Читать книгу Zwei Millionen ham'ma erledigt - Johannes Sachslehner - Страница 11

Оглавление


Ende Januar 1938 geht Globocnik von Klagenfurt nach Wien, er will vor Ort sein, wenn hier die Entscheidung im Ringen um die Macht fällt. Eine Wohnung ist rasch gefunden: Am 25. Januar 1938 meldet er sich als „Baumeister“ in der Köstlergasse 11/​2/​22 im 6. Bezirk Mariahilf an; von hier sind alle wichtigen Adressen in der Innenstadt gut zu erreichen.

In seinen nach dem Krieg in jugoslawischer Gefangenschaft verfassten Schriften behauptet Friedrich Rainer immer wieder, dass es der „gut entwickelte und ausgeprägte politische Instinkt“ Globocniks gewesen sei, der die Arbeit der Partei geprägt habe. Und so sei es auch die Idee Globocniks gewesen, Schuschnigg und Hitler zum Treffen vom 12. Februar 1938 am Obersalzberg in Berchtesgaden zu bewegen. Umsichtig arbeitet man an der Umsetzung dieses Plans: Rainer und Seyß-Inquart führen Ende Januar 1938 in Garmisch-Partenkirchen Gespräche mit Franz von Papen, dem deutschen Botschafter in Wien, dann reisen Globocnik und Rainer gemeinsam nach Berlin, um hier für eine Regierungsbeteiligung Seyß-Inquarts Stimmung zu machen.

Alles läuft nach Plan: Am 4. Februar 1938 nimmt Schuschnigg die Einladung Hitlers an; von Seyß-Inquart über die vorbereitenden Gespräche und die geplante Taktik informiert, gibt Friedrich Rainer alle Informationen sofort telefonisch an den in Berlin weilenden Globocnik weiter. Die beiden Freunde haben sich auf ihre „Agententätigkeit“ gut vorbereitet: „Ich konnte mit Globus vollkommen offen reden. Wir hatten für jeden einzelnen Namen einen Geheimcode und außerdem sprachen wir beide einen solch schrecklichen Dialekt, dass uns keine Menschenseele verstanden hätte.“ (zitiert nach Maurice Williams, Gau, Volk und Reich)

Ausspioniert und verraten, geht Schuschnigg in die Falle. Am Berghof wird er einem geschickt inszenierten Psychoterror ausgesetzt, mit massiven Drohungen zwingt Hitler ihn und Guido Schmidt, den Staatssekretär für Äußeres, zum „Berchtesgadener Abkommen“ – Schuschnigg muss Seyß-Inquart als Innen- und Sicherheitsminister akzeptieren und der freien politischen Betätigung der Nazis zustimmen.

Die Drahtzieher dieses tödlichen Stoßes gegen die Souveränität Österreichs sind Rainer und Globocnik, die nur eine Woche später zufrieden den Erfolg einer weiteren Intrige konstatieren können: Landesleiter Hauptmann Leopold wird am 20. Februar nach Berlin zitiert und von Hitler abgesetzt.

Mittwoch, 9. März 1938. Pünktlich um 8.10 Uhr verlässt der D-Zug 121 nach Innsbruck den Wiener Westbahnhof. Mit an Bord Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, der am Abend in der Tiroler Hauptstadt die Bombe platzen lassen will: Eine Volksbefragung soll über die Zukunft Österreichs entscheiden. Den Entschluss dazu hat er in den Tagen zuvor mit seinen engsten Beratern gefasst; er ahnt nicht, dass die Sekretärin seines Freundes Guido Zernatto, eine Illegale, den Plan bereits an die Nazis verraten hat.

Im Büro von Walther Pembaur, dem aus Innsbruck stammenden Leiter des „Volkspolitischen Referats“, in der Seitzergasse 1 in der Wiener Innenstadt beraten die Kärntner Freunde Klausner, Rainer und Globocnik sowie Parteigenosse Dr. Hugo Jury aus St. Pölten die weitere Vorgangsweise. Sie beschließen, zu Innenminister Seyß-Inquart in dessen Rechtsanwaltskanzlei Am Hof zu fahren; ihr Parteifreund in der Regierung weiß jedoch bereits Bescheid. Er hat zwar dem Bundeskanzler sein Ehrenwort gegeben, nichts über die Volksbefragung verlauten zu lassen, übergibt den aufgeregten Genossen jedoch die Kopie eines diesbezüglichen Briefes an Schuschnigg; damit, so meint Seyß-Inquart, könnten sie ja Berlin informieren. Die vier Männer kehren in die Seitzergasse zurück, sie wissen, dass es jetzt schnell zu handeln gilt – vor allem dem „Führer“ muss man Bescheid geben. Friedrich Rainer ruft daher Staatssekretär Wilhelm Keppler an, den Beauftragten Hitlers für Österreich, der eben von Wien nach Berlin zurückgekehrt ist und Hitler über die erfreuliche Entwicklung in Österreich berichtet hat. Keppler ist konsterniert, will die Nachricht zunächst nicht glauben und ruft bei Seyß-Inquart an; als dieser bestätigt, eilt er zu Hitler in die Reichskanzlei – der „Führer“ befiehlt ihm, sofort nach Wien zu fliegen.

Inzwischen haben auch die Kärntner Freunde einen Entschluss gefasst: „Organisationsleiter“ Globus muss mit der nächsten planmäßigen Maschine den Brief Seyß-Inquarts Hitler persönlich überbringen. Ohne Gepäck, nur mit der Briefkopie als „Beweismittel“ in der Tasche, fährt man Globocnik zum Flugfeld in Aspern und hat Glück: Es gibt einen freien Platz nach Berlin.

Am Nachmittag steht Globus in der Reichskanzlei wieder einmal seinem Idol, dem „Führer“, gegenüber. Er übergibt ihm den Brief, Hitler, von Keppler bereits instruiert, bleibt ruhig und bittet ihn, vorerst in Berlin zu bleiben: „Sie bleiben hier. Sie bekommen gut zu essen und warten das weitere ab.“ Globocnik wagt zu widersprechen, er werde in Wien gebraucht und müsse daher zurück, doch Hitler zeigt sich unnachgiebig: „Sie werden schon das weitere hören“ – der Kärntner Briefträger muss sich fügen. Während seine Freunde in Wien vor dem Radiogerät gespannt der Rede Schuschniggs folgen, sitzt er in Berlin fest.

Donnerstag, 10. März 1938. Zu Mittag ist sich Hitler im Klaren darüber, was er Globocnik als Botschaft mit auf die Reise geben will: Er lässt ihn wieder zu sich in die Reichskanzlei kommen, bittet ihn, Seyß-Inquart zu bestellen, dass ein Sonderkurier in Kürze genaue Instruktionen nach Wien bringen werde. Und dann drückt er Globocnik noch ein Briefkuvert in die Hand, einen an die österreichischen Nazis gerichteten Befehl: Von nun an sei es ihnen erlaubt, dem Schuschnigg-Regime auch mit „kämpferischen“ Mitteln entgegenzutreten, sie haben nun die ersehnte „Handlungsfreiheit“. Damit ist Globocnik entlassen; mit einem Sonderflugzeug, das man ihm nun großzügig zur Verfügung stellt, kehrt er am Abend nach Wien zurück; am Flugplatz in Aspern wartet schon „Friedl“ auf ihn; gemeinam fährt man zum Hotel Regina am Dollfußplatz, um im Kreis der Parteiführung die nächsten Schritte zu beraten. Doch vorerst ist Globus am Wort: Der „Führer“ habe ihnen Handlungsfreiheit gewährt, kann er stolz aus Berlin berichten. Als dann Innenminister Seyß-Inquart zur Runde stößt, verschweigt man ihm diese Botschaft Hitlers, Globocnik informiert ihn nur darüber, dass ein Sonderkurier aus Berlin ihm am folgenden Tag neue Direktiven überbringen werde.

Globus, so zeigt sich an diesem 10. März erstmals, ist kein Freund Seyß-Inquarts, der ihm zu wenig entschlossen ist – vor allem aber ist der Innenminister mit seinen bekannten Sympathien für das katholische Lager ein Konkurrent im Kampf um die Macht. „Friedl“ Rainer formuliert schließlich nach langen Diskussionen die Verhaltensmaßregeln für die nächsten Tage:

„Es gibt in den nächsten Tagen drei mögliche Fälle:

1. Fall: Rückziehung der Volksabstimmung, in diesem Fall ist angeordnet, Demonstrationen größeren Stiles zu veranstalten.

2. Fall: Schuschnigg demissioniert: für diesen Fall ist das Übergehen von Demonstrationen zur Machtergreifung angeordnet.

3. Fall: Schuschnigg nimmt den Kampf auf: für diesen Fall ist sämtlichen Führern der Partei Handeln auf eigene Faust mit Einsatz aller Mittel zur Gewinnung der Machtpositionen anbefohlen.“

Mittlerweile ist auch Ernst Kaltenbrunner, der Chef der österreichischen SS, aus Linz kommend in Wien eingetroffen – die Nazi-Riege ist komplett und für die Ereignisse des nächsten Tages gerüstet.

Freitag, 11. März 1938. Noch in der Nacht bereiten sich die Truppen der 8. deutschen Armee zum Einmarsch in Österreich vor. Um zwei Uhr früh gibt Hitler die „Weisung Nummer 1, Betr. Unternehmen Otto“ aus, allerdings vorläufig noch ohne Unterschrift; er selbst behält sich den Oberbefehl vor, legt er doch Wert darauf, dass alles nach seinen Weisungen abläuft, Ziel ist ein „von der Bevölkerung begrüßter friedlicher Einmarsch“.

Um 10 Uhr bespricht sich Bundeskanzler Schuschnigg mit seinen beiden Nazi-Ministern Seyß-Inquart und Edmund Glaise-Horstenau, Minister ohne Portefeuille, der soeben aus Berlin zurückgekehrt ist. Die beiden Handlanger des „Führers“ bedrängen den Kanzler, die Volksabstimmung abzusagen; Seyß-Inquart liest den Brief Hitlers vor und stellt Schuschnigg ein Ultimatum: Bis 14 Uhr müsse er eine Entscheidung treffen. Seine tatsächlich für ihn vorgesehene Rolle in diesem verlogenen Spiel verschweigt der Innenminister: dass es seine Aufgabe sein wird, Hitler zu „Hilfe“ zu rufen.

Im „Volkspolitischen Referat“ in der Seitzergasse warten die Parteigenossen um Klausner, Globocnik und Rainer indessen schon ungeduldig auf die neuesten Nachrichten; neu dazugestoßen ist nun auch „Gschaftelhuber“ (Tomkowitz/​Wagner) Kajetan Mühlmann. Gegen Mittag treffen Seyß-Inquart und Glaise-Horstenau ein und berichten ausführlich über die Unterredung mit Schuschnigg; Seyß-Inquart liest auch hier den Brief Hitlers vor. Man telefoniert mit Berlin und schildert die Lage, Seyß-Inquart verfasst einen Brief an Schuschnigg, in dem er das Ultimatum bestätigt und bei dessen Nichterfüllung mit Rücktritt droht. In Berlin unterschreibt Hitler um Punkt 13 Uhr die „Weisung Nummer 1“.

Um 14.45 Uhr gibt Schuschnigg nach langen Beratungen nach – er sagt die Volksabstimmung ab. Doch in Berlin will man jetzt nicht mehr zurück, Göring drängt bei Hitler auf die „ganze und klare Lösung“, den „Anschluss“, Schuschnigg habe das Berchtesgadener Abkommen gebrochen. Ein zweites Ultimatum wird formuliert und um 15.05 Uhr Seyß-Inquart telefonisch übermittelt: Schuschnigg und die „nationalen“ Minister müssten sofort zurücktreten, Seyß-Inquart von Bundespräsident Miklas mit der Regierungsbildung beauftragt werden.

Als man in der Seitzergasse vom zweiten Ultimatum erfährt, beschließt man, Globocnik und Mühlmann ins Bundeskanzleramt zu schicken – um 15.30 Uhr betreten die beiden Nazis das Gebäude am Ballhausplatz; im Säulensaal treffen sie auf Glaise-Horstenau, Mühlmann fragt ihn nach der Lage: „Is scho a Leich“, antwortet der Herr Minister ohne Portefeuille und meint damit seinen Chef, den Bundeskanzler. Globocnik berichtet Seyß-Inquart über die Forderungen Berlins, dann ruft er Rainer an und bestätigt diesem, dass nun der Innenminister genau Bescheid wisse. Rainer hat für seinen Freund einen neuen Auftrag, der an Seyß-Inquart weitergegeben werden soll: „Es kommt darauf an, die Formationen zu legalisieren. SA und SS müssen mit der Polizei als Sicherheitsorgane eingesetzt werden.“

Zur gleichen Zeit erklärt Schuschnigg in den Amtsräumen von Bundespräsident Miklas den Rücktritt seiner Regierung. Die Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler verweigert Miklas jedoch kategorisch, er „weiche nur der Gewalt“. Staatssekretär Michael Skubl, dem er die Kanzlerschaft anträgt, lehnt ab; Hitler werde das auf keinen Fall akzeptieren und mit dem Einmarsch antworten – da sei ein Kanzler Seyß-Inquart noch das kleinere Übel.

Um 15.55 Uhr meldet sich Göring wieder telefonisch aus Berlin, der ungeduldige Reichsfeldmarschall will wissen, ob Schuschnigg schon zurückgetreten sei und ob Seyß-Inquart schon den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten habe; nochmals betont er, dass dies eine „unumstößliche Forderung des Reiches“ sei. Seyß-Inquart vertröstet Göring mit der Antwort auf 17.30 Uhr, spätestens dann wisse er Bescheid. Inzwischen haben Schuschnigg und seine Diplomaten vergeblich versucht, Unterstützung bei den Westmächten zu finden. Aus London kommt knapp nach 16.30 Uhr eine wenig ermutigende Antwort: „Die Regierung Seiner Majestät kann die Verantwortung nicht übernehmen, dem Kanzler zu raten, einen Kurs einzuschlagen, der sein Land Gefahren aussetzen könnte, für die die Regierung Seiner Majestät nicht in der Lage ist, Schutz garantieren zu können“ – wohlgesetzte Worte, die die Wahrheit nicht verhüllen können: Chamberlain ist bereit, Österreich zu opfern. Frankreich und Italien folgen ihm mit Tatenlosigkeit; die Bewunderung für den „Führer“ ist noch groß …

Rainers „Verbindungsmann“ Globocnik beobachtet die Vorgänge im Bundeskanzleramt mit Ungeduld, ihm geht das alles zu langsam. Er beschließt, das Lokal zu wechseln: Gemeinsam mit Freund „Friedl“ fährt er zur deutschen Gesandtschaft in der Metternichgasse; im Auto unterrichtet er Rainer über die Lage am Ballhausplatz; die beiden sind entschlossen, die „Sache“ etwas zu beschleunigen. In der deutschen Gesandtschaft angekommen, lässt sich Globocnik sofort mit Göring verbinden; um Punkt 17 Uhr steht die Leitung – jetzt will er zeigen, was er kann. Er beginnt das Gespräch mit dem Generalfeldmarschall.

Globocnik: „Ich muss Folgendes melden: Also, Seyß-Inquart hat mit dem Bundeskanzler bis 16.30 Uhr gesprochen. Er ist aber nicht in der Lage, das Kabinett bis 17.30 Uhr aufzulösen, weil es technisch nicht geht.“

Göring zeigt sich kompromissbereit: „Bis 19.30 Uhr muss das Kabinett gebildet sein … Ist der Seyß-Inquart da?“

Globocnik: „Der ist eben nicht da. Der ist in der Verhandlung. Darum hat er mich hergeschickt, das zu telefonieren.“ Er will noch etwas gegen einen Einmarsch der Österreichischen Legion sagen, doch Göring, dem die Befindlichkeit der österreichischen Nazis ziemlich egal ist, unterbricht ihn.

Göring: „Davon ist nicht die Rede! Ich will wissen, was los ist. Hat er Ihnen gesagt, daß er Bundeskanzler ist?“

Globocnik sucht sein Heil in der knappen Lüge: „Jawohl!“

Göring: „Ist ihm übertragen worden?“

Globocnik: „Jawohl!“

Göring: „Jawohl! Weiter! Bis wann kann er das Kabinett bilden?“

Globocnik: „Das Kabinett kann er bis 9.15 Uhr vielleicht … “ Göring will keine weiteren Verzögerungen: „Das Kabinett muss bis halb acht gebildet sein.“

Globocnik erzählt ihm daraufhin, dass inzwischen die Partei mit all ihren Gliederungen wieder erlaubt worden sei und SS und SA als eine Art von „Hilfspolizei“ auf den Straßen „Dienst“ tun würden. Den Generalfeldmarschall interessiert aber nur die angeblich schon stehende neue Regierung:

Göring: „Da bringt der Keppler die Namen. Ich habe da noch vergessen: Fischböck, Fischböck muss Handel und Wirtschaft bekommen.“

Globocnik willfährig: „Selbstverständlich, das ist doch klar.“

Göring: „Kaltenbrunner soll das Sicherheitswesen bekommen und Beyer soll die Wehrmacht bekommen. Das Bundesheer soll Seyß-Inquart kriegen. Dann Justiz ist klar, wissen Sie wen?“

Globocnik: „Ja, ja!“

Göring: „Nennen Sie den Namen!“

Globocnik glaubt zu wissen, worauf Göring hinaus will: „Ja, Ihr Schwager, nicht?“ (gemeint ist Franz Hueber, verheiratet mit einer Schwester Görings, der bereits 1930 für kurze Zeit Justizminister war – J. S.)

Damit ist das Gespräch beendet; Globocnik reicht den Hörer weiter an Generalleutnant Wolfgang Muff, den Militärattaché der deutschen Gesandtschaft. Auch Muff will vor einem Einmarsch der Österreichischen Legion warnen, doch Göring lässt sich erst gar nicht auf eine Diskussion ein, die Entscheidung darüber liege allein in Berlin. Und er hat es eilig, dem „Führer“ die Nachricht vom Rücktritt Schuschniggs und von der Ernennung Seyß-Inquarts zum Bundeskanzler zu überbringen. Die Lüge Globocniks hat nun Folgen: Hitler setzt den Befehl zum Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich vorerst aus; Göring telefoniert weiter: Zuerst spricht er mit seinem Schwager Franz Hueber, der auf Wunsch Hitlers auch das Außenministerium übernehmen soll, dann mit Seyß-Inquart, der inzwischen in sein Büro in der Herrengasse zurückgekehrt ist – und jetzt wird klar, dass der Generalfeldmarschall einer falschen Information Globocniks aufgesessen ist. Göring ist außer sich, drängt darauf, dass Seyß-Inquart sich selbst zu Miklas begibt, und wiederholt sein Ultimatum: Wenn ihn Miklas nicht sofort zum Bundeskanzler ernenne, werde die Wehrmacht noch in dieser Nacht mit dem Einmarsch beginnen.

Inzwischen sind Rainer und Globocnik wieder zum Bundeskanzleramt gefahren, hier treffen sie wieder auf Seyß-Inquart, der sich weigert, zum Bundespräsidenten zu gehen, und auf Glaise-Horstenau; Generalleutnant Muff teilt Miklas daraufhin das neuerliche deutsche Ultimatum mit, doch der Bundespräsident bleibt bei seiner Haltung: Er ernenne keinen Bundeskanzler unter der Androhung von Gewalt. Österreich sei ein freier und unabhängiger Staat und bestelle ebenso frei und unabhängig seine Regierung. Auch Wilhelm Keppler, der aus Berlin in Wien eingetroffen ist, scheitert kurz darauf bei Miklas – Göring scheint die Nerven zu verlieren, droht wieder mit dem Einmarsch; Rainer und Globocnik drängen in der Säulenhalle des Bundeskanzleramts auf die „Machtübernahme“, sie wollen einen entsprechenden Befehl an die Gauleiter herausgeben, doch Keppler lehnt ein gewaltsames Vorgehen ab.

Von Staatssekretär Michael Skubl wird die Falschmeldung verbreitet, dass die Deutschen bereits einmarschieren würden; Miklas weigert sich weiter, die Nazis zu inthronisieren. Knapp vor 20 Uhr verkündet Schuschnigg in einer Rundfunkansprache seinen Rücktritt: „Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, daß wir der Gewalt weichen.“ Und er schließt: „So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!“

Das Ende der Schuschnigg-Regierung, der „System-Zeit“, ist damit offiziell, die Nazis feiern ihren „Sieg“, ihr Exponent im Bundeskanzleramt ist Odilo Globocnik. Jetzt, im Augenblick des Zusammenbruchs der alten Ordnung, fühlt er sich so richtig in seinem Element, er genießt und spielt Regierung: Er ist der Mann, der am Telefon sitzt und Weisungen an die NS-Funktionäre erteilt, der Anfragen staatlicher Dienststellen beantwortet und Telegramme verschickt – all das im Namen von Innenminister Seyß-Inquart, der zwar um 20.18 Uhr im Rundfunk die Bevölkerung zu „Ruhe und Ordnung“ aufruft, ansonsten aber mit dem Aktionismus des „Machers“ Globocnik nicht mithalten kann.

In Berlin beraten Hitler und Göring die weitere Vorgangsweise, durch das Ultimatum – dessen Existenz gleichzeitig von Goebbels in einer „Richtigstellung“ des Deutschen Nachrichtenbüros bestritten wird – sind sie selbst unter Druck geraten: Reagieren sie nicht wie angedroht mit dem Einmarsch, verliert das Regime an Glaubwürdigkeit und Prestige. Der „Führer“ überlegt nicht allzu lange, die Chance, sich Österreich schon jetzt einverleiben zu können, ist da – und Hitler entscheidet sich dafür, die günstige Konstellation zu nützen. Euphorisch soll er sich in diesem Moment auf den Oberschenkel geklatscht und gerufen haben: „Jetzt geht’s los!“ Um 20.45 Uhr gibt er mit der „Weisung Nummer 2“ betreffend das „Unternehmen Otto“ den schriftlichen Einmarschbefehl. Der „Vormarsch der deutschen Wehrmacht nach Österreich“ solle am 12. März bei Tagesanbruch „nach Weisung Nummer 1“ stattfinden; begründet wird die Okkupation des Nachbarlandes nun doch mit der Feststellung: „Die Forderungen des deutschen Ultimatums an die österreichische Regierung sind nicht erfüllt worden.“ Der zweite Schönheitsfehler der „Weisung Nummer 2“: Seyß-Inquart und seine Nazi-Kumpane haben die deutsche Regierung noch gar nicht offiziell um Hilfe gebeten; dieses Mäntelchen zur Legitimierung muss nachträglich konstruiert werden: Wilhelm Keppler erhält von Göring den Auftrag, für ein entsprechendes Telegramm Seyß-Inquarts nach Berlin zu sorgen. Doch der Ex-Innenminister und Noch-nicht-Bundeskanzler – inzwischen hat Miklas den Rücktritt der Regierung Schuschnigg bestätigt – weigert sich, das gehöre nicht zu seiner Aufgabe als österreichischer Innenminister. Schließlich wird ein Telegramm-Text formuliert, der von Reichspressechef Otto Dietrich an das Deutsche Nachrichtenbüro weitergegeben wird – eine Fälschung, mit der sich Seyß-Inquart einverstanden zeigt.

Kurz nach 22 Uhr fällt die letzte wichtige Entscheidung: Hitler erhält beruhigende Nachrichten von seinem Kurier in Italien, Prinz Philipp von Hessen: Der Duce habe die „ganze Sache“ sehr freundlich aufgenommen, Österreich sei für ihn eine „abgetane Angelegenheit“. Hitler ist erleichtert und verspricht: „Wenn die österreichische Sache jetzt aus dem Weg geräumt ist, bin ich bereit, mit ihm durch dick und dünn zu gehen (…) ich werde ihm das nie, nie vergessen.“ Prinz Philipp von Hessen bestätigt: „Jawohl, mein Führer!“

Globocnik, der die „Telefonwache“ hält und sich ungeniert als „Beauftragter“ der Regierung ausgibt, sammelt und genießt weiterhin die „Siegesmeldungen“ der Parteiführer in den Bundesländern – und aus der Bundeshauptstadt: Nazitrupps sind inzwischen im Wiener Rathaus eingedrungen, Vizebürgermeister Fritz Lahr, ein ehemaliger Heimwehrführer, hat die „kommissarische Führung“ der Stadt übernommen, über den Rathausplatz dröhnen Deutschland- und Horst-Wessel-Lied. Rainer kommt mit Klausner, Jury und Edmund Veesenmayer, dem Adjutanten Kepplers, zurück ins Bundeskanzleramt; umgeben von seinen Freunden tippt er auf einem Sofa in der Säulenhalle eine erste Ministerliste, die sich an Görings Vorschlägen orientiert.

Um 22 Uhr stehen 40 mit Pistolen bewaffnete SS-Leute in weißen Hemden und schwarzen Hosen vom Sturm 89 unter Führung des ehemaligen Spitzenläufers Felix Rinner beim Hintereingang des Bundeskanzleramts, sie seien auf Befehl Seyß-Inquarts gekommen, um den „Schutz der Verhandlungspartner“ zu übernehmen – eine von Friedrich Rainer geschickt inszenierte Aktion, die Erfolg hat: Seyß-Inquart will zwar keine Bewachung, willigt dann aber doch ein; die SS-Männer beziehen Posten vor den wichtigsten Räumen. Ausgerechnet jene SS-Einheit, die beim Putsch am 25. Juli 1934 gescheitert ist, macht sich nun kampflos im Bundeskanzleramt breit.

Unter dem „Druck der bereits vollzogenen Machtübernahme in ganz Österreich durch die NSDAP“ ist schließlich auch Bundespräsident Wilhelm Miklas zum Einlenken bereit. Um 23 Uhr betraut er Seyß-Inquart mit der „Fortführung der Geschäfte der Bundesführung“, eine Möglichkeit, die der Paragraf 84 der Maiverfassung von 1934 definiert und mit der Auflage verbindet, dass alle Entscheidungen der Regierung durch den Bundespräsidenten gegengezeichnet werden müssen – für die Nazis eine halbe Lösung, die sie nicht akzeptieren wollen, sie schicken Seyß-Inquart wieder zu Miklas. Immerhin: Ein Status der Legalität ist damit erreicht; die Meldung von diesem ersten Teilerfolg geht um 23.14 Uhr über die Ravag an die Öffentlichkeit.

Es geht gegen Mitternacht, als Miklas, bedrängt von Seyß-Inquart, der immer wieder darauf verweist, dass er doch kein „Revolutionär“ sei und auf legalem Wege Bundeskanzler werden wolle, von Schuschnigg und Ex-Außenminister Guido Schmidt, seinen Widerstand endgültig aufgibt und bereit ist, Seyß-Inquart zum Bundeskanzler zu ernennen. Er knüpft an die Ernennung drei Bedingungen:

„1. Vermeiden Sie Blutvergießen! 2. Stellen Sie Ruhe und Ordnung wieder her! 3. Sichern Sie dem Land den Frieden!“ – Bedingungen, die Österreichs Unabhängigkeit sichern und einen deutschen Einmarsch verhindern sollen, doch dazu ist es bereits zu spät.

Seyß-Inquart marschiert zu den Parteigenossen im Säulensaal, jetzt endlich bringt er die Botschaft mit, die sie seit langen Stunden hören wollen: „Ich bin zum Bundeskanzler ernannt.“ Die Freunde gratulieren, nur Globocnik kann es nicht lassen, einen kritischen Ton anzubringen, er meint etwas süffisant zum neuen Kanzler: „Wissen Sie, ich habe für Sie die Macht ergriffen und Regierung gespielt, aber ich habe Ihnen nichts gesagt, denn Sie wären dagegen gewesen.“ Es ist Mitternacht, als sich „Friedl“ Rainer wieder an die Schreibmaschine setzt und eine neue Ministerliste tippt: Vizekanzler soll Glaise-Horstenau werden, Außenminister der katholisch-nationale Ministerialrat im Bundespressedienst Dr. Wilhelm Wolff, Justizminister wie mit Göring abgesprochen Franz Hueber, Minister für Soziale Verwaltung Hugo Jury und Anton Reinthaller soll für seine treuen Dienste mit dem Landwirtschaftsministerium betraut werden. Um Mitternacht sendet die Ravag eine neue Bekanntmachung, Seyß-Inquart sei, so der Kernsatz, „noch in Besprechungen über die Durchführung der Betrauung mit dem Bundespräsidenten befasst“. Dieser ist nun auch bereit, die ihm vorgelegte Ministerliste zu akzeptieren – er unterschreibt sie ohne Einwände; die Vereidigung des neuen Kabinetts wird für den Vormittag festgesetzt. Seyß-Inquart hat noch immer die Illusion, dass ein Einmarsch der Deutschen verhindert werden könne, und will mit Berlin verhandeln; seine Parteigenossen wollen davon eigentlich nichts mehr hören, auch sie befinden sich bereits im „Anschluss“-Rausch. Landesleiter Hubert Klausner bleibt es vorbehalten, den „Sieg“ zu verkünden. Um 1.08 Uhr ruft er vom Balkon des Bundeskanzleramts: „In tiefer Bewegung verkünde ich in dieser feierlichen Stunde: Österreich ist frei geworden! Österreich ist nationalsozialistisch! Durch das Vertrauen des ganzen Volkes emporgetragen, ist eine neue Regierung gebildet worden, die nach den Grundsätzen unserer herrlichen nationalsozialistischen Bewegung ihre ganze Kraft für das Glück und den Frieden dieses Landes einsetzen wird. Arbeit und Brot für alle Volksgenossen zu schaffen, wird ihre erste Aufgabe sein. (…) An Euch, deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen, aber ergeht mein Ruf: An die Arbeit! Unser Ziel ist erreicht: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Heil unserm Führer! Heil Hitler!“ Alle wollen auf den Balkon und sich als Sieger feiern lassen; Globocnik holt auch seinen Freund Rainer: „Friedl, du musst auch auf den Balkon!“ Dann geht’s für die neuen Regierungsmitglieder zum Fotografieren, man hat auch schon einen Platz ausgewählt: das Zimmer des Kanzlersekretärs Franz Krisch, in dem 1934 Engelbert Dollfuß verblutet ist …


Zwei Sieger und doch keine großen Freunde: Arthur Seyß-Inquart, bis zum 30. April 1939 Reichsstatthalter in der „Ostmark“, und Odilo Globocnik im Sommer 1938.

In Wien und in den Landeshauptstädten macht der triumphierende NS-Mob die Nacht zum Tag. Zum Schlafen bleibt auch für die führenden Nazi-Funktionäre in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 keine Zeit. Als man erfährt, dass Himmler mit seinem Gefolge von München-Oberwiesenfeld Richtung Wien abgeflogen ist, beschließt man, den Reichsführer-SS gebührend zu empfangen. In der Stunde des Triumphes erwarten sie von ihm Lob und Anerkennung. In drei „Regierungsautos“ fährt man hinaus zum Flugplatz Aspern: Landesleiter Hubert Klausner, Friedrich Rainer und Odilo Globocnik, Ernst Kaltenbrunner, Sicherheitsstaatssekretär Michael Skubl und Edmund Veesenmayer, der Mitarbeiter Wilhelm Kepplers; begleitet werden sie von „wild kostümierten“ SA- und SS-Leuten (Tomkowitz/​Wagner). Da man zu früh am Flugplatz ist, macht man es sich im Restaurant des Flugplatzes gemütlich und beschließt, endlich etwas zu essen – Veesenmayer gelingt es, einen Kranz Zervelat zu organisieren, das gute Stück Wurst wird mit Heißhunger verschlungen, die Stimmung ist bestens.

Um 4.30 Uhr kommt von der Flugleitung die Meldung, dass die beiden Maschinen aus München in Kürze landen würden; der Leiter des Flugplatzes, Polizeioberstleutnant Oscar von Schmoczer, begleitet Klausner und Co hinaus auf das Flugfeld. Und dann sind die Chefs aus dem „Reich“ auch schon da: Zwei Junkers 52 rollen aus, deutsche SS-Männer, bewaffnet mit Maschinenpistolen, stürzen aus der einen Maschine, sichern zackig das Erscheinen ihres Herrn: Reichsführer-SS Heinrich Himmler wird begleitet von Reinhard Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei, und Kurt Daluege, SS-Oberführer der Ordnungspolizei.

Als Führer der SS in Österreich übernimmt es Ernst Kaltenbrunner, er trägt Knickerbocker, Sportjackett und Fliege, Himmler Meldung zu erstatten. Markig tönt er: „Melde Reichsführer vollen Sieg der Bewegung! Die SS zur weiteren Befehlsausgabe angetreten!“ – Himmler zeigt sich von den stramm stehenden Österreichern wenig beeindruckt und eilt zu den wartenden Autos; gemeinsam mit Klausner und Kaltenrunner fährt er mit seinem Gefolge ins Hotel Regina.

Globocnik und Rainer haben großzügig auf ihre Plätze im Auto verzichtet und stehen an diesem kühlen Märzmorgen allein auf dem Fluplatz im Nordosten Wiens – erst nach stundenlangem Telefonieren gelingt es ihnen, ein Taxi in die Stadt zu bekommen. Sie ahnen, dass die Plätze an der Macht hart umkämpft sein werden. Beide haben an diesem langen Tag und in dieser langen Nacht entscheidend zur „Machtübernahme“ beigetragen, beide sind jedoch vorerst leer ausgegangen. Auf die ihnen ihrer Meinung nach gebührende Belohnung für die großen Verdienste werden sie aber nicht verzichten wollen …

Deutsche Truppen besetzen in diesen Minuten bereits die Grenzübergänge nach Österreich, sie stoßen nirgends auf Widerstand; um 8 Uhr überschreiten Soldaten der 8. Armee die Grenze, jubelnd begrüßt von der Bevölkerung; die Erste Republik ist Geschichte.

Zwei Millionen ham'ma erledigt

Подняться наверх