Читать книгу Misteln - Kraftvolle Krebsheiler aus der Natur - Johannes Wilkens - Страница 9
Оглавление► Im Zusammenspiel mit den schulmedizinischen Behandlungen ist die Misteltherapie wahrscheinlich die bedeutendste Methode, um dem Krebs in Zukunft seinen Schrecken zu nehmen. Sie kommt aus der Anthroposophischen Medizin, die auf den österreichischen Geisteswissenschaftler Dr. Rudolf Steiner (1861–1925) zurückgeht und heute mit ihren Kliniken und Instituten über die ganze Welt verbreitet ist. Steiners Modell ist im Grunde sehr einfach: Es stützt sich auf die naturwissenschaftliche, klassische Medizin, ergänzt deren Methoden und Ergebnisse jedoch um geisteswissenschaftliche Erkenntnisse, die auch die Seele und die individuelle Persönlichkeit des Menschen einbeziehen. Beides gehört nach Auffassung der Anthroposophischen Medizin zusammen. Insofern ist sie keine »Alternativmedizin«, sondern ein den Blick erweiterndes Heilsystem. Die Anthroposophische Medizin setzt alles ein, was die naturwissenschaftliche Forschung bereithält: Medizintechnik, Laboruntersuchungen, Medikamente, Operationen, Intensivmedizin. Aber sie geht in einem zweiten Schritt darüber hinaus und erfasst den Menschen auch in seinem funktionellen und seelischen Zustand – in seiner Sprache und seinen Bewegungen, in der Atmung und in den wichtigsten Lebensrhythmen wie Schlafen und Wachsein, Ruhe und Bewegung, Spannung und Entspannung, Arbeit und Pause, im Rhythmus des Essens und Verdauens, der Freude und des Leids.
Der anthroposophische Arzt lässt sich in der Behandlung von Krebspatienten von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten, aber zusätzlich berücksichtigt er auch den seelischen, emotionalen Zustand des Kranken – immer mit dem Ziel, die Lebenskräfte des Menschen zu stärken. Dabei ist der Patient nicht nur das Objekt medizinischer Kunst, sondern ein eigenverantwortlicher Partner des Arztes.
Die therapeutische Vielfalt ist groß – auch Musik, Malen, Gesprächstherapien, Entspannungsverfahren, Meditation, die Umstellung der Ernährung und eine Ordnung der Lebensweise gehören dazu. Natürlich verordnet der anthroposophische Arzt bei schweren akuten oder lebensbedrohlichen Erkrankungen auch allopathische Medikamente wie sein Kollege aus der Schulmedizin, aber wenn es sich vermeiden lässt, geht er sanfter vor. Bei der Wahl der anthroposophischen Medikamente wird vor allem darauf geachtet, dass sie die Selbstheilungskräfte des Menschen anregen. Das geschieht meist mit natürlichen, pflanzlichen, oft homöopathischen Arzneien, die sowohl auf den Tumor als auch auf die Gemütslage des Patienten wirken.
Der Schulmediziner findet das Medikament, das er dem Patienten verabreicht, allein auf der Grundlage der wissenschaftlichen Befunde. Dagegen versucht der anthroposophische Arzt, die innere »Verwandtschaft« zwischen dem erkrankten Menschen und dem Medikament zu entdecken. Der Patient muss also in seinem seelisch-geistigen Zustand ein ähnliches Grundmuster in sich tragen wie die Pflanze, deren Wirkstoffe gegen die Krankheit eingesetzt werden.
Diese Zusammenhänge lassen erahnen, wie umfassend ausgebildet und erfahren ein anthroposophischer Arzt sein sollte: Er muss den Patienten in seiner körperlichen und seelischen Verfassung wahrnehmen, begreifen und beurteilen – und gleichzeitig die subtilen Zusammenhänge zwischen dem Charakter der Krankheit und den besonderen Wirkkräften einer bestimmten Pflanze erkennen. Die richtige Zuordnung der stofflichen und seelisch-geistigen Kräfte des Menschen zu den entsprechenden Eigenschaften einer speziellen Pflanze ist nicht allein mit Logik zu bewältigen, sondern erfordert vom Arzt auch Intuition.
Nach anthroposophischer Erkenntnis sind die Wirkstoffe der Mistel das vielleicht stärkste Medikament gegen Krebs. Daraus entwickelte Rudolf Steiner 1920 seine Misteltherapie, die sich inzwischen als Ergänzung zu den konventionellen Krebsbehandlungen auf breiter Basis durchgesetzt hat. Laut Statistik bekommen heute bereits zwei von drei Krebspatienten zusätzlich zur klassischen Therapie auch Mistelpräparate. In klinischen Studien wurde nachgewiesen, dass die Extrakte der Mistel die Lebensqualität der Patienten deutlich erhöhen – dank einer Zunahme des Appetits und der Leistungsfähigkeit, dank verbessertem Schlaf und einer geringeren Anfälligkeit für Infekte. Auch die Rückbildung von Tumoren und die Lebensverlängerung durch Mistelwirkstoffe wurden beobachtet.
Seit Rudolf Steiners visionären Hinweisen im Jahr 1920 gilt die Mistel als hochwirksames Krebsmedikament. Aus den Zweigen mit Stängeln, Blättern, Blüten und Beeren wird – nach intensiver maschineller Aufbereitung und Durchmischung des Sommer- und Wintersaftes – ein Extrakt hergestellt, das meist unter die Bauchhaut gespritzt wird. Das Präparat kann in bestimmten Fällen auch direkt in den Tumor injiziert oder über Infusionen verabreicht werden. Die sehr häufige Injektion unter die Haut kann der Patient schon nach kurzer Zeit – ähnlich wie bei Diabetes – selber vornehmen. In der Regel kommt es kurz danach rund um die Einstichstelle zur erwünschten Reaktion: Die Haut rötet sich, juckt manchmal, schwillt leicht an und erwärmt sich – Zeichen dafür, dass die Mistel zu wirken beginnt. Sie erzeugt anfänglich eine Art Fieber und reizt den Organismus, der daraufhin seine Selbstheilungskräfte stimuliert und das Immunsystem kräftigt. Im Tumor selbst hemmen zur selben Zeit die Inhaltsstoffe der Mistel das wilde Wachstum der Krebszellen, sie können die Geschwulst häufig wieder verkleinern oder manchmal sogar ganz zum Verschwinden bringen.
Trotz aller Erfolge: In der Forschung zur Mistel ist vieles noch nicht erschöpfend geklärt. Nach wie vor ist es den Wissenschaftlern ein Rätsel, warum die Mistel bestimmte Körperzellen (Tumorgewebe) zerstört – und gleichzeitig andere Zellen, die das Immunsystem stärken, in ihrem Wachstum fördert. Auch die Gründe für die positiven Auswirkungen der Mistelbehandlung auf den Gemütszustand des Patienten liegen noch weitgehend im Dunkeln. Doch manchem fehlenden wissenschaftlichen Nachweis stehen die jahrzehntelangen Erfolge in der ärztlichen Praxis gegenüber – in zigtausend Fällen konnte die konventionelle Krebstherapie zum Wohle der Patienten durch Mistelpräparate ergänzt werden. Sie führten nachweislich zur Linderung von Schmerzen, zur Besserung des allgemeinen Befindens, nicht selten sogar zur Rückbildung der Geschwulst oder zur Heilung.
Ein besonderer Vorteil der Misteltherapie liegt auch in ihrer außerordentlich guten Verträglichkeit. Schädliche Nebenwirkungen, wie sie vor allem bei Chemotherapien und Bestrahlungen auftreten, sind bei Mistelbehandlungen nicht bekannt. Bisher wurden in keinem einzigen Fall Veränderungen in der Erbmasse (Mutagenität) festgestellt, es gab weder irgendwelche Missbildungen (Teratogenität) noch führten Mistelinjektionen jemals zur Entstehung neuer Krebsgeschwüre (Kanzerogenität). Die strengen Prüfungen nach den gültigen internationalen Standards ergaben, dass die Mistelpräparate unbedenklich eingesetzt werden können.
Die Mistel ist voller Geheimnisse
Die Misteltherapie bietet – in Ergänzung zur Schulmedizin – derzeit und in Zukunft die vielleicht größten Heilchancen für Krebspatienten. Warum ist das so?
Wer sich mit dieser uralten Pflanze beschäftigt, kommt schnell zu der überraschenden Erkenntnis: An der Mistel ist nichts normal! Sie unterscheidet sich deutlich von allen anderen Pflanzen. Das auffallendste Phänomen: Sie wächst nicht auf der Erde, sondern auf Bäumen und hat statt Wurzeln nur einen pfahlartigen »Senker«, mit dem sie sich im Holz ihres Wirtsbaums verankert. Über diesen Senker holt sich die Mistel ihre Nährstoffe aus dem Baum. Dabei wäre sie durchaus in der Lage, sich wie jede andere Pflanze dank der Sonne über ihre grünen Blätter und Stängel selbst zu versorgen – doch sie tut es nicht, sondern ernährt sich stattdessen überwiegend von ihrem »angezapften« Wirtsbaum. Wie ein Geschwür wächst die Mistel in der Krone ihres Baumes, der unter dem Schmarotzer allmählich seine Kraft verlieren und absterben kann.
Dabei fällt auf: Die Mistel kümmert sich nicht um die irdische Schwerkraft, sondern breitet sich mit ihren Ästen und Zweigen in alle Richtungen aus. Sie nimmt – in scheinbarer Missachtung der Gesetze der Erde und des Sonnenstandes – eine kugelige Gestalt an und richtet sich im wahrsten Sinne »ego-zentrisch« aus.
Die Mistel wächst nur von April bis Mitte Juni, dann hält sie inne und ruht fast bis Weihnachten. Erst wenn die Natur im Winterschlaf liegt, blüht sie auf und trägt ihre Früchte, die charakteristischen weißen Beeren. In der Mitte jeder Beere befindet sich unter der durchscheinenden Haut ein sofort keimfähiger Embryo. Doch dieser Same keimt nicht von selbst aus – er ist in der Beere »eingesperrt« und kann die ledrige Fruchthülle nicht ohne fremde Hilfe verlassen. Die Verbreitung des Samens übernehmen in Mitteleuropa Vögel, unter anderem die Misteldrosseln. Die Vögel fressen die Beeren, und mit dem Kot (»Mistel« ist vom Wort her urverwandt mit »Mist«) gelangt der Samen auf die Äste der Bäume. Das Mistelhaustorium, ein Saugorgan, wächst dann langsam in die Lebensschicht des Baumes, das Kambium, ein. Der Baum selbst bildet den Senker, weil er von der Mistel in seinem Wachstum »umgestimmt« wurde. Ein merkwürdiger Vorgang!
Doch es gibt noch mehr Merkwürdigkeiten. Nicht jeder Mistelembryo gedeiht auf jeder Rinde, sondern braucht immer einen passenden Wirtsbaum: Tannenmistel-Embryos die Tannen, Kiefernmistel-Embryos die Kiefern. Hingegen gilt bei den Laubbäumen das Prinzip, dass die Laubbaummistel fast jeden Laubbaum befallen kann. Nur beim Ginster ist es anders: Auf ihm wachsen sowohl die Mistelsamen von Nadelbäumen als auch von Laubbäumen. Und um die Verwirrung noch größer zu machen: Laubbaummisteln streuen weit – man findet sie auf Birken, Pappeln, Ulmen und sogar Eichen, auf denen Misteln sonst nur äußerst selten ansiedeln. Inzwischen ist fast kein Baum mehr vor einer Besiedlung durch eine Mistel sicher. Nur Buchen und Eiben meidet sie.
In der universalen Ordnung der Natur spielt die Mistel die Rolle des »outlaw«, des Gesetzlosen, der sich eine total verkehrte Welt geschaffen hat – kein Wunder, dass diese geheimnisvolle Pflanze seit jeher auch als Mythos in der Götter- und Sagenwelt auftaucht. Schon in der alten griechischen Sage um den Heilgott Aesculap wird berichtet, dass Krankheiten mit Eichenmisteln geheilt wurden. Im Heldenepos »Aeneas« des römischen Dichters Vergil öffnet die Mistel das Tor zu einer Unterwelt, in der die Verstorbenen leben, und ermöglicht wieder die Rückkehr aus dem Hades – so steht die Mistel symbolisch für den Sieg des Lebens über den Tod.
Der Mythos um die Mistel
Die Unterweltfahrt des trojanischen Helden Aeneas, der mit seinen Gefährten aus Troja entkommen konnte und dann die Stadt Rom gründete, ist in mythischer Form von großer Bedeutung: Sie macht die Wirkung der Mistel in Bildersprache verständlich. Aeneas möchte in der Unterwelt seinen toten Vater Anchises besuchen, um von ihm Ratschläge für seine Fahrt nach Italien zu bekommen. Laut Auskunft der Sibylle ist dies aber nur möglich, wenn er einen goldenen Zweig der Mistel sucht und auf seiner Fahrt trägt. Was tief in der Erde und im Dunkel verborgen ist, wo schreckliche Ungeheuer und finstere Gestalten zu Hause sind und die Toten wohnen – dorthin kommt nur, wer diesen Zweig, der der Göttin Persephone geweiht ist, mitnimmt. Mit ihm wird möglich, was sonst nur nach dem Tod sich eröffnet: Licht ins Dunkle der Triebe und Leidenschaften, ins eigene Schicksal zu bringen. In ähnlicher Form kann das bei einer Misteltherapie erlebt werden, wenn in den Höllenschlunden der Krebserkrankung ein Licht der Klarheit aufstrahlt und ein neues Bewusstsein hervorbringt.1
Diese Symbolik von Tod und Auferstehung findet sich noch eindrucksvoller in der germanischen Mythologie. Baldur, der Gott des Lichts und der Schönheit, wird von allen Göttern geliebt. Keiner der anderen Asen kommt ihm an Weisheit, Reinheit und Barmherzigkeit gleich. Darum wollen ihn die Götter vor Gewalttaten schützen. Die Göttin Frigg nimmt allen Geschöpfen den Eid ab, Baldur nicht zu schaden. Alle schwören – mit Ausnahme der Mistel. Der listenreiche Loki, der Baldur hasst, erfährt davon. Er reißt einen Mistelzweig ab und gibt ihn Baldurs blindem Bruder. Der, von Loki getäuscht, schießt den Pfeil auf Baldur und durchbohrt ihm damit die Brust. Er stirbt. Bei den Germanen galt dieser Tod als das größte Unglück, das je über Götter und Menschen gekommen war. So trug die Mistel die Schuld an der schwersten aller Zerstörungen. Und vielleicht entspricht es einer modernen Mythologie, dass die Mistel heute mit einer Art Wiedergutmachung dazu beitragen kann, die gegenwärtig schlimmste Zerstörung der Gesundheit, nämlich Krebs, zu heilen. Dass der Mistel besondere Kräfte innewohnen, glaubten auch die Kelten. Für sie waren die Mistelbeeren vor allem ein Fruchtbarkeitssymbol, ein allmächtiger göttlicher Samen – eine Vorstellung, die vielleicht damit zusammenhängt, dass die weißliche Frucht an Sperma erinnert. Die Priester der Kelten, Druiden, brauten aus Eichenmisteln, die sie in geheimnisvollen Kulthandlungen zu bestimmten Zeiten mit einer goldenen Sichel abschnitten, einen Zaubertrank, der den Menschen Fruchtbarkeit, Kraft und Heilung schenken sollte. Die Magie der Mistel wird heute vor allem in den Asterix-Comics geschildert, wenn der Druide Miraculix seinen Zaubertrank anrührt, um den Galliern übernatürliche Kräfte zu verleihen.
Auch viele Christen glaubten im Mittelalter an die magischen Kräfte der Mistel. Sie trugen Kreuze und Amulette aus Mistelholz auf ihrer Brust oder ließen beim Beten die Mistelholzperlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten. In Europa – vor allem in den skandinavischen und angelsächsischen Ländern – hat sich ein alter Mistelbrauch bis heute erhalten: In der Weihnachtszeit hängen viele Menschen Mistelzweige an die Tür – sie sollen für das kommende Jahr Glück, Kraft, Gesundheit und reichen Kindersegen bringen.
In der Heilkunde spielte die Mistel vor Rudolf Steiners Entdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts allerdings nur eine bescheidene Rolle. Der berühmte Arzt Paracelsus übernahm aus der Antike die Empfehlung, die Mistel bei Epilepsie einzusetzen – ein Verfahren, das auch in der Gegenwart noch in der anthroposophischen Medizin erfolgreich angewendet wird. Die berühmte christliche Mystikerin Hildegard von Bingen verwendete im 12. Jahrhundert die (Birnen-)Mistel gegen Lungenerkrankungen, und 1543 wurde in einem »Kreutterbuch« empfohlen, Mistelbrei auf Geschwüre zu legen, um sie zu heilen. Andere Forschungen ergaben, dass sich die krampflösende Wirkung der Mistel auf das Blutsystem übertragen lässt und den Blutdruck senkt. Und nach einer Empfehlung der Volksmedizin sollen schwangere Frauen Misteln an ihrem Körper tragen, um später die Niederkunft zu erleichtern.
Wie wirkt die Mistel?
In der Krebstherapie war diese geheimnisvolle Pflanze vor Steiners Entdeckung praktisch unbekannt. Offensichtlich war sie den kritischen Blicken der Ärzte, Wissenschaftler und Forscher entgangen.
Die Einsatzmöglichkeiten von Viscum album (Mistel) bei Krebs, auf die Steiner vor etwa hundert Jahren erstmals hingewiesen hatte, wurden 1938 durch die Forschungen von Fr. E. Koch bestätigt, der Experimente mit über einhundert Heilpflanzen machte. Koch suchte damals nach Wirkstoffen, die zur Behandlung lokaler Krebsgeschwüre besser geeignet waren als die seinerzeit eingesetzten Mittel wie Arsen, Quecksilber und Ätzkalk. Die Behandlung mit diesen Stoffen führte zwar dazu, dass lokale Tumore zerstört werden konnten, aber dabei wurde immer auch das angrenzende Gewebe erheblich geschädigt. Außerdem bereitete der nekrotisch zerfallende Tumor den Patienten selten dauerhafte Heilung, aber immer starke Schmerzen. Koch wollte deshalb eine Substanz finden, die den Tumor beseitigte, jedoch das benachbarte Gewebe nicht angriff und für den Gesamtorganismus möglichst ungiftig war. Tatsächlich bestätigten Kochs Untersuchungen, was Steiner verkündet hatte: Die eindeutig stärksten antikarzinomatösen Eigenschaften hatte die Mistel. Aber es sollte noch ein halbes Jahrhundert vergehen, bis die Thesen von Steiner und Koch ernst genommen wurden.
Heute gilt die Misteltherapie fast schon als »klassische« Ergänzung zur schulmedizinischen Krebsbehandlung, obwohl viele Ärzte die inzwischen in großer Zahl vorliegenden wissenschaftlichen Studien anzweifeln und nach wie vor kritisch betrachten. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass diese Ärzte generell zur Anthroposophischen Medizin, aus der die Misteltherapie kommt, ein zwiespältiges Verhältnis haben.
Doch immer mehr Wissenschaftler und Ärzte akzeptieren die Misteltherapien, weil sie nachweislich erfolgreich sind. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wächst das Vertrauen in diese sanfte Methode unaufhörlich weiter. Trotz aller Erfolge muss jedoch festgestellt werden: Vieles über die Wirkweise der Mistelextrakte gegen Krebs liegt noch im Dunkeln.
Heute weiß man, dass die antitumoralen Wirkungen der Mistelsubstanzen auf zweierlei Weise geschehen: Sie zerstören direkt die Tumorzellen oder hemmen deren Wachstum – und gleichzeitig stimulieren sie die Abwehrzellen im Immunsystem, sodass der Körper aus eigener Kraft das Karzinom zähmen und die Zellen wieder zu einer geordneten Entwicklung bringen kann.
In einem noch unerklärlichen Prozess lösen die Mistelsubstanzen in den Krebszellen die sogenannte Apoptose aus, also den in den Erbanlagen programmierten Selbstmord der Zellen. Die Apoptose gehört zum Ordnungsprinzip des menschlichen Lebens. Im normalen Körper erneuern sich ständig Millionen und Milliarden von Zellen. Ohne diesen Austausch könnte der Mensch nicht lange leben. Die zerstörten Zellen werden dann auf natürliche Weise abgebaut. Der Mensch ist in seinen Genen auf wunderbare Weise programmiert: Eine apoptotisch abgestorbene Zelle beseitigt ihre Überreste selbst, sodass die Umgebung des Gewebes nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Das Gegenteil ist die Nekrose, also der Zelltod aufgrund einer schweren Schädigung (Gifte, zu hohe Temperaturen und so weiter). Bei Nekrosen verbleiben die toten Zellen im Körper, es kommt zu heftigen Entzündungen.
Krebs entsteht, wenn die Apoptose nicht mehr funktioniert, wenn also eine entartete, kranke Zelle die Fähigkeit verloren hat, ihren natürlichen Tod einzuleiten. Dann ist die Apoptoseregulation »entgleist«, die aussortierten Zellen verbleiben im Körper und wachsen weiter. Mit der Chemotherapie oder mit Bestrahlungen der Krebszellen versucht man, die apoptotische Reaktion wiederherzustellen – ein schwieriger und meist auch schmerzhafter Prozess. Mistelpräparate können dabei, wie man aus der Erfahrung zigtausender Krankenberichte weiß, segensreiche Heilwirkungen entfalten.
Doch die einzelnen Vorgänge, die zur Apoptose führen, sind weitgehend ungeklärt – die Einleitung des Tumorzellen-Selbstmords ist noch immer ein großes Geheimnis. Trotz der vielen Untersuchungen, die es mittlerweile gibt, weiß man nicht, warum die Heilerfolge so unterschiedlich sind und was in den Tumorzellen bei deren Selbsttötung wirklich passiert.
Was aber können Misteln dazu beitragen, damit der Mensch seine Krebserkrankung überwindet? Aus den Stängeln, Blättern und den weißen Beeren der Mistel wird ein Extrakt hergestellt, in dem weit über tausend verschiedene Inhaltsstoffe vereint sind. Diese Substanzen wirken häufig einzeln, mehr noch in bestimmten Verbindungen oder in ihrer Gesamtheit gegen Krebs. Von den überaus komplizierten Zusammenhängen zwischen den einzelnen Wirkstoffen ist zwar vieles noch unerforscht, aber die Wirksamkeit gegen Karzinome ist längst erwiesen.
Es sind vor allem die Lektine (Zucker-Eiweiß-Stoffe) der Mistel, die gegen Krebs helfen. In Pflanzen wirken diese Lektine wie eine Schutzimpfung gegen Infektionen und Kälteschäden – und Ähnliches scheint im menschlichen Körper zu geschehen. Allerdings machen die Lektine bei der Mistel nur einen Anteil von etwa 1 Prozent aus – und der Lektingehalt schwankt sogar in Abhängigkeit vom Wirtsbaum, von der Jahreszeit und von der Kälte des Winters, in dem die Mistelbeeren heranwachsen. In jüngster Zeit gibt es sogar Versuche, die Tumorzellen zu »markieren« und dann die Mistellektine wie Geschosse mit einem Zielsuchkopf (»magic bullets«) einzusetzen – die Treffer sollen in der kranken Zelle die Selbsttötung auslösen.
Welche Beziehungen zwischen den Lektinen und den anderen Substanzen bestehen, ist weitgehend unbekannt – wahrscheinlich verbirgt sich gerade in diesem Zusammenspiel der einzelnen Wirkstoffe die erstaunliche Heilkraft der Mistel. Dabei scheinen die in der Mistel gebündelten Wirkstoffe in ihrer Gesamtheit wesentlich stärker zu sein als die Summe ihrer einzelnen Bestandteile.
Die vielfältigen und sehr komplexen Wechselwirkungen der über tausend Mistelsubstanzen untereinander vermischen sich nach der Verabreichung beim Menschen mit den mikrokosmischen Vernetzungen von Zellen, Geweben und Organen innerhalb des Körpers. So entsteht ein gigantisches Beziehungsgeflecht zwischen den Mistelwirkstoffen und dem menschlichen Organismus. Diese Kaskaden von Wechselwirkungen und Vernetzungen machen es unmöglich, beim heutigen Stand der Wissenschaft klare Aussagen über die Heilwirkung der Mistelextrakte zu treffen – bestenfalls lassen sich Vermutungen anstellen.
Auch das Krebsgewebe selbst ist außerordentlich heterogen. In ihm sind zahlreiche Tumorzellen nachgewiesen worden, die sich voneinander unterscheiden – im Wachstumstempo, in ihrer Ausdifferenzierung, in ihrer Neigung zu Metastasen und auch in ihrem Verhalten gegenüber Chemotherapien, Bestrahlungen, Hyperthermie und anderen Methoden. Dieses Geflecht von wechselweisen Beziehungen ist der Grund dafür, dass man derzeit die Misteltherapie in der Tiefe noch nicht verstehen, erklären oder gar in einem wissenschaftlichen Modell beweisen kann. Alles beruht auf systemischen Annahmen, die zwar in der Praxis zu erstaunlichen Erfolgen führen, aber letztendlich unwissenschaftlich sind. Das gilt auch für die sogenannten Spontanremissionen, wenn sich ein Karzinom auf scheinbar unerklärbare Weise zurückbildet oder ganz verschwindet. Spontanremissionen sind außerordentlich selten. Das könnte allerdings auch daran liegen, dass sie bislang meist weniger genau dokumentiert worden sind.
Spontanremissionen
Spontanremissionen sind natürlich der Wunschtraum eines jeden Krebspatienten und eines jeden Arztes. Häufig gehen sie einher mit ausgefallenen Therapieformen, mit fiebrigen Infektionen, mit einer Allergie, manchmal auch mit Hormoneinflüssen (zum Beispiel bei einer Schwangerschaft oder einer Geburt) aber auch mit psychischen Erlebnissen und Veränderungen. Bei Spontanremission von Tumoren wird angenommen, dass der geordnete Zelltod durch irgendwelche Ereignisse wieder richtig programmiert werden konnte. Diese Fähigkeit wird vor allem Mistelextrakten zugesprochen.
Besonders häufig und auffallend sind Spontanremissionen in Verbindung mit fieberhaften Infektionen (hier könnte auch eine Brücke zum »Mistelfieber« bestehen, das als erwünschte Reaktion bei einer Misteltherapie auftritt). Im Zeitalter der sehr häufig eingesetzten Antibiotika kommt es allerdings kaum noch zu fiebrigen Erkrankungen, sodass Spontanremissionen im Zusammenhang mit Fieber eher selten sind.
Lange Zeit wurde der Nutzen einer Überwärmungsbehandlung bei Krebspatienten eher kritisch gesehen. Das hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Kaum eine Klinik, die nicht eine Chemotherapie mit einer lokalen Überwärmung verbindet. Die Therapie basiert auf der Erkenntnis, dass Krebszellen – ähnlich wie Viren – bei 40 bis 42 Grad Celsius absterben und dass andererseits eine Chemotherapie oft erst in Kombination mit der Überwärmung einen Nutzen zeigt. Nach einer Studie der Universität Düsseldorf war eine anfänglich nur mäßig wirkende Chemotherapie in Verbindung mit Fieber dann fast zu 100 Prozent erfolgreich. Doch auch in anderen Zentren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine erfolgreiche Krebstherapie der Überwärmung bedarf. Bei Knochen- und Weichteiltumoren, den Sarkomen, ist die Wirksamkeit belegt. Einer der deutschen Pioniere der Hyperthermiebehandlung, Rolf Issels, sagt sogar, dass sich die Chancen in der Kombination aus Hyperthermie und Chemotherapie verdoppeln. Beeindruckend sind auch Zahlen holländischer Forscher, die bei dem gefürchteten Gebärmutterhalskarzinom zeigen konnten, dass sich in der Kombination aus Strahlentherapie und Hyperthermie ganz erstaunliche, langfristige Verbesserungen ergeben.
Masernviren gegen Krebs?
Sie sind ein heiß diskutiertes, manchmal fast hysterisch aufgeblähtes Thema, das vielleicht ein neues Zeitalter der Impfpflicht einläuten wird: die Masernviren. Jetzt haben Forscher bei Zellversuchen herausgefunden, dass bestimmte Masernviren auch Krebszellen zum Verschwinden bringen können. Eigentlich ein zu erwartendes Phänomen, weil man schon seit Jahrzehnten weiß, dass »durchgemachte« Masern das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen, besonders Lymphdrüsenkrebs, signifikant verringern. Es klingt paradox, könnte aber in wenigen Jahren schon zur Realität werden: die Masernimpfung bei Kindern verbieten, sie aber für Krebskranke einführen.
Die Misteltherapie ist von ihrem Ursprung her eine aktive Hyperthermiemethode, die anfangs Fieber zu erzeugen versucht. Dadurch wachsen die Chancen, den Tumor zu besiegen. Nach den Erfahrungen an der Humboldt-Klinik in Bad Steben zeigen sich in Fällen, die über viele Jahre nachverfolgt werden konnten, sehr gute Fieberreaktionen. Niemand muss aber vor dem »Mistelfieber« Angst haben. Obgleich die Temperaturen oft auf 40 Grad Celsius ansteigen, vertragen selbst ältere Patienten diese Kur in der Regel sehr gut.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch: Bei Untersuchungen wurde eine besondere Anfälligkeit für Krebs immer dann festgestellt, wenn die Patienten früher selten oder nie an Infektionskrankheiten litten – weder als Kinder noch im Erwachsenenalter. Bei diesen Menschen gab es also kaum Fieber oder erhöhte Körpertemperaturen – ein Mangel, der sich später offenbar fatal auswirken kann. Denn beim Menschen sind die körpereigenen Abwehrkräfte gegen Krebs immer dann besonders stark, wenn früher fieberhafte Infektionen auftraten. Das gilt vor allem im Kindesalter für Mumps, Masern und Windpocken, aber auch – bei Frauen mit Eierstock-Karzinomen – für Lungenentzündungen und Influenza. Paradoxerweise impft man heute gegen Masern und warnt vor ihrer Gefährlichkeit – und versucht gleichzeitig ausgerechnet aus dem Masernvirus einen Impfstoff gegen Krebs zu entwickeln. Allerdings dürfen Schlussfolgerungen aus solchen immunologischen Prozessen nur unter Vorbehalt gezogen werden.
Noch vieles im Dunkeln
In den letzten Jahren hat die Mistelforschung riesige Fortschritte gemacht. Es gibt inzwischen etwa 2000 wissenschaftliche Arbeiten und Studien. Die wichtigsten Erfahrungen wurden 2014 nach der Auswertung von 65 klinischen Studien sowie mehreren systematischen Reviews und Meta-Analysen zusammengefasst. Im Fazit hieß es, dass die Behandlung mit Misteln bei Krebspatienten nachweislich zu einer Lebensverlängerung führt, dass die negativen Symptome einer Chemotherapie gemindert werden und dass sich insgesamt die Lebensqualität erhöht. Auch die gute Verträglichkeit der Mistelpräparate wurde festgestellt.
Trotzdem existiert von den Mistelextrakten noch kein klares Bild. Die Wirkung ist von Tumorzelle zu Tumorzelle unterschiedlich, die Reaktion auf die vielfältigen Immunzellen ist nicht immer gleich – und die Prozesse im Inneren der Zellen unterscheiden sich ebenfalls von Fall zu Fall. Auch die Heilkraft von Mistelpräparaten wirkt nicht einheitlich, sondern schwankt von Mensch zu Mensch. Die Unkenntnis und noch nicht ergründete Logik über die Wirksamkeit betrifft auch die Wirtsbäume und deren Einfluss auf die Mistel – und später auf den Menschen. Die klinischen Forschungen für die Misteltherapien sind mittlerweile zwar sehr umfangreich, aber sie entsprechen meist nicht allen wissenschaftlichen Anforderungen der Schulmedizin. So gilt oft nur die Volksweisheit: »Wer heilt, hat recht.«
1 Ausführlich in: Rippe, Olaf (Hrsg.): Die Mistel, eine Heilpflanze für die Krankheiten unserer Zeit, Pflaumverlag, 2012