arbeit macht er ihnen sauer, aber die Frucht nimmt er ihnen weg; und dabei verleitet er sie zur Meinung, sie hätten schon Alles gethan und brauchten sich weiter um Nichts zu kümmern. Damit wir nun nicht umsonst uns abmühen, so will ich an derartige Frauen einige Worte richten; denn an Frauen findet sich vornehmlich dieses Gebrechen. Gut ist Das, was ihr gegenwärtig thut, das Fasten, das harte Lager, die Asche; wenn aber nicht hinzukommt, was noch abgeht, so ist Alles umsonst. Gott hat uns den Weg gezeigt, auf welchem er die Sünden erläßt; warum geht ihr nun von diesem Wege ab und bahnt euch eigenmächtig einen neuen? Gesündigt haben einst die Niniviten und dann Das gethan, was auch ihr gegenwärtig thut. Aber sehen wir, was ihnen geholfen hat. Denn gleichwie bei den Kranken die Ärzte Mancherlei Heilmittel anwenden, der verständige Arzt aber nicht darauf sieht, ob der Leidende Das und Das gethan, sondern was ihm geholfen hat, so müssen wir auch auf diesen Punkt das Augenmerk richten. Was hat nun jenen Heiden wirklich geholfen? Sie legten als Heilmittel auf ihre Wunden das Fasten, und zwar ein strenges Fasten, dazu hartes Lager und Sack und Asche und Wehklagen, aber sie vergaßen auch nicht die Besserung des Lebens.
VI.
Sehen wir nun, welches von diesen Mitteln sie gesund gemacht hat. Aber wie sollen wir Das herausbringen, frägst du? Wenn wir zum Arzte gehen und ihn selbst fragen; der wird es uns nicht verhehlen, sogar sehr gerne mittheilen. Ja, damit es ohne langes Fragen Jedermann wisse, so hat er das Mittel, das die Niniviten wieder aufgerichtet hat, sogar aufschreiben lassen. Welches ist nun dieses Mittel? „Es sah Gott,“ heißt es, „daß ein Jeder von ihnen sich bekehrte von seinem bösen Wege, und es bereute ihn des Unheils, das er über sie zu verhängen ausgesprochen hatte.“70 Es heißt nicht: Gott sah ihr Fasten, ihr Bußgewand und die Asche. — Das sage ich aber nicht, als wollte ich das Fasten beseitigen, gewiß nicht, sondern ich mahne nur, Das zu thun, was noch besser ist als Fasten, sich von aller Sünde enthalten. Gesündigt hat auch David;* sehen wir nun, wie auch er Buße gethan. Drei Tage lang saß er auf Asche. Aber Das that er nicht wegen der Sünde, sondern aus Liebe zum Knaben, denn er war seiner noch kaum mächtig ob des Schlages; aber von der Sünde selbst reinigte er sich auf andere Weise, durch Verdemüthigung vor Gott, durch Zerknirschung des Herzens und Betrübniß der Seele; auch fiel er nicht mehr in die alten Sünden, hatte beständig seine Verirrung vor Augen und ertrug mit Dank alles hereinbrechende Ungemach; er verzieh seinen Beleidigern, er rächte sich nicht an Denen, die ihm nach Thron und Leben strebten, ja er wehrte sogar Jenen, die Das thun wollten. Als z. B. Semei eine Fluth von Schmähungen über ihn ergoß und der begleitende Heerführer in Zorn gerieth, da sprach der König: „Laß ihn, daß er mich verwünsche, denn der Herr hat es ihm geboten.“71 Er hatte eben ein zerknirschtes und gedemüthigtes Herz; und Das war es vornehmlich, was ihn rein wusch von seinen Sünden; denn das ist rechtes Bekenntniß, das wahre Buße. Wenn aber zum Fasten sich der Hochmuth gesellt, so haben wir statt des Nutzens nur Schaden. Demüthige darum auch du dein Herz, damit Gott zu dir sich wende; denn „der Herr ist nahe Denen, die zerknirschten Herzens sind.“72 Siehst du nicht, wie in vornehmen Häusern entehrte Glieder den Schimpf selbst der niedrigsten Diener schweigend hinnehmen, eben wegen der Schande, in welche die Sünde sie gestürzt? So mache es denn auch du! Und wenn dich Jemand schmäht, so brause nicht auf, sondern seufze, nicht über die Beschimpfung, sondern über die Sünde, die dir Entehrung zugezogen. Ja, wenn du sündigst, sollst du seufzen, nicht wenn die Strafe kommt, denn dann hat es keinen Werth. Seufzen mußt du, weil du deinen Herrn beleidigt hast, einen Herrn, der so gütig ist, der dich so liebt, der so sehnlich nach deinem Heile verlangt, daß er sogar seinen Sohn für dich hingegeben. Das sind Gründe, aus denen du seufzen sollst und zwar unaufhörlich; denn Das ist das schönste Bekenntniß. Nicht heute fröhlich, morgen düster, dann wieder fröhlich, sondern immerfort sollst du Trauer und Zerknirschung in deinem Herzen nähren; denn: „Selig sind die Trauernden,“73 die nämlich ohne Aufhören Dieses thun.
Verharre darum beständig in der Trauer, sei immer in dich gekehrt und zerknirsche dein Herz, so etwa, wie man den Verlust eines geliebten Sohnes betrauert. „Zerreisset eure Herzen,“ mahnt der Prophet, „und nicht eure Kleider!“74 Was aber zerrissen ist, steigt nicht in die Höhe, was zermalmt ist, erhebt sich nicht. Darum sagt Joel: „Zerreisset eure Herzen;“ und David: „Ein Herz, zermalmt und gebeugt, wird Gott nicht verschmähen.“75 Magst du darum noch so gelehrt, magst du noch so reich, noch so mächtig sein, so zerreisse doch dein Herz, laß es nicht stolz und aufgeblasen werden! Denn was zerrissen ist, bläht sich nicht auf, und wenn auch ein Windhauch hineinfährt, so kann es doch den Schwall nicht halten, eben weil es zerrissen ist. So demüthige auch du deinen Sinn! Nimm dir ein Beispiel an dem Zöllner, den ein einziges Wort gerechtfertigt hat; und sein Bekenntniß war noch dazu nicht bloße Demuth, sondern lautere Wahrheit. Wenn nun Das schon solche Kraft hat, um wie viel mehr erst die eigentliche Demuth?
Vergib Denen ihre Verschuldungen, die gegen dich gefehlt haben; denn auch Das bewirkt Nachlassung der Sünden. Und wie von der Trauer der Herr beim Propheten spricht: „Ich sah, daß mein Volk traurig einherging, und heilte seine Wege;“76 und wie Achab durch Verdemüthigung den Zorn Gottes besänftigt hat, so sagt auch bezüglich der Verzeihung Christus: „Vergebet, und es wird euch vergeben werden!“77 Es gibt aber auch noch einen anderen Weg, auf dem wir zu diesem Heilmittel gelangen können; es ist das demüthige Bekenntniß unserer Missethaten. Denn es heißt: „Bekenne du zuerst deine Sünden, damit du gerechtfertigt werdest!“78 Auch die Danksagung für Leid und Trübsal löst die Sünden und endlich das Almosen, das über allem Anderen steht.
Zähle sie nun zusammen, die Heilmittel für deine Wunden, und wende sie alle insgesammt beständig an, die Demuth, das Bekenntniß, die Verzeihung, die Danksagung im Leiden, die Übung des Erbarmens durch Gaben und Dienste und das anhaltende Bitten! Auf diese Weise hat jene Wittwe den harten, unbarmherzigen Richter gnädig gestimmt. Wenn nun jene schon den unbilligen, um wie viel mehr du den milden? Endlich gibt es ausser den genannten noch einen Weg, die Beschützung der Unterdrückten. „Sprechet Recht der Waise,“ spricht der Herr, „schützet die Wittwe; dann kommt und rechtet mit mir; und wenn euere Sünden sind wie Scharlach, gleich dem Schnee will ich sie weiß machen!“79
Was würden wir also für eine Entschuldigung verdienen, wenn wir bei so vielen Wegen, die zum Himmel führen, bei so vielen Mitteln, die unsere Wunden heilen, wenn wir, sage ich, auch nach der Taufe in den alten Sünden verblieben? Nein, wir wollen nicht in ihnen verharren; sondern Die, welche niemals gefallen sind, sollen ihre ursprüngliche Schönheit bewahren, ja durch eigenes Bemühen sie noch erhöhen; denn wenn die genannten frommen Werke keine Sünden zu tilgen haben, so vermehren sie den Schmuck der Seele. Wir aber, die viel gesündigt, wollen das Gesagte anwenden, um unsere Sünden wieder gut zu machen, auf daß wir einst vor den Richterstuhl Christi mit großer Zuversicht treten können. Möge solches Vertrauen uns allen zu Theil werden durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und für ewige Zeiten. Amen.