Читать книгу Der Fall - Amos Cappelmeyer - John Marten Tailor - Страница 5
Prolog
ОглавлениеIch bin, wer ich bin ...
Die Leute mochten mich schlicht als Mann mittleren Alters bezeichnen, mein Name: Amos Cappelmeyer. Ja, ganz recht, im Englischen wie im ostdeutschen Dialekt Ämos.
In meinem Geburtsjahr wurde Che Guevara erschossen, Martin Luther King schwang feurige Reden gegen den Vietnamkrieg und ein Dr. Manfred Eigen aus Göttingen erhielt den Nobelpreis für Chemie. Dies alles ereignete sich im Jahr des Herrn 1967. Ich stamme aus einem Örtchen im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, von dem garantiert 99,9% der Menschheit niemals je gehört haben. Egal, für mich bleibt es der reizvollste Ort auf Erden.
Ich bin, wie ich bin.
Leider schlug die Damenwelt einen weiten Bogen um meine Person, da die Natur mich nicht eben gesegnet hatte, und ich, ehrlich gesagt, keine besonderen Anstrengungen unternahm, dem entgegenzuwirken. Von durchschnittlicher Statur, etwas unter ein Meter achtzig groß, hatte ich mir zumindest das volle dunkle Haar meiner Jugend bewahrt, welches von mir in Eigenleistung hin und wieder gestutzt wurde, wie der Rasen vorm Küchenfenster. Ich war weder trainiert, noch definiert - wie es auf neudeutsch heißt -, der Waschbrettbauch verbarg sich geschickt. Es bestand kein Anreiz, mit der Zeit zu gehen, bei uns auf dem Land war die Welt in Ordnung. Zu meiner modernsten Errungenschaft zählte ein preiswertes Smartphone, weil ich mir einredete als aufsteigender Stern am Schriftstellerhimmel das Internet zu benötigen.
Insgeheim sehnte sich mein Herz nach ein bisschen Zuneigung, von der großen Liebe wagte ich nicht zu träumen. Einsam suchte ich die Erfüllung als Schreiberling, mit zugegeben - mäßigem Erfolg. Hier und da einen Artikel in hiesigen Lokalblättern zu veröffentlichen, ein kleiner Lichtblick. Meine Sternstunde blieb die Kolumne »Der Totenkult in Mitteldeutschland von der Frühzeit bis zur Gegenwart am Beispiel der Gemeinde Kleinschmalkalden«, doch ich hatte mir in den Kopf gesetzt, einen echten Roman zu verfassen. Etwas, mit mehr Volumen, das man in der Hand halten konnte, wie die Bücher meiner Vorbilder aus Jugendtagen. Doch selbst nie in den Genuss der EOS, der erweiterten Oberschule, gekommen, geriet meine Karriere bereits vor ihrem Beginn ins Stocken. Knauserig, wie es meine Natur vorgab, schaffte ich ein paar Cent aus der Arbeit im Postdienst auf die hohe Kante. Von den Ersparnissen versuchte ich, meinen Traum zu erfüllen, - dabei verschlug es mich ins Ausland.
Ich nahm meinen kompletten Jahresurlaub, um nach München zu reisen, wohin ich eingeladen worden war. Ja, das Warten hatte sich ausgezahlt. Nach dem Gespräch mit der Verlagsleitung wurde ich übermütig. Mit kaum mehr als meinem Postbank-Sparbuch mit 1.500 Euro, Wäsche für ein paar Tage und ein Laptop im Gepäck, entschied ich spontan, nicht direkt nach Hause zu fahren, sondern am Münchener Hauptbahnhof den nächsten x-beliebigen Zug zu besteigen. Den kündigte die Abfahrtstafel für 12 Uhr 25 auf Gleis 9 an.
Zufällig war dessen Ziel Wien.
Der Tapetenwechsel sollte meiner aufgeputschten Kreativität Vorschub leisten, daher mietete ich mich von unterwegs mit Hilfe des Smartphones für sieben Tage in einem bescheidenen Hotel in der österreichischen Hauptstadt ein. Versprach mir raschen Reichtum. Wie konnte Mann nur so blauäugig sein, sich mit einem Verlag auf ein verwegenes Angebot einzulassen: 700.000 Euro, wenn ich es fertigbrachte, einen spannenden Roman abzuliefern, Thema frei, Minimum 300 Seiten - in sieben Tagen! Einfacher als ein Lottogewinn. Der Pferdefuß: Gelang es mir nicht, verlor ich mein Haus in bester Alleinlage, doch diese Option zog ich maximal mit einem Achtel Hirnkapazität in betracht.
So nahm das Schicksal seinen Lauf.
In grenzenloser Überheblichkeit unterschrieb ich mit einem goldenen Federhalter die Vereinbarung, vor den Konsequenzen die Augen verschlossen. Man hatte mich bei der Ehre gepackt. Mich, einen drittklassigen Schriftsteller vom Lande. Nur Gevatter Tod war längst fester Bestandteil des Plans ...
Ich bin, was ich bin.