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Bewusstsein
ОглавлениеBevor wir das Thema in seinen Hauptzügen erörtern, müssen wir als Vorbereitung zunächst das Bewusstsein studieren. In dem durch Phänomene gekennzeichneten Bewusstseinsstrom gibt es die Einheit des Geistes. Diese Einheit darf allerdings nicht zu weit getrieben werden. Jedes mentale Phänomen ist gleichzeitig mit drei mentalen Prozessen verbunden: dem Intellekt, dem Gefühl und der Konation.12 Sie bilden die Basis der dreifach differenzierten Einheit des mentalen Wesens. Weil sie die elementaren psychischen Aktivitäten darstellen, müssen sie jeder mentalen Aktivität zugrunde liegen. Komplexere Prozesse sind schlicht das Ergebnis einer Kombination dieser drei elementaren Prozesse unter dem Einfluss der Entwicklung. Da es sich so verhält, muss es irgendeinen allgemeinen, auf alle Phänomene anwendbaren Begriff geben. Wir nennen sie deshalb Bewusstseinsphänomene.
Bewusstsein lässt sich kaum definieren. Auf das mentale Leben bezogen ist es unmöglich, Unbewusstheit zu erfassen, weil es sich vom psychischen Standpunkt aus gesehen um eine negative13 Idee handelt. Vollständige Unbewusstheit wäre die Abwesenheit mentaler Zustände oder Prozesse. Möglicherweise ist der Geist zu bestimmten metaphysischen Prozessen fähig, die das Bewusstsein übersteigen. Doch solche Zustände sind dann jenseits der psychischen Phänomene. Unbewusstheit ist also aus der psychischen Perspektive völlig negativ. Das mentale Leben wird als Bewusstseinsstrombegriffen. Mit anderen Worten: Das Leben des Geistes hat keine Trennpunkte, die bestimmte Grenzen markieren, wie es bei Objekten im Raum der Fall ist. Zudem lassen sich im mentalen Leben, soweit es die Prozesse anbelangt, keine Trennlinien zwischen den einzelnen Phasen festlegen. Das Leben ist kontinuierlich, ohne irgendwelche völligen Brüche zwischen den mentalen Prozessen. Auch kann man Bewusstsein nicht als etwas betrachten, das sich immer einfach in einem passiven Zustand befindet, denn auch beim simpelsten mentalen Zustand handelt es sich um einen aktiven Vorgang. Die verschiedenen mentalen Prozesse müssen selbst der mentalen Aktivität unterworfen werden, bevor sie erkannt werden können. Ein unerkannter Zustand hat keine psychische Bedeutung. So stellt etwa ein Stich mit einer Nadel, der nicht als solcher unterschieden wird, ein physiologisches, kein psychologisches Problem dar. Ladd hat Bewusstsein definiert als »synonym mit einem psychischen Zustand, der als inhaltlich unterschieden betrachtet wird – wie schwach auch immer – und mit dem Strom des mentalen Lebens verbunden ist – wie unvollkommen auch immer.« Die Phänomene des Bewusstseins stellen mentale Aktivitäten dar. Bewusst zu sein bedeutet, sich dieser psychischen Aktivität bewusst zu sein, wobei Bewusstsein als »eine Form des Funktionierens« betrachtet wird. Das Analysieren mentaler Zustände impliziert eine Differenzierungsfähigkeit des Bewusstseins. Bewusste Zustände zu unterscheiden, schließt wiederum die Aktivität des Geistes ein, der seinerseits selbst Bewusstsein ist. Bewusstsein ist folglich das Erkennen mentaler Aktivität aus der Sicht psychischer Einheit bezogen auf die bewussten Zustände. Manche setzen dies mit Selbst-Bewusstsein14 gleich – also mit »der Kraft, durch die die Seele ihre eigenen Taten und Zustände kennt.« (Porter).
Gegen diese Theorie tragen die deutschen Psychologen Bedenken vor, weil sie meinen, dass nicht jedes psychische Phänomen dieses Selbstwissen einschließt. Beide Sichtweisen sind extrem. Denn da alle psychischen Phänomene mit dem Bewusstsein verbunden sind, kann es ohne ein mehr oder weniger klares Selbst-Bewusstsein kein Wissen von ihnen geben. Selbst-Bewusstsein entsteht immer dann, wenn das Subjekt erkennt, dass die psychischen Zustände aufeinander und auf Bewusstsein bezogen sind. Bewusstsein umfasst die physiologische Basis, die man im Nervenmechanismus findet, bestehend aus dem Zentralen Nervensystem, den Nervenbahnen und den Endorganen. Davon hängt in einem gesunden Zustand, der auf angemessener Ernährung des Gehirns und der Nervenbahnen beruht, die funktionelle Aktivität des bewussten Lebens ab. Bewusstsein ist nicht jeweils auf eine einzelne Tatsache begrenzt, weil es ständig eine Gruppe von Tatsachen oder Objekten enthält. Was seine Intensität anbelangt, variiert Bewusstsein bei verschiedenen Individuen beachtlich. Das gilt auch für die Geschwindigkeit der mentalen Prozesse, die nur im Licht bewusster Evolution verstanden werden können. Beim Kind etwa gibt es kein derartiges Bewusstsein von sich selbst und von Tatsachen oder Objekten, wie wir es beim Erwachsenen feststellen. Zwar ist der Geist auf beiden Stufen unzweifelhaft derselbe, doch im Zuge der Entwicklung hat sich das Unterscheidungsvermögen dank der mentalen Aktivität in Vergleich und Gegensatz zu einer solchen Exaktheit verfeinert, dass das bewusste Wissen erheblich erweitert worden ist. Bewusst zu sein heißt also, ein mentales Leben zu leben, wobei sich dieses mentale Leben mit der zunehmenden Vervollkommnung der mentalen Funktionen entwickelt. In dieser psychischen Entwicklung kennzeichnet das Unterscheiden zwischen »Ich« und »Nicht-Ich« das prinzipielle Charakteristikum der Evolution, ergänzt durch Vergleich und Kontrast. Wird dieser Bereich des Bewusstseins differenziert und im Bewusstsein vom bewussten Subjekt getrennt, erreicht der Geist jenes höhere Bewusstsein, das für den erwachsenen Zustand charakteristisch ist. Wir müssen uns daran erinnern, dass das Bewusstsein durch seine gesamte Geschichte hindurch »nicht weiterexistiert, wenn die Prozesse, derer wir uns bewusst sind, vergangen sind. Es verändert sich ständig mit ihren Veränderungen und lässt sich nicht von ihnen unterscheiden« (Wundt).