Читать книгу Zwei Millionen ham'ma erledigt - Johannes Sachslehner - Страница 8

Оглавление


Das Navigationsgerät lotst uns sicher nach Aifersdorf in der Gemeinde Paternion. Felder, grüne Wiesen, Bauernhöfe, gleich das erste Haus rechts soll es sein. Wir halten, fragen zwei Nachbarn – einer von ihnen ist, wie sich später herausstellen wird, Stefan Sodat, der Lauberhornsieger von 1965. Karl Schranz, Karl Cordin und alle anderen Abfahrtslegenden hat er damals hinter sich gelassen. Ja, der alte Herr Köfler würde noch leben und er sei auch zu Hause. Wir haben Glück: Während wir noch plaudern, kommt er auch schon des Weges, Stefan Sodat stellt uns vor. Jemand würde mit ihm über die „Beerdigung“ von Odilo Globocnik reden wollen. Helmut Köfler, Jahrgang 1927, ehemals Gendarmeriebeamter in Paternion, ist ein rüstiger alter Herr und Zeitzeuge. Im Mai 1944 hat er als noch nicht Siebzehnjähriger zur Wehrmacht einrücken müssen und schließlich in der 1. Gebirgsjägerdivision gedient; am 8. oder 9. Mai 1945 sei er nach Hause zurückgekommen. Gerne ist er bereit, uns die Stelle zu zeigen, an der der Globocnik begraben oder besser „verscharrt“ worden ist. Ohne zu zögern steigt er ins Auto, gemeinsam fahren wir hinunter zur „Sautratten“ am Drauufer; einst haben die Dorfbewohner hierher ihre Schweine getrieben, das Grundstück war eine Art von gemeinsamem Besitz, der auch gemeinsam genutzt wurde. Wir halten neben einer saftig-grünen Wiese, eingezäunt mit Stacheldraht. Helmut Köfler zeigt auf eine Stelle mitten in der Wiese: Genau hier sei die Stelle, an der die Briten damals die Leiche des Nazi-Verbrechers begraben hätten. Einst stand hier noch eine Heuhütte, die eine bessere Orientierung erlaubte – etwa 35 Meter in südöstlicher Richtung von der Hütte entfernt befand sich die Grabstätte. Jetzt ist nur mehr die tiefgrüne Wiese zu sehen, nichts mehr erinnert an die Geschehnisse vom 31. Mai 1945 – kein Hinweisschild, nichts. Odilo Globocnik ist unter diesem Grün an der Drau verschwunden.

1958 stellt der Glasermeister und Paternioner Gemeinderat Friedrich Plöb, ehemals NS-Kreispropagandaleiter, den Antrag, das Grab von Odilo Globocnik auf der Parzelle Nr. 4/​2 KG Paternion auszuforschen und eine Exhumierung auf Kosten der Gemeinde durchzuführen. Der Antrag wird vom Gemeinderat genehmigt; Plöb setzt sich mit Globocniks Witwe Laurentia „Lore“ in Verbindung, die jedoch eine Exhumierung ablehnt – sie wolle ihrem Sohn Peter „die Aufregung ersparen“. Friedrich Plöb versucht das Grab in der „Sautratten“ daraufhin auf eigene Faust zu finden, scheitert jedoch, „da jeder, der angeblich den Platz kannte, an Ort und Stelle nicht angeben konnte, wo das Grab sein könnte“.

Über die Sache scheint Gras zu wachsen, doch dann gibt es plötzlich hektische neue Nachforschungen, dieses Mal von Seiten der Staatspolizei. Auslöser sind zwei Briefe von Simon Wiesenthal an Justizminister Christian Broda vom 1. und 2. Juni 1964. Darin erklärt Wiesenthal, dass Globocnik, der in Österreich durch Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. Juli 1949 für tot erklärt worden war, an der Costa Brava in Spanien, in Irland und in Argentinien gesehen worden sei. Er appelliere daher an den Bundesminister, die Todeserklärungen Globocniks und anderer hoher Nazifunktionäre überprüfen zu lassen. Broda, durch einen Artikel in der Wiener Zeitung vom 13. August 1964 unter dem Titel „Leben 250 Naziführer unter falschem Namen?“ weiter unter Druck geraten, ersucht die Staatspolizei, Abteilung 2 C, um neue Ermittlungen.

Am 18. August 1964 spricht ein Polizeibeamter mit Lore Globocnik, Friedrich Plöb und Helmut Köfler, der über seine Beobachtungen Folgendes „niederschriftlich“ zu Protokoll gibt: „An einem Tage gegen Ende Mai oder anfangs Juni 1945, der nähere Zeitpunkt ist mir nicht mehr erinnerlich, war ich auf einem Felde innerhalb des Gemeindegebietes von Paternion, ‚In der Sautratten‘, mit landwirtschaftlichen Arbeiten am Grundstücke meines außerehelichen Vaters Johann Santer beschäftigt. Ich konnte bemerken, dass 2 ungarische Soldaten, welche sich offensichtlich in englischer Kriegsgefangenschaft befanden, auf einer Wiese, die mit englischem Kriegsmaterial, Panzern und Fahrzeugen belegt war, ein Loch ausschaufelten. Kurze Zeit danach kam ein englischer Militärwagen zum ausgehobenen Erdloch. Es war ein Dodge-LKW. Ich sah auch einige englische Militärpolizisten. Einige Männer öffneten sodann die rückwärtige Bordwand und hoben eine männliche Leiche vom Plateau. Die Leiche wurde sofort in das bereitstehende Grab gelegt. Das Grab wurde zugeschaufelt, jedoch rollte ein mit englischen Soldaten besetztes Raupenfahrzeug sofort mehrmals über das Grab. Im Herbst 1945 war eine Herbstbestellung des Gebietes „In der Sautratten“ nicht mehr möglich, weil das gesamte Gebiet mit englischen Fahrzeugen bedeckt war. Es ist mir erinnerlich, dass ich im Juni 1946 mit einer Pferde-Mähmaschine auf dem Grundstück, wo sich das Grab befindet, Mäharbeiten verrichtete.


Selbst ein Kreuz hielten die Briten nicht für angemessen: die Sautratten heute.

Als ich auf der Mähmaschine saß, spürte ich auf der Stelle, wo seinerzeit die Leiche beigesetzt worden war, eine deutliche Vertiefung. Es ist mir noch erinnerlich, dass am gleichen Tage, als die vorgeschilderte Beerdigung stattfand, innerhalb der Gemeinde Paternion öffentlich davon gesprochen wurde, dass ‚sich der Gauleiter Globocnik im Schlosshof Paternion vergiftet hatte‘.

Aus diesem Grunde nahm ich an und bin auch gegenwärtig der Meinung, dass im gegenständlichen Grabe Gauleiter Globocnik beigesetzt worden war. Die Bevölkerung von Paternion sprach zwar öffentlich davon, dass Globocnik ‚auf der Sautratten‘ beerdigt wurde, den genauen Platz kannte jedoch niemand. Ich habe auch niemals bemerkt, dass nach dem Krieg das Grab gepflegt worden war. Offensichtlich kennen auch die nächsten Verwandten des Globocnik das Grab desselben nicht.

Ich war bis zum Jahre 1952 bei meinem Vater Johann Santer als landwirtschaftlicher Arbeiter beschäftigt. Aus diesem Anlass habe ich jährlich die Umgebung des Grabes mehrmals betreten und die Feldbestellung durchgeführt. Es ist mir niemals eine Veränderung in der Umgebung des Grabes aufgefallen, weshalb mit ziemlicher Bestimmtheit angenommen werden kann, dass niemals eine Exhumierung stattfand. Es ist auch kaum anzunehmen, dass irgend jemand anderer die Stelle kannte und eventuell den Leichnam eigenmächtig entfernte.

Ich bin jederzeit in der Lage, die Stelle des Grabes aufzufinden. Sonst habe ich meinen Angaben nichts Wesentliches mehr hinzuzufügen.“

Für den ermittelnden Polizeibeamten, der sich von Köfler den Platz in der „Sautratten“ zeigen lässt, ist es „mit Rücksicht auf die von Köfler geschilderten Umstände wahrscheinlich, daß an dieser Stelle das Grab Globocniks liegt“; da in den von Lore Globocnik bereitwillig zur Verfügung gestellten Augenzeugenberichten britischer Offiziere – darunter auch ein Schreiben des Commanding Captain, Squadron 4th Queen’s Own Hussars, vom 16. Januar 1949 – der Selbstmord des Naziführers bestätigt wird, resümiert die Staatspolizei am 4. September 1964, dass „mit großer Wahrscheinlichkeit“ angenommen werden könne, „daß der ehemalige SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, welcher als SS- und Polizeiführer Lublin das ausführende Organ Himmlers für die millionenfachen Morde an Juden im Raume von Lublin gewesen ist, am 31. 5. 1945 sich durch Selbstmord gerichtet“ habe. Mit dieser Erkenntnis werden die Nachforschungen eingestellt, von einer Exhumierung der Leiche wird trotz letzter Zweifel schließlich abgesehen; für das offizielle Österreich stellen sich keine Fragen mehr.

Es ist eine körperliche Erfahrung, die Helmut Köfler über lange Jahre hinweg an das Vorhandensein des Globocnik-Grabes erinnert: Bei den Mäharbeiten in der „Sautratten“, so erzählt er uns, habe er die Unebenheit im Gelände immer wieder deutlich gespürt …

Zwei Millionen ham'ma erledigt

Подняться наверх