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2.2 Die Verfassung der ältesten Gemeinden 2.2.1 Das judenchristliche Modell in der Gemeinde von Jerusalem: Von den Zwölf zu Jakobus dem Herrenbruder und den Presbytern

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Deutlich lassen die für Jerusalem relevanten Quellen – der um 54/55 von Paulus geschriebene erste Korintherbrief und der um 55 nachfolgende Galaterbrief20 sowie die wohl um 90/100 entstandene Apostelgeschichte21 – die Leitungsstrukturen dieser judenchristlichen Gemeinde erkennen. Hier sind zunächst die Zwölf zu nennen, die der historische Jesus in die engste Nachfolge berufen hat. Nach 1 Kor 15 begegnet der Auferstandene zuerst ihrem Sprecher Petrus und dann – zusammen mit Petrus – der ganzen Zwölfergruppe. Diese Zwölf stellen sowohl bei der Verkündigung der mit Jesus angebrochenen Gottesherrschaft als auch bei der ihnen von Jesus aufgetragenen Sammlung des endzeitlichen Israel die führenden Autoritäten dar. Macht schon ihre Lebensgemeinschaft mit dem irdischen Jesus die authentische Weitergabe seiner Worte und Taten wahrscheinlich, so bestellt sie der Auferstandene ausdrücklich zu seinen Aposteln, indem Er sie zur Verkündigung seiner Frohen Botschaft und zur Sammlung des neuen Israel bevollmächtigt und sendet. Besonders deutlich kommt ihre Rolle als Protagonisten des neuen Zwölfstämmevolks durch die Nachwahl des Matthias zum Ausdruck. Sollte durch diese Wahl doch – nach dem Ausscheiden des Judas – die Israel repräsentierende Zwölfzahl wieder vervollständigt und so die Gewinnung ganz Israels ermöglicht werden.

Freilich ist Letzteres nicht gelungen, wie auch dem Zwölfergremium keine lange Dauer beschieden ist. Paulus trifft um 35 bei seinem ersten Jerusalembesuch von den Zwölfen nur Petrus an, neben dem der Herrenbruder Jakobus offensichtlich schon eine Rolle spielt (Gal 1,18f.). Auch bei seinem zweiten Besuch anlässlich des um 48 versammelten so genannten Apostelkonzils treten die Zwölf als Führungskollegium nur sehr unvollständig in Erscheinung. Verhandelt Paulus doch nur mit dem zwar den Aposteln, nicht aber dem Zwölferkollegium angehörenden Herrenbruder Jakobus sowie mit Petrus und Johannes, den anerkannten Säulen, wie er sie in Gal 2,9 nennt. Die maßgeblichen Autoritäten wirken nunmehr also als Dreiergremium in Jerusalem.

Freilich scheinen sich auf dem Apostelkonzil noch weitere Entwicklungen bemerkbar zu machen. Nehmen an dieser Versammlung – laut Apg 15,2.4.6.22f. – neben den Aposteln doch auch Presbyter (πϱεσβύτεϱοι) in führender Position teil, offensichtlich aus der jüdischen Synagogenverfassung übernommene Älteste, die spätestens beim letzten Jerusalemaufenthalt des Paulus um 56 „als fest etabliertes […] Führungskollegium mit ihrem Sprecher Jakobus unzweifelhaft bezeugt sind“22. Wie in den Synagogengemeinden dürften diese Presbyter also wohl neben Jakobus verantwortliche und entscheidende, unter anderem auch richterliche Funktionen wahrgenommen haben.

Erste Ansätze eines solchen presbyteralen Kollegiums könnten sich schon früher in den sieben Männern manifestiert haben, die in Jerusalem für den „Dienst an den Tischen“ der christlichen Hellenisten gewählt wurden, damit die Zwölf ungehindert „beim Gebet und beim Dienst am Wort“ bleiben konnten (Apg 6,1-6). Zwei dieser sieben – Stephanus und Philippus – werden nämlich auch als verkündigende „Diener des Wortes“ beschrieben (Apg 6,8-7,60; 8,5-8.26-40). So dürften die Sieben – zumal sie durchwegs griechische Namen tragen – nicht nur die Armenpflege, sondern auch andere Leitungsaufgaben unter den Hellenisten der Jerusalemer Gemeinde wahrgenommen haben.23 Als christliche Hellenisten geraten sie jedoch in einen schwerwiegenden Konflikt mit der griechischsprachigen Synagoge von Jerusalem und werden daher aufgrund ihrer Relativierung und Kritik des Tempels und des Gesetzes als jüdische Ketzer entweder getötet oder müssen nach dem um 31/32 erfolgten Stephanus-Martyrium aus der Stadt fliehen. Damit verschwinden die Sieben aber endgültig aus der Jerusalemer Gemeinde.

Insgesamt zeichnet sich in der Jerusalemer Gemeindeleitung also in einem Zeitraum von etwa zwanzig Jahren – zwischen 35 und 56 – eine deutliche Entwicklung ab. Am Anfang stehen die Zwölf, es folgt das Dreiergremium Jakobus, Petrus und Johannes mit den Presbytern und am Schluss leitet Jakobus zusammen mit einem Presbyterkollegium die Gemeinde (vgl. Abb. 8). Damit liegt in Jerusalem bereits Mitte des 1. Jahrhunderts, also noch in apostolischer Zeit, ein Gemeindemodell vor, das eine zweistufige, aus Gemeindeleiter und Presbytern bestehende Leitungsstruktur charakterisiert.

Abb. 8 Mitte des ersten Jahrhunderts nimmt man in der judenchristlichen Gemeinde von Jerusalem eine zweistufige Leitungsstruktur wahr.

Die streng am jüdischen Gesetz ausgerichtete und daher noch unbehelligt gebliebene Gruppe der Aramäisch sprechenden Jerusalemer Hebräer entwickelt sich in der vorgegebenen Richtung weiter. Wird sie schon um 56 von einem Presbyterkollegium geleitet, an dessen Spitze der Herrenbruder Jakobus steht, so wählt man nach dessen Tod um 62 den Verwandten des Herrn Simon ben Klopas zum neuen Gemeindeleiter von Jerusalem. Es scheint also im hebräischen Judenchristentum „eine dem Kalifat vergleichbare Weitergabe der geistlichen Führung der Gemeinde an den jeweils nächsten Verwandten [des Herrn] gegeben zu haben“24 und damit schon eine Tendenz zum Monepiskopat, von dem später noch die Rede sein wird.

HÜBNER, Reinhard M., Die Anfänge von Diakonat, Presbyterat und Episkopat in der frühen Kirche, in: RAUCH, Albert / IMHOF SJ, Paul (Hg.), Das Priestertum in der Einen Kirche. Diakonat, Presbyterat und Episkopat (= Koinonia. Schriftenreihe des Ostkirchlichen Instituts Regensburg 4) Aschaffenburg 1987, 45-89; hier 46-49 (Gemeinde von Jerusalem); 61-64 (Presbyteralverfassung).

SCHNELLE, Udo, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 20076, 32-46 (Paulus-Chronologie).

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