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§ 4 Auslegung von Gesetzen

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17Gesetze treffen für abstrakt geregelte Situationen eine Rechtsfolgeanordnung (sog. Kausalprogramme). Man spricht vereinfachend von „Wenn-Dann“-Sätzen: Wenn eine bestimmte Situation vorliegt, dann ergibt sich eine bestimmte rechtliche Konsequenz. Die „Wenn-Seite“ der Norm nennt man Tatbestand, die „Dann-Seite“ Rechtsfolge. Unter einer Subsumtion versteht man die Prüfung, ob ein konkreter Lebenssachverhalt die Tatbestandsmerkmale der Norm erfüllt, d. h. es wird geprüft, ob die „Wenn-Seite“ der Norm im konkreten Fall vorliegt. Passt der Sachverhalt unter die Norm, findet die „Dann-Seite“ Anwendung, d. h. die dortige Rechtsfolge tritt ein.

Beispiel § 433 Abs. 1 BGB normiert: „Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen.“ Anders formuliert: Wenn jemand als Verkäufer einen Kaufvertrag schließt, dann ist er verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Macht also der Käufer den Anspruch auf Übergabe der Sache geltend, ist zu prüfen, ob der Tatbestand vorliegt, der Verkäufer also den Kaufvertrag geschlossen hat.

18Nicht immer gelingt die Subsumtion eines konkreten Lebenssachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale einer Norm ohne Probleme. Häufig ergeben sich Zweifel hinsichtlich des Verständnisses dieser Tatbestandsmerkmale. Diese Zweifel müssen im Wege der Normauslegung gelöst werden. Folgende Auslegungsmethoden sind allgemein anerkannt:

19 Wortlautauslegung: Zentraler Ansatzpunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut einer Norm. Bei der Wortlautauslegung ist zu prüfen, welche Bedeutung diesen Worten zukommt. Der mögliche Wortsinn bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung nach den anderen Methoden.

Beispiel § 303 Abs. 1 StGB (Sachbeschädigung) lautet: „Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Eine „fremde Sache“ kann hierbei auch eine Sache sein, die sowohl dem Täter als auch dem Opfer gehört, die also „auch fremd“ ist. Nicht darunter fallen dagegen Sachen, die ausschließlich dem Täter gehören, weil sie nach dem Wortsinn für ihn nicht fremd sind.

20 Systematische Auslegung: Bei der systematischen Auslegung wird die Norm in ihrem gesetzgeberischen Kontext betrachtet. Relevant ist z. B. der Standort einer Vorschrift in einem Gesetz (In welchem Abschnitt steht die Norm? Welche anderen Normen finden sich dort?) und der Vergleich zu anderen Regelungen. Leitbild und Ziel dieser Methode ist es, die jeweilige Norm möglichst widerspruchsfrei in das „Gesamtkonzept“ Rechtsordnung einzuordnen.

Beispiel Der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 GG sagt nichts darüber aus, ob der Einzelne ein subjektives (Grund-)Recht auf Achtung seiner Menschenwürde hat. Aus der systematischen Stellung von Art. 1 GG, nämlich im ersten Abschnitt des Grundgesetzes mit dem Titel „Grundrechte“, lässt sich folgern, dass dies der Fall ist.

21 Teleologische Auslegung: Die teleologische Auslegung fragt nach Sinn und Zweck einer Vorschrift. Allerdings muss hierbei auf den „objektiven Willen“ abgestellt werden, wie er in der Norm zum Ausdruck kommt. Die teleologische Auslegung untersagt vor allem Interpretationen, die eine Norm inhaltlich „leerlaufen“ lassen.

Beispiel Nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf ein Kaufvertrag über ein Grundstück der notariellen Beurkundung. Zweck dieser Formvorschrift ist der Schutz der Vertragsparteien vor übereilten Vertragsabschlüssen, die Beweisbarkeit des Vertragsinhalts und die Sicherstellung einer fachkundigen Beratung durch einen Notar. Erteilt der Käufer einem Dritten eine unwiderrufliche Vollmacht zum Abschluss des Kaufvertrags, bedarf nach dem Sinn und Zweck auch diese Vollmacht der Form, damit der Käufer selbst (und nicht bloß dessen Stellvertreter bei Abschluss des Kaufvertrags) vor Übereilung gewarnt und notariell beraten wird.

22 Historische Auslegung: Bei der historischen Auslegung werden sowohl der historische Kontext der Gesetzgebung als auch die sog. Gesetzgebungsmaterialien herangezogen. Richtigerweise handelt es sich allerdings nicht um eine Auslegungsmethode, da das Gesetz „klüger“ sein kann als der historische Gesetzgeber.

23Fehlt es an der Regelung eines Sachverhalts, kann im Einzelfall der Rückgriff auf eine für vergleichbare Situationen geltende Regelung in Betracht kommen. Man spricht von einer Analogie. Eine Analogie ist nur dann zulässig, wenn

der Sachverhalt gesetzlich nicht geregelt wurde (Regelungslücke),
diese Regelungslücke „planwidrig“ ist, also vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt wurde, und
der gesetzlich geregelte sowie der ungeregelt gebliebene Sachverhalt solche Ähnlichkeit aufweisen, dass eine Übertragung der Rechtsfolgen des geregelten auf den ungeregelten Sachverhalt geboten erscheint (sog. vergleichbare Interessenlage).

Beispiel § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB gibt dem Eigentümer einer Sache einen Unterlassungsanspruch gegen Beeinträchtigungen seines Eigentums durch Dritte. Für andere sog. absolute Rechte (vgl. dazu Rn. 588 ff.), z. B. Leben, körperliche Unversehrtheit, Privatsphäre usw.), findet sich im Gesetz kein vergleichbarer Anspruch. Da diese Regelungslücke „planwidrig“ ist und zudem die Inhaber anderer absoluter Rechte in gleicher Weise wie der Eigentümer gegen Störungen geschützt werden müssen, gewährt § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB in analoger Anwendung einen Unterlassungsanspruch auch hinsichtlich anderer absoluter Rechte.

Da staatliche Eingriffe in Grundrechte des Einzelnen (z. B. durch Strafgesetze oder behördliche Eingriffsgesetze wie Polizei- und Steuergesetze) immer nur durch Gesetz legitimiert werden können („Vorbehalt des Gesetzes“, vgl. Rn. 45 f.), sind Analogieschlüsse in den dortigen Bereichen allerdings generell unzulässig.

24Als teleologische Reduktion bezeichnet man die Nichtanwendung einer Vorschrift auf einen Sachverhalt, auf den die Vorschrift seinem Wortlaut nach angewendet werden müsste. Die Rechtfertigung hierfür findet sich darin, dass die Fassung des Gesetzestatbestandes irrtümlich zu weit geraten ist (verdeckte Lücke) und die Anwendung der Vorschrift ihrem Sinn und Zweck zuwiderliefe. Während bei einer Analogie die Anwendung einer Norm ausgedehnt wird, wird sie bei der teleologischen Reduktion eingeschränkt.

Beispiel Nach § 164 Abs. 1 und 2 BGB muss ein Stellvertreter bei einem Vertragsschluss deutlich machen, dass er im Namen des Vertretenen handelt, andernfalls wird er selbst Vertragspartei. Dieses sog. Offenkundigkeitsprinzip dient dem Schutz des anderen Vertragspartners, der wissen soll, ob er den Vertrag mit dem Stellvertreter oder aber mit dem Vertretenen abschließt. Bei Bargeschäften des täglichen Lebens, die sofort abgewickelt werden (z. B. Brötchenkauf), ist es dem anderen Vertragspartner aber regelmäßig gleichgültig, mit wem er den Vertrag schließt. Hier wird das Offenkundigkeitserfordernis aufgrund der mangelnden Schutzbedürftigkeit nicht angewendet (sog. „Geschäft für den, den es angeht“, vgl. Rn. 395).

Kontrollfragen

1.Wie grenzt man nach der Sonderrechtslehre Öffentliches Recht und Privatrecht voneinander ab?
2.Was versteht man unter dem Begriff des „subjektiven Rechts“?
3.Erklären Sie das Begriffspaar der formellen und materiellen Gesetze!
4.Welche Arten von (innerstaatlichen) materiellen Gesetzen gibt es?
5.Was bedeutet der Begriff „Normenpyramide“?
6.Wie löst das Grundgesetz Regelungskonflikte zwischen Bundes- und Landesrecht?
7.Nennen Sie die anerkannten Auslegungsmethoden!
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