Читать книгу Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte - Johannes Hofmann - Страница 22
1.6 Soziologische, politische, kulturelle und religiöse Gegebenheiten für die Mission: günstige und ungünstige Bedingungen
ОглавлениеNatürlich spielen die gesellschaftlichen Verhältnisse auch in den ersten Jahrhunderten der Kirche eine bedeutende Rolle. In der Regel sind die Menschen der hellenistischen Welt in eine stabile Großfamilie eingebunden, die vom Hausvater (pater familias), d.h. vom ranghöchsten männlichen Familienmitglied, geleitet wird. Dieser Familie (familia) gehört allerdings nicht nur die gesamte Verwandtschaft des Hausvaters an, also seine Gattin und seine Kinder, sondern auch die Sklavinnen und Sklaven sowie die Freigelassenen seines Hauses (oikos oder domus). Auf dieser Basis besitzt eine bedeutende Familie nicht selten Hunderte von Mitgliedern. Aufgrund eines starken hierarchischen Gefälles vom Hausvater abwärts werden dem einzelnen Familienmitglied Entscheidungen sozialer und religiöser Art weitgehend von der obersten Instanz, vom pater familias, abgenommen. Individuelle Entscheidungen sind unter diesen Umständen kaum möglich und kommen daher nur äußerst selten vor. Für die christliche Mission bringt diese Sozialstruktur Konsequenzen mit sich. Entweder gelingt es den Missionaren, was im Neuen Testament und auch später wiederholt berichtet wird, dass ein Hausvater „zum Glauben kam mit seinem ganzen Haus“ (Apg 18,8). In diesem Fall trifft das Familienoberhaupt die Glaubensentscheidung nicht nur für sich, sondern auch für seine sämtlichen Angehörigen, Freigelassenen und Sklaven. Die Christianisierung vollzieht sich hier also schlagartig innerhalb einer Generation (vgl. 1 Kor 1,16; Apg 11,14; 16,15.31-33). Freilich gilt diese Missionsphänomenologie besonders für jüdische Häuser.
In heidnischen Häusern kommen dagegen häufiger Einzelkonversionen vor, etwa, dass zuerst einige Frauen und Kinder für den christlichen Glauben gewonnen werden, oder dass die Sklaven Christen werden, oder dass das Haus sukzessive, bisweilen allerdings nur unvollständig, christianisiert wird. Hier erweist sich der antike Familienverband als eine Missionsbarriere, da der Einzelne erhebliche Hindernisse zu überwinden hat, wenn er aus diesem Verband ausscheren möchte. Viele frühchristliche Schriften schildern daher eindringlich, welche Schwierigkeiten christliche Ehefrauen seitens ihrer heidnischen Gatten, gläubige Söhne und Töchter von ihren ungläubigen Vätern und Sklaven von ihren Herren zu erwarten haben. Trotzdem gibt es auch unter den Heiden Familienbekehrungen (vgl. Irenäus von Lyon bei Eusebius von Cäsarea, h. e. 5,21,1; Clemens von Alexandrien, str. 6,167,3). Wie Aristides Mitte des 2. Jahrhunderts bezeugt (apol. 15,6), dürfen Sklaven allerdings nicht zum Übertritt gezwungen werden. Ganz gegen den zeitgenössischen Brauch macht sich hier also ein kostbares Element katholischer Glaubensüberzeugung bemerkbar: die Unantastbarkeit des individuellen Gewissens.
Wie schon erwähnt, kommt das Christentum besonders bei heidnischen Frauen sehr gut an. Oft findet es gerade durch Frauen einen ersten Zugang in die oberen Gesellschaftsschichten. Das ist kein Zufall. Denn die Christen bekennen sich, im Unterschied zur paganen Welt, zur Gleichheit von Mann und Frau. Schon in einer urchristlichen Schrift steht außerdem die Weisung, dass ein Ehemann seine Frau mit der gleichen Liebe und Rücksicht behandeln soll, wie Christus seine Kirche (vgl. Eph 5,25). Ebenso bietet die christliche Lehre von der Heiligkeit der Ehe verheirateten Frauen einen wirksamen Schutz. Aber auch die christliche Sexualethik unterscheidet sich von den Normen der heidnischen Gesellschaft, da sie eheliche Untreue beim Mann als einen nicht geringeren Vertrauensbruch betrachtet als bei der Frau. Die Lehre des Apostels Paulus, dass es in Christus nicht Mann noch Frau gibt (Gal 3,28), ist freilich nicht als ein Programm der politischen Emanzipation der Frau zu verstehen. Andererseits durchbricht das Christentum – gerade im Hinblick auf das Verhältnis von Mann und Frau – radikaler als jede andere antike Religion die gängigen sozialen Vorstellungen und Ordnungen und fördert den Gedanken der persönlichen moralischen Entscheidung und Verantwortung in ganz außergewöhnlicher Weise.
Wie aber verhält sich eine Christin oder ein Christ in einer noch nicht völlig christianisierten Familie? Bei der Abgrenzung vom paganen Kult ist man im antiken oikos zu Kompromissen genötigt. Selbst der strenge Tertullian vertritt die Meinung, dass ein Christ bei heidnischen Familienfeierlichkeiten anwesend sein dürfe, wenn er dabei auch heidnische Opferhandlungen zu unterlassen habe. Tatsächlich ist das Leben einer heidnischen Familie so stark von heidnischen Riten geprägt, dass ein Christ – will er ihnen entgehen – alle familiären und verwandtschaftlichen Bande zerreißen müsste. Gerade das hält die Alte Kirche aber nicht für wünschenswert. Vielmehr muss der Christ in seinen alten Lebenszusammenhängen verbleiben, wenn er sie umgestalten und missionieren will. Dieser Haltung dürfte es unter anderem auch zu verdanken sein, dass die heidnische römische Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert so schnell christianisiert wird. Denn einzelne Christen und christliche Familienverbände sind es vor allem, die durch ihre Attraktivität den Prozess der Christianisierung erfolgreich unterstützen.
Eine sehr intensive missionarische Wirkung scheint auch die praktische Liebestätigkeit der frühen Christen zu erzielen. Die heidnische Äußerung „Seht, wie sie [die Christen] sich untereinander lieben“ (apol. 39,7), die Tertullian für das späte 2. Jahrhundert bezeugt, ist keineswegs ironisch gemeint. Die christliche Nächstenliebe, die auch heidnischen Kreisen nicht verborgen bleibt, äußert sich beispielsweise in der bisweilen recht gut organisierten Fürsorge für Arme, Witwen und Waisen, in Besuchen der Mitchristen im Gefängnis oder bei denen, die zu Zwangsarbeit in den Bergwerken verurteilt sind, ferner in sozialen Hilfsaktionen in Katastrophenzeiten, bei Hungersnot, Erdbeben, Seuche oder Krieg. Ein besonderer Dienst, den die Gemeinden armen Mitgliedern leisten, besteht ferner in der Sorge um ihr Begräbnis. Zu diesem Zweck erwerben etwa die Gemeinden von Rom und Karthago bereits Ende des 2. Jahrhunderts Begräbnisplätze für ihre Mitglieder. Einer der ältesten liegt übrigens südlich von Rom an der Via Appia an einem Platz namens Ad Catacumbas. Nach ihm führen diese in Form von unterirdischen Gängen angelegten Friedhöfe bis auf den heutigen Tag den Namen Katakomben (vgl. Abb. 7). Daneben spielt die Gastfreundschaft eine wichtige Rolle. Ein Christ muss sich lediglich als Bruder ausweisen, dann kann er in der Fremde bei seinen Mitchristen mit einer Unterkunft rechnen. Wie wichtig man diese Form christlicher Nächstenliebe nimmt, zeigt sich darin, dass der Bischof die Hauptverantwortung für die Gastfreundschaft trägt.
Abb. 7 Grabinschrift der Eupraxia in der Kallistus-Katakombe zu Rom.
Den Erfolg, den die frühchristliche Mission erzielt, verdankt sie sicher auch der intensiven und erfolgreichen Missionsarbeit des griechischsprachigen und hellenistisch geprägten Diasporajudentums. Dessen Botschaft kommt in gebildeten paganen Kreisen sehr gut an, weil es seine Religion – im Unterschied zum eher provinziellen, national ausgerichteten Judentum Palästinas – als eine universale Religion präsentiert. Es verkündet einen Gott aller Menschen, der dem gesamten Menschengeschlecht in seinen Geboten das für alle geltende Sittengesetz, d.h. den zielsicheren Weg zum Leben, anbietet. Auf diese Weise fügt es zu Ritus und Kult einen deutlichen ethischen Akzent, der der paganen Religion weitgehend fehlt. Ebenso versteht sich dieses Judentum als eine „Philosophie“, als eine Weisheitslehre, die auf die Fragen des denkenden Menschen durchdachte Antworten bereithält und als Offenbarungsreligion auf die altehrwürdige Weisheit einer Heiligen Schrift rekurrieren kann. Genau in diesen hellenistisch-jüdischen Fußstapfen bewegt sich die frühchristliche Mission und kann dabei – wie schon angedeutet – auf das reiche jüdisch-hellenistische Erbe zurückgreifen. Daneben finden die christlichen Verkündiger in allen größeren Städten der Diaspora kontaktstiftende Synagogengemeinden vor, in denen sie ihre Botschaft erfolgreich verbreiten können. All diese Elemente, die griechische Bibel (die Septuaginta) und vieles andere mehr erweisen sich als Vorarbeit ihrer Mission, als eine von der hellenistischen Synagoge erarbeitete Basis, von der aus sie die jüdische Mission bald überholen können.
Darüber hinaus verdankt das Christentum dem Judentum auch personelle Zugewinne. Denn die so genannten Gottesfürchtigen, ein mit der hellenistischen Synagoge sympathisierender, heidnischer Interessentenkreis, sowie die Proselyten, d.h. die zum Judentum konvertierten Heiden, treten besonders häufig von der Synagoge zur Kirche über.
Diese gehören mit anderen neu gewonnenen Christen sozial zu den mittleren und gehobenen Schichten; unter ihnen finden sich Angehörige der höheren Politik und Verwaltung, aber auch Gebildete und Gelehrte, Philosophen und Historiker. Sie prägen in besonderer Weise die Geistigkeit und Kultur der jungen Missionsgemeinden. Der allgemeinen Struktur der Gesellschaft entsprechend bilden freilich der Mittelstand und die Unterschicht der städtischen Bevölkerung, also Handwerker, Kaufleute und Sklaven, den Hauptanteil des jungen Christentums. Zunächst vermag die Kirche die Angehörigen dieser unterschiedlichen Schichten, zwischen denen in der antiken Gesellschaft oft krasse soziale Unterschiede herrschen, in ihren Gemeinden einigermaßen zu integrieren. Freilich beruhen viele Konflikte, die in der frühen Kirche bisweilen sogar zu Spaltungen führen, auf sozialen Ursachen. Aber das Charakteristikum frühchristlicher Gemeinden ist gerade ihre soziologisch sehr gemischte Zusammensetzung. Gesellschaftliche Unterschiede sollen ja – zumindest theoretisch – keine Rolle spielen. „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Dass dieses Apostelwort auch in die Praxis umgesetzt wird, zeigt sich in der für antike Verhältnisse äußerst unkonventionellen Verhaltensweise, Frauen und Sklaven als gleichwertige Gemeindemitglieder zu behandeln, was auf diese sicher anziehend und motivierend wirkt.
Neben den Vorteilen, die das Christentum aus seinen jüdischen Wurzeln zieht, ist es vor allem die Pax Romana, die der Ausbreitung des Christentums einen günstigen äußeren Rahmen bietet. Denn die Römer sind – gestützt auf ihre mächtige politische und militärische Position – in der Lage, die verschiedensten Völker in ihrem Imperium in sicheren Grenzen zu befrieden und die Einheit ihres Reiches mit Hilfe eines großen und verhältnismäßig uniformen Verwaltungssystems aufrecht zu erhalten. Zusammen mit dem ausgezeichneten römischen Straßennetz bringen es diese geordneten Verhältnisse mit sich, dass sich innerhalb des römischen Imperiums – unbehindert von nationalen Grenzen und auf gesicherten Verkehrswegen – ein vielfältiges und über weite Räume bewegungsfähiges Leben entfalten kann. Davon profitiert sicher auch das Christentum und breitet sich nicht zuletzt deshalb zunächst vor allem entlang der großen Verkehrswege aus.
Diese politisch-militärisch geeinte Welt bildet auch kulturell eine Einheit. Die hellenistische Kultur durchformt nämlich in Religion und Philosophie – über nationale, ethnische und religiöse Unterschiede hinweg – das gesamte Imperium im Sinne einer einheitlichen Geistigkeit. Das bedeutet, dass sich die christliche Verkündigung in einer relativ einheitlichen Welt bewegt und ihre Lehre daher überall mit den gleichen Vermittlungsmethoden verbreiten kann. Für die Missionare genügt es, das Christentum sozusagen in die Sprache und Denkform dieser einheitlichen Kultur zu übersetzen und schon werden sie überall verstanden. Ferner gebraucht man zur Zeit des entstehenden Christentums vom Vorderen Orient bis in den Westen das Griechische als Suprasprache, sodass von Palästina bis Spanien in einer einzigen Sprache gepredigt werden kann. Freilich verbleibt das Christentum aufgrund dieser Gegebenheit zunächst im städtischen Milieu, weil die griechische „Weltsprache“ in den meisten Gebieten des römischen Imperiums nur in den Städten, nicht aber auf dem Lande verstanden wird. Denn dort spricht man zwischen Euphrat und Gallien, aber auch zwischen Ägypten und Britannien unzählige Dialekte. Doch obwohl das Griechische im Westen seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert allmählich durch das Lateinische abgelöst wird, in Ägypten durch das Koptische, in Armenien durch das Armenische usw., bleibt die Geistigkeit weitgehend einheitlich und beruht hauptsächlich auf den weiterhin verstandenen Kultursprachen Griechisch und Latein. Vor diesem geistigen Hintergrund findet das junge Christentum mühelos Anschluss an die zeitgenössische Kultur und Bildung, besitzt die Möglichkeit einer weiträumigen Korrespondenz und Kommunikation und ist nicht der Zersplitterung durch viele Sprachen ausgesetzt.