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Sie hatten den Wind gegen sich, und die Leute mußten an die Ruder. Menelaos saß dicht am Steuer und Helena vor ihm, das Gesicht dem Winde zugewandt. Die Ruderer sahen zu ihr auf, nicht zornig, wie zu einer, die Krieg und Beschwerde über sie gebracht, sondern zuerst neugierig, dann voll Teilnahme und Ehrfurcht, als ob sie dem Schiffe Segen brächte. Menelaos beobachtete die Veränderung in ihrem Blick und fragte sich, warum er überhaupt nach Troja gekommen war – und dann erinnerte er sich.

Nun regte Helena sich, zum erstenmal seit Stunden. Sie wandte sich um und sah ihm in die Augen. Auch die Ruderer blickten zu ihm auf; sie vergaßen zu rudern.

»Menelaos,« sagte sie, »du hättest Opfer darbringen sollen. Irgend etwas ist mit diesem Schiff nicht in Ordnung.«

»Im Gegenteil,« erwiderte er, »das Schiff ist vielleicht das einzige hier, was in Ordnung ist. Der Wind ist ungünstig, aber die Leute rudern gut, – wenn du sie nicht ablenkst.«

»In Troja,« sagte sie, »oder irgendwo an der Küste verrichtet Agamemnon in diesem Augenblick Bittgebete, die ihre Wirkung tun werden; ich zweifle nicht, daß er die Heimat erreicht. Unsre eigenen Aussichten scheinen mir sehr unsicher. Du kennst meinen Standpunkt – ich habe keine Vorliebe für Abenteuer, wenn ich nicht weiß, wohin es geht.«

»Wir fahren nach Sparta«, sagte er.

»Ich fürchte, das tun wir nicht«, sagte Helena.

»Wir werden die Richtung innehalten,« sagte ihr Gatte, »und wenn die Sterne nicht durcheinandergeraten sind in dieser arg verwirrten Welt, werden wir in einer Woche in Sparta ankommen. – Das ist reichlich Zeit genug, meinst du nicht auch?« fragte er den Steuermann.

»Für die Hinfahrt haben wir länger gebraucht«, sagte der Steuermann.

»Als ich nach Troja fuhr,« sagte Helena, »brauchten wir nur drei Tage, aber das war eine außergewöhnliche Reise.«

Worauf die Ruderer sich über die Ruder beugten und der Steuermann den Stand der Sonne fixierte.

In den ersten Tagen sah Helena Menelaos von Zeit zu Zeit an, durchaus ruhig und gelassen, aber als ob sie etwas sagen könnte, wenn es der Mühe wert wäre. Nachdem viele Tage vergangen, saß sie nur regungslos da, den Blick unverwandt übers Meer hinaus in die Weite gerichtet, und die Ruderer ließen den Blick nicht von ihr, als ob beide treu an etwas festhielten, was Menelaos nicht verstehen konnte. Er fühlte sich die ganze Zeit einsam und fragte sich, ob Wasser und Speisevorrat reichen würden.

»Ah, da ist endlich Sparta!« sagte er.

»Das bezweifle ich«, sagte Helena.

Tatsächlich war es Ägypten. Helena ging über die schmale Brücke, die die Männer für sie hielten, an Land, als ob eine Landung in Ägypten etwas Selbstverständliches wäre. Der Wind legte sich vollständig. Die ermüdeten Männer schlugen ein Zelt auf für den König und Schutzdächer für sich und legten sich schlafen. Menelaos konnte sich nicht erinnern, Befehl zum Landen gegeben zu haben, aber er war nicht sicher und mochte nicht fragen.

»Dies berühmte Land ist interessanter als ich gedacht hatte«, sagte Helena nach einigen Wochen. »Auf meinen Nachmittagsspaziergängen traf ich mehrfach Eingeborene; sie scheinen hier eine durchschnittliche Höhe der Kultur erreicht zu haben, die über das Maximum bei uns hinausgeht, meinst du nicht auch?«

»Helena, du treibst mich zum äußersten«, sagte Menelaos. »Ich bin nicht hier, um das Land zu durchstreifen oder Kulturvergleiche anzustellen.«

»Natürlich bist du das nicht, und ich auch nicht,« sagte Helena, »und wenn du bereit bist abzufahren, so brauchst du es mir nur zu sagen. Inzwischen bringt Polydamna, die Frau jenes umfangreichen Mannes, der dir den Proviant für unsre Weiterreise verkaufte, mir ihre Kräuter- und Arzneikunde bei – eine Wissenschaft, die man in jedem Hause gut brauchen kann und die hier jeder zu besitzen scheint. Wenn du in den nächsten Tagen noch keine Opfer bringst, werde ich eine Menge von ihr lernen.«

»Ich will keine weiteren Opferungen,« sagte Menelaos. »Der Wind wird schon von selbst kommen.«

»Dann werde ich alles lernen, bevor wir abfahren«, sagte Helena.

Etwa vierzehn Tage darauf sah sie ihn eines Tages mit einem jungen Lamm unterm Mantel aus dem Hause von Thonis, Polydamnas Gatten, treten. Während er die Männer auf einem stillen Platz versammelte und das Tier opferte, blieb sie diskret im Zelt. Dort suchte Menelaos sie auf.

»Halt dich morgen zur Abfahrt bereit,« sagte er, »für den Fall, daß der Wind sich aufmacht.«

Sie war bereit und der Wind machte sich auf, aber es war nur eine schwache und kurzlebige Brise. Als sie die Insel Pharos erreichten, war es mit ihr zu Ende.

»Das macht nichts,« sagte Menelaos, »wir haben hier einen guten Hafen und eine Quelle mit süßem Wasser. Wir laufen einstweilen ein, bis der Wind auffrischt, und füllen inzwischen unsre Fässer.«

Helena ging über die schmale Brücke, die die Männer für sie hielten, an Land, als ob eine Landung in Pharos etwas Selbstverständliches wäre. Es war kein lebendes Wesen auf der Insel zu sehen, außer ein paar Krebsen, die sich ans Ufer gewagt hatten. Nach zwanzig Tagen ging der Proviant aus, und die Männer krochen am steinigen Ufer hin und versuchten, mit einer kleinen Angelschnur und leeren Haken Fische zu fangen. Helena schritt die ganze Zeit gelassen und huldvoll auf den bequemsten Pfaden, die sie zwischen den Felsen finden konnte, dahin oder setzte sich auf den Vorsprung einer kleinen Klippe und sah dem Spiel der violetten Wellen und der Möwen zu oder blickte sinnend nach dem Horizont. Menelaos wich seinen Leuten aus und wanderte allein umher, am entgegengesetzten Ende der Insel. Als er aber endlich doch zu ihrem Klippensitz hinaufgeschlendert kam, schien sie nicht überrascht.

»Ich denke daran, nach Ägypten zurückzukehren«, begann er. »Die Leute brauchen kräftigere Nahrung, als sie hier finden können, und wir könnten in einem Tage nach Kanopus rudern.«

»Wenn du mich um Rat fragst,« sagte Helena, »so kann ich nur deinem eigenen vernünftigen Urteil zustimmen. Du hast recht, es scheint uns an Nahrung zu fehlen.«

»Bisweilen irritierst du mich, Helena«, sagte Menelaos; »jeder Narr muß einsehen, daß wir nach Ägypten zurück müssen. Ich habe dich nicht um Rat gefragt. Ich hätte längst zurückfahren sollen.«

Er hatte ihr sagen wollen, warum er nicht früher zurückgekehrt war, aber es verdroß ihn, daß sie nicht fragte. Er wandte sich um und sah drei seiner Leute, bleich und hungrig, und mit ihnen den Steuermann. Sie sahen aus, als ob sie ihm etwas Unangenehmes sagen wollten.

»Menelaos,« begann der Steuermann, »wir sind dir so lange gefolgt, daß du unsre Treue erkannt haben mußt, aber nun kommen wir und fragen dich, ob du den Verstand verloren hast. Macht es dir Vergnügen selbst zu leiden, oder magst du uns gern leiden sehen? Du zwingst uns, hier auf dieser Insel zu verhungern, während in Ägypten, wohin wir in einem Tage rudern könnten, wenn wir noch die Kraft hätten, Speise genug ist. Noch ein paar Stunden, und wir sind zu schwach, um das Schiff in die See zu stoßen. Du sagst, wir warten auf Wind. Aber wenn er jetzt auch käme, wir haben nicht Proviant genug bis Sparta; beim Segeln können wir nicht fischen.«

»Ich will euch euer ungehöriges Benehmen nachsehen, weil ihr Hunger habt,« sagte Menelaos, »aber, wie es gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten der Fall ist, euer Rat kommt zu spät und ist daher überflüssig. Ich hatte bereits beschlossen, nach Ägypten zurückzukehren, um Vorräte einzunehmen, und wir werden sofort aufbrechen. Macht das Schiff fertig! … Habt ihr mich verstanden? Ihr sollt das Schiff flottmachen … Ach so, ihr wolltet noch etwas sagen?«

»Ja, Menelaos«, erwiderte der Steuermann. »Wenn wir Ägypten erreichen, wollen wir den Göttern die gebührenden Opfer bringen, damit wir wohlbehalten heimkehren. Wir hätten gern in Troja geopfert wie unsre Gefährten, aber du hießest uns abfahren. Nun wir deine Strafe mit dir erlitten haben, wollen wir dir in dieser Sache nicht länger gehorchen, sondern nur den Göttern. Sicher ist es keinem einzigen von uns beschieden, die Seinen wiederzusehen, wenn wir den Unsterblichen, die Himmel und Meer beherrschen, nicht Hekatomben zum Opfer bringen. Wir wären zweifellos schon längst umgekommen, hätten wir nicht unsre Herrin dort, dein Weib, bei uns gehabt, um den Zorn der Götter zu beschwichtigen – sie, die in unsern Augen selbst eine Unsterbliche ist und doch ehrerbietig und gewissenhaft gegen die, in deren Händen Tod und Leben ist.«

»Es ist vielleicht ratsam,« sagte Menelaos, »jetzt weitere Opfer zu bringen. Ich hatte auch schon daran gedacht, allein hier ist nichts, was wertvoll genug zum Opfer wäre. In Ägypten können wir uns, wie ihr vorgeschlagen habt, reiche Opfergaben verschaffen, und ich hatte bereits beschlossen, dies bei der ersten Gelegenheit zu tun. Ihr könnt jetzt das Schiff flottmachen – oder habt ihr noch etwas zu sagen?«

Sie eilten zu ihren Gefährten, und Menelaos wandte sich zu Helena: »Ich hoffe, du läßt uns nicht warten. Diese Unterredung hat die Ausführung meiner Pläne etwas verzögert.«

Thonis versah sie mit Proviant für das Schiff, und mit Tieren und Kannen mit dunklem Wein zum Opfer. Vor ihrer aller Augen fuhr Menelaos mit dem unbarmherzigen Messer, das er in seiner Erregung schwenkte, über die Kehlen der Opfer hin, die röchelnd zu Boden fielen. Dann goß er den Wein aus den Kannen in die Becher, schüttete ihn aus und betete in eindringlichem Tone zu den Göttern, die ewig leben:

»O glorreicher, erhabener Zeus, o weise und furchtbare Athene, o ihr Unsterblichen alle! Laßt euer Tun offenbar werden, auf daß die Menschen eure Gerechtigkeit schauen! Bestraft die Schuldigen und belohnt die Guten! Wer von uns gegen euch gesündigt hat, laßt sie auf den Felsen des Meeres verhungern oder in den Fluten ertrinken! Aber uns, die mit reinem Herzen euren Willen erfüllt haben, uns führt bald in unsre Heimat zurück!«

Und der Wind trieb sie alle wohlbehalten nach Sparta.

Das Privatleben der schönen Helena

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