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Andere Männer, die weniger Grund zu Gewalttaten hatten als Menelaos, zeigten in der Nacht, als Troja zerstört wurde, weniger Zurückhaltung. Ajax fand Kassandra im Tempel der Athene, wo sie als Priesterin diente – lieblich genug, um Apoll zu reizen, doch nicht mit der Schönheit ausgestattet, die Helena schützte. Dort, gleichsam in Gegenwart der Göttin, büßte er an ihr seine Lust und ging dann zu andern Eroberungstaten über. Als darauf Athenes Zorn sich deutlich kundgab, gab er zwar zu, das Mädchen beleidigt zu haben, behauptete jedoch, daß er den Tempel nicht entweiht hätte, denn Odysseus hätte das heilige Bildnis bereits geraubt gehabt, und der Ort sei daher, wenn überhaupt ein Heiligtum, so doch ein verlassenes gewesen. Aber es war nicht wahrscheinlich, daß die Göttin diese Unterscheidung gelten lassen würde, und Agamemnon gab sofort Befehl, die Heimkehr der Flotte zu verschieben, bis ausgiebige Opfer dargebracht seien, als pflichtschuldige Beweise ihrer Reue und Selbsteinkehr, damit die Göttin sich nicht veranlaßt sähe, ihnen ihre Sünden in kaltem Wasser abzuwaschen. Agamemnon ließ sich die Sache sehr angelegen sein, sobald es an die Verteilung der Beute ging. Kassandra fiel ihm zu.

Den ganzen Tag stand er neben dem Priester, während die Altarflammen gespeist wurden, inmitten des respektvoll harrenden Heeres, und Menelaos stand neben ihm – zwei Könige, die nicht ihresgleichen hatten, nun Achill nicht mehr da war. Als es zu dämmern begann, ließen sie die Opferfeuer niederbrennen, die Soldaten zündeten die Kochfeuer an, und der Priester sagte, die Zeichen seien soweit günstig.

»Ein guter Anfang der Opfer«, sagte Agamemnon.

»Und Ende,« sagte Menelaos, »wenigstens was mich betrifft. Nicht unsre eigenen Sünden führten uns nach Troja, sondern, wie du gestern abend sehr richtig bemerktest, die Sünden anderer. Was wir seitdem hier an Verstößen begangen haben, haben wir bereits gebüßt, und wenn Stolz oder Unwissenheit uns noch etwas übersehen ließ, so muß dieser Opfertag es reichlich gutgemacht haben. Ich segle morgen nach Sparta ab.«

»Wenn ich an Absegeln denke,« sagte Agamemnon, »so kommt mir Aulis in den Sinn. Unsre Abfahrt aus jenem Hafen kostete mich das Leben meines Kindes, das ich opfern mußte, um die Götter zu versöhnen. Damals hattest du gegen übermäßige Opfer nichts einzuwenden. Für dich geschah das alles, mein Bruder. Meinen Streit mit Achill habe ich längst gebüßt, da ich im Unrecht war. Aber da ich vielleicht auch bei andern Gelegenheiten Unrecht hatte, wo ich glaubte recht zu haben, muß ich jetzt den etwaigen Zorn des Zeus und der Athene besänftigen, bevor ich mein Heer Wind und Wogen und allen Gefahren, die zwischen uns und unsrer Heimat liegen, aussetze.«

»Was du in Wirklichkeit fürchtest,« sagte Menelaos, »ist deine Frau.«

»Du hast deine Frau bei dir,« erwiderte Agamemnon, »und deine Tochter sitzt wohlbehalten in Sparta und kümmert sich zweifellos um deine Angelegenheiten. Das haben wir bisher alle getan. Nun muß ich mich um mein eigenes Volk kümmern. Was ich in Wirklichkeit fürchte, ist, daß Athene den Diebstahl ihres Bildes und die Vergewaltigung ihrer Priesterin an jedem einzelnen, an dir und mir bis hinab zum geringsten Schiffsruderer rächt.«

»Odysseus hat das Götterbild gestohlen,« sagte Menelaos, »aber doch nur, weil die Stadt sonst nicht einzunehmen war. Wegen dieser und anderer Maßnahmen, durch die er sich nützlich erwies, sollte er vielleicht viele Opfer bringen. Was Kassandra widerfuhr, finde ich nur gerecht, wenn auch ein bißchen roh. Paris war ihr Bruder. Ajax beging nur den Fehler, zu hastig vorzugehen. Er hätte sie sonst bei der Beuteverteilung haben und nach Hause nehmen und mit ihr tun können, was ihm beliebte, sicher vor der Kritik der Götter oder dem Grimm von Menschen, denn er hat kein Weib, das zu Hause auf ihn wartet.«

»Mein Weib«, sagte Agamemnon, »hat bis jetzt noch keinen Anlaß zu Skandal in der Familie gegeben. Darin unterscheidet sie sich von ihrer Schwester. Wieviel Männer haben Helena schon umgarnt oder sich von ihr umgarnen lassen? Theseus vor deiner Zeit, und du natürlich, und Paris und Deiphobos – und war da nicht auch etwas zwischen Achill und ihr? War Hektor eigentlich ihr Anbeter, oder war es nur sie, die es auf ihn abgesehen hatte? Wir machen uns jeder seine eigene Philosophie zurecht, mein Bruder, um uns mit unsrer Vergangenheit friedlich abzufinden. Du hast, soviel ich sehe, gar keine Veranlassung, Ajax' Tat zu verdammen. Halte dich an deine Philosophie, du wirst sie nötig haben.«

»Es bleibt dabei,« sagte Menelaos, »ich segle morgen heimwärts. Es tut mir leid, daß wir uns in dieser Verstimmung trennen. Wenn mein Bleiben dir irgendwie von Nutzen sein könnte, so würde ich es aus Dankbarkeit tun. Doch ich denke, die Götter wollen das, was vernünftig ist, – im großen ganzen wenigstens; und wenn deine Laune, die Opfer noch länger ausdehnen zu wollen, wirklich etwas mit Religion zu tun hätte, so würde ich dir entgegenhalten, daß die Götter, die uns in den Stand setzten, Troja zu verbrennen, nicht die Absicht hatten, daß wir hier wohnen sollten.«

»Du gehst in dein Verderben,« sagte Agamemnon, »ich werde dich nicht wiedersehen.«

»Das,« sagte Menelaos, »möchte ich wiederum für einen Irrtum deinerseits halten, den du hoffentlich nicht auch noch durch Opfer abzubüßen hast.«

Helena saß im Zelt, regungslos, beim flackernden Licht der Lampe. Die Weihrauchdämpfe stiegen vom Dreifuß vor ihrem Antlitz auf; er mußte an Göttinnen und an Altarfeuer denken. Warum war sie dort? War sie den ganzen Tag dort gewesen? Während er beim Opfer war, hatte er sie unter den andern Gefangenen geglaubt, gedemütigt und endlich die Schärfe der Vergeltung fühlend. Sie hätte eigentlich aufstehen können, als er eintrat.

»Morgen segeln wir nach Sparta ab.«

»So schnell schon?«

»Ist es zu schnell? Du hängst wohl noch an Troja?«

»Jetzt nicht mehr,« sagte Helena, »und überdies habe ich, wie du weißt, nie große Anhänglichkeit an Orte gehabt. Aber wie sollen alle die Schiffe und Mannschaften an einem Tage fertig werden! Bei deiner Herfahrt brauchtest du mehr Zeit zum Aufbruch – obwohl du damals meiner Meinung nach mehr Grund zur Eile hattest. Es müssen doch erst Opfer gebracht werden, Götter sind zu bedenken, der weite, dunkle Ozean, die Geister so vieler Toten, die beschwichtigt werden müssen, bevor wir reisen.«

»Die Toten sind in Frieden und die Götter haben ihr Teil bekommen«, erwiderte Menelaos; »wir haben den ganzen Tag mit Opfern zugebracht. Der Ozean bleibt weit und dunkel. Agamemnon will die Opfer dennoch fortsetzen, als ob er dies und andre Dinge damit ändern könnte. Wir haben deswegen eine Auseinandersetzung gehabt und uns getrennt. Er wird mit dem Heere noch eine Zeitlang hierbleiben, ich fahre morgen mit meinen Mannen und meinen Gefangenen heimwärts.«

Er meinte, mit ihr. Er wußte nicht, wie er es ausdrücken sollte. Er wollte nicht sagen: »mit meinem Weib und mit meinen Gefangenen«. Er hatte nicht den Mut zu sagen: »mit dir und den andern Gefangenen«.

»Menelaos«, sagte sie, »ich reise natürlich mit dir, wie unklug dieser Aufbruch auch ist. Denn dein Bruder hat recht und du hast unrecht. Die sich irgendeiner Schuld bewußt sind, brauchen Zeit zu Reue und Buße, und wir, die wir uns rein von Schuld fühlen, wir erst recht sollten Opfer bringen, um uns vor Stolz zu bewahren. Du hast zwar noch deinen alten gesunden Menschenverstand, Menelaos, aber es fehlt dir immer noch die tiefere Einsicht. Wenn du die hättest, so würdest du das Herkömmliche respektieren«.

»Wenn ich dich recht verstehe,« sagte Menelaos, »so gibst du mir den Rat, bei dem, was ich tue, nicht von den Gesetzen des Herkommens abzuweichen?«

»Ja, das ist mein Rat«, sagte Helena.

»Ich bin übermüdet, mein Gehirn versagt den Dienst«, sagte Menelaos. »Willst du wieder – dahin, wo du eben herkamst, oder soll ich dir dies Zelt überlassen? Wir brechen morgen in aller Frühe auf.«

Das Privatleben der schönen Helena

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