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|29|2 Der Schiffskatalog und der Katalog der Troer

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Das zweite Buch der Ilias beginnt mit dem Bericht, wie Zeus einen Traum zu Agamemnon schickt, in dem Nestor, der älteste und angesehenste der Achäer, dem König mitteilt: Zeus „befiehlt dir, die am Haupt langhaarigen Achaier zu rüsten // in aller Eile, denn vielleicht nimmst du jetzt die Stadt der Troer mit ihren breiten Wegen“.1 Der Traum überzeugt Agamemnon, der nicht ahnt, dass Zeus ihn in eine Katastrophe locken will. Für alle Fälle entscheidet er sich nach einer Beratung mit Nestor und den anderen Anführern der Griechen, zuerst die Kampfmoral seiner Armee auf die Probe zu stellen, indem er ihr mitteilt, es sei Zeit zur Abreise: „Fliehen wollen wir mit den Schiffen in unsere Heimat, // denn Troia mit den breiten Wegen werden wir ja nicht mehr erobern.“2

Kaum hören die Achäer dies, eilen sie zu den Schiffen und schicken sich an, auf Heimatkurs zu gehen. Hera jedoch sendet Athene vom Olymp, um sie aufzuhalten. Die Göttin tut, wie ihr geheißen. „Dann traf sie auf Odysseus, der dem Zeus an Einsicht gleichkam, // wie er dort stand; er nämlich legte nicht die Hand an das schwarze Schiff mit den schönen Ruderbänken, // denn Enttäuschung füllte ihm das Herz und den Willen.“3 Athene gebietet ihm, die Achäer von der Flucht abzubringen, und „so schritt er gebieterisch durch das Heer, die Männer aber // stürmten wieder |30|zum Versammlungsplatz, weg von den Schiffen und den Hütten ihres Lagers“.4 Nach einem Opfer an die Götter und einer Mahlzeit sammelt Agamemnon seine Männer und führt sie nach Divisionen geordnet ins Tal des Skamandros auf der Ebene vor Troia:

So strömten viele Stämme der Männer von den Schiffen und Hütten // in die Ebene des Skamandros, und die Erde unter ihnen // dröhnte ungeheuer auf unter ihren Füßen und denen der Pferde. // Zum Stillstand kamen sie auf der blumenreichen Wiese des Skamandros, // Zehntausende, so zahlreich, wie Blätter und Blüten im Frühling wachsen.5

Zu Beginn der zweiten Hälfte von Buch 2 ruft Homer die Musen an und richtet die Frage an sie: „Wer waren die Anführer der Danaer und ihre Fürsten?“6 Zur Antwort zählt er das auf, was die Nachwelt später den Schiffskatalog nennen sollte: „Die Herren der Schiffe will ich nun nennen und sämtliche Schiffe dazu.“7 Der Katalog umfasst jedes einzelne Kontingent im Heer Agamemnons, nennt jeden Anführer, die vertretenen Städte und die Anzahl der Schiffe.

Im Katalog erscheinen 164 Kontingente unter 46 Anführern, die für zwei Dutzend Stämme oder Völker stehen, darunter Böoter, Minyer, Phoker, Lokrer, die Abanten von Euböa, die Athener, Argiver, Mykener, Lakedaimonier (Spartaner), Männer aus Pylos und dessen Umgebung, Arkader, Epeier aus Elis, Männer aus Doulichion und von den Inseln der Echinaden, Kephallenier, Ätoler, Kreter, Rhodier, Einwohner von Syme, Männer von den kleinen Inseln der südwestlichen Ägäis, Myrmidonen, die Leute aus Methone und dem Umland, Lapithen und Magneter. Sie alle standen unter dem Oberbefehl Agamemnons, „bei Weitem der Beste der Achaier“.8

|31|Das Kontingent, das den Katalog eröffnet, ist das der Böoter. „Von diesen fuhren fünfzig Schiffe aus, doch an Bord stiegen in jedes // hundert junge boiotische Männer und zwanzig.“9 Diese 6000 Böoter kamen aus 29 Städten, unter denen die bekannteste Aulis ist, der Hafen, von dem Agamemnons Flotte absegelte.10 Die Anzahl der Schiffe in jedem Kontingent bewegt sich zwischen 100 aus Mykene, die Agamemnon kommandierte, und drei Schiffen aus Syme unter dem Befehl des Nireus.

Insgesamt zählt der Katalog 1186 Schiffe in der Armada Agamemnons. Allgemein wird angenommen, dass jedes Schiff 120 Mann fasste wie im Fall der Böoter, obwohl die Schiffe aus Methone und Umgebung – Anzahl unbekannt – nur je 50 Ruderer hatten, allesamt Bogenschützen.11 Setzt man die böotische Zahl ein, ergäbe sich eine Gesamtzahl von 142320 Kriegern in der Streitmacht Agamemnons, offensichtlich eine völlig übertriebene Summe, wie das in antiken Schätzungen von Heeresgrößen meistens der Fall war.

Der Schiffskatalog ist in der Antike wie auch in der modernen Forschung eingehend studiert worden, und heute herrscht allgemein Übereinstimmung, dass er älter ist als die Ilias, allerdings durch Homer seine heutige Form erhielt. Denys Page zieht den Schluss, dass der Schiffskatalog „ein wahrheitsgemäßes, wenn auch selektives Bild des mykenischen Griechenland darstellt“.12 Folgt man der Ansicht von J. V. Luce, wurde die ursprüngliche Fassung des Kataloges nicht vor ca. 1150 v. Chr. zusammengestellt, das heißt, kurz nach dem Fall Troias. Durch die mündliche Überlieferung der epischen Dichtung überlebte er demnach die Dark Ages und wurde schließlich ein Teil von Homers Ilias. Geht man also davon aus, dass der Schiffskatalog ein spätmykenisches Produkt ist und die Ilias die Endform eines epischen Gedichts, das sich im Lauf der Jahrhunderte nach dem Fall Troias entwickelte, sind Widersprüche unvermeidlich.


|32|Der Schiffs- und Troerkatalog

|34|Dem Katalog zufolge verteilen sich die Inseln im Ionischen Meer auf zwei Königreiche, eins unter der Herrschaft des Odysseus, der zwölf Schiffe befehligt, und eins unter Meges, der 40 kommandiert. Obwohl Odysseus ein relativ kleines Kontingent hatte, war er einer der führenden Männer im achäischen Heer vor Troia, während Meges wenig bedeutend ist:

Odysseus aber führte die von Kephallenia, die hochgemuten, // die Ithaka hielten und den Neriton, dessen Bergwälder rauschen, // und Krokyleia bewohnten und das raue Aigilips, // und auch, die Zakynthos hatten und rund um die Küsten von Samos wohnten // und auch, die das Festland hatten und seine Küste (den Inseln) gegenüber – // sie führte Odysseus, der dem Zeus an Einsicht gleichkam, // und zwölf Schiffe, die Bugseiten mit Mennige bestrichen, folgten ihm.13

Das Königreich Agamemnons stellt sich im Schiffskatalog stark abgemagert dar. Weiter vorn in Buch 2 der Ilias wendet sich Agamemnon an die versammelten Achäer als König „vieler Inseln und von ganz Argos“.14 Der Katalog im hinteren Teil des Buches aber lässt Diomedes über die Argolis und die Insel Ägina herrschen, während Agamemnons Königreich sich von Mykene und Korinth aus nach Nordwesten bis Aigion am Korinthischen Golf erstreckt:

Die Argos bewohnten und das ummauerte Tiryns, // Hermione und Asine, das die tief eingeschnittene Bucht regiert, // Troizen, Eïones und das Wein hervorbringende Epidauros // und auch jene, die Aigina hielten und Mases, die jungen unter den Achaiern, // sie nun führte Diomedes, der Rufer mit guter Stimme.15 (…) //Die Mykenai hatten, die gut gebaute Festungsstadt, // Korinthos das reiche und das gut gebaute Kleonai, (…) // ihre hundert Schiffe |35|führte der Gebieter Agamemnon, // der Atreussohn. Und ihm folgten bei Weitem die meisten und besten // Stämme; unter ihnen hüllte er sich in funkelnde Bronze, // ruhmreich hervorragend, und stach heraus unter allen Heroen, // weil er der Beste und Vornehmste war, auch bei Weitem die meisten Stämme führte.16

Das Königreich von Agamemnons Bruder Menelaos lag laut dem Katalog im Süden der Peloponnes und reichte von Sparta aus nach Süden bis Messe nahe der Spitze des Kaps Tainaron:

Die das eingetiefte Lakedaimon hatten, das schluchtenreiche, // Pharis und Sparta und Messe mit seinen vielen Tauben, (…) //Die nun führte sein Bruder Menelaos, der Rufer mit guter Stimme, 60 Schiffe; aber sie legten abseits (von den Argivern) die Waffen an. // Unter ihnen schritt er selbst, im Vertrauen auf seinen tatendurstigen Sinn // sie dem Kampf zutreibend; am meisten drängte es ihn im Innern, // Rache für die Erregung und das Stöhnen der Helena zu nehmen.17

Das Königreich Nestors, der eins der größten Kontingente in Agamemnons Aufgebot befehligte, lag in der südwestlichen Peloponnes mit der Hauptstadt Pylos:

Die Pylos bewohnten und das liebliche Arene // und Thryon, die Furt durch den Alpheios, und das gut gebaute Aipy, // und in Kyparisseeis und in Amphigeneia saßen // und Pteleon und Helos und Dorion (…), // Sie nun führte der Gerenier, der Pferdeherr Nestor, // um ihn aber reihten sich neunzig bauchige Schiffe.18

Das Aufgebot aus Salamis, einem winzigen Inselreich unter der Herrschaft des Telamonsohnes Aias – Aias des Größeren – nahm |36|seinen Platz neben dem der Athener ein: „Aias führte aus Salamis zwölf Schiffe // und stellte sie unter seiner Führung da auf, wo die Phalanx der Athener stand.“19 Aias der Lokrer, der Kleinere Aias, kommandierte das Kontingent aus Lokris, einem kleinen Königreich am Thermaischen Golf, gleich südlich vom Reich des Achilleus:

Die Lokrer aber führte des Oileus Sohn, der flinke Aias, //geringer, nicht so ein Mann wie der Telamonier Aias, // nein, um vieles geringer: immerhin, kleinwüchsig, wie er war, nur mit einer Rüstung aus Stoff, übertraf er mit der Lanze doch die versammelten Hellenen und die Achaier. // (…) // in seinem Gefolge nun waren vierzig schwarze Schiffe // der Lokrer, die an der Küste gegenüber der heiligen Insel Euboia wohnen.20

Von den Königreichen Lokris und Böotien getrennt ist Euböa durch den als Euripos bekannten langen Meeresarm, über dessen engste Stelle – zwischen Aulis auf dem Festland und Chalkis auf der Insel – heute eine Brücke führt. Der Katalog zählt das euböische Kontingent gleich hinter dem der Lokrer auf.

Die Euböa hatten, die Kampflust atmenden Abanter, // auch Chalkis und Eretria und das traubenbedeckte Histiaia, (…) // die nun führte Elephenor, der Abkomme des Ares, // des Chalkodon Sohn, Anführer der starkherzigen Abanter. // Ihm nun folgten die schnellen Abanter, langhaarig im Nacken, // die Lanzenträger, darauf brennend, mit vor sich gestreckten Speeren // die Panzer, in denen die Brust ihrer Feinde steckte, aufzureißen. // Ihm nun folgten vierzig schwarze Schiffe.21

Das letzte Kontingent, das der Schiffskatalog beschreibt, ist das der Magnesier, auch als Magneten bekannt, eines Volkes in Thessalien, |37|das im Pelion-Gebirge wohnte, der kargen Küstenregion nördlich des Golfs von Volos: „Die Magneten aber führte Prothoos, des Tenthredon Sohn, // die an den Ufern des Peneios wohnten und auf dem Pelion, dessen Bergwälder rauschen; // sie also befehligte der schnelle Prothoos, // ihm nun folgten vierzig schwarze Schiffe.“22

Weiterhin zählt der Katalog Aufgebote aus Kreta und den Inseln auf, die sich von dort zu den südwestlichen Landzungen Kleinasiens ziehen. Das mit Abstand größte dieser Kontingente war das der Kreter unter Führung von Idomeneus, einem Enkel des Königs Minos:

Die Kreter führte Idomeneus, der speerberühmte, // die Knossos hatten und das ummauerte Gortyn, // Lyktos, Miletos und das weiß schimmernde Lykastos, // Phaistos und Rhytion, die dicht besiedelten Städte, // auch die anderen, die rundherum Kreta mit den hundert Städten bewohnten. // Sie führte also der speerberühmte Idomeneus an // zusammen mit Meriones, der dem männermordenden Enyalios (= Ares) gleichkam; // Ihnen nun folgten achtzig schwarze Schiffe.23

Das nächstgrößte unter den Kontingenten der Ägäischen Inseln führten Pheidippos und Antiphos, zwei Enkel des Herakles, die Schiffe aus Nisyros, Krapathos (Karpathos), Kasos, Kos und von den Kalydnischen Inseln befehligten: „Hinter ihnen reihten sich dreißig bauchige Schiffe.“24 Ein Onkel der beiden, Tlepolemos, führte ein kleines Kontingent aus Rhodos, zu dem Krieger aus jeder der drei Städte auf der Insel zählten:

Tlepolemos, der Heraklide, der tüchtige, große, // führte aus Rhodos neun Schiffe voll kühner Rhodier, // die rundum auf Rhodos |38|wohnten, und dreifach waren sie aufgeteilt, // in Lindos, Ialysos und das weißschimmernde Kameiros. // Die nun führte Tlepolemos der speerberühmte, // den Astyocheia der rohen Gewalt des Herakles geboren hatte.25

Von allen drei Städten auf Rhodos weiß man, dass sich dort mykenische Kolonien befanden, und wahrscheinlich waren sie die Ausgangspunkte, von denen die Mykener ihren Einfluss über die kleineren Inseln zwischen Kreta und dem kleinasiatischen Festland ausdehnten. Den Rhodiern folgen im Katalog die Krieger aus Syme, mit nur drei Schiffen das kleinste Kontingent in Agamemnons Flotte:

Nireus wiederum führte aus Syme drei gleichmäßig gebaute Schiffe, // Nireus, der Aglaia Sohn und des Königs Charops, // Nireus, der schönste Mann, der nach Ilios gekommen war, // unter den anderen Danaern, gleich nach dem makellosen Peleussohn (Achilleus). // Doch schwach war er und nur wenige Leute folgten ihm.26

Syme, eine der kleinsten bewohnten Inseln Griechenlands, ist seit jeher für seine unerschrockenen Seefahrer berühmt, die als Schwammtaucher seit der Antike die Ägäis durchfahren. Ihre kleine Insel liegt zusammen mit Rhodos gleich vor der Spitze der Knidischen Halbinsel, des äußersten südwestlichen Vorsprungs von Kleinasien. Über diese herrliche, geschichtsträchtige Gegend schreibt Pindar in einem seiner Gedichte: „das meerumgebene Rhodos, Kind der Aphrodite und Braut des Helios (…), dicht an der Landzunge des geräumigen Asien“.27

Auf den Schiffskatalog folgt der viel kürzere Katalog der Troer, der ein Dutzend Orte aufzählt, die Verstärkung für Priamos |39|entsandten – im Gegensatz zu den 164 Orten des Schiffskatalogs. Truppenstärken werden nicht erwähnt, es handelt sich um eine reine Aufzählung von Stämmen und deren Führern. Luce weist darauf hin, dass der Troerkatalog ebenso wie der Schiffskatalog auffallende Diskrepanzen zum Rest der Ilias besitzt. Daraus folgert er, der Katalog der Troer fasse wahrscheinlich zusammen, was gegen Ende der mykenischen Zeit über die Troas, Thrakien und einige Gebiete Kleinasiens bekannt gewesen sei, vor allem an Orten wie Milet, in denen es mykenische Kolonien gab.

Walter Leaf zog den Schluss: „Der Troerkatalog (…) scheint zuverlässig eine Situation wiederzugeben, die zur Zeit des Troianischen Krieges bestanden haben muss, aber hinterher nicht möglich war und auch nicht lange vorher.“28 Anschließend erklärt er: „daraus ergibt sich wohl, dass es von Anfang an eine Art metrischer Erzählung über den Krieg gab, von welcher der Troerkatalog in seiner annähernd ursprünglichen Form erhalten ist“.29

Die Troer führte der große Hektor mit glitzerndem Helm, // der Priamossohn; mit ihm nun rüsteten sich bei Weitem die besten und zahlreichsten // Leute, die mit ihren Lanzen vordrängten. // Über die Dardaner aber gebot der kühne Sohn des Anchises, // Aineias, den von Anchises die göttliche Aphrodite gebar // in den Tälern des Ida, als die Göttin mit einem Sterblichen das Bett teilte.30

Den Dardanern folgen drei, vier andere Gruppen aus der Troas. Die erste bilden die Männer, die am Unterlauf des Aisepos lebten, jenes Flusses, der die Westgrenze der Troas markierte und von den Vorbergen des Ida ins Marmarameer fließt: „Die in Zeleia wohnten, zuunterst am Fuß des Ida, // die wohlhabenden, die das schwarze Wasser des Aisepos tranken, // die Troer, sie nun führte der glänzende Sohn des Lykaon, // Pandaros, dem Apollon selbst |40|einen Bogen geschenkt hatte.“31 (Hier gibt es eine Unstimmigkeit, denn laut Buch 5 der Ilias ist Pandaros ein Lykier.)

Das zweite Kontingent aus der Troas stammte von der Küste des Marmarameeres zwischen dem Aisepos und der Einfahrt in den Hellespont; seine beiden Anführer wurden später durch Diomedes getötet:

Die Adrasteia hatten und das Gebiet von Apaisos // und Pityeia hatten und das schroffe Gebirge von Tereie, // sie führten Adrastos und Amphios in Leinenrüstungen, // die zwei Söhne des Merops aus Perkote, der sich besser als alle anderen // auf die Weissagung verstand, und darum wollte er seine Söhne nicht // in den männervernichtenden Kampf ziehen lassen – die zwei aber // hörten nicht auf ihn; denn die Botengöttinnen des schwarzen Todes zogen sie mit.32

Die dritte Gruppe von Kriegern aus der Troas kam vom Ufer des Hellespont gleich oberhalb der Meerenge, wo ihr Gebiet an das der Dardaner grenzte. Ihr Anführer war Asios, der später von Idomeneus getötet wurde: „Die nun, die rings um Perkote und Praktion wohnten, // die Sestos und Abydos hatten und das göttliche Arisbe, // die nun führte der Hyrtakide Asios, der Gebieter der Männer, // Asios, Sohn des Hyrtakos, den // große feurige Rosse aus Arisbe hierher getragen hatten, vom Fluss Selleeis her.“33

Das nächste Aufgebot bildeten die Pelasger aus einer Ortschaft namens Larisa. Sie wurden von den Brüdern Hippothoos – später tötete ihn Aias der Telamonier – und Pylaios befehligt: „Hippothoos führte die Stämme der mit Speeren vertrauten Pelasger, // jener, die Larisa mit dem fetten Ackerland bewohnten; // über sie geboten Hippothoos und Pylaios, der Spross des Ares, // die beiden Söhne des Pelasgers Lethos, des Sohnes von Teutamos.“34 |41|In den Pelasgern sah man eines der Urvölker, die vor der Ankunft der Griechen Hellas und Kleinasien bewohnt haben sollen; ein anderes waren die Leleger, auch sie in der Ilias als Verbündete der Troer aufgeführt.

Im westlichen Kleinasien gibt es gleich drei Städte namens Larisa. Eine davon liegt nördlich von Kap Lekton in der Troas, die zweite nahe Kyme in der Äolis und die dritte im Gebiet von Ephesos in Ionien. Leaf glaubte, Homers Larisa liege in der Troas, Strabon jedoch war der Ansicht, das äolische Larisa sei jenes, auf das sich der Troerkatalog bezieht.

Wie Walter Leaf erklärt, beschreibt der erste Teil des Katalogs die Aufgebote im Zuge einer Rundreise durch die Troas, dann jedoch ändert sich die Anordnung, und die Stämme liegen allesamt auf Linien, die sich in Troia schneiden; der jeweils entlegenste Punkt auf jeder Linie sei durch das Wort „von fern“ (tēlothen) bezeichnet. Er merkt an: „In diesen vier Linien sehe ich die vier Handelsrouten, die in Troia als gemeinsamem Handelsplatz zusammenliefen, solange es die Mündung des Hellespont beherrschte.“35

Betrachten wir diese Richtungspfeile in der Reihenfolge, in der sie im Troerkatalog auftauchen, dann zeigt der erste nach Nordwesten über den Hellespont und nach Europa hinein, in die von den Thrakern, den Kikonen und den Päonen bewohnte Gegend:

Aber die Thraker führte Akamas und Peiroos, der Held, // alle, die der reißend starke Hellespont einschließt. // Euphemos war Anführer der mit Lanzen kämpfenden Kikonen, // Sohn des Troizenos, der Sohn des gottgenährten Keadas war. // Aber Pyraichmes führte die Paionen mit gekrümmten Bogen, // von fern aus Amydon, vom breit fließenden Axios, // dem Axios, dessen Wasser – das schönste – die Erde durchfeuchtet.36

|42|Alle drei entlang dieser Route erwähnten Völker lassen sich mit Sicherheit in jenen Gebieten nachweisen, die sie während der Heroenzeit bewohnten.37 Die Thraker lebten in der gesamten Region vom Hellespont bis zum nördlichen Teil des Einzugsgebiet des Flusses Hebros, der bei Ainos in die Ägäis mündet – dieser Hafen lag quer über den Melas-Golf gemessen nur 70 km von Troia, „eine bequeme Tagereise unter Segeln“.38 Ainos nennt Homer in Buch 4 der Ilias, wo er sagt, es sei die Heimat von Peiroos, Sohn des Imbrasos, eines Verbündeten der Troer. Herodot bezeichnet es als Siedlung der äolischen Griechen. Auch ein Gedicht des Alkaios von Lesbos (geboren ca. 620 v. Chr.), ein Lobpreis auf den Hebros, erwähnt die Stadt:

Hebros, schönster der Flüsse, dicht bei Ainos strömt du hinaus ins purpurdunkle Meer, wo du, vorbei an Thrakien verspritzt, (…)

und dich nehmen viele Mädchen (…) ihre Glieder mit sanften Händen (…) und wie Salböl genießen sie dein göttliches Wasser.39

Die Kikonen saßen an der Küste westlich von Ainos unterhalb des Berges Ismaros, der sie laut Leaf „vom Becken des Hebros trennte“.40 Homer erwähnt sie im Buch 17 der Ilias, wo er von einem Anführer der Kikonen namens Mentes spricht, in dessen Rolle Apollon in einer Kampfszene schlüpft. Auch in der Odyssee kommen sie vor; dort überfällt und plündert Odysseus ihre Stadt Ismaros.

Die Päonen bewohnten westlich der Kikonen die Küste zwischen den Flüssen Nestos und Axios; dort erstreckte sich ihre Macht über das gesamte Gebiet, das später zum Königreich Makedonien |43|wurde. Ihr Anführer Pyraichmes wurde von Patroklos erschlagen und durch den Beidhänder Asteropaios ersetzt, der später gegen Achilleus kämpfte und ihn verwundete, ehe er von ihm getötet wurde.

Der zweite Pfeil weist nach Nordosten auf die Schwarzmeerküste Kleinasiens, in das von den Paphlagonen und Halizonen bewohnte Gebiet:

Die Paphlagonen führte das ruppige Herz des Pylaimenes // aus dem Eneterland her, von wo das Geschlecht der wilden Maultiere stammt, // und auch Kytoros hatten sie und wohnten rund um Sesamos, //rings um den Fluss Parthenios saßen sie in berühmten Heimstätten, // Kromna und Aigialos und den hochragenden Erythinoi. //Die Halizonen aber führten Odios und Epistrophos // von fern aus Alybe, wo der Ursprungsort des Silbers ist.41

Strabon siedelte die Paphlagonen an der heutigen türkischen Küste östlich von Ereğli, dem antiken Herakleia Pontike, bis zum Kerempe Burnu, auf Griechisch Kap Karambis, an. Die Halizonen lokalisiert er weiter östlich, von Samsun, dem antiken Amisos, bis fast nach Trabzon (Trapezus).

Die Identität der Eneter – oder der Männer von Enetoi – ist immer etwas rätselhaft gewesen; einige meinen, es handele sich um einen Stamm, andere sagen, es wäre eine Stadt. Leaf spekulierte, Enetoi lasse sich mit Herakleia gleichsetzen, während er Sesamon und Kytoros in Amasra (dem antiken Amastris) sowie etwas östlich davon annahm, Aigialos dann noch weiter östlich nahe dem Kap Karambis, das er in „den hochragenden Erythinoi“ wiedererkennen wollte.

Die Namen „Halizonen“ und „Alybe“ geben antiken wie modernen Gelehrten Rätsel auf; der einzige Hinweis liegt darin, |44|dass Alybe als ursprüngliche Silberquelle der Antike bezeichnet wird. Strabon sagt, in alten Zeiten habe es Silberminen im Taurusgebirge oberhalb der pontischen Küste westlich von Trapezus gegeben – wahrscheinlich nahe der heutigen Stadt Gümüşhane, was „Silberhaus“ oder „Münzstätte“ bedeutet. Marco Polo vermerkte diese Minen, als er 1296 dort vorbeikam; damals kannte man sie auf Griechisch als Argyropolis oder „Silberstadt“, ein Name, der bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch blieb, bis er bei den Türken durch Gümüşhane abgelöst wurde. Leaf erklärt: „Auch dieser Teil der Küste, die natürliche Verbindung des Hethiterreiches zur Außenwelt, kann den Weg dargestellt haben, durch den Silber aus dem Binnenland nach Westen exportiert wurde“,42 und zitiert dafür den klassischen Philologen A. H. Sayce: „Die Silberminen des Taurus, die von den Hethitern ausgebeutet wurden, bildeten die Hauptquelle des Silbers, das in die Welt des frühen Orients gelangte; daher war das Metall bei den Hethitern besonders beliebt, von denen der Rest der Welt es erhielt.“43

Der dritte Pfeil zeigt auf die Gebiete im Nordwesten Kleinasiens südlich des Marmarameeres, die Heimat der Myser, Phryger und Mäonen:

Die Myser führte Chromis und der Vogelschauer Ennomos, // doch seine Kenntnis der Vogelzeichen bewahrte ihn nicht vor der schwarzen Todesgöttin, // sondern er wurde bezwungen von der Hand des flinkfüßigen Aiakiden (= Achilleus) // im Fluss, wo dieser auch die anderen Troer mordete. // Phorkys nun führte die Phryger und der gottgleiche Askanios // fern aus Askania; sie brannten darauf, in der Schlacht zu kämpfen. // Die Mäonen dagegen führten Mesthles und Antiphos, // die Söhne des Talaimenes, dem die Seenymphe Gygaia sie gebar, // die führten die Mäonen, die am Fuß des Tmolos geborenen.44

|45|Mysien liegt gleich östlich der Troas, von ihr getrennt durch das Tal des Aisepos. Die Ost- und Südgrenze der Landschaft ist unbekannt, doch scheint einst die Ebene am Ende des Golfs von Adramyttene ebenso zu Mysien gezählt zu haben wie das Kaïkos-Tal mit Pergamon. Die Grenze zwischen Mysien und Phrygien bildete wahrscheinlich der Fluss Rhyndakos, heute bekannt als Mustafakemalpaşa, der etwa in der Mitte der Südküste in das Marmarameer mündet. Phrygiens Westgrenze war der Fluss Sangarios, türkisch Sakarya, der nahe der Stadt Lefke (Yenişehir) seine Richtung von Nordwesten nach Nordosten ändert und anschließend 130 km östlich der Einfahrt in den Bosporus ins Schwarze Meer fließt. Die Flussbiegung liegt 32 km vom Ostende des Askania-Sees entfernt, an dessen Westseite in der Antike Nikaia lag, das türkische Iznik. Zweifellos war das im Troerkatalog erwähnte „Askania“ die Gegend um den See.

Archäologische Funde weisen darauf hin, dass die Phryger in der Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. im Hochland bei Gordion fest etabliert waren, am Zusammenfluss des Sangarios mit dem Tembris, an die 100 km südwestlich des heutigen Ankara, der Hauptstadt der Türkischen Republik. Ein weiteres Jahrhundert verging, dann war Gordion die Hauptstadt des Königreiches Phrygien, das den Großteil des westlichen Zentralanatoliens umfasste und bis ca. 600 v. Chr. bestand.

Die Mäonen lassen sich durch den Verweis auf den Gygäischen See und den Berg Tmolos eindeutig lokalisieren; beide liegen im Einzugsgebiet des Flusses Hermos und der Ebene von Sardeis. Unter Gyges (ca. 685–652 v. Chr.), dem Gründer der Mermnadendynastie, wurde Sardeis zur Hauptstadt des Königreichs der Lyder; sie nutzten das Gold, das der Fluss Paktolos aus dem Berg Tmolos auswusch, und prägten daraus die ersten Münzen der Geschichte. Gyges und seine Nachfolger liegen unter riesigen Hügeln am |46|Gygäischen See begraben, der sich am Oberlauf des Hermos befindet. Der letzte und berühmteste König Lydiens, Kroisos („Krösus“), ging 546 v. Chr. unter, als das „Goldene Sardeis“ vom Perserkönig Kyros erobert wurde.

Scherben mykenischer Keramik aus dem 13. Jahrhundert v. Chr., die man in Sardeis gefunden hat, deuten auf eine mögliche Eroberung der lydischen Hauptstadt etwa zur selben Zeit wie der Fall Troias. Denn andere Scherben, die am selben Ort ausgegraben wurden, weisen auf eine Besiedlung durch Hellenen im Zeitraum 1200–900 v. Chr. und vielleicht noch zwei weitere Jahrhunderte. Dies würde die griechische Tradition bekräftigen, die behauptet, dass die ersten Hellenen, die in Sardeis regierten, die Herakliden waren, die selbsterklärten Söhne des Herakles, die eine einheimische Dynastie verdrängten, welche vor dem Troianischen Krieg zur Zeit der Mäonen entstanden war. Laut Herodot „herrschten [die Herakliden] 22 Generationen oder 505 Jahre lang, wobei immer der Sohn dem Vater in der Herrschaft folgte, bis Kandaules, dem Sohn des Myrsos“.45 Kandaules wurde von Gyges getötet, der den Thron an sich riss und König von Lykien wurde, womit die Dynastie der Mermnaden begann.

Der vierte und letzte Pfeil weist in den Südwesten Kleinasiens, wo die Karer und Lykier wohnten:

Die Karer nun von barbarischer Redeweise führte Nastes, // die Miletos hatten und das dichtlaubige Gebirge der Phthirer, // die Strömungen des Maiandros und die steilen Häupter von Mykale; // sie nun führten Amphimachos und Nastes, // (…) // Sarpedon führte die Lykier und der tadellose Glaukos // von fern aus Lykien, vom wirbelnd fließenden Xanthos.46

Zu den beschriebenen Orten in der Heimat der Karer zählen die |47|Stadt Milet, der Fluss Mäander und das Gebirge Mykale. Tatsächlich gehören sie zu Südionien, aber früher waren sie wahrscheinlich von den Karern bewohnt, die nach der griechischen Wanderung ins Hochland südlich des Mäander-Tales abgedrängt wurden. Phthiron ist wahrscheinlich das Latmosgebirge, das die Grenze zwischen dem Mäandertal und dem karischen Hochland im äußersten Südwesten Kleinasiens bildet.

Die Karer kamen ursprünglich aus dem minoischen Kreta, sagt Herodot, und scheinen in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr., lange vor den Griechen, ins südwestliche Kleinasien eingewandert zu sein, wahrscheinlich auf dem Weg über die Inselkette, die der Schiffskatalog erwähnt.

Ausgrabungen in Milet haben den Bericht Herodots generell bestätigt; sie zeigen Spuren einer minoischen Siedlung, die der ionischen Wanderung weit vorausgeht. Diese Siedlung scheinen in der späten Bronzezeit, etwa 1400 v. Chr., die Mykener übernommen zu haben. Das wäre zur selben Zeit, als die Mykener auf Kreta selbst zur herrschenden Macht aufstiegen und das minoische Zeitalter beendeten.

Die Forschung hat einen Briefwechsel der Hethiter mit den Achäern entziffert, der sich in Boğazkale gefunden hat, der einstigen hethitischen Hauptstadt Hattuša. Dort wird eine Stadt an der Südwestküste Anatoliens namens Millawata oder Millawanda erwähnt, die man mit Milet identifiziert. Die Mykener kannten Milet als Milwatos, und so heißt auch ein minoischer Fundort, den man auf Kreta ausgegraben hat – wahrscheinlich der Ausgangsort der kretischen Siedler im kleinasiatischen Milet.

Bei der Beschreibung des lykischen Aufgebots, geführt von Sarpedon und Glaukos, erscheint der Fluss Xanthos, der an der Südwestspitze Kleinasiens mündet, wo die Ägäis ins Hauptbecken des Mittelmeers übergeht.

|48|Die Archäologen haben eine Anzahl lykischer Fundorte ergraben und dabei Hinweise gefunden, dass sie schon seit der späten Bronzezeit bewohnt waren. Hethitische Archive aus der Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr. sprechen von einem aufsässigen Volk namens Lukki, zweifellos die Lykier. Von ihnen ist auch auf Täfelchen etwa der gleichen Zeit die Rede, die man im ägyptischen Tell el-Amarna fand; sie beschreiben die Lukki als kriegerisches Seeräubervolk.

Heute neigt die Forschung dazu, Herodot darin recht zu geben, dass die Lykier ein nichtgriechisches Volk waren, das wie die Karer ursprünglich aus Kreta kam und die Ägäis überquerte, um in Kleinasien zu siedeln.

Lykien steht für das Ende des vierten und letzten der von Troia ausgehenden Pfeile, der Handelsrouten zwischen den Troern und ihren europäischen und asiatischen Partnern, die ihnen zu Hilfe kamen, als sie von den Achäern belagert wurden. Zuvor trafen sich die Verbündeten wohl auf der Ebene von Troia vor der Festung, tauschten jeden Sommer bei einem Jahrmarkt Waren aus und bereicherten durch Marktgebühren und Handelszölle Priamos und sein Volk.47

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