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1.2 Das Urchristentum im Judentum 1.2.1 Die pluralistische Gestalt des Judentums und die ersten Christen

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Zweifellos hält man das Christentum zunächst für eine der vielen Sekten, Gruppierungen oder Bewegungen des Judentums. Denn innerhalb des Judentums ist man schon lange religiöse Vielfalt gewohnt. So bestehen beispielsweise erhebliche Gegensätze zwischen den Pharisäern und den Sadduzäern. Die Pharisäer bilden jene Gruppierung, die sich – in Abgrenzung zur römischen Oberherrschaft – am stärksten um die Aufrechterhaltung des theokratisch konstituierten Charakters der jüdischen Volksgemeinschaft bemüht und daher hellenistisch-heidnische Einflüsse konsequent abwehrt. Sie halten sich streng an das mosaische Gesetz (die fünf Bücher des Mose) sowie an die für sie normstiftende schriftgelehrte Auslegungstradition desselben. Selbstverständlich ist ihnen auch der Glaube an die Auferstehung der Toten und an die Engel.

Die zumeist führenden priesterlichen Aristokratengeschlechtern angehörenden Sadduzäer lassen dagegen nur das mosaische Gesetz gelten und fühlen sich nicht an die schriftgelehrte Überlieferung gebunden. Folglich verwerfen sie z.B. den Glauben an die Auferstehung, da sich diese Lehre erst in den verhältnismäßig jungen Büchern des Alten Testaments findet und daher für sie nicht verbindlich ist.8

Zu erwähnen ist schließlich die Gruppe der Zeloten oder Eiferer. Sie wollen dem Gesetz in Treue, aber in einer betont kämpferischen, martyriumsbereiten Haltung dienen, die alles Heidnische aggressiv zurückweist. Sie lehnen es ab, dem römischen Kaiser Steuern zu zahlen und rufen zum bewaffneten Widerstand gegen die heidnische Fremdherrschaft auf, da der Gehorsam gegenüber dem mosaischen Gesetz in diesem Fall zu einem heiligen Krieg verpflichte.

In diesem pluralistischen jüdischen Milieu, das in Wirklichkeit noch viel bunter war, wurzelt das junge Christentum. Folglich finden auch Vertreter der aufgezählten Gruppierungen den Weg zur christlichen Gemeinde. Als prominenter Pharisäer kann z.B. Paulus namhaft gemacht werden. Gläubig gewordene Mitglieder der sadduzäischen Priesterklasse werden in Apg 6,7 genannt. Unter den Zeloten zählt schließlich Simon der Zelot bereits in vorösterlicher Zeit zu den von Jesus erwählten Zwölf.

Angesichts dieser Phänomenologie des zeitgenössischen Judentums stellen die ersten christlichen Gemeinden eine Gruppierung unter vielen dar. Sie sind zunächst nichts Besonderes in ihrer jüdischen Volksgemeinschaft. Sie glauben an den einen Gott Israels, ihre heiligen Schriften sind die der Juden, der Jerusalemer Tempelkult ist der ihre und ebenso folgen sie dem mosaischen Gesetz. Sogar die wichtigsten Elemente des am Sabbat üblichen Synagogengottesdienstes, die Psalmen, Schriftlesungen, ihre Auslegung und entsprechende Gebete, bewahren sie in ihren gottesdienstlichen Versammlungen. Selbst die endzeitliche Ausrichtung der frühen Christen hat nichts Einmaliges an sich und findet Parallelen im zeitgenössischen Judentum. So hätten die frühchristlichen Gemeinden innerhalb des Judentums das bleiben können, wofür man sie zunächst hielt: die Sekte der Nazoräer.

Freilich löst Jesus von Nazaret innerhalb des Judentums eine eigene Dynamik aus. Zwar halten die Nazoräer am jüdischen Monotheismus fest, identifizieren aber auch Jesus mit Gott. Ebenso ist die Heilige Schrift der Juden die ihre, aber sie legen sie auf Jesus Christus hin aus. In gleicher Weise strukturieren sie den Ablauf ihrer Gottesdienste nach jüdischem Vorbild, aber ihr heiliger Tag ist nicht der Sabbat, sondern der erste Tag der Woche, der Sonntag (vgl. Apg 20,7). Schließlich ist auch ihre endzeitliche Ausrichtung schon festgelegt. Man erwartet nicht eine nach traditionellen Vorstellungen beschriebene Messiasgestalt, sondern hat in Jesus von Nazaret den Messias bereits gefunden. Hinzu kommt die Lehre dieses Jesus, die die Geister scheidet. Eine Neuerung ist auch die Taufe auf den Namen des Herrn Jesus als Aufnahmeritus in ihre Gemeinschaft (vgl. Apg 19,5). Vor allem brechen die ersten Christen am ersten Tag der Woche in ihren Häusern das Brot als eucharistische Vergegenwärtigung der rettenden Tat Gottes an Jesus Christus und vollziehen dieses Gedächtnismahl unter Ausschluss aller nicht Getauften.

So unterscheiden sich die ersten Christen schon deutlich vom zeitgenössischen Judentum. Dennoch fühlen sie sich im Judentum beheimatet und begreifen sich als endzeitliches Ereignis innerhalb des Volkes Israel. In der jungen Kirche – so ist man überzeugt – hat das auf die endzeitliche Vollendung ganz Israels ausgerichtete Wirken Gottes bereits begonnen. Folglich versteht man sich als neues Israel, als den von Gott schon hergestellten Kern seines Volks, um den sich künftig ganz Israel sammeln sollte, indem es den neuen Weg Jesu annehmen und zum Glauben an Ihn kommen werde. Die junge Gemeinde sieht sich daher zunächst zu den Söhnen und Töchtern Israels gesandt. Die Weigerung Israels, den Jesusglauben anzunehmen, führt dann aber zur Heidenmission.

„Theodotos, [Sohn] des Vettenos, Priester und Archisynagogos, Sohn eines Archisynagogos, Enkel eines Archisynagogos, renovierte die Synagoge zum Lesen des Gesetzes und Lehren der Gebote, und das Gästehaus und die Nebenräume und die Wasserinstallationen zur Herberge für diejenigen aus der Fremde, die [sie] benötigen. Sie [die Synagoge] haben begründet seine Väter und die Presbyter und Simonides.“

Abb. 3 Die 1913 in Jerusalem aufgefundene Theodotus-Inschrift (hier mit Übersetzung) bezeugt für das Jerusalem des 1. Jahrhunderts eine hellenistische Synagogengemeinde und ihre Presbyter.

Im Judentum lassen sich aber nicht nur verschiedene religiöse Gruppierungen wie Pharisäer und Sadduzäer voneinander unterscheiden. Die Existenz von jüdischen Diasporagemeinden in allen größeren Städten des Mittelmeerraums (z.B. in Alexandrien oder Rom) bringt auch eine sprachlich-kulturelle Scheidung zwischen den bodenständigen, aramäisch sprechenden Juden Palästinas und den vom griechisch-hellenistischen Milieu geprägten Juden des Mittelmeerraums mit sich. Daher existieren bereits im Jerusalem des ersten nachchristlichen Jahrhunderts aramäischsprachige, traditionell-palästinische und griechischsprachige, hellenistisch beeinflusste Synagogengemeinden (vgl. Abb. 3). Letztere rekrutieren sich aus zurückgewanderten Diaspora-Juden und pflegen – im Vergleich zu ihren aramäischsprachigen Glaubensbrüdern – ein weniger intensives religiöses Verhältnis zum Land Israel, zum Tempel, Kult und Gesetz.

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